Trotz Kampfbereitschaft: Ausverkauf in der Stahlindustrie

Trotz hoher Kampfbereitschaft haben IG Metall und Unternehmerverbände für die 68.000 Stahlarbeiter Nordwestdeutschlands in der Nacht zum Mittwoch eine massive Reallohnsenkung vereinbart – und das obwohl die Konzerne Rekordprofite erzielen. Für die 8.000 Beschäftigten der Industrie in Ostdeutschland wird der Abschluss voraussichtlich übernommen.

Stahlarbeiter demonstrieren am 9. Juni in Duisburg vor der Hauptverwaltung von Thyssenkrupp-Stahl

Die Stahlarbeiter erhalten 6,5 Prozent mehr Lohn bei einer Laufzeit von 18 Monaten. Die Tariferhöhung tritt am 1. August in Kraft und läuft bis Ende November 2023. Für Juni und Juli gibt es eine einmalige Zahlung von insgesamt 500 Euro.

Der Abschluss ergibt aufs Jahr umgerechnet einen Tarifanstieg von 4,3 Prozent. Er liegt damit nur halb so hoch wie die Forderung von 8,2 Prozent bei einer Laufzeit von einem Jahr, mit der die Gewerkschaft in die Verhandlungen gezogen war. Und auch diese hätte kaum die Inflation gedeckt, die im Mai nach Angaben des Statistischen Bundesamts bei 7,9 Prozent lag.

Bleibt die Inflation in dieser Höhe, sind die Lebenshaltungskosten bei Auslaufen des Tarifvertrags um 12 Prozent höher als heute. Die Stahlarbeiter müssten also einen Reallohnverlust von 5,5 Prozent hinnehmen. Experten gehen aber davon aus, dass die Preise eher noch schneller steigen werden, und die offizielle Inflationsrate gibt die tatsächlichen Preissteigerungen nur unzureichend wieder.

Dabei haben die Beschäftigten der Eisen- und Stahlindustrie bereits in den vergangenen Jahren hohe Einkommensverluste erlitten. Sie haben seit drei Jahren keine prozentualen, tabellenwirksamen Lohnsteigerungen mehr erhalten und wurden lediglich mit Einmalzahlungen abgespeist. Der Betrag, auf den die 6,5 Prozent angerechnet werden, entspricht also dem Lohnniveau von 2019.

Die IG Metall hat den Abschluss in der vierten Verhandlungsrunde vereinbart, obwohl – oder weil – die Kampfbereitschaft enorm hoch war. Die betroffenen Stahlarbeiter waren sich einig, dass eine saftige Lohnerhöhung her muss. Das zeigten auch die Warnstreiks, an denen sich seit dem 1. Juni nach Gewerkschaftsangaben rund 28.000 Arbeiter aus über 60 Betrieben beteiligten. Allein am Montag sollen es über 11.000 gewesen sein, die meisten in Salzgitter (3500) und in Duisburg (2100).

In den letzten Jahren wurden in der Eisen- und Stahlindustrie viele tausend Arbeitsplätze abgebaut. IG Metall und Betriebsräte hatten den Arbeitern über betriebliche Vereinbarungen immer wieder Lohnkürzungen verordnet. Zur Begründung hieß es, anders sei in Deutschland hergestellter Stahl auf dem Weltmarkt nicht konkurrenzfähig.

Betriebsratsfürsten, wie der Gesamtbetriebsratsvorsitzende von Thyssenkrupp Stahl Tekin Nasikkol, nennen diesen Abbau von Löhnen und Arbeitsplätzen heuchlerisch „Beschäftigungssicherung“. Allein unter Nasikkols Ägide sind in den vergangenen drei bis vier Jahren rund 4000 Arbeitsplätze vernichtet worden.

All dies dient einzig und allein der Aufrechterhaltung der Profite. Das zeigt das Beispiel der 2400 Röhrenwerker der Vallourec-Werke in Mülheim und in Düsseldorf, die auch zur Branche gehören. Ihre Werke sollen schon bald geschlossen werden. Während sich die Vallourec-Belegschaft geeint an den Warnstreiks beteiligte, „kämpft“ der Betriebsrat für die sozialverträgliche Schließung des Werks.

In der Corona-Pandemie hatten die Beschäftigten der Stahlindustrie ihre Gesundheit und ihr Leben riskiert, indem sie unter den erschwerten Bedingungen fast die ganze Zeit durcharbeiteten. Gab es aufgrund des pandemiebedingten Produktionsrückgangs insbesondere in der Autoindustrie Kurzarbeit, erlitten sie Lohneinbußen.

Seit die Regierung im Rahmen ihrer Profite-vor-Leben-Politik alle Einschränkungen aufgehoben und der Krieg in der Ukraine zum Anstieg der Stahlpreise auf dem Weltmarkt geführt hat, explodieren die Gewinne der Stahlkonzerne wieder.

Branchenprimus ThyssenKrupp meldete im ersten Quartal des Geschäftsjahres für die Stahlsparte ein Ergebnis vor Steuern und Zinsen (Ebit) von 495 Millionen Euro, nach einem Verlust von 161 Millionen Euro im Vorjahresquartal. Der zweitgrößte Stahlhersteller, die Salzgitter AG, meldete für 2021 einen Jahresgewinn (Ebit) von 753 Millionen Euro nach einem Verlust von 119 Millionen Euro im Vorjahr.

Der Ukrainekrieg und die Aufrüstung der Bundeswehr mit 100 Milliarden Euro lässt in den Chefetagen der Stahlkonzerne die Korken knallen. Die Stahlarbeiter produzieren nun Stahl für Panzer, U-Boote und Kriegsschiffe. Thyssenkrupp profitiert über seine Tochter Marine Systems (TKMS), die seit einigen Monaten vom ehemaligen IG Metall-Sekretär Oliver Burkhard geleitet wird, auch direkt vom U-Boote- und Schiffsbau.

Mit der Aussicht, einen großen Teil der 100 Milliarden Euro abzuschöpfen, hat TKMS inzwischen die insolvente Wismar Werft aufgekauft und will groß in die Kriegsschiffproduktion einsteigen. Von den einst 3000 Werftarbeitern sollen 800 übrigbleiben, später soll die Zahl auf maximal 1500 steigen.

Geht es nach Konzern-Managern wie Burkhard, sollen die Beschäftigten trotzdem die Zeche für die Superprofite zahlen. Die Stahlkonzerne hatten in der ersten Verhandlungsrunde vorgeschlagen, die Beschäftigten ähnlich wie in der Chemie-Industrie mit einer Einmalzahlung von 2100 Euro abzuspeisen. In der dritten Verhandlungsrunde am Freitag letzter Woche boten sie dann an, die Löhne für 21 Monate um 4,7 Prozent anzuheben.

Gestern Abend begann in Düsseldorf die vierte Verhandlungsrunde. Die IG Metall hatte mit Urabstimmung und unbefristeten Streiks gedroht, falls sich die Unternehmer nicht bewegen. Sie versuchte damit, die wachsende Kampfbereitschaft der Stahlarbeiter aufzufangen. Es war das übliche Getöse vor dem Ausverkauf.

Der Vorsitzende des Gesamtbetriebsrats von Thyssenkrupp Steel, Tekin Nasikkol; im Hintergrund IG-Metall-Chef Jörg Hofmann

Als am Donnerstag letzter Woche 3000 Stahlarbeiter vor dem Werk von Thyssenkrupp Steel in Duisburg demonstrierten, sprach der Gesamtbetriebsratsvorsitzende Tekin Nasikkol die historisch hohe Inflation und die hohen Gewinne an. Wann immer er oder der Vertrauenskörperleiter Klaus Wittig auch nur andeuteten, dass es bei einer Ablehnung der Forderung zum unbefristeten Streik kommen werde, unterstützten dies die Stahlarbeiter lautstark.

Doch die IG Metall dachte nicht daran, die Konzerne für die Löhne der Stahlarbeiter zur Kasse zu bitten. Auf der Duisburger Kundgebung sprach auch IG-Metall-Chef Jörg Hofmann und forderte ein „faires Angebot von den Arbeitgebern“.

Am nächsten Tag erschien in der Süddeutschen Zeitung ein Interview mit Hofmann, in dem er klarstellte, dass die IG Metall aufs engste mit Konzernen und Regierung zusammenarbeitet, um die Arbeiter für die Konzernprofite und die Kriegskasse zu schröpfen.

Er lehnte einen Inflationsausgleich ausdrücklich ab und sagte: „Die IG Metall handelt vernünftig. Wir haben das Wohl des ganzen Landes im Blick.“ Damit meint der IGM-Chef, der monatlich so viel einstreichen dürfte wie ein Stahlarbeiter in einem Jahr, die Börsenkurse und Unternehmensgewinne.

Seit Jahren zeigen alle deutschen und internationalen Erfahrungen, dass Löhne und Arbeitsplätze nicht verteidigt werden können, solange die Gewerkschaften die Kontrolle haben und gemeinsam mit den Unternehmerverbänden die Angriffe auf die Arbeiter planen.

Die IG Metall reagiert auf die wachsende gesellschaftliche Krise – die Bereicherung und Militarisierung auf der einen und die Radikalisierung in den Betrieben auf der anderen Seite –, indem sie noch enger mit den Konzernvorständen und der Regierung zusammenarbeitet. Sie setzt ihren gesamten Apparat ein, um die aufkommende Rebellion der Arbeiter zu ersticken.

Um zu siegen, müssen die Stahlarbeiter organisatorisch und politisch mit den Gewerkschaften brechen. Die Sozialistische Gleichheitspartei tritt für den Aufbau unabhängiger Aktionskomitees in den Betrieben ein. Diese müssen den Kampf gegen Inflation und Lohnsenkung, Werksschließungen, Entlassungen und Sozialabbau organisieren und Verbindungen zu den Beschäftigten anderer Standorte und Länder aufbauen.

Die Konzerne agieren international. Arbeiter können ihnen nur erfolgreich entgegentreten, wenn sie sich ebenfalls international zusammenschließen. Das Internationale Komitee der Vierten Internationale und die ihm angeschlossenen Sozialistischen Gleichheitsparteien haben vor einem Jahr die Internationale Arbeiterallianz der Aktionskomitees ins Leben gerufen, um „einen Rahmen für neue Formen unabhängiger und demokratischer Kampforganisationen von Arbeitern in Fabriken, Schulen und Betrieben auf internationaler Ebene“ zu schaffen.

Alle Arbeiterinnen und Arbeiter, die nicht bereit sind, mit ihren Löhnen, Arbeitsplätzen, ihrer Gesundheit und ihrem Leben für Krieg, Militarismus und die abstoßende Bereicherung der Aktionäre zu zahlen, rufen wir auf, mit uns in Kontakt zu treten.

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