Der Kriegskongress des DGB

Vom 8. bis zum 12. Mai tagt in Berlin der Bundeskongress des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB). Die Versammlung von 400 Spitzenfunktionären des DGB und der acht Mitgliedsgewerkschaften, die sich hochtrabend als „Parlament der Arbeit“ bezeichnet, steht in diesem Jahr vollständig im Zeichen des Kriegs und der militärischen Aufrüstung.

Yasmin Fahimi, die neue Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (Foto: Susi Knoll/DGB)

Aufgrund der wachsenden Opposition gegen Aufrüstung und Krieg und der zunehmenden Unruhe in vielen Betrieben angesichts galoppierender Inflation, steigender Energiekosten und Produktionsstopp, durch Lieferengpässe betrachtet die Bundesregierung die Gewerkschaften als wichtigen Bündnispartner, um die Arbeiterklasse unter Kontrolle zu halten, den Klassenkampf zu unterdrücken und ihre Kriegspolitik zu verwirklichen.

Es ist zwar nicht neu, dass führende Politiker auf dem DGB-Kongress Grußbotschaften überbringen, aber dieses Mal nahm das politische Schaulaufen kein Ende. Die Spitzenvertreter von Staat und Regierung gaben sich die Klinke in die Hand.

Den Anfang machte am Sonntag Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Er hielt die Eröffnungsrede des Kongresses. Am Montag folgte Bundeskanzler Olaf Scholz. Dann kam Bundesarbeitsminister Hubertus Heil, gefolgt von der Regierenden Bürgermeisterin Berlins Franziska Giffey – allesamt SPD.

Der Kanzler war wenige Tage zuvor auf einer Mai-Kundgebung von Kriegsgegnern niedergeschrien und Giffey mit Eiern beworfen worden. Auf dem DGB-Kongress waren sie dagegen höchst willkommen. Ihre Reden wurden mit anhaltendem Beifall und teilweise mit stehenden Ovationen beklatscht.

Präsident Steinmeier sprach am 8. Mai. Er nutzte den Jahrestag der Kapitulation der Wehrmacht und des Kriegsendes, um die stärkste militärische Aufrüstung seit Hitler und eine massive Ausweitung des Stellvertreterkriegs gegen Russland zu rechtfertigen.

Er begann seine Rede mit einer Charakterisierung des Kriegsendes, wie es bisher verstanden wurde. Der 8. Mai sei ein „Tag der Dankbarkeit“ (an die damaligen Alliierten in West und Ost, die Hitler besiegten); er sei ein „Tag des Erinnerns“ (an die Schrecken der Nazi-Herrschaft); er sei ein „Tag der Mahnung“ (es dürfe kein Schlussstrich unter das Erinnern gezogen werden); er sei auch ein „Tag der Hoffnung“ (dass der Schlachtruf „Nie wieder Krieg in Europa!“ dauerhaft umgesetzte werde).

Doch der „Traum des gemeinsamen europäischen Hauses“ habe sich in einen Albtraum verwandelt. „Dieser 8. Mai ist ein Tag des Krieges“, rief Steinmeier. Der Krieg sei ein „Epochenbruch“. Der Gewerkschaftskongress sei davon „überschattet und geprägt“.

Nicht weniger als sechsmal wiederholt Steinmeier den Begriff „Epochenbruch“. Und er ließ keinen Zweifel daran, was er damit meinte. Die Epoche, die mit der Kapitulation der Wehrmacht und dem Ende des Zweiten Weltkriegs begonnen hatte und in der sich Deutschland zu einer gewissen militärischen Zurückhaltung gezwungen sah, sei zu Ende.

Um zu rechtfertigen, dass wieder deutsche Panzer gegen Russland rollen und die Bundesregierung das größte Aufrüstungsprogramm seit Hitler beschlossen hat, wiederholten Steinmeier und alle anderen Regierungsvertreter, die nach ihm sprachen, die verlogene Kriegspropaganda, die gegenwärtig von früh bis spät über alle Kanäle verbreitet wird.

Putin wolle die Ukraine „auslöschen“. Er verletze nicht nur die Grenzen der Ukraine, er bestreite ihr das Recht auf Existenz. Ohne das Wort „Vernichtungskrieg“ in den Mund zu nehmen, stellt Steinmeier Putin als Kriegsverbrecher an Hitlers Seite. Putin habe mit seinem Angriffskrieg die „Grundlage der europäischen Friedensordnung, wie wir sie nach dem Zweiten Weltkrieg und dem Kalten Krieg gebaut haben“, endgültig zerstört.

Der Angriff auf die Ukraine sei ein Angriff „auf die Idee der liberalen Demokratie und auf die Werte, auf denen sie gründet: Freiheit, Gleichheit, die Achtung der Menschenrechte und der Menschenwürde“. Die Antwort der Bundesregierung sei „eindeutig und klar“. Sie unterstütze die Ukraine mit Waffen, Geld und jeder Form der Hilfe, die sie brauche, um den russischen Angriff zurück zu schlagen. Das sei ein Gebot der Solidarität.

Kein Wort über die verbrecherischen Kriege, die die Nato in den letzten drei Jahrzenten in Jugoslawien, Irak, Afghanistan und Libyen geführt hat. Kein Wort über die systematische Erweiterung der Nato nach Osten, die auch ein anderer russischer Staatschef als Putin als existenzielle Bedrohung empfunden hätte. Kein Wort über den rechten Putsch in Kiew vor acht Jahren, an dem Steinmeier persönlich beteiligt war. Kein Wort über die Vorbereitungen auf eine militärische Rückeroberung der Krim, die Vereitelung jedes möglichen Kompromisses und die Überflutung der Ukraine mit Waffen, die den Krieg längst zu einem Stellvertreterkrieg der Nato gegen Russland gemacht hat.

Stattdessen der Aufruf zur „gelebten Solidarität“ mit der Ukraine. Steinmeier verlangte unter dem Applaus der versammelten Funktionäre, dass der DGB und seine Einzelgewerkschaften die Kriegspolitik unterstützen und jeden Widerstand der Arbeiterklasse gegen die damit verbundenen „Opfer“ unterdrücken.

Steinmeier wörtlich: „Solidarität, das heißt, wirtschaftlich Druck auf Russland auszuüben, mit einschneidenden Sanktionen, wie wir sie in der Geschichte der EU noch nicht verhängt haben. Solidarität, das bedeutet auch, dass wir Lasten zu tragen haben, und das für lange Zeit.“

Mit „Epochenbruch“ meine er auch „eine sehr konkrete Frage: Wie bewältigen wir die Lasten, die wir schon jetzt zu tragen haben?“ Es gehe um nicht weniger als „um den Zusammenhalt in unserem Land“. Unterbrochene Lieferketten, steigende Preise für Lebensmittel, explodierende Energie- und Treibstoffkosten – schon jetzt seien für viele Menschen „die Folgen des Krieges ganz unmittelbar und hart zu spüren“.

Viele Menschen hätten Angst. Angst „vor der Inflation. Vor einer Rezession. Und vor dem Verlust ihres Arbeitsplatzes – wer wüsste das besser als Sie in den Gewerkschaften“. Wie die Abhängigkeit von russischen Energieimporten beendet werden könne, ohne dass ganze Branchen bedroht und Hunderttausende von Arbeitsplätzen gefährdet werden, „das treibt Sie alle um. Ich weiß das,“ betonte Steinmeier.

Dazu komme die technische Umstellung und Transformation in vielen Bereichen der Produktion und Verwaltung. Es müsse alles getan werden, um den Zusammenhalt der Gesellschaft zu erhalten und den Einfluss von „Populisten jeglicher Couleur“ zu verhindern. „Ihnen, dem DGB mit seinen Einzelgewerkschaften, Ihnen kommt bei diesem Umbau eine ganz zentrale Rolle und viel Verantwortung zu“, betonte Steinmeier und fügte hinzu: „Ich habe großes Vertrauen in Sie.“

Deutlicher könnte man die Rolle der Gewerkschaften als Polizei von Konzernen und Regierung, die jeden Widerstand gegen Ausbeutung, Profitmacherei und Krieg unterdrücken, nicht formulieren.

Es folgte eine Laudatio auf Reiner Hoffmann, den bisherigen DGB-Chef, der auf dem Kongress aus Altersgründen in den Ruhestand verabschiedet wurde.

Der DGB hatten bereits 2014 begeistert reagiert, als Steinmeier als Außenminister dazu aufrief, dass Deutschland wieder eine Großmachtpolitik verfolgen und international mehr militärische Verantwortung übernehmen müsse. Der damals neu gewählte DGB-Chef Hoffmann hatte einen Beitrag für die Website „Review 2014“ geschrieben, die Steinmeier eingerichtet hatte, um für diese Politik zu werben. Hoffmann stellte sich uneingeschränkt hinter die militärische Aufrüstung.

Schon Hoffmanns Vorgänger Michael Sommer hatte enge Kontakte zur Bundeswehr gepflegt. Unter ihm hatten DGB und Bundeswehr in einer gemeinsamen Erklärung allen Ernstes behauptet, sie seien beide Teil der Friedensbewegung. Kurze Zeit später beteilige sich der DGB an den Feierlichkeiten zum 60. Jahrestag der Gründung der Bundeswehr.

Dass die Gewerkschaften die Wiederkehr deutscher Großmachtpolitik und die militärische Aufrüstung unterstützen, ist nicht neu. Aber die Integration der Gewerkschaften in den Staatsapparat und die Regierung erreicht auf dem gegenwärtigen DGB-Bundeskongress eine neue Dimension.

Auch Kanzler Scholz blies ins Horn der Kriegspropaganda und rief den DGB zur engeren Zusammenarbeit auf. Arbeitsminister Heil betonte, dass bereits die Vorgänger-Regierung, in der er auch schon Arbeitsminister war, vieles unternommen habe, um den Einfluss der Gewerkschaften und ihrer Betriebsräte zu stärken. Das werde er nun verstärkt fortsetzen.

Die Verschmelzung der Gewerkschaften mit Regierung und staatlichen Institutionen kommt auch in der Wahl der neuen DGB-Vorsitzenden zum Ausdruck. Yasmin Fahimi kommt direkt aus dem SPD- und Regierungs-Establishment. Sie war SPD-Generalsekretärin, Staatssekretärin im Bundesarbeitsministerium und Parlamentsabgeordnete. Gleichzeitig ist sie die Lebensgefährtin von Michael Vassiliadis, dem Vorsitzenden der IG Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE), die immer den rechts-konservativen Flügel des DGB repräsentierte.

Auf dem Kongress hat Fahimi angekündigt, Macht und Einfluss des DGB auszuweiten. Doch von den Arbeitern werden die Gewerkschaften immer mehr als das wahrgenommen, was sie wirklich sind: Bürokratische Apparate, die von der Regierung und von den Konzernen über die Aufsichtsräte finanziert werden und den Klassenkampf mit allen Mitteln unterdrücken. Immer mehr Arbeiter stimmen mit den Füßen ab und treten aus. Zur Jahrtausendwende hatte der DGB noch 7,7 Millionen Mitglieder. Heute sind es über 2 Millionen weniger.

Die wachsende Integration der Gewerkschaften in den Staat und ins Management der kapitalistischen Konzerne hat tiefe objektive Ursachen. Die globale Integration der Weltwirtschaft und die transnationalen Produktionsprozesse haben den Gewerkschaften den nationalen Boden entzogen, auf dem sie Druck für begrenzte Sozialreformen ausüben konnten. Das führte zu ihrer Verwandlung. Statt den Konzernen Zugeständnisse abzuringen, wurden sie zu Anhängseln des Staats und der Unternehmen, die den Arbeitern Zugeständnisse in Form von Lohnsenkung und Sozialabbau abpressen.

Die Unterstützung von Aufrüstung und Krieg zur Sicherung von Rohstoffversorgung, Absatzmärkten und Zugang zu billigen Arbeitskräften ist die logische Fortsetzung dieser nationalistischen Politik.

Die Kontrolle der Gewerkschaften über die Arbeiterklasse ist kriegsrelevant. Der Kampf gegen Krieg erfordert deshalb den Bruch mit den nationalistischen Gewerkschaften. Der Aufbau unabhängiger Aktionskomitees gewinnt jetzt große Bedeutung, um den wachsenden Widerstand gegen soziale Angriffe, gegen die Durchseuchung mit Corona und die Gefahr eines Dritten Weltkriegs miteinander zu verbinden und eine globale Gegenoffensive einzuleiten.

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