Wie die Sanktionen gegen Russland das globale Finanzsystem bedrohen

Immer mehr Finanzmedien und Wirtschaftsanalysten äußern Bedenken, dass die gegen Russland verhängten Sanktionen das globale Finanzsystem sowohl unmittelbar als auch langfristig gefährden könnten.

Die USA und die EU haben gemeinsam sieben große russische Banken vom internationalen Bankenkommunikationsnetzwerk SWIFT ausgeschlossen. Banken, die mit dem Ölmarkt zu tun haben, sind bisher von dem Verbot ausgenommen, doch es werden Schritte erwogen, um russische Exporte zu stoppen.

Bild eines Aktienaggregators (Credit: QuoteInspector.com)

Noch wichtiger als die SWIFT-Maßnahme ist das Unterbinden von Devisentransaktionen der russischen Zentralbank. Sie wird daran gehindert, einen großen Teil ihrer Devisenreserven, die auf insgesamt 580 Milliarden Euro geschätzt werden, zur Stützung des Rubels und des Finanzsystems des Landes heranzuziehen.

Während die Zentralbank nominell Eigentümerin ihrer Reserven ist, werden diese in großem Umfang als digitale Einträge auf den Konten anderer Banken gehalten. Diese Konten sind nun eingefroren, also effektiv enteignet worden.

In einem Artikel der Financial Times heißt es dazu: „Diese Digitalisierung trennt den Besitz von der Kontrolle der Devisenreserven. Diese sind zwar im Besitz Russlands, aber westliche Emittenten und computergesteuerte Halter dieser Vermögenswerte kontrollieren den Zugang zu ihnen (…) Von einer Quelle wirtschaftlicher Stärke in Friedenszeiten haben sich die Devisenreserven in Kriegszeiten in eine Quelle des Absturzes verwandelt.“

Die Maßnahmen gegen Russland sind zwar nicht die ersten ihrer Art: Die USA haben sie in der Vergangenheit auch gegen andere, kleinere Länder eingesetzt. Doch wurden sie noch nie in einem solchen Ausmaß angewandt. Russland ist mit einem BIP von knapp 1,6 Billionen Euro die zwölftgrößte Volkswirtschaft der Welt und Mitglied der G20.

Bislang wurde das Weltfinanzsystem nicht beeinträchtigt. Der Vorsitzende der US-Notenbank Jerome Powell sagte letzte Woche, die Märkte würden „gut funktionieren“. Aber für eine Einschätzung ist es noch viel zu früh, und die Befürchtungen, dass sich die Krise negativ auswirken könnte, nehmen zu.

In einem Artikel des Wall Street Journal wurde darauf hingewiesen, dass die Sanktionen den westlichen Banken eine direkte Quelle für kurzfristige Finanzierungen entziehen. Das könnte ihnen Sorgen bereiten. Sie könnten „zögern, sich gegenseitig Kredite zu gewähren, weil sie nicht wissen, wer ein Engagement in Russland hat“.

Zoltan Pozsar, Analyst der Credit Suisse, schätzte in einer kürzlich erschienenen Kundenmitteilung, dass die Bank von Russland und russische Unternehmen des Privatsektors zusammen etwa 200 Milliarden Dollar im Rahmen der Devisenswaps verliehen haben. Weitere rund 100 Milliarden Dollar russischer Gelder sind in verschiedenen Banken außerhalb des Landes deponiert. Ein Gesamtbetrag von 300 Milliarden Dollar sei ein bedeutender Betrag, der durchaus ausreiche, die Finanzierung zu beeinflussen.

Pozsar sagte, dass Verflechtungen in den finanziellen „Röhren“ unerwartete Schocks verursachen könnten, indem sie den Geldfluss blockierten, wie beim Zusammenbruch der US-Investmentbank Lehman im Jahr 2008.

Unvergessen ist auch der Zusammenbruch des 3 Milliarden Dollar schweren US-Hedgefonds Long-Term Capital Management im September 1998. Die New Yorker Zentralbank musste ihn retten, weil sein Untergang, der auf falsche Wetten auf den Rubel zurückzuführen war, das gesamte amerikanische Finanzsystem in die Krise gestürzt hätte.

Die FT-Kolumnistin Gillian Tett schrieb kürzlich, es gebe „Bedenken, dass einige Schwellenländerfonds nicht-russische Vermögenswerte abstoßen werden, um Verluste aus eingefrorenen russischen Beständen zu decken“, da einige überschuldete Hedge-Fonds in die Irre geführt worden seien. „Dies ruft Erinnerungen an den Zusammenbruch von Long-Term Capital Management im Jahr 1998 wach.“

Der Wirtschaftshistoriker Adam Tooze stellte fest, dass die russischen Reserven, die aus den Öl- und Gasverkäufen stammen, eine Finanzierungsquelle auf den westlichen Märkten darstellen, und „Teil komplexer Transaktionsketten sind, die nun durch die Sanktionen gefährdet werden könnten“.

Weil der Dollar als Weltleitwährung fungiert, ist die Macht des US-Imperialismus enorm. Die Befürchtung wurde laut, dass die Sanktionen zu einer bipolaren Finanzwelt führen könnten: Eine Welt würde dann auf dem Dollar und die andere auf dem chinesischen Renminbi basieren.

Angesichts der Tatsache, dass das chinesische Finanzsystem staatlich kontrolliert wird, während die US-Märkte im Gegensatz dazu offen und liquide sind, besteht keine realistische Aussicht, dass der Renminbi eine ähnliche Rolle wie der Dollar weltweit spielen könnte. Darüber hinaus wird der Renminbi derzeit zur Finanzierung von nur 2 Prozent des Welthandels verwendet. Es gibt zwar Vorhersagen, dass dieser Anteil in den nächsten Jahren auf 7 Prozent ansteigen könnte, doch stellt die Position des Dollar, der 59 Prozent finanziert, ihn bei weitem in den Schatten.

Wie der Economist jedoch feststellte, werden die Sanktionen langfristige Auswirkungen haben, und ihre Folgen werden „erschreckend“ sein.

„Je mehr sie in Kraft gesetzt werden, desto mehr Länder werden versuchen, sich nicht auf westliche Finanzmittel zu verlassen. Dadurch würde die Gefahr der Ausgrenzung weniger stark werden. Es würde auch zu einer gefährlichen Fragmentierung der Weltwirtschaft führen. In den 1930er Jahren war die Angst vor Handelsembargos mit einem Streben nach Autarkie und wirtschaftliche Einflusssphären verbunden.“

China wird zweifellos die Auswirkungen der russischen Sanktionen sorgfältig prüfen, da die USA und die westlichen Mächte im Falle eines Kriegs oder sogar eines Konflikts um Taiwan oder eine andere Frage auch seine 3 Billionen Euro an Währungsreserven einfrieren könnten. Andere Länder, wie z.B. Indien, „könnten sich Sorgen machen, dass sie dem Druck des Westens stärker ausgesetzt werden“, so der Economist.

In einem Artikel des Wall Street Journal-Autors Jon Sindreu heißt es, dass die Sanktionen gegen Russland, die gezeigt haben, wie leicht die von den Zentralbanken angehäuften Reserven weggenommen werden können, die Frage aufgeworfen haben: „Was ist Geld?“

Sindreu wies darauf hin, dass die Entwicklungsländer nach der asiatischen Finanzkrise von 1997–1998 versuchten, sich durch die Anhäufung von Devisenbeständen zu schützen und diese von weniger als 2 Billionen Dollar auf einen Rekordwert von 14,9 Billionen Dollar im Jahr 2021 anhoben.

„Die jüngsten Ereignisse verdeutlichen den Fehler in diesem Denken“, schreibt Sindreu. „Abgesehen von Gold sind diese Vermögenswerte die Haftung von jemand anderem – und dieser Jemand könnte einfach entscheiden, dass sie nichts wert sind.“

Im 19. Jahrhundert und bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts hinein basierte das Weltfinanzsystem auf dem Goldstandard. Dieses System brach mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs zusammen, und die Versuche, es in den 1920er Jahren wiederherzustellen, scheiterten, was in den 1930er Jahren zum Zusammenbruch der internationalen Handels- und Finanzbeziehungen und in einigen Fällen zu einer Rückkehr zum Tauschhandel führte.

Auf der Konferenz von Bretton Woods im Jahr 1944 wurde ein neues, internationales Finanzsystem entwickelt, bei dem der US-Dollar als Leitwährung festgelegt wurde, unter der Bedingung, dass Dollarbestände zu einem Kurs von 35 Dollar pro Unze in Gold getauscht werden können.

Das Bretton-Woods-System wurde im August 1971 beendet. Aufgrund steigender Handels- und Zahlungsbilanzdefizite, die den Beginn des wirtschaftlichen Niedergangs der USA nach ihrer absoluten Nachkriegsdominanz anzeigten, hob US-Präsident Nixon einseitig die Golddeckung des US-Dollars auf.

Seitdem funktioniert die Weltwirtschaft ausschließlich auf der Grundlage des US-Dollars als Fiat-Währung. Sie ist weder durch Gold noch durch eine andere Ware gedeckt, die den Wert der Arbeit, der eigentlichen Quelle des Werts im kapitalistischen System, verkörpern würde.

Geld ist in der kapitalistischen Wirtschaft nicht nur ein Mittel zur Finanzierung von Handel und Finanztransaktionen, es ist auch ein Wertträger. Da der Dollar als Fiat-Währung fungiert, wird diese Funktion durch eine Art Fiktion oder Zirkularität aufrechterhalten. Der Dollar ist begehrt, weil er als Wertträger angesehen wird, und er ist ein Wertträger, weil er als Zahlungsmittel für den internationalen Handel und die Finanztransaktionen dient.

Nun wird die Grundlage dieses Systems, das in den letzten 50 Jahren funktioniert hat, in Frage gestellt.

Sindreu erklärt: „Das gesamte Konstrukt des ‚Geldes‘ als universeller Wertträger läuft Gefahr, durch das Verbot von Schlüsselexporten nach Russland und Boykotten, wie sie Unternehmen wie Apple und Nike diese Woche angekündigt haben, ausgehöhlt zu werden.“

Wenn Währungsguthaben zu „wertlosen Computereinträgen“ werden, wird es eine Rückkehr zum Gold geben.

Er wies darauf hin, dass ein Hindernis für China in seinem Bestreben, den Renminbi zu internationalisieren, die Befürchtung war, dass der Zugang zum Renminbi aufgrund politischer Erwägungen stets gefährdet sei. „Es ist nun offensichtlich, dass dies bis zu einem gewissen Grad auf alle Währungen zutrifft.“

Sindreus Schlussfolgerung lautet: „Ausnahmsweise ist der alte Spruch vielleicht gar nicht so schlecht: Gold kaufen. Viele der Zentralbanken der Welt werden dies sicherlich tun.“

Der Konflikt, den die US-geführte Nato militärisch gegen Russland führt, hat eine neue Etappe in den geopolitischen Beziehungen eröffnet und beschwört unmittelbar die Gefahr eines Weltkriegs herauf. Genauso hat auch die Verwandlung des Finanzwesens in eine Kriegswaffe dazu geführt, dass alle Widersprüche im Herzen der kapitalistischen Wirtschaft, einschließlich des gesamten Wert- und Geldsystems, wieder aufbrechen.

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