Berlin: Polizei und Gerichte verbieten Palästina-Demonstrationen

Die Behörden Berlins haben alle palästinensischen Demonstrationen zum „Nakba-Tag“ in der Hauptstadt untersagt. Das Verwaltungs- und das Oberverwaltungsgericht haben die Verbote bestätigt. Betroffen waren insgesamt fünf Demonstrationen, die am vergangenen Freitag, Samstag und Sonntag in Kreuzberg, Neukölln und Berlin-Mitte stattfinden sollten und seit langem geplant waren.

Begründet wurden die pauschalen Verbote damit, dass es bei den Demonstrationen möglicherweise zu volksverhetzenden, antisemitischen Rufen, Gewaltverherrlichung und Gewalttätigkeiten kommen könnte. Mit derselben haltlosen Unterstellung begründete das Oberverwaltungsgericht am Freitag seine Bestätigung der Verbote. Die Gefahrenprognose sei mit Blick auf den Verlauf früherer und ähnlicher Veranstaltungen gerechtfertigt, und eine wirksame Abgrenzung von Menschen mit antiisraelischer oder antisemitischer Grundhaltung habe der Anmelder nicht vorgenommen, so das Gericht.

Am Wochenende wurden dann über 1100 Polizisten mobilisiert, um das Verbot mit aller Härte durchzusetzen. Bei spontanen, kleinen Demonstrationen kam es zu mehreren Festnahmen.

Das Demonstrationsverbot ist ein grundlegender Angriff auf die Versammlungs- und Meinungsfreiheit. Es widerspricht in weiten Teilen verfassungsmäßigen Grundsätzen und ist rein politisch motiviert.

Weltweit erinnern Palästinenser am 15. Mai an die sogenannte Nakba (Katastrophe). Im Zuge der Gründung des Staates Israel wurden ab 1948 in einer Welle von Gewalt palästinensische Städte und Dörfer zerstört und etwa 800.000 Palästinenser vertrieben. Bis heute lebt der Großteil der palästinensischen Bevölkerung im besetzten Westjordanland, im Gazastreifen sowie in Flüchtlingslagern im Libanon, Jordanien und anderen Ländern unter elenden Bedingungen und ständiger brutaler Unterdrückung durch den israelischen Staat.

In diesem Jahr stand die Nakba im Zeichen der Ermordung der palästinensisch-amerikanischen Journalistin Shireen Abu Akleh. Die bekannte Al Jazeera-Reporterin hatte jahrzehntelang kritisch aus der Nahost-Region berichtet. Am 11. Mai wurde sie von einem israelischen Scharfschützen durch einen Kopfschuss ermordet, als sie mit Presseweste und Helm an einem Kreisverkehr stand und über die ständigen Razzien der israelischen Sicherheitskräfte in der Stadt Dschenin im Westjordanland berichtete. Die Umstände ließen nur den Schluss zu, dass Abu Akleh gezielt getötet wurde.

Israelische Polizisten gehen am 13. Mai 2022 in Ost-Jerusalem gegen Trauernde vor, die den Sarg der ermordeten Al-Jazeera-Journalistin Shireen Abu Akleh tragen. (AP Photo/Maya Levin) [AP Photo/Maya Levin]

Als Trauernde ihren Sarg am Freitag darauf aus dem St. Joseph-Krankenhaus in Ostjerusalem trugen, griffen israelische Sicherheitskräfte die Trauernden an. Sie entrissen ihnen ihre palästinensischen Flaggen und prügelten auf die Träger des Sargs ein, so dass sie diesen beinahe fallen ließen. Al Jazeera übertrug die schockierenden Szenen live. Soldaten setzten grundlos Schwammgeschosse und Blendgranaten gegen die Menschenmenge ein, die sich vor der Leichenhalle des Krankenhauses versammelt hatte. Der Vorfall löste weltweit Entsetzen aus.

Der Vorwurf der Berliner Polizei, man wolle mit dem Verbot antisemitische Beschimpfungen und Ausschreitungen verhindern, ist offensichtlich vorgeschoben. Das Verbot galt ebenfalls für eine am Freitagabend geplante Veranstaltung der Jüdischen Stimme, einer jüdischen Organisation, die sich für die Rechte der Palästinenser einsetzt.

Die Gruppe „Palästina spricht“ kritisierte das Verbot als „Angriff auf Versammlungsfreiheit und freie Meinungsäußerung“. Das Verbot sei ein „alarmierender Türöffner für unbegrenzte staatliche Repression gegen jegliche Opposition in Deutschland, sei es für palästinensische Menschenrechte, Antirassismus oder Geflüchtetenrechte“, so die Organisation.

Der Jurist Ralf Michaels argumentierte in der Berliner Zeitung, durch die Verbote würde das „Grundrecht auf Versammlungsfreiheit pervertiert“. Die Erklärung der Polizei, wonach man Gewalt „muslimisch geprägter Personenkreise“ verhindern wolle, wirkt in seinen Augen tendenziös.

Das Verbot richtete sich eindeutig gegen jede Kritik an Israel. Deutschland ist seit langem ein wichtiger Verbündeter der israelischen Regierung und unterstützt deren brutales Vorgehen gegen die Palästinenser ausdrücklich.

Bemerkenswert ist dabei, dass der Berliner Senat – ein Bündnis von SPD, Grünen und Linkspartei – eine ursprünglich für den 15. Mai geplante Kundgebung „Solidarisch gegen Hass“ großzügig mit Finanzmitteln unterstützt hatte. Die Veranstaltung, die aufgrund massiver öffentlicher Kritik dann abgesagt wurde, sollte die brutale Politik der israelischen Regierung legitimieren. Auf dem in sozialen Netzwerken geposteten Flyer war ein Esel zu sehen, auf dessen Hinterteil das Logo von Amnesty International abgebildet war. Die Menschenrechtsorganisation hatte sich kritisch über die Apartheidpolitik der israelischen Regierung geäußert.

Verbot und Urteil müssen vor allem in Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine, dem aufstrebenden deutschen Militarismus und dem wachsenden Widerstand der Bevölkerung dagegen gesehen werden.

Nur eine Woche vor dem Verbot der Palästina-Demonstrationen erließ die Berliner Polizei auf Geheiß des rot-rot-grünen Senats eine Verfügung, die verbot, mit sowjetischen Fahnen an die Befreiung vom Faschismus zu erinnern. Betroffen davon waren Ehrenmale, Gedenkorte und historische Bauwerke, an denen Überlebende des Holocaust und des Vernichtungskriegs und ihre Angehörigen sowie Kriegsgegner traditionell Andachten abhalten.

Auch hier wurde die Wahrheit auf den Kopf gestellt. Das Verbot wurde mit möglichem „Konfliktpotential“ oder gar der „Verherrlichung“ des Ukraine-Kriegs gerechtfertigt. Der eigentliche Grund war, dass das Gedenken an die größten Verbrechen der Menschheitsgeschichte kriminalisiert werden sollte, während die Bundesregierung Rekordsummen in die militärische Aufrüstung steckt und schwere Waffen für den Krieg gegen Russland in die Ukraine schickt.

Gegenüber rechtsradikalen Demonstrationen verhalten sich der Berliner Senat und seine Polizei völlig anders. Sie werden nicht nur genehmigt, sondern regelrecht unterstützt. Während der Corona-Pandemie konnten Corona-Leugner, Querdenker und Anhänger rechter Parteien ungehindert und unter Missachtung sämtlicher Hygieneauflagen ihre menschenverachtende Ideologie verbreiten. Sie wurden dabei von den Sicherheitsbehörden geschützt. Heute ist die Corona-Politik der extremen Rechten die offizielle Regierungspolitik.

Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang auch ein Vorfall im sächsischen Zwickau, wo die Stadt für den 14. Mai seit Wochen ein interkulturelles Fest namens „Zwikkolör“ auf dem Hauptmarkt geplant hatte. Sie sagte es schließlich kurzfristig ab, weil das Verwaltungsgericht Chemnitz am selben Ort eine rechtsextreme Kundgebung der „Volksstimme Bürgerbündnis Zwickau“ genehmigte. Das Gericht begründete sein Urteil damit, dass die vom Grundgesetz garantierte Versammlungsfreiheit (der Rechtsextremen) höher zu bewerten sei, als eine interkulturelle Veranstaltung mit dem „Charakter eines Festes“.

Die herrschende Klasse fördert die Rechten und unterdrückt linken Protest, weil sie Widerstand gegen Militarisierung und Sozialabbau fürchtet. Der Ukrainekrieg ist mit einer dramatischen Verschlechterung der Lebensbedingungen der Massen auf der ganzen Welt verbunden.

Im vergangenen Monat schätzte die Weltbank, dass die Lebensmittelpreise in diesem Jahr um 22,9 Prozent steigen werden, was vor allem auf einen Anstieg der weltweiten Weizenpreise zurückzuführen ist. Der FAO-Lebensmittelpreisindex, der die monatlichen Veränderungen der internationalen Preise für Lebensmittel wie Zucker, Milchprodukte, Getreide und Pflanzenöl erfasst, liegt fast 30 Prozent höher als im April 2021.

Arbeiterinnen und Arbeiter sind unter diesen Bedingungen ständig von Lohnkürzungen, Jobverlust und sozialen Angriffen bedroht. Während das Renteneintrittsalter bis 2029 noch auf 67 Jahre angehoben wird, gibt es bereits neue Forderungen, es auf mindestens 70 Jahre zu erhöhen.

Dagegen entwickelt sich massiver Widerstand. Zur Begründung des Demonstrationsverbots führte das Berliner Gericht explizit auch den „hohen Mobilisierungsgrad“ am Nakba-Tag an. Damit bezog es sich auf die Tatsache, dass letztes Jahr mehr als 10.000 Menschen an einer Demonstration zum Nakba-Tag und an Protesten gegen Israels mörderische Luftangriffe auf Gaza teilgenommen hatten. Proteste, die sich gegen Krieg und Unterdrückung richten, sollen unter allen Umständen unterbunden werden.

Loading