Corona-Pandemie: Steigende Infektions- und Todeszahlen setzen Kliniken unter Druck

Die Dominanz der Virus-Varianten BA.4 und BA.5 sowie die Beendigung jeglicher Schutzmaßnahmen gegen das Coronavirus sorgen erneut für einen rasanten Anstieg der Infektionszahlen. Am Donnerstag meldete das Robert-Koch-Institut 135.402 Corona-Neuinfektionen, am Dienstag waren es sogar 147.489. Die 7-Tage-Inzidenz stieg auf über 690, bereits am Montag hatte sie bei 650 gelegen.

Patient auf einer Intensivstation (ICU) [Quelle: Wikimedia Commons]

Dabei geben diese Zahlen das wirkliche Ausmaß der Katastrophe nicht einmal ansatzweise wieder. Die Abschaffung der kostenlosen Tests, das Aufheben der Testpflicht für bestimmte Anlässe und die dramatische Beschneidung der Testmöglichkeiten sorgen dafür, dass nur noch ein Teil der Infektionen überhaupt registriert wird. Täglich sterben 100 bis 200 Menschen an Covid-19. Offiziell gab es bereits 142.000 Corona-Tote in Deutschland.

Infolge der mörderischen Politik der Durchseuchung geraten die Kliniken, die seit zweieinhalb Jahren am Limit sind, erneut an den Rand des Kollapses. Am Montag stieg die Zahl der Corona-Intensivpatienten laut dem Tagesreport des Intensivregisters der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) wieder über 1000. So hoch war diese Zahl seit Mitte Mai nicht mehr.

Der wissenschaftliche Leiter des DIVI, Christian Karagiannidis, warnte, dass die Belegung für einen Sommer relativ hoch sei. Die zur Verfügung stehenden Betten würden auch durch den Personalmangel immer weniger. Dabei sind es nicht nur die erneut steigenden Klinikeinweisungen, die das gesamte Gesundheitssystem wieder an die Grenzen bringen. Auch immer mehr Beschäftigte infizieren sich und fallen krankheitsbedingt aus.

Der Vorstandschefs der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), Gerald Gaß, erklärte gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND): „Aus allen Bundesländern erreichen uns Meldungen, dass einzelne Stationen und Abteilungen auch wegen Personalmangel abgemeldet werden müssen.“ Zeitweise seien selbst Notaufnahmen bei den Rettungsleitstellen betroffen.

„Wir sehen Engpässe in Kliniken, insbesondere in Schleswig-Holstein mit seinen besonders hohen Infektionszahlen“, sagte die Vorsitzende der Ärztegewerkschaft Marburger Bund, Susanne Johna, im Handelsblatt. „Das Gesundheitssystem kommt stellenweise wieder an Grenzen. Im dritten Pandemiejahr ist das eine kleine Katastrophe.“

Mit Blick auf die anstehende Herbstwelle erklärte Johna: „Dann werden wir es nicht nur mit einer Corona-, sondern wahrscheinlich auch mit einer heftigen Grippewelle zu tun haben. Diese Kombination aus Corona- und Influenzawelle wäre ein echtes Problem, da das Gesundheitssystem dann auf großer Front mit zwei ernsten Erkrankungen fertig werden muss.“

Bereits jetzt sind ganze Bereiche großer Kliniken lahmgelegt. Das Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH) musste an den Standorten Kiel und Lübeck einige Stationen aus Personalmangel schließen. Am letzten Freitag befanden sich dort 479 Mitarbeitende in Isolation.

Der seit langem grassierende Personalmangel schlägt auch in anderen Bundesländern voll durch. Auch in sächsischen Krankenhäusern ist wegen Corona-Fällen in der Belegschaft und generell fehlendem Pflegepersonal die Situation extrem angespannt. „Die wirtschaftliche Lage und Personalausfälle erschweren die Situation“, sagte der stellvertretende Geschäftsführer der sächsischen Krankenhausgesellschaft Friedrich R. München. Er wies darauf hin, dass „zukünftige Leistungseinschränkungen“ nicht auszuschließen seien.

Schon jetzt hat sich die Versorgung im Vergleich zur Zeit vor der Pandemie verschlechtert. Im Klinikum St. Georg in Leipzig werden aktuell rund ein Viertel weniger Betten betrieben. Grund dafür sind Personalmangel und Ausfälle durch an Covid-19 erkrankte Mitarbeiter.

Einer Sprecherin des Klinikums zufolge haben so viele Pflegekräfte wie noch nie in den letzten beiden Jahren beschlossen, aus der Pflege auszusteigen. Nur durch den „engagierten Einsatz unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“ sei bislang die Schließung ganzer Stationen vermieden worden.

In der Asklepios Klinik Nord Heidberg in Hamburg konnten laut dem Unternehmen in der vergangenen Woche nur fünf von elf OP-Sälen betrieben werden. Auch am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) sind alle Bereiche von Personalausfällen betroffen. „Rund 250 von mehr als 14.400 Mitarbeitenden befinden sich derzeit in Isolation. Deswegen müssen seit Beginn der Pandemie immer wieder geplante und nicht dringliche Operationen verschoben und Betten gesperrt werden“, erklärte die Klinik.

Deutschlandweit räumten dutzende weitere Kliniken eine Reduzierung ihrer OP-Kapazitäten ein.

Im Klinikum im bayerischen Erding sind derzeit von 800 Beschäftigten durchschnittlich 140 pro Tag krank. Hinzu kommen zahlreiche offene Stellen, die nicht besetzt werden können. Mittlerweile ist eine Station komplett geschlossen, andere können nur in eingeschränktem Umfang betrieben werden, und nicht alle planbaren Operationen werden durchgeführt.

Der Merkur berichtet von einem Arzt an einer Münchner Klinik. Dort sind aktuell nur drei von acht OP-Sälen in Betrieb. Es komme vor, dass laufende Operationen wegen eines Notfalls abgebrochen werden. „Und jetzt ist Hochsommer – und nicht Winter.“ So dramatisch habe er den Personalmangel noch nie erlebt, sagt der Mediziner.

Wie katastrophal die Lage an den Krankenhäusern ist, zeigt auch der Streik der Pflegekräfte an den Universitätskliniken in Nordrhein-Westfalen. Beschäftigte streiken an sechs Unikliniken mittlerweile in der zehnten Woche. Während die Gewerkschaft Verdi versucht, dem Streik durch den Abschluss eines so genannten Entlastungstarifvertrags die Spitze zu brechen, protestieren die Beschäftigten gegen die unhaltbaren Bedingungen, die Leben und Wohl von Patienten und Beschäftigten gefährden.

Doch auch angesichts dieser dramatischen Entwicklung bekräftigt die Regierung ihren Kurs. Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und andere Regierungsvertreter machen deutlich, dass es wirkungsvolle Maßnahmen wie Lockdowns und Schul- und Betriebsschließungen unter keinen Umständen mehr geben wird. Bundeskanzler Olaf Scholz erklärte im ARD-Sommerinterview: „Schulschließungen sollte es nicht mehr geben.“

Einige Bundesländer heben die letzten verbliebenen Maßnahmen auf. In Bayern fiel zuletzt die Maskenpflicht im Öffentlichen Personennahverkehr. Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) verteidigte die Entscheidung mit dem rechten Mantra: „Wir setzen damit stärker auf die Eigenverantwortung der Bürgerinnen und Bürger.“

Angesichts der Personalausfälle durch Corona-Infektionen plädierte FDP-Vize Wolfgang Kubicki für eine erneute Verkürzung der Quarantänezeit auf drei Tage.

Auch die Gewerkschaften verteidigen die „Profite vor Leben“-Politik. Gegenüber dem RND forderte Maike Finnern von der Bildungsgewerkschaft GEW die Politik auf, erneute Schul- und Kitaschließungen im Herbst zu vermeiden. Dabei hat gerade die Öffnungen von Kitas und Schulen zu einer explosiven Erhöhung der Infektionen geführt und die Ausbreitung der Virusmutationen erleichtert.

In Berlin macht der Sparkurs des rot-rot-grünen Senats auch vor dem Gesundheitspersonal nicht halt. Alleine der Bezirk Neukölln soll sein Corona-Personal von 54 auf 10 Beschäftigte reduzieren. Neuköllns Amtsarzt Nicolai Savaskan erklärte, damit sei ein Schutz der vulnerablen Gruppen in den Alten- und Pflegeheimen nicht mehr gewährleistet. „Das bedeutet schwere Fälle und Tod,“ so der Mediziner.

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