Bidens Besuch in Europa: USA drängen auf militärische Eskalation gegen Russland

US-Präsident Joe Biden traf am Mittwoch zu zweitägigen Gesprächen mit den Staatschefs des Europäischen Rats und anschließend mit der Nato ein. Mit seinem Besuch will er sicherstellen, dass die Nato trotz der wachsenden Gefahr eines Atomkriegs die Militäroperationen gegen Russland verschärft.

Bidens nationaler Sicherheitsberater, Jake Sullivan, erklärte am Dienstag auf eine Frage zu Bidens Besuch, der Krieg werde auf unbegrenzte Zeit weitergehen. Berichte über Erfolge bei den russisch-ukrainischen Verhandlungen über ein Ende des Kriegs, der mit der russischen Invasion der Ukraine am 24. Februar begann, wies er zurück.

Sullivan erklärte: „Dieser Krieg wird nicht leicht oder schnell zu Ende gehen. In den letzten Monaten zeigte sich der Westen geschlossen. Jetzt reist der Präsident nach Europa, um sicherzustellen, dass wir geeint bleiben, um unsere gemeinsame Entschlossenheit zu festigen und ein starkes Signal auszusenden, dass wir bereit sind und uns engagieren, so lange es dauert.“

Bei seinem Besuch in Polen am 25. März wird Biden über Pläne für einen Einsatz von Nato-Bodentruppen in der Ukraine diskutieren. Zuvor hatte sich Polen für die Entsendung von Nato-Truppen in die Ukraine im Rahmen einer „Friedensmission“ ausgesprochen.

US-Präsident Joe Biden am 18. März 2022 in Washington (AP Photo/Patrick Semanksy)

Die amerikanische UN-Botschafterin Linda Thomas-Greenfield dementierte, dass sich im Moment US-Soldaten in der Ukraine befinden, gab aber anderen Nato-Staaten grünes Licht für einen Einmarsch: „Ich kann nicht im Vorfeld sagen, welche Entscheidungen bei der Nato-Konferenz gefällt werden oder wie die Nato auf den polnischen Vorschlag reagieren wird [Friedenstruppen in die Ukraine zu schicken]. Ich kann jedoch sagen, dass sich derzeit keine amerikanischen Truppen in der Ukraine befinden... Andere Nato-Staaten könnten jedoch beschließen, Truppen in die Ukraine zu schicken.“

Thomas-Greenfields Behauptung, es befänden sich keine US-Soldaten in der Ukraine, ist irreführend und falsch. Private US-Söldnerfirmen wie Academi (ehemals Blackwater) und paramilitärische Einheiten der CIA unterstützen nationalistische ukrainische Milizen und Einheiten der Armee gegen Russland. Allerdings wird eine deutliche Eskalation vorbereitet: Laut ehemaligen US-Offizieren könnte das Pentagon die derzeitige Streitmacht von 100.000 US-Soldaten in Europa verdoppeln.

Wenn die Nato einen Bodenkrieg gegen Russland beginnen würde, könnte dieser zu einem globalen Atomkrieg eskalieren. Das russische Militär verfügt über schätzungsweise eine Million reguläre Soldaten. Davon sind 150.000 – hauptsächlich Elite-Panzereinheiten – in blutige Kämpfe in der Ukraine verwickelt. Die Nato-Streitkräfte verfügen mit etwa 3,3 Millionen Mann weltweit über eine überwältigende zahlenmäßige Überlegenheit und bereiten sich ganz offen auf Militäroperationen in der Ukraine vor.

Kreml-Sprecher Dmitri Peskow wurde am Dienstag in einem Interview mit CNN provokant nach Russlands Bereitschaft zum Einsatz von Atomwaffen gefragt.

Peskow betonte, Russland würde dann Atomwaffen einsetzen, wenn der Kreml das Überleben der russischen Nation bedroht sieht: „Wir haben ein Konzept für innere Sicherheit, das auch öffentlich ist. Sie können alle Gründe für den Einsatz von Atomwaffen nachlesen. Wenn also eine existenzielle Bedrohung für unser Land besteht, könnte [das Atomarsenal] in Übereinstimmung mit unserem Konzept zum Einsatz kommen.“

Peskow erklärte gegenüber CNN auch, welche reaktionären Kalkulationen den Kreml zur Invasion in die Ukraine bewogen haben. Man sei besorgt gewesen wegen eines drohenden Einmarschs des rechtsextremen Regimes in Kiew in die russischsprachigen Separatistengebiete der Ostukraine wie dem Donbass. Zudem sei der Kreml zunehmend frustriert darüber gewesen, wie die Nato Russland in den Jahrzehnten seit der Auflösung der Sowjetunion durch die stalinistische Bürokratie im Jahr 1991 behandelt hat.

„Präsident [Wladimir] Putin will, dass die Welt unsere Bedenken hört und versteht“, sagte Peskow. „Wir haben seit Jahrzehnten versucht, der Welt unsere Bedenken mitzuteilen, zuerst Europa, dann den USA, aber niemand wollte uns zuhören.“

Russlands Verzweiflung habe zugenommen, als die USA und die Nato die Ukraine durch Waffen- und sonstige Lieferungen in einen schwer bewaffneten Nato-Vorposten direkt an der russischen Grenze verwandelten. Moskau hoffte laut Peskow darauf, dass „die Ukraine sich nie auf einen Angriff gegen den Donbass“ vorbereiten wird, und setzte weiter auf die Gespräche des „Normandie-Formats“ zwischen Berlin, Paris, Kiew und Moskau. Doch, wie Peskow erklärte, „hat niemand die Ukrainer davor [vor einem Angriff auf den Donbass] gewarnt. Niemand drängte die Ukrainer zu einer Lösung im Rahmen des Normandie-Formats. Niemand hat es getan.“

Peskow deutete an, der Kreml sei zu dem Schluss gekommen, er müsse die imperialistischen Nato-Mächte militärisch einschüchtern, um eine Einigung mit ihnen zu erzielen. Nachdem die Ukraine etwa 120.000 Soldaten an der Front zum Donbass zusammengezogen hatte, war „uns und unseren Militärspezialisten sehr deutlich geworden, dass die Ukraine eine Offensive gegen die Region Donbass plante“. Moskau habe erkannt, dass „niemand [Russlands] Bedenken anhören wird“, bevor es seine Militäroperationen beginnt.

Die enorme Gefahr eines weltweiten militärischen Flächenbrands beruht auf den katastrophalen Konsequenzen der Auflösung der Sowjetunion durch die stalinistische Bürokratie. In mehr als 30 Jahren hat die Nato Länder in ganz Osteuropa in ihr Bündnis aufgenommen und ist immer näher an Russlands Grenzen gerückt, während sie im Nahen Osten und Zentralasien wütete und u.a. den Irak, Jugoslawien, Afghanistan, Libyen und Syrien angriff. Jetzt stationiert sie Truppen direkt an Russlands Grenzen in Polen, den baltischen Staaten und potenziell auch in der Ukraine.

Peskows Äußerungen zeigen die reaktionären Vorstellungen der Führer des postsowjetischen kapitalistischen Regimes in Russland, die in den falschen stalinistischen Theorien von der „friedlichen Koexistenz“ mit dem Imperialismus ausgebildet wurden. Weil ihre Versuche, eine Einigung mit den Nato-Mächten zu erzielen – die sie als ihre „westlichen Partner“ bezeichnen – ständig enttäuscht wurden, hatten sie darauf spekuliert, die Nato durch eine glaubwürdige militärische Drohung zu Verhandlungen zu zwingen. Dieses Hasardspiel scheitert gerade.

Der Kreml hat zwar den ersten Schuss abgegeben, doch die imperialistischen Nato-Mächte haben Russland zu dem Krieg angestachelt. Jetzt reagieren sie auf Putins Invasion in der Ukraine und Moskaus atomare Drohungen, indem sie ihre Operationen verstärken. Obwohl Peskow betont, dass der Kreml eine Verhandlungslösung anstrebt, setzen die Nato-Mächte ihren Kurs rücksichtslos fort und riskieren einen Atomkrieg.

Während die amerikanischen und europäischen Medien Russland für seine Militäroperationen in der Ukraine verteufeln, sind die Militär- und Geheimdienstoffiziere der Nato scheinbar zu dem haltlosen und äußerst gefährlichen Schluss gekommen, dass Moskau davor zurückschrecken wird, schwere Waffen einzusetzen.

Der Militärkorrespondent William Arkin schrieb am Dienstag einen Artikel in Newsweek über die russische Taktik in der Ukraine, der auf US-Geheimdienstquellen basierte. Sie betonten, dass Moskau Luftschläge und Artillerie, die große Schäden in den ukrainischen Städten verursachen, nur relativ begrenzt eingesetzt hat. Arkin schrieb, fast einen Monat nach Kriegsbeginn hätten russische Flugzeuge „etwa 1.400 Angriffsmissionen geflogen und fast 1.000 Raketen abgefeuert.“ Die USA hingegen haben „alleine am ersten Tag des Irakkriegs 2003 mehr Einsätze geflogen und mehr Waffen eingesetzt.“

Ein hochrangiger Vertreter des US-Geheimdienstes Defense Intelligence Agency erklärte gegenüber Arkin: „Die Innenstadt von Kiew ist fast unberührt. Und fast alle Angriffe mit Langstreckenwaffen galten militärischen Zielen. Ich weiß, es ist nicht einfach... dass die Zerstörung und das Sterben schlimmer sein könnten, aber das zeigen die Fakten. Das deutet zumindest meiner Meinung nach darauf hin, dass Putin nicht vorsätzlich Zivilisten angreift und bedenkt, dass er den Schaden begrenzen muss, um sich einen Ausweg durch Verhandlungen offen zu halten.“

In Europa rechnen die offiziellen Kreise offensichtlich mit der zunehmenden Wahrscheinlichkeit eines nuklearen Konflikts, der schnell zur Zerstörung eines oder aller europäischen Staaten führen könnte. Professor Benoît Pelopidas, ein Experte für Atomwaffen an der Sciences Po, einer Universität für Politikwissenschaften in Paris, betonte am Dienstag in einem Interview mit France Info Frankreichs Verwundbarkeit gegenüber einem Atomangriff.

Pelopidas erklärte: „Die politischen und militärischen Eliten Frankreichs setzen auf die nukleare Abschreckung.“ Doch unter extremen politischen Bedingungen könnte Frankreichs Atomarsenal nicht mehr ausreichen, um Russland oder andere Mächte daran zu hindern, Atomwaffen einzusetzen, sodass Frankreich die Vernichtung droht, wenn Russland und die Nato immer größere Salven von Atomwaffen aufeinander abfeuern.

Weiter sagte er: „Bereits in den 1950ern wies ein Bericht des Nationalen Zivilschutzes darauf hin, dass 15 thermonukleare Bomben ausreichen würden, um Frankreich zu zerstören.“ Da Frankreich flächenmäßig das größte Land Westeuropas ist, würde die Vernichtung anderer Länder noch weniger Bomben erfordern. Der Bau unterirdischer Bunker könnte die Bevölkerung vielleicht schützen, aber „wenn es um mehr als eine sehr kleine Zahl von [atomaren] Explosionen geht, hat sich gezeigt, dass diese Schutzräume nur illusorischen Schutz bieten“.

Die Arbeiter in ganz Europa und der Welt müssen gewarnt werden: Da die Nato-Mächte die militärische Eskalation in Europa forcieren, ist ein Atomkrieg eine eindeutige und akute Gefahr.

Appelle an die Vernunft der herrschenden Klassen der Nato-Staaten werden auf taube Ohren stoßen. Ein katastrophaler Konflikt kann nur verhindert werden, wenn die internationale Arbeiterklasse vor der wachsenden Kriegsgefahr gewarnt und in einer mächtigen sozialistischen Antikriegsbewegung mobilisiert wird.

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