Zwei Tote durch Polizeigewalt in Mannheim

Nachdem ein Mann nach seiner Festnahme durch die Polizei gestorben war, versammelten sich in Mannheim am letzten Samstag hunderte Menschen, um eine lückenlose Aufklärung und ein Ende der wachsenden Polizeigewalt zu fordern.

Die rund 900 Protestteilnehmer verlangten Gerechtigkeit für das Opfer, einen 47-jährigen Patienten des in Mannheim ansässigen Zentralinstituts (ZI) für Seelische Gesundheit, der einen kroatischen Migrationshintergrund hat. Der Fall zeigt, dass tödliche Gewalt von Polizeibeamten – wie in den USA und anderen Ländern – auch in Deutschland zunehmend zur Normalität wird.

Zentrale Informationen über den Tathergang werden von der Polizei zurückgehalten. Sicher ist, dass ein Arzt des ZI am 2. Mai die Polizeiwache aufsuchte, um die Polizeibeamten um Mithilfe bei der Suche nach einem „hilfsbedürftigen“ Patienten zu bitten, der die Einrichtung verlassen hatte.

Als zwei Polizisten den Mann wenig später in der Innenstadt entdeckten, überwältigten sie ihn – angeblich, weil er sich „gegen die Polizeikontrolle zur Wehr gesetzt“ habe. Ein Video, das auf Twitter von Zehntausenden gesehen und kommentiert wurde, zeigt, wie einer der beiden Beamten dem fixierten und an einer Herzschwäche leidenden Mann zwei Faustschläge gegen die Schläfe versetzt.

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Angesichts des „psychischen Ausnahmezustands“ des Patienten musste den Beamten klar gewesen sein, dass ihre massive Gewalt tödliche Folgen haben könnte. In der Tat kollabierte der Mann kurz darauf und musste über einen Zeitraum von einer halben Stunde hinweg wiederbelebt werden. Er starb schließlich im Krankenhaus. Gegen die beiden Polizisten, die vom Dienst suspendiert wurden, wird wegen des Verdachts der Körperverletzung im Amt mit Todesfolge ermittelt.

Teilnehmer der Demonstration – und viele der rund 30 Zeugen – befürchten jedoch, dass der Tathergang vertuscht wird. Wie die Staatsanwaltschaft Mannheim und das Landeskriminalamt (LKA) Baden-Württemberg der Presse mitteilten, wurde der Leichnam des Mannes „für weitere Untersuchungen beschlagnahmt“. Das ermittelnde LKA, dem mehr als 70 Videos der Tat zur Verfügung gestellt wurden, sprach vor einer offiziellen Obduktion von Spuren „stumpfer Gewalt“, die „von geringer Intensität“ gewesen seien. Erst in sechs bis acht Wochen soll eine offizielle Todesursache präsentiert werden.

Nur Tage später starb unter den Augen der Mannheimer Polizei eine weitere Person, die sich in einem „psychischen Ausnahmezustand“ befunden haben soll. Der Mann hatte sich im Streit mit seiner Mutter offenbar selbst schwer verwundet und drohte, sich mit einem Messer umzubringen. Anstatt unter psychologischen Gesichtspunkten vorzugehen und den 31-Jährigen zu entwaffnen, eröffnete ein hinzugeholter Beamter das Feuer und schoss dem Mann ins Bein. Das Opfer erlag wenig später seinen Verletzungen.

Die Todesfälle in der Industriestadt Mannheim werfen ein Schlaglicht auf eine kapitalistische Gesellschaft, die gesundheitliche Versorgung und soziale Dienste kaputtspart und auf die sich häufenden sozialen Probleme immer häufiger mit nackter Polizeigewalt reagiert.

Bereits im Jahr 2014 stellte ein Fernsehbericht des rbb fest, dass Menschen in „psychischem Ausnahmezustand“ rund zwei Drittel aller von Polizisten getöteten Personen ausmachen.

Traurige Berühmtheit erlangte der Fall des Musikberufsschülers Tennessee Eisenberg, der im Jahr 2009 von einer Sondereinheit der bayrischen Polizei getötet wurde. Nachdem die USK-Beamten den 24-Jährigen mit Schlagstöcken und Pfefferspray traktiert hatten, gaben sie insgesamt 16 Schüsse auf ihn ab, wovon ihn sieben in den Rücken trafen. Trotz eines von Eisenbergs Eltern angestrengten Klageerzwingungsverfahrens wurden die Ermittlungen gegen die Polizisten eingestellt.

Die Ermittlungen in derartigen Fällen werden – anders als in vielen anderen Ländern – den Polizeibehörden selbst überlassen. Eine von diesen Behörden unabhängige Strafverfolgungsinstanz existiert in Deutschland nicht. Trotzdem erreicht die offizielle Zahl der jährlich von Polizeibeamten getöteten Personen immer neue Höchstwerte.

Laut Polizeistatistik wurden in den Jahren 2011 bis 2019 insgesamt 90 Menschen durch Schüsse der Polizei getötet. Im Jahr 2017 gab die Polizei 75 und im Jahr 2019 62 Schüsse auf Personen ab, was bedeutet, dass sie durchschnittlich alle sechs Tage auf einen Menschen schießt.

Nicht in diesen Statistiken enthalten ist der Schusswaffengebrauch von Einheiten der Bundespolizei, deren Einsätze oftmals im Ausland stattfinden – etwa geheime Kommandoaktionen der GSG 9 oder polizeiliche „Ausbildungsmissionen“ in Mali und der Ukraine.

Einer exakteren Analyse der Bürgerrechtsorganisation CILIP zufolge wurden allein seit der Wiedervereinigung 306 Menschen von der deutschen Polizei erschossen. Diese Zahl ist doppelt so hoch wie die Zahl der Opfer des DDR-Grenzregimes an der Berliner Mauer in den dreißig Jahren zuvor. Wie das Magazin Netzpolitik unter Berufung auf die CILIP-Recherchen schreibt, richtete sich ein Großteil dieser Todesschüsse gegen psychisch erkrankte Personen, die „in vielen Fällen“ innerhalb ihrer eigenen Wohnung erschossen wurden.

Diese mörderische Bilanz wird nun von polizeilichen Interessenvertretern und den Regierungen der Bundesländer als Argument missbraucht, um die Aufrüstung der Polizei voranzutreiben und die Beamten unter anderem flächendeckend mit Distanzelektroimpulsgeräten (DEIG), sogenannten Tasern auszustatten.

Die notorisch rechte Gewerkschaft der Polizei (GdP) behauptete erst zu Beginn des Jahres in einem Statement, Taser seien eine nicht-tödliche „Alternative zur Schusswaffe“ und könnten dazu führen, die Gewaltanwendung seitens der Polizei zu reduzieren.

Internationale Studien und die Praxis der Länder zeigen, dass dies eine Lüge ist. Die Wirkung der Elektroschocker kann für Menschen mit geschwächtem Herzen oder Herzschrittmachern tödlich sein. Sie zielt darauf ab, die Zielperson augenblicklich zu lähmen. Neben dem äußerst schmerzhaften Stromimpuls der in die Haut eindringenden Pfeile kann das zur Folge haben, dass Betroffene ungebremst stürzen und dabei schwere Verletzungen davontragen. Insbesondere „bei psychisch Kranken“, so der Polizeiwissenschaftler Thomas Feltes gegenüber dem Mannheimer Morgen, sei der Einsatz von Tasern „völlig ungeeignet“.

Die Auswertung von CILIP und Netzpolitik dokumentiert bislang sechs Tote durch polizeilichen Taser-Gebrauch und stellt fest, dass dieser „zu deutlich anderen Todesursachen als Munition aus Schusswaffen“ führe: „Die Opfer sterben an Herz- oder Kreislaufstillstand, Organversagen oder sie ersticken an Erbrochenem.“ Auch Lungenentzündungen und Blutvergiftungen zählen zu den tödlichen Folgen.

Sämtliche Opfer seien „innerhalb von Gebäuden getasert“ worden, und „bei allen Getöteten“ ließen „die Presseberichte auf eine psychische Ausnahmesituation, beziehungsweise Drogenkonsum schließen“. Auch in Neustadt bei Mannheim starb im vergangenen Oktober ein nicht ansprechbarer 53-jähriger Mann nach einem polizeilichen Taser-Einsatz. Da die Todesursache jedoch nicht eindeutig festgestellt wurde – er sei laut Obduktion „vermutlich letztendlich an einem Herzinfarkt verstorben“ – floss der Fall nicht in die Statistik ein.

Trotzdem haben Hessen, Rheinland-Pfalz und das Saarland in den letzten Monaten beschlossen, den Taser-Einsatz von den Spezialkräften auf den gesamten Streifendienst auszuweiten. Ähnliche Erwägungen finden auch in Berlin und Brandenburg statt. Bayern hatte „aufgrund der positiven Erfahrungen“ vorheriger Pilotprojekte bereits Ende 2020 entschieden, alle USK-Trupps und die 30 Einsatzeinheiten der Bereitschaftspolizei mit Tasern auszustatten. In Nordrhein-Westfalen wurde ihr Einsatz zuletzt auf 17 der größten Städte ausgeweitet.

Der Taser dient nicht, wie behauptet, dem Ersatz der Schusswaffe, sondern wird wesentlich häufiger und bedenkenloser als diese eingesetzt. Polizeidirektor Martin Lotz, der die Waffen bei der Kölner Streifenpolizei einführte, gab das am 2. Mai unverblümt zu. Gegenüber dem WDR bezeichnete er seine Wirkung als „unbedenklich“ und erklärte, man werde ihn anstelle eines Schlagstocks nutzen oder bei „Gelegenheiten, bei denen wir heute Pfefferspray einsetzen“.

Dies sei der Fall, so Lotz, wenn Personen „den Weisungen nicht Folge leisten“ oder aufgrund von Drogeneinfluss nicht mehr ansprechbar seien. Nur Stunden später attackierten Kölner Polizeibeamte einen 25-jährigen Psychiatriepatienten mit Tasern, der „in einem Behandlungszimmer randaliert“ hatte.

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