Bundeswehr verlegt mehr Kampftruppen nach Osteuropa

Im Rahmen eines umfassenden Nato-Aufmarsches verlegt die Bundeswehr zusätzliche Kampftruppen nach Osteuropa. Als Anlass dient die russische Invasion der Ukraine. Die Gefahr eines umfassenden Kriegs der Nato gegen Russland nimmt damit weiter zu.

Am vergangenen Mittwoch beschloss ein außerordentliches Treffen der Nato-Verteidigungsminister in Brüssel eine „langfristige Stärkung der Ostflanke“ des Militärbündnisses. Parallel dazu begann die Bundeswehr mit der Verlegung von Flugabwehrraketen in die Slowakei. In dem Land soll unter deutscher Führung eine neue Nato-Battlegroup errichtet werden.

Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) sprach gegenüber der Presse von einer „dramatisch verschlechterten Sicherheitslage“, die eine „glaubwürdige Abschreckung“ und „schnelle Reaktionsfähigkeit“ erfordere. An Russland gerichtet drohte sie: „Wir Deutschen stehen ganz klar zu Artikel fünf.“ Jegliche Übergriffe auf das Bündnisgebiet hätten für die russische Regierung und das Land „katastrophale Folgen“. Noch am selben Tag begann die Bundeswehr mit der Verlegung von Patriot-Flugabwehrraketensystemen in die Slowakei, deren genaue Anzahl und Position nicht bekannt gegeben werden.

Patriot-Startgerät der deutschen Luftwaffe (Darkone, CC BY-SA 2.5, via Wikimedia Commons)

Bereits am Dienstag hatte das slowakische Parlament mit großer Mehrheit grünes Licht für eine massive Ausweitung der Nato-Präsenz im Land gegeben. Bis zu 2100 Nato-Soldaten, darunter 700 aus der Bundeswehr, sollen künftig in der Slowakei stationiert werden. Neben den deutschen Truppen, die das größte Kontingent ausmachen, werden weitere 600 Soldaten aus Tschechien, 400 aus den USA, 200 aus den Niederlanden und je 100 aus Polen und Slowenien erwartet.

Das US-amerikanische Patriot-System spielt im strategischen Kalkül aller Nato-Frontstaaten eine zentrale Rolle, da es nicht nur gegnerische Flugzeuge, sondern auch Marschflugkörper und gegnerische taktische ballistische Raketen bekämpfen kann. Die Lenkraketensysteme schaffen eine mobile „Schutzglocke“, in der die eigenen Kräfte ungehindert agieren können. Ein Factsheet der Bundeswehr spricht von einer „enormen Reichweite von bis zu 68 Kilometern“ und gibt an, dass bis zu fünf Ziele gleichzeitig bekämpft werden können.

Die Truppenverlegungen der Bundeswehr in die Slowakei sind Bestandteil eines immensen militärischen Aufmarsches des westlichen Militärbündnisses gegen Russland. Unter dem Dach der Nato-Initiative „Enhanced Vigilance Activities“ (eVA) dienen sie dem Ziel, rotierende multinationale Kampfverbände aufzubauen, wie sie im Zuge der Initiative „Enhanced Forward Presence“ (eFP) nach 2016 bereits in den baltischen Staaten und Polen aufgebaut wurden.

Die bereits bestehenden Battlegroups der eFP-Initiative werden von Russland als Provokation betrachtet, da sie im Widerspruch zur Nato-Russland-Grundakte von 1997 einer dauerhaften Stationierung einsatzbereiter Kampftruppen in Osteuropa gleichkommen. In Litauen entspricht die im Jahr 2017 eingerichtete Battlegroup – die ebenfalls unter deutscher Führung steht – einer Stationierung von 1200 Soldaten und umfasst unter anderem Panzergrenadiere und Luftabwehrgeschütze. Sie wurde im Februar um weitere 350 Bundeswehrsoldaten aus den Bereichen Artillerie, Aufklärung und ABC-Abwehr verstärkt.

Nun entsteht unter der Führung der Bundeswehr auch in der Slowakei eine derartige Battlegroup. Der slowakische Verteidigungsminister Jaroslav Naď, der der rechten „Protestpartei“ OĽaNO angehört, bejubelte die Stationierung der Nato-Truppen als „größten Schritt in der Verteidigung der Slowakei seit ihrer Unabhängigkeit“. Verteidigungsministerin Lambrecht erklärte, man sei bereit, „unser Engagement auch noch zu verstärken“.

Im Zuge der eVA wurde bereits in Rumänien eine Battlegroup unter französischer Führung errichtet. An der rumänischen Nato-Mission Enhanced Air Policing South beteiligen sich unter anderem die deutsche und italienische Luftwaffe, sowie die britische Royal Air Force. Ministerin Lambrecht hatte nach der russischen Invasion der Ukraine Ende Februar umgehend veranlasst, den deutschen Anteil an der Mission zu verdoppeln. Insgesamt sechs Eurofighter des Taktischen Luftwaffengeschwaders 74 sollen noch mindestens bis Ende des Monats den südosteuropäischen Nato-Luftraum bewachen.

Zusätzlich hat laut Angaben der Bundeswehr am Montag ein deutsches Tankflugzeug des Typs A400M den jordanischen Luftwaffenstützpunkt in Al-Asrak verlassen, um „temporär“ für Luftbetankungsmissionen „an der Ostflanke der Nato“ eingesetzt zu werden. Bislang hatte der Bundeswehr-Tanker im internationalen Luftraum jahrelang Kampfjets der Anti-IS-Koalition bei ihren Luftschlägen gegen irakische und syrische Ziele versorgt.

Und die nächsten Truppenverlegungen werden bereits vorbereitet. Wie das Bundesverteidigungsministerium meldet, habe das Treffen der Nato-Minister unter anderem dazu gedient, „langfristige, strategische Anpassungen der Abschreckungs- und Verteidigungsfähigkeiten der Allianz an der Ostflanke“ vorzunehmen. In einem aus „gleichgesinnten Staaten“ bestehenden „Sonderformat“ hätten die Verteidigungsminister der Europäischen Union sowie Finnlands, Georgiens, Schwedens und der Ukraine einen „weiteren Aufbau von Fähigkeiten“ in Osteuropa diskutiert.

Die daraus resultierende „Neujustierung der strategischen Ausrichtung der Bündnisfähigkeiten“ werde „neben dem Beschluss zum Strategischen Konzept der Nato 2022“ das zentrale Thema des Nato-Gipfels der Staats- und Regierungschefs sein, der Ende Juni in Madrid stattfindet.

Lambrecht betonte in Brüssel, dass die „weitere militärische Verstärkung der Nato-Kräfte an der Ostflanke“ von strategischer „Durchhaltefähigkeit“ geprägt sein müsse, um Russland über Monate hinweg entgegenzuwirken. Mit anderen Worten: die herrschende Klasse, die im Zweiten Weltkrieg einen Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion geführt hat, wähnt sich wieder im Krieg gegen Russland und rüstet dementsprechend auf.

Nur Stunden, bevor Lambrecht die Truppenentsendungen in die Slowakei bekannt gab, beschloss das Kabinett der deutschen Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP offiziell die Bereitstellung des gigantischen Bundeswehr-Sondervermögens über 100 Milliarden Euro und damit die größte deutsche Aufrüstung seit dem Untergang der Nazi-Diktatur. Seit als erster Posten die Beschaffung von 15 Eurofighter-Kampfjets und bis zu 35 US-amerikanischen Tarnkappenbombern bekannt gegeben wurde, gelangen im Tagesrhythmus neue Anschaffungspläne an die Öffentlichkeit.

So berichtete das Luftfahrt-Magazin Flug Revue am Freitag, dass die Bundeswehr das Raumfahrtunternehmen Polaris mit dem Bau und der Flugerprobung eines Demonstrators des Hyperschallsystems „Aurora“ beauftragt hat. Das wiederverwendbare Mehrzweck-Raumflugzeug soll laut Angaben des Herstellers für die verschiedensten „verteidigungsbezogenen Missionsszenarien“ eingesetzt werden können, darunter „suborbitale/hypersonale Missionen“ mit „Nutzlastkapazitäten von mehreren Tonnen“.

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