Saarland-Wahl: SPD bereitet soziale Angriffe vor

Das Ergebnis der saarländischen Landtagswahl vom Sonntag wird allgemein als Triumph der SPD dargestellt, der es nach 23 Jahren gelungen ist, im kleinsten Flächenland Deutschlands wieder zur stärksten Partei zu werden und eine Alleinregierung zu bilden.

Eine genauere Analyse ergibt allerdings ein anderes Bild. Das Wahlergebnis ist kein Votum für die Politik der SPD, sondern Ausdruck des Bankrotts eines politischen Systems, das den Wählern keine Möglichkeit mehr gibt, die Politik auch nur ansatzweise mit dem Stimmzettel zu beeinflussen.

Die zukünftige SPD-Ministerpräsidentin Anke Rehlinger (Bild: Sandro Halank, Wikimedia Commons, CC-BY-SA 3.0)

Die SPD verfügt im neuen Landtag über eine absolute Mehrheit von 57 Prozent. Sie stellt 29 von 51 Abgeordneten, die CDU 19 und die AfD 3. Das steht in krassem Missverhältnis zu ihrem wirklichen Einfluss. Die SPD erhielt nur 43,5 Prozent der abgegebenen Stimmen und lediglich ein Viertel der Stimmen der insgesamt 750.000 Wahlberechtigten. 39 Prozent gingen nicht zur Wahl – 8 Prozent mehr als bei der Landtagswahl vor fünf Jahren und mehr als bei jeder anderen Landtagswahl mit Ausnahme von 2004. Mit 288.000 Wahlenthaltungen war die „Partei der Nichtwähler“ mit Abstand die stärkste.

Ihre absolute Mehrheit verdankt die SPD dem Umstand, dass 22 Prozent der abgegebenen Stimmen auf Parteien entfielen, die an der Fünf-Prozent-Hürde scheiterten. Obwohl sie gültig sind, finden die Stimmen von mehr als einem Fünftel der Wahlteilnehmer so im Landtag keine Berücksichtigung.

Sowohl die Grünen wie die FDP verpassten die Rückkehr in den Landtag äußerst knapp, dem sie bereits in der vergangenen Legislaturperiode nicht angehört hatten. Die Linkspartei implodierte regelrecht; sie verlor 10,3 Prozentpunkte und landete bei 2,6 Prozent. Außerdem erhielten zwölf Parteien, die als „Andere“ bezeichnet werden, rund 10 Prozent der Stimmen, 6,6, Prozent mehr als vor fünf Jahren. Vier von ihnen – Tierschutzpartei, Freie Wähler, die Basis, bunt.saar – lagen bei 1 Prozent und darüber. Die AfD erreichte 5,7 Prozent und zog damit als dritte Partei in den Landtag ein.

Die SPD gewann zwar 13,9 Prozentpunkte hinzu, aber sie tat dies vor allem im Austausch mit ihrem bisherigen Koalitionspartner CDU, die 12,2 Prozent verlor und mit 28,5 Prozent ihr schlechtestes Ergebnis seit 1955 erzielte. Vor allem CDU-Wähler über 60 wechselten in großer Zahl zur SPD oder blieben zuhause.

Bei den über 70-Jährigen erzielte die SPD 49 Prozent, bei jüngeren Wählern schnitt sie dagegen deutlich schlechter ab. Von den 18- bis 24-Jährigen stimmten nur 32 Prozent für die SPD und 19 Prozent für die CDU. 11 Prozent wählten die Grünen, 9 Prozent die FDP und 20 Prozent „andere“ Parteien.

Der CDU-Spitzenkandidat und bisherige Ministerpräsident, Tobias Hans, der das Amt erst vor drei Jahren von Annegret Kramp-Karrenbauer übernommen hatte, wurde offenbar für die soziale Misere des Landes und die katastrophale Corona-Politik der Regierung abgestraft. 235.000 der knapp 1 Million Einwohner haben sich bisher infiziert, 1500 sind gestorben. Mit 153 Toten pro 100.000 Einwohner weist das Saarland nach Bayern die zweithöchste Todesrate aller westlichen Bundesländer auf. Hans selbst hatte kurz vor der Wahl in einem Interview geklagt: „Ja, offensichtlich wird der Frust, der mit Corona zusammenhängt, bei mir abgeladen.“

Seine Ablösung durch Anke Rehlinger (SPD) wird an der Regierungspolitik nichts ändern. Rehlinger ist Mitglied der Landesregierung, seit CDU und SPD vor zehn Jahren eine Große Koalition bildeten. Erst führte sie das Justizressort, dann das Wirtschaftsministerium. In diesen zehn Jahren arbeitete sie eng mit der CDU zusammen, ohne dass es jemals zu Konflikten kam. Rehlinger hat stets versichert, dass sie die bisherige Politik auch als Ministerpräsidentin fortsetzen werde.

Das wird zu heftigen Konflikten mit der Arbeiterklasse führen. Das Saarland, einst Zentrum der Kohle- und Stahlindustrie, leidet seit Jahrzehnten unter den Folgen der Deindustrialisierung. Beim durchschnittlichen Bruttoeinkommen ist es, neben Schleswig-Holstein, Schlusslicht unter den westdeutschen Bundesländern.

Nach zehn Jahren CDU-SPD-Koalition liegen Armut und Arbeitslosigkeit deutlich über dem Bundesdurchschnitt. Die Kinderarmut ist in den vergangenen zehn Jahren so stark gestiegen wie in keinem anderen Bundesland. Die Armutsquote bei Minderjährigen kletterte zwischen 2010 und 2020 laut Berechnung des Paritätischen Wohlfahrtsverbands von 16,2 auf 22,2 Prozent.

Auch bei der Staatsverschuldung pro Kopf ist das Saarland Spitzenreiter. Sie stieg seit 2008 um 77 Prozent, was die Regierung mit massiven Kürzungen beantwortet, um die Schuldenbremse einzuhalten. Hinzu kommen die Folgen der Umstrukturierung der Autoindustrie, der Sanktionen gegen Russland und der massiven Ausgaben für Krieg und Aufrüstung.

Bereits jetzt steht die Zukunft des größten Arbeitgebers des Landes in Frage. Dem Ford-Werk in Saarlouis, das in den 1970er Jahren als Reaktion auf das Zechensterben gebaut wurde, droht die Schließung. Rehlinger hat als Wirtschaftsministerin eng mit der IG Metall zusammengearbeitet, um jeden Widerstand der Ford-Arbeiter im Keim zu ersticken.

Mit einer Mischung von Subventionsangeboten und Zugeständnissen bei Löhnen und Arbeitsplätzen versuchen Landesregierung und Gewerkschaft das Ford-Werk im spanischen Valencia auszustechen, dessen Zukunft ebenfalls in Frage steht – eine Politik, die die Arbeiter spaltet und dem Ford-Konzern in die Hände spielt.

Rehlinger wird ihre absolute Mehrheit im Landtag nutzen, um die Angriffe auf die Arbeiterklasse in enger Zusammenarbeit mit der Bundesregierung ihres Parteikollegen Olaf Scholz zu verschärfen. Die Zeiten, in denen SPD-Regierungen soziale Krisen abfederten oder soziale Verbesserungen beschlossen, sind spätestens seit Gerhard Schröders Agenda 2010 vorbei.

Den Bankrott einer Perspektive, die auf staatliche Hilfe und Sozialpartnerschaft setzt, zeigt anschaulich der Zusammenbruch der saarländischen Linkspartei. Sie hatte 2009 noch 21,3 Prozent und 2017 12,8 Prozent der Stimmen erhalten. Jetzt ist sie mit 2,6 Prozent aus dem Landtag geflogen. Voraus ging der Austritt Oskar Lafontaines, der als früherer SPD-Ministerpräsident des Landes über eine erhebliche Anhängerschaft verfügt hatte.

Wie wir im Artikel über Lafontaines Rücktritt schrieben, verfolgte dessen Sozialpolitik „immer das Ziel, den Klassenkampf zu unterdrücken, nicht die Arbeiterklasse zu stärken“. Die Linkspartei, die er 2007 mit Gregor Gysi gründete, sollte verhindern, „dass die verheerenden sozialen Folgen der Agenda 2010 zur Wiederbelebung des Klassenkampfs führen“. Der Bankrott dieser Politik manifestiert sich nun im Ableben der saarländischen Linkspartei, die in den letzten Jahren als Lafontaines wichtigstes Betätigungsfeld diente.

Arbeiter müssen sich auf heftige Angriffe und Klassenauseinandersetzungen vorbereiten. Das erfordert den Aufbau einer unabhängigen Partei, die die Interessen der Arbeiterklasse vertritt, sie international vereint und für ein sozialistisches Programm kämpft – der Sozialistischen Gleichheitspartei.

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