Parlamentswahlen in Frankreich: Mélenchon legt in Umfragen deutlich zu

Am Sonntag, sieben Wochen nach der Wiederwahl von Präsident Emmanuel Macron, fand die erste Runde der französischen Parlamentswahlen statt. Macrons Wahlbündnis „Ensemble!“ ist jedoch in den Umfragen hinter der Nouvelle Union Populaire écologique et sociale (Neue ökologische und soziale Volksunion, NUPES) zurückgefallen, der Koalition von Jean-Luc Mélenchon, der bei den französischen Präsidentschaftswahlen mit 22 Prozent der Stimmen drittstärkster Kandidat wurde.

Am Donnerstag wurden mehrere Umfragen veröffentlicht, in denen die Kandidaten der NUPES mit insgesamt 28 Prozent stärkste Kraft werden, gefolgt von „Ensemble!“ mit 27 Prozent. Marine Le Pens neofaschistische Rassemblement National (RN) kommt auf 19,5 Prozent und die rechten Republicains auf elf Prozent.

Bezüglich des Ausgangs der Wahl herrscht enorme Unsicherheit. Während Mélenchon großen Rückhalt in den Arbeitervierteln der Städte hat, wird Macrons Koalition vermutlich in den vielen kleineren, ländlichen Gebieten stärkste Kraft werden und damit die meisten Sitze erhalten. „Ensemble!“ würde 260 bis 300 der 577 Sitze in der Nationalversammlung erhalten, NUPES zwischen 175 und 215, LR 35 bis 55 und die RN 20 bis 60 Sitze. Macron könnte somit die für eine Regierungsbildung erforderliche Mehrheit von 289 Sitzen verfehlen. Allerdings scheint auch Mélenchons Versprechen, die Wahlen zu gewinnen und Premierminister unter Macron zu werden, gefährdet zu sein.

Mélenchon hatte angekündigt, er werde das Rentenalter wieder auf 60 Jahre absenken, die Erhöhungen der Gaspreise verhindern und die Renten und den Mindestlohn erhöhen. Der Anstieg seiner Wählerstimmen widerspiegelt den Versuch von Arbeitern und Jugendlichen, bei den Wahlen eine Stimme für linke Politik abzugeben. Die Erklärung der kapitalistischen Medien für den Aufstieg der neofaschistischen Parteien während der letzten zwei Jahrzehnte – die französischen Arbeiter würden unaufhörlich nach rechts rücken – fällt damit in sich zusammen.

Tatsächlich versuchen die Arbeiter, durch eine linke Stimmabgabe die verheerenden Auswirkungen der Inflation bei Treibstoff- und Lebensmittelpreisen abzuwenden, die in der kapitalistischen Weltwirtschaft wütet. Die Neofaschisten haben seit den Präsidentschaftswahlen inmitten eines internationalen Aufschwungs des Klassenkampf vier Prozent ihrer Stimmen verloren. Zeitgleich zu den Parlamentswahlen befinden sich Beschäftigte des Gesundheitswesens und der Flughäfen in Frankreich und in ganz Europa im Streik gegen niedrige Löhne, Austerität und die Reaktion der herrschenden Klasse auf die Corona-Pandemie.

Doch dürfen die Arbeiter Mélenchon kein Vertrauen schenken, wie die Parti de l’égalité socialiste (PES), die französische Sektion des Internationalen Komitees der Vierten Internationale (IKVI), betont. Er wird alle Hoffnungen, die in ihn gesetzt werden, unweigerlich enttäuschen. Mélenchons Ziel besteht darin, die wachsende Radikalisierung der Arbeiterklasse zu entschärfen und eine Explosion des Klassenkampfs zu verhindern. Zu diesem Zweck versucht er, die Arbeiter mit dem Mittel einer Koalitionsregierung aus Mélenchon und Macron in eine parlamentarische Sackgasse zu treiben.

Am Freitag hat Mélenchon in letzter Minute einen Wahlaufruf veröffentlicht: „Eine große Zeit ist gekommen. Wenn Sie am Sonntag wählen wollen und wählen gehen... wenn Sie NUPES wählen, können wir die Geschichte unseres Landes und vor allem das Leben jedes Einzelnen von uns verändern.“ Weiter erklärte er, mit genug Stimmen für NUPES „werden wir in der Nationalversammlung eine Mehrheit haben und damit eine Regierung, in der ich Premierminister sein werde. Es ist also Zeit, eine kleine Anstrengung zu unternehmen... es dauert nur ein paar Momente, kann aber alles ändern.“

Es ist Betrug zu behaupten, dass die Wahl von Mélenchon zum Premierminister unter Macron „alles ändern“ würde. Macron ist unter Arbeitern weithin als „Präsident der Reichen“ verhasst, weil er in seiner ersten Amtszeit alle Proteste und Streiks gegen die Sparpolitik und die Unterdrückung durch Militär und Polizei gewaltsam hat niederschlagen lassen. Mit Macron gibt es nichts zu verhandeln. Man kann mit ihm nur fertig werden, indem man den Klassenkampf führt und die Arbeiterklasse zum Sturz seines Regimes mobilisiert.

Solange Macron als Präsident die Außenpolitik kontrolliert, schürt er den Nato-Krieg gegen Russland in der Ukraine. Er hat sich bereit erklärt, französische Kriegsschiffe ins Schwarze Meer zu entsenden, um dort der russischen Marine entgegenzutreten. Der angebliche Zweck eines solchen Einsatzes bestehe darin, die Minen zu räumen, die die Ukraine zum Schutz vor russischen Angriffen in ihren Häfen ausgelegt hat, und ukrainische Getreideexporte für die internationalen Märkte abzusichern. Macron gibt hunderte Millionen Euro aus, um der ukrainischen Armee schwere Artillerie und Raketensysteme zu schicken und riskiert damit einen dritten Weltkrieg.

Macron setzt die Durchseuchungspolitik in der Corona-Pandemie und die Rettungsaktionen für die europäischen Banken und Superreichen mit Billionen von Euro fort, die die Inflation befeuert. Er wahrt auch sein übliches ohrenbetäubendes Schweigen über die Kräfte im französischen Offizierskorps rund um die Familie de Villiers, die letztes Jahr mit einem Putsch in Frankreich gedroht hatten – kurz nach dem Putschversuch in Washington DC, mit dem Donald Trump die Wahl von Joe Biden stoppen wollte.

Obwohl Macrons Programm unverhohlen reaktionär ist, signalisiert Mélenchon, er werde um jeden Preis einen Deal mit Macron anstreben, da dies angeblich im nationalen Interesse liege.

Er verteidigte Macrons völlig skrupellose Kriegspolitik in der Ukraine gegen Kritik ukrainischer Regierungsvertreter, die von Macron einen Besuch in ihrem Land forderten. Mélenchon billigte die Bewaffnung von Neonazikräften wie dem Asow-Bataillon durch die europäischen Mächte und erklärte: „Ich glaube, die Ukrainer sollten nicht so mit uns reden. Frankreich liefert Waffen, engagiert sich und unterstützt die ukrainische Bevölkerung.“

In einem Interview mit dem Radiosender France Inter erklärte Mélenchon: „Wir werden uns [mit Macron] arrangieren, weil das im Interesse unseres Landes ist.“ Er rückte auch von seinen früheren Behauptungen ab, er werde eine Sechste Republik als Nachfolgerin der Fünften Republik errichten. Die Fünfte Republik war 1958 von General Charles de Gaulle während des Algerienkriegs, inmitten eines Putschs von Offizieren, die die Unabhängigkeit Algeriens von Frankreich ablehnten, gegründet worden.

Mélenchon behauptete gegenüber France Inter, er „bekämpfe die Verfassung der Fünften Republik“, beeilte sich jedoch hinzuzufügen: „Solange es diese gibt, ist das die Regel, die angewendet wird.“ Auf die Frage, warum er plötzlich Respekt und Unterstützung für eine Verfassung zeigt, die er so oft lautstark verurteilt hat, erklärte er rundheraus: „Ich bin nicht für die Organisation eines politischen Aufstands in diesem Land.“

Mélenchon vollführt einen zynischen und reaktionären Drahtseilakt. Einerseits verspricht er eine massive Verbesserung des Lebensstandards, andererseits unterstützt er die Politik des „Präsidenten der Reichen“. Er behauptet, für die Linke und gegen den Kapitalismus zu sprechen, während er gleichzeitig die Revolution ablehnt. Es kann keine Quadratur des Kreises und keine Versöhnung des Unversöhnlichen geben.

In Mélenchons Versprechen, mit Macron zusammenzuarbeiten, kommt zweifellos sehr deutlich zum Ausdruck, dass er sich darüber bewusst ist, dass die NUPES-Abgeordneten im Falle eines guten Wahlergebnisses zwangsläufig Macrons Programm mit umsetzen müssen.

Die Arbeiterklasse in Europa und international hat bittere Erfahrungen mit pseudolinken Parteien wie der NUPES machen müssen, die zwar versprochen hatten, „alles zu ändern“, aber eine Revolution ablehnten. Mélenchons Verbündeter in Griechenland, die Syriza („Koalition der Radikalen Linken“), wurde zum Synonym für Verrat. Sie kam im Jahr 2015 mit dem Versprechen an die Macht, das Austeritätsdiktat der EU zu beenden, ließ dieses Versprechen jedoch sofort fallen, setzte Sozialkürzungen in Höhe von Milliarden Euro durch und errichtete ein riesiges Netzwerk von Gefangenenlagern für Flüchtlinge auf den griechischen Inseln.

In Spanien hat Mélenchons Verbündeter, die Partei Podemos, die momentan Teil einer Regierungskoalition ist, die Bereitschaftspolizei gegen streikende Metallarbeiter und Lastwagenfahrer eingesetzt, Austeritätsmaßnahmen durchgesetzt und dem rechtsradikalen Asow-Bataillon in der Ukraine Panzerabwehrraketen geliefert.

Die Manöver der Pseudolinken können und werden die zunehmende Radikalisierung der Arbeiterklasse und die Verschärfung des Klassenkampfs nicht verhindern. Während Europa am Rande eines Weltkriegs steht und die steigenden Preise die Arbeiter weltweit in den Ruin treiben, wird der Kapitalismus von tödlichen inneren Widersprüchen heimgesucht. In Frankreich bahnt sich eine Konfrontation zwischen Macron und der Arbeiterklasse an. Die Aufgabe der Arbeiter ist nicht, einen Premierminister für Macron auszuwählen, sondern sich auf den revolutionären Kampf vorzubereiten.

Die Parti de l’egalité socialiste ist die trotzkistische Alternative zu den pseudolinken Kräften innerhalb der NUPES und in ihrem Umfeld, die ihren Frieden mit Macron machen. Sie besteht darauf, dass den korrupten Gewerkschaftsbürokratien aus dem Umfeld von NUPES die Kontrolle über die Kämpfe der Arbeiter entrissen werden muss. Stattdessen müssen die Kämpfe von Aktionskomitees geführt werden, die von den Arbeitern selbst aufgebaut wurden. Der Aufbau der Internationalen Arbeiterallianz der Aktionskomitees (IWA-RFC), bewaffnet mit der Perspektive des Trotzkismus, wird es den Arbeitern ermöglichen, mit Macron und dem europäischen Kapitalismus abzurechnen und die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa aufzubauen.

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