Massiver Stellenabbau bei Lieferdiensten Gorillas und Getir

Die Lebensmittellieferdienste Gorillas und Getir haben die Entlassung hunderter Mitarbeiter angekündigt. Sie sind Teil einer Welle von Massenentlassungen bei Start-ups und Tech-Unternehmen.

Herbst 2021: Gorillas-Rider protestieren vor dem Firmen-Hauptquartier in Berlin (Foto WSWS)

Gorillas entlässt nach eigenen Angaben 300 Beschäftigte in der Verwaltung, was der Hälfte der dort tätigen Beschäftigten entspricht. Harte Einschnitte wird es vor allem in der Personalabteilung des Unternehmens geben. Die Fahrer und Beschäftigten in den Warenlagern sollen zunächst nicht betroffen sein. Doch das wird sich bald ändern. Gorillas plant laut Medienberichten den Rückzug aus einer Reihe europäischer Länder, darunter Italien, Spanien und Belgien. Wie das Unternehmen bekannt gab, wird der Fokus künftig auf Deutschland, Frankreich, den Niederlanden, Großbritannien und den USA liegen.

Gorillas-Chef Kağan Sümer bekräftigte den harten Sparkurs des Unternehmens. Gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters erklärte er: „Wenn wir an die Börse gehen, wollen wir das als profitables Unternehmen tun.“ Das Start-up müsse „weitere Schritte unternehmen, um den Weg zur Profitabilität zu beschreiten“. Sümer selbst hatte noch im Januar erklärt, dass von den 230 Warenlagern nur 25 bis 30 Prozent profitabel arbeiten.

Der Weg zur Profitabilität besteht aus Entlassungen sowie aus Hungerlöhnen und miserablen Arbeitsbedingungen für die verbleibenden Beschäftigten.

Nach zahlreichen Protesten hatte das Unternehmen im Oktober in Berlin und Leipzig 350 Mitarbeiter gefeuert, mit der Begründung, unangekündigte und nicht gewerkschaftlich getragene Streiks seien rechtlich unzulässig. Die Botschaft, die mit den Kündigungen verknüpft war, war offensichtlich: Jeder, der nicht bereit ist, sklavenähnliche Ausbeutungsbedingungen zu akzeptieren, wird entlassen. Dieses Vorgehen wurde im vergangenen Monat vom Berliner Arbeitsgericht juristisch abgesegnet.

Wie einige Konkurrenzunternehmen hatte die erst vor zwei Jahren gegründete Firma stark expandiert und war von Investoren Ende letzten Jahres mit rund 2,5 Milliarden Euro bewertet worden. Im Oktober hatte Gorillas Gelder im Volumen von 860 Millionen Euro bei Investoren eingesammelt. Nach Unternehmensangaben liegt der hochgerechnete Umsatz für das laufende Jahr bei rund 750 Millionen Euro.

Auch beim Konkurrent Getir stehen weltweit Entlassung von 4500 Beschäftigten an. Das entspricht etwa 14 Prozent der gesamten Belegschaft. Genauere Angaben macht das Unternehmen bisher nicht, aber laut dem Online-Portal Techcrunch könnten in Deutschland 400 Stellen betroffen sein. Laut Bloomberg erwartet Getir für 2022 einen Verlust von etwa 1 Milliarde US-Dollar.

Getir erhielt von Investoren noch höhere Summen als Gorillas. Im März investierten unter anderem der arabische Staatsfonds Mubadala, Sequoia Capital und Tiger Global insgesamt fast 700 Millionen Euro zusätzlich. Getir wurde damit zu einem sogenannten „Decacorn“ – zu einem Unternehmen mit einer Bewertung von über zehn Milliarden Dollar.

Die beiden Lieferdienste sind bei weitem nicht die einzigen Unternehmen der Branche, die massive Stellenstreichungen angekündigt haben. Der Bezahldienstleister Klarna plant rund 10 Prozent der insgesamt 7000 Mitarbeiter zu entlassen. Obwohl das schwedische Unternehmen keine Details preisgab, ist davon auszugehen, dass ein Großteil der Stellen in Deutschland wegfallen wird. Hier sind 1000 Mitarbeiter beschäftigt, 800 davon in Berlin.

Klarna-CEO Sebastian Siemiatkowski lies bewusst offen, ob in nächster Zeit noch weitere Stellenstreichungen anstehen. Siemiatkowski, dessen Vermögen laut Forbes 3,2 Milliarden US-Dollar beträgt, beklagte sich stattdessen über die „unfaire“ Kritik an den Entlassungen.

Experten bewerten auch hier die Entlassungen als Ende des Höhenflugs des Unternehmens. Klarna hatte noch im letzten Jahr 1,6 Milliarden US-Dollar von Investoren erhalten und wurde mit 46 Milliarden Dollar bewertet, obwohl es im selben Jahr einen Verlust von umgerechnet 630 Millionen Euro machte.

Das Berliner Banking Start-up Kontist entlässt 50 Beschäftigte und damit ein Viertel seiner Belegschaft. Beim Konkurrenten Nuri werden 45 Arbeitsplätze gestrichen. In Großbritannien entlässt der Lieferdienst Zapp zehn Prozent seiner Mitarbeiter.

Das Portal Techcrunch meldete, dass weltweit rund 15.000 Beschäftigte in Tech-Unternehmen und Start-ups im Mai ihren Job verloren haben. Dutzende weitere Unternehmen kündigten an, keine weiteren Einstellungen vorzunehmen. Darunter auch der Lebensmittellieferdienst Instacart. Die Bewertung des Unternehmens sank um fast 40 Prozent von 39 auf 24 Milliarden US-Dollar.

Grund für Massenentlassungen und Sparkurs sind sinkende Firmenbewertungen in der Tech- und Start-up-Szene. Gorillas beispielsweise ist seit Monaten auf der Suche nach Investoren für eine vierte Wachstumsrunde. In der Branche geht man künftig von so genannten „Flat Rounds“ oder „Down Rounds“ aus, also Finanzierungsrunden, bei denen die Firmenbewertung nicht weiter steigt oder sinkt.

Hintergrund ist der Krieg in der Ukraine und die rasant steigende Inflation. Die Zinserhöhungen durch die steigende Inflation bremsen den Fluss des billigen Geldes, mit denen selbst die unprofitabelsten Unternehmen in den letzten Jahren regelrecht überschwemmt wurden.

Mit den Entlassungen wird die Krise nun auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen. Diese sind mit extrem steigenden Preisen für Lebensmittel und Energie auf der einen und mit Entlassungen und unerträglichen Arbeitsbedingungen auf der anderen Seite konfrontiert. Einer jüngst erschienenen Studie der Allianz Trade zufolge könnten in Deutschland die Preise im Lebensmitteleinzelhandel 2022 um mehr als zehn Prozent steigen.

Schon seit dem letzten Jahr haben gerade Beschäftigte bei Lieferdiensten immer häufiger gegen Hungerlöhne sowie schlechte und gefährliche Arbeitsbedingungen protestiert und sind in Streik getreten. Die Unternehmen, Regierungen und Gewerkschaften sind besorgt über die wachsende Kampfbereitschaft einer Schicht meist junger, gut ausgebildeter Arbeiter. Sie haben Angst, dass sich die Militanz dieser Beschäftigten mit dem wachsenden Widerstand gegen Massenentlassungen und Lohnsenkungen in Industriebetrieben, Verkehrsunternehmen und Verwaltungen verbindet.

Um dem entgegenzutreten, wird alles daran gesetzt, Betriebsräte zu bilden, mit deren Hilfe spontane Streiks und eine breitere Mobilisierung verhindert werden soll. Bei Gorillas wurde bereits im letzten Jahr ein Betriebsrat ins Leben gerufen. Er hat keine einzige Kündigung verhindert und die Arbeitsbedingungen sind ebenso miserabel wie zuvor.

Martin Bechert, der für den Gorillas-Betriebsrat als Rechtsanwalt tätig war, erklärte die Rolle des Betriebsrates bei den nun anstehenden Entlassungen: „Es dürfte darauf hinauslaufen, dass der Betriebsrat für die in Berlin betroffenen Mitarbeiter versuchen wird, einen Sozialplan zu verhandeln.“ Damit ist klar, dass der Betriebsrat die Entlassungen längst akzeptiert hat.

Während der Betriebsrat und die Gewerkschaften bemüht sind, weitere Proteste zu verhindern, stehen sie in engem Kontakt zum rot-rot-grünen Berliner Senat. Unlängst trafen sich die Mitglieder des Gorillas-Betriebsrates mit der Berliner Sozialsenatorin Katja Kipping (Die Linke).

Während Kipping Krokodilstränen über die Entlassungen bei Gorillas vergießt, setzen sie und ihre Partei gemeinsam mit SPD und Grünen einen radikalen Sparhaushalt um. Es ist daher nicht verwunderlich, dass Kippnig nach dem Treffen lediglich versprach, mehr regelmäßige Kontrollen im Bereich Arbeitsschutz und technische Sicherheit in die Wege zu leiten.

Um die Arbeitsplätze zu verteidigen, müssen die Beschäftigten unabhängige Aktionskomitees aufbauen, die sich unabhängig von den Gewerkschaften national und international vernetzen. Sie müssen für ein sozialistisches Programm im Interesse der Arbeiterklasse kämpfen.

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