Kurz nach britischer Auslieferungsentscheidung

Assange unbekleidet in Isolierzelle unter „Suizidwache“ gestellt

Der Verleger und Journalist Julian Assange ist nackt ausgezogen und in einer kahlen Zelle des Londoner Hochsicherheitsgefängnisses Belmarsh untergebracht worden. Kurz zuvor hatte die britische Innenministerin Priti Patel am 17. Juni bekannt gegeben, dass sie seiner Auslieferung an die Vereinigten Staaten zugestimmt habe.

Plakat eines Unterstützers des WikiLeaks-Gründers Julian Assange während eines Protests vor dem High Court in London, 11. August 2021 (AP Photo/Matt Dunham)

Über diese jüngste Verletzung von Assanges demokratischen Grundrechten sprach sein Vater John Shipton bei einer Kundgebung am 21. Juni in Berlin und bei anderen Auftritten in Europa.

Die brutale Behandlung wurde damit begründet, man müsse Assange daran hindern, sich das Leben zu nehmen. In Wirklichkeit handelt es sich um die Fortsetzung dessen, was der scheidende Sonderbotschafter der Vereinten Nationen, Nils Melzer, als staatliche Folter bezeichnet hatte. Weder die britische noch die US-amerikanische Regierung schreckt davor zurück, sie gegen Assange anzuwenden.

Die Verfolgung des Journalisten läuft zweigleisig ab. Zum einen gibt es das scheinlegale Auslieferungsverfahren, das darauf abzielt, Assange in die USA zu überstellen, wo ihm 18 Anklagen nach dem Espionage Act und 175 Jahre Haft drohen. Der Grund ist, dass er Tatsachen über die amerikanische Kriegsverbrechen im Irak und in Afghanistan aufgedeckt hat.

Auf der anderen Seite wird Assange seit mehr als zehn Jahren willkürlich inhaftiert. Die letzten drei Jahre hat er im Belmarsh-Gefängnis verbracht, die meiste Zeit, ohne dass er wegen irgendetwas verurteilt worden wäre. Die Einrichtung wird als „Großbritanniens Guantanamo Bay“ bezeichnet.

Auf Twitter teilte Assanges Frau Stella Moris mit, dass Assange nach Patels Ankündigung das ganze Wochenende lang keinen Besuch erhalten durfte. Gegen den Auslieferungsbeschluss wird ein weiterer Rechtsbehelf vor den britischen Gerichten eingelegt. Man hat Assange bewusst in völlige Isolation versetzt, während Patels Entscheidung weitreichende und potenziell schwerwiegende Konsequenzen für sein ganzes Leben haben wird.

Die britischen Behörden verfolgen keineswegs das Ziel, einen Suizid Assanges zu verhindern, sondern sie verschlimmern im Gegenteil sein Leiden nach Möglichkeit. Die Folgen einer solchen Behandlung eines Mannes mit schweren psychischen Problemen aufgrund seiner jahrelangen Verfolgung liegen auf der Hand. Der britische Staat will Assange tot sehen.

Auf ähnliche Weise wurde Assange schon einmal, während der ersten gerichtlichen Anhörungen im Januar 2020, misshandelt. Damals wurde er nach dem ersten Verhandlungstag absurderweise elfmal in Handschellen gelegt und zweimal entkleidet, während die Wachen die juristischen Dokumente, die er dabei hatte, ohne Begründung beschlagnahmten.

Mit anderen Worten: Hier liegt ein klares Muster vor. Die Belmarsh-Behörden versuchen, Assange zu demütigen und zu erniedrigen und gerade in Schlüsselmomenten der amerikanisch-britischen Auslieferungsprozedur sein Gefühl der Machtlosigkeit zu verstärken.

Die Tatsache, dass Assange unter Suizidbeobachtung gestellt wurde, ist gleichzeitig eine vernichtende Anklage gegen die Gerichtsentscheidung, die seine Auslieferung an die USA überhaupt ermöglichte. Nach dem ersten Verfahren vor dem Bezirksgericht hatte Richterin Vanessa Baraitser ja die Auslieferung in die USA mit der knappen Begründung gestoppt, Assanges werde sie nicht überleben. Sie begründete dies mit seinem schlechten Gesundheitszustand angesichts der brutalen Bedingungen, die ihm in amerikanischer Haft drohten.

Im Dezember letzten Jahres hob der High Court diese Entscheidung auf, da die US-Regierung falsche und widersprüchliche Zusicherungen machte. Sie behauptete, Assanges Behandlung in den USA würde nicht so schlimm sein, wie von seinen Verteidigern dargelegt. Die Zusicherungen wurden akzeptiert, obwohl Yahoo! News im September berichtet hatte, dass die Trump-Regierung und die CIA schon 2017 über eine Entführung oder Ermordung von Assange gesprochen hatten.

Während also der High Court entschieden hat, dass Assanges Auslieferung nicht repressiv wäre und keine Gefahr für sein Leben darstellen würde, räumt das Belmarsh-Gefängnis, nimmt man seine Handlungen für bare Münze, nun ein, dass für Assange unmittelbare Lebensgefahr besteht.

Die britischen Behörden werden keinen Versuch unternehmen, diesen Widerspruch aufzulösen. Sie haben in den letzten drei Jahren die Warnungen von Hunderten von Ärzten in den Wind geschlagen, die auf Assanges sich verschlechternden Gesundheitszustand hinwiesen und seine sofortige Freilassung forderten.

Inzwischen hat Patels Ankündigung eine massive Welle des Widerstands ausgelöst, und zahlreiche Bürgerrechtsinitiativen und Verfechter der Pressefreiheit, Rechtsexperten und prominente Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens haben sich zugunsten von Assange zu Wort gemeldet. Die einhellige Verurteilung seiner Verfolgung durch die USA und Großbritannien widerspiegelt eine breite Unterstützung für den WikiLeaks-Gründer unter Arbeitern und jungen Menschen. Millionen betrachten ihn heute als Helden, dessen einziges „Verbrechen“ darin besteht, die illegalen Kriege und diplomatischen Verschwörungen des amerikanischen Imperialismus aufgedeckt zu haben.

Am Mittwoch trafen sich fünfzehn Journalisten- und Verlegerverbände aus sechs verschiedenen Ländern in Genf. Sie verurteilten Patels Entscheidung und forderten Assanges sofortige Freilassung.

Dominique Pradalie, Präsidentin der Internationalen Journalisten-Föderation, die 600.000 Medienschaffende in 140 Ländern vertritt, sagte: „Julian Assange ist ein Journalist, ein politischer Gefangener, dem ein Todesurteil droht. Wir fordern, dass Julian Assange freigelassen wird und dass er zu seiner Familie zurückkehren und endlich ein normales Leben führen kann.“

Pierre Ruetschi, Präsident des Schweizer Presseclubs, wies auf die weitreichenden Folgen des Versuchs der USA hin, einen Journalisten wegen seiner Veröffentlichungstätigkeit zu verfolgen. Ruetschi warnte: „Hier wird die Demokratie als Geisel genommen. Dieser Versuch, den Journalismus zu kriminalisieren, ist eine ernste Gefahr“.

Auch mehrere Regierungen verurteilten Patels Enscheidung. Am Dienstag berief der mexikanische Präsident Andrés Manuel López Obrador eine Pressekonferenz ein, auf der er Ausschnitte aus dem von Assange und WikiLeaks im Jahr 2010 veröffentlichten Video „Collateral Murder“ vorführte. Es zeigt, wie US-Soldaten in Bagdad aus einem Apache-Hubschrauber heraus unbewaffnete Zivilisten und zwei Reuters-Journalisten erschießen.

„Er ist weltweit der beste Journalist unserer Zeit, aber er wird sehr ungerecht und schlimmer als ein Krimineller behandelt“, erklärte López Obrador, der den Rachefeldzug gegen Assange als „Schande für die Welt“ bezeichnete. Der mexikanische Präsident sagte, er werde Biden, den er am kommenden Dienstag trifft, auffordern, die versuchte Strafverfolgung zu beenden. López Obrador sagte, sein Land werde dem WikiLeaks-Herausgeber „die Türen öffnen“.

López Obrador ist ein kapitalistischer Politiker, dessen Regierung Sparmaßnahmen und andere reaktionäre Maßnahmen durchsetzt. Seine Äußerungen geben jedoch einen Einblick in die tatsächliche öffentliche Meinung über Assanges Verfolgung durch die USA, während die bürgerlichen Medien sie beharrlich verschweigen. Millionen betrachten die Operation als unrechtmäßig. Sie zielt darauf ab, Kriegsverbrechen zu vertuschen und demokratische Grundrechte auszuhebeln.

Das mexikanische Statement ist auch ein Armutszeugnis für die neue australische Labor-Regierung. Sie hat Forderungen, auch von seiner Familie, zurückgewiesen, sich für Assange, der australischer Staatsbürger ist, einzusetzen. Labor-Premierminister Anthony Albanese lehnt es ab, Biden aufzufordern, die Strafverfolgung einzustellen.

In Australien weigern sich hochrangige Labor-Minister, ihre rechtlichen und diplomatischen Möglichkeiten auszuschöpfen, um den WikiLeaks-Gründer zu befreien. Dabei hat die australische Regierung dies schon mehrfach getan, um verfolgte Bürger aus anderen Ländern freizubekommen.

Die wichtigste Entwicklung der letzten Woche war die große Unterstützung für Assange in der arbeitenden Bevölkerung. Sie kam in den sozialen Medien in hunderttausenden wenn nicht Millionen von Beiträgen zum Ausdruck.

Gerade erleben wir einen neuen großen Aufschwung des Klassenkampfs, der sich gegen Sparmaßnahmen, steigende Lebenshaltungskosten und Lohnraub richtet. In Großbritannien fand diese Woche ein machtvoller Streik von etwa 50.000 Eisenbahnern statt, die sich gegen genau die Regierung richten, die den Schlüssel zu Assanges Zellentür in Händen hält. Auch die Explosion des Militarismus, die sich am deutlichsten im US/Nato-Stellvertreterkrieg gegen Russland in der Ukraine zeigt, stößt in der Bevölkerung auf große Ablehnung.

Wie die World Socialist Web Site erklärt, wird nur die Arbeiterklasse den Kampf um Assanges Befreiung führen. Sie wird die demokratischen Rechte verteidigen und den imperialistischen Krieg beenden. Wir fordern Arbeiter und Jugendliche auf, diesen Kampf aufzunehmen, indem sie Informationen über Assanges Verfolgung weitergeben und an jeder Schule und an jedem Arbeitsplatz Resolutionen verabschieden, um ihn zu verteidigen und die Massen zum Kampf für seine Freiheit aufzurufen.

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