Mehr als 10.000 Affenpocken-Fälle weltweit

Die Zahl der bestätigten und vermuteten Fälle von Affenpockeninfektionen ist laut offiziellen Zahlen auf über 10.000 weltweit angestiegen. Bis zum 14. Juli gab es insgesamt 11.042 Fälle, davon 11.006 bestätigte.

Der gleitende Sieben-Tages-Durchschnitt ist auf über 500 pro Tag angestiegen. Das Epizentrum des globalen Ausbruchs ist weiterhin Europa. Aus 74 Ländern und Gebieten, in denen die Krankheit nicht endemisch ist, darunter acht auf dem afrikanischen Kontinent, wurden Fälle gemeldet. Sie liegen alle außerhalb der Region Zentralafrika, wo Affenpocken seit Jahrzehnten existieren.

Spanien hat mit 2.447 Infektionen die meisten Affenpocken-Fälle. Deutschland und das Vereinigte Königreich liegen mit 1.790 bzw. 1.789 Fällen fast gleichauf. In Frankreich und Italien steigen die Fallzahlen weiter an, und Russland hat als letztes Land auf der eurasischen Landmasse seinen ersten bestätigten Fall gemeldet.

Daneben steigen die Zahlen der Affenpocken-Fälle auch in Nordamerika stark an, gefolgt von Lateinamerika. Die USA vermeldeten 1.049 Infektionen, was einem gleitenden Durchschnitt von etwa 76 Fällen pro Tag entspricht. Im Vergleich zur letzten Woche ist die Zahl der Fälle um fast 40 Prozent gestiegen.

Kalifornien, New York, Illinois und Washington D.C. verzeichneten die höchsten Infektionsraten. In New York City und San Francisco haben die Gesundheitsämter mitgeteilt, dass ihre Bestände an Affenpocken-Impfstoff, der aus einem abgeschwächten Stamm des Vaccinia-Virus hergestellt wird, erschöpft sind.

Täglicher Anstieg der Affenpocken-Fälle in den USA

In Kanada ist die Zahl der Infektionen seit dem 4. Juli um 60 Prozent bzw. 484 gestiegen. Die meisten Fälle (284) gab es in Québec, doch auch in Ontario und British Columbia steigt die Zahl der Infektionen.

Brasilien meldete bereits am 8. Juni seinen ersten Fall. Bis Ende Juni wurden nur niedrige einstellige Infektionszahlen pro Tag gemeldet, doch dann kam es zu einem plötzlichen Anstieg der Fallzahlen. Die höchste Zahl an einem Tag wurde mit 36 bestätigten Fällen am 6. Juli erreicht. Insgesamt hat das Land nun 227 Fälle gezählt. Zudem haben auch die Gesundheitsämter fast aller Nachbarstaaten Fälle gemeldet. In Mexiko gab es in letzter Zeit ebenfalls einen plötzlichen Anstieg der Fälle.

Der Generaldirektor der Weltgesundheitsorganisation (WHO), Dr. Tedros Adhanom Ghebreyesus, bestätigte bei der Pressekonferenz am letzten Dienstag, dass der Notfallausschuss für Affenpocken erneut zusammenkommen wird, um die jüngsten Trends bei den Infektionen und die Umsetzung von Gegenmaßnahmen der Länder gegen das Virus zu untersuchen.

Am 24. Juni sprach sich der Notfallausschuss mit knapper Mehrheit dafür aus, den Ausbruch noch nicht zur Pandemie zu erklären und sich mehr Zeit zu lassen, während die WHO weitere Erkenntnisse über die Entwicklung der Fälle und die neu betroffenen geografischen Regionen sammelt. Sie wiesen darauf hin, dass die erneute Einberufung des Ausschusses von mehreren Kriterien abhängt, darunter Fallzahlen und Todesfälle, Ausbreitung außerhalb der betroffenen homo- und bisexuellen Bevölkerungsgruppen, Änderungen in der Virulenz des Virus und die Etablierung des Virus in Tierpopulationen.

Sie betonten, dass die WHO und die nationalen Gesundheitsbehörden mit den Hochrisiko-Bevölkerungsgruppen zusammenarbeiten müssen. Die meisten Fälle treten nach wie vor unter homosexuellen Männern und Beschäftigten in Clubs und Bädern auf, in denen es zu solchen sexuellen Aktivitäten kommt. Der Notfallausschuss empfahl den Gesundheitsbehörden außerdem, mit Impfstoffentwicklern zusammenzuarbeiten und Experten auf diesem Bereich zu konsultieren, um das Bewusstsein für die Krankheit zu schärfen und die Infrastruktur für Kontaktverfolgung, Tests und Behandlungen von Infizierten und engen Kontaktpersonen aufzubauen.

Elektronenmikroskopaufnahme von 2003, zur Verfügung gestellt von der US-Seuchenschutzbehörde CDC. Es zeigt ausgewachsene ovale Affenpockenvirionen (links) und kugelförmige unausgereifte Virionen (rechts). Sie stammen von einer menschlichen Hautprobe, die während des Ausbruchs unter Präriehunden 2003 genommen wurde (AP Photo/Cynthia S. Goldsmith, Russell Regner/CDC) [AP Photo/Cynthia S. Goldsmith, Russell Regner/CDC]

Professor Yaneer Bar-Yam, Präsident des New England Complex Systems Institute und Mitbegründer des World Health Network (WHN), hat scharfe Kritik an der Entscheidung der WHO geübt, den Affenpocken-Ausbruch noch nicht zum Gesundheitsnotstand von internationaler Tragweite zu erklären. Das WHN hatte die Affenpocken bereits am 22. Juni, noch vor dem ersten Treffen des Notfallausschusses, vorsorglich zur Pandemie erklärt, um Druck auf die Weltgesundheitsorganisation auszuüben.

Bar-Yam hatte schon im Januar 2020 Besorgnis über die Langsamkeit geäußert, mit der die WHO die Welt vor der Gefahr durch die schnelle weltweite Ausbreitung von Covid-19 gewarnt hat. Vor kurzem erklärte er während eines Online-Webinars zur Affenpocken-Pandemie: „Man sollte die Affenpocken zur Pandemie erklären, um alle zu alarmieren, damit Vorsichtsmaßnahmen ergriffen werden, um weitere Fälle zu verhindern. Das ist die grundlegende Motivation. Wenn [die WHO] allen erzählt, alles sei in Ordnung, dann werden alle weitermachen wie bisher.“

Er fügte hinzu: „Die Länder, in denen es Fälle gibt, beschränken Tests und Interventionen schwerpunktmäßig auf Männer, die Sex mit Männern haben, sowie auf diese Bevölkerungsgruppe und deren Kontaktpersonen. Wie wir von anderen Pandemien wissen, sind die offiziellen Zahlen zu niedrig, und das Ausmaß der Übertragungen ist unklar, sodass wir vor der Herausforderung stehen, das tatsächliche Ausmaß festzustellen.“

Gastrednerin Dr. Kavita Patel, eine Hausärztin in Washington D.C. und ehemalige Direktorin des White House Office of Intergovernmental Affairs and Public Engagement unter Präsident Obama, sprach über die mangelnde Vertrautheit von Ärzten und Gesundheitsinstituten mit Affenpocken-Infektionen.

Sie erklärte: „Die meisten denken gar nicht an diese Diagnose, solange der Patient nicht direkt auf einen Ausschlag oder auf Affenpocken hinweist. Es gibt jetzt so viele Lücken in der Ausbildung“, sowohl im Gesundheitswesen als auch auf kommunaler Ebene. Sie fügte hinzu, es sei dringend notwendig, sofort Tests und Impfkliniken einzurichten.

Dr. Patel erklärte außerdem, es gebe mittlerweile fünf kommerzielle Laboratorien in den USA, die PCR-Tests für Affenpocken durchführen können: Aegis Science, LabCorp, Mayo Clinic Laboratories, Quest Diagnostic und Sonic Healthcare. Allerdings erklärte sie auch: „In den USA können wir etwa 60.000 Tests pro Woche durchführen, aber das reicht nicht.“ Zudem können das Testen und die Bearbeitung der Proben arbeitsintensiv sein und bis zu drei Tage dauern, was die Diagnose weiter verzögert und die Ausbreitung des Virus begünstigt.

Weiter erklärte sie: „Das war genau das, was wir schnell gebraucht haben, um die Krankheit eingedämmt zu halten und eine Ring-Impfstrategie anzuwenden – eine post-prophylaktische Strategie [bei der die Impfstoffe nach Kontakt mit dem Erreger verabreicht werden, um die Schwere der Erkrankung zu verringern]. Wenn wir bessere, breiter verfügbare Tests gehabt hätten, wäre es besser verlaufen. Jetzt ist uns in New York City, Washington und San Francisco der Jynneos [Affenpockenimpfstoff von Bavarian Nordic] ausgegangen. Wir verwenden jetzt den Pockenimpfstoff, aber das ist wegen seiner furchtbaren Nebenwirkungen sehr schwierig.“

Da der Hersteller des Affenpockenimpfstoffs derzeit die Systeme in seinen Werken modifiziert, wird die Impfstoffproduktion in den nächsten Monaten eingeschränkt sein. Modellberechnungen der Affenpocken-Fälle führen zu Schätzungen, wonach das Vereinigte Königreich bis Ende des Jahres mit 60.000 Fällen pro Tag und möglicherweise eine halbe Million Fälle oder mehr bis Ende September rechnen könnte.

Der Epidemiologe Dr. Eric Feigl-Ding, einer der Mitbegründer des WHN, warnte, die Fallzahlen seien zwar weiterhin niedrig, würden aber um etwa 40 bis 50 Prozent pro Woche steigen, d.h. innerhalb von sechs Wochen um das Zehnfache. Er erklärte: „Die Fallzahlen steigen von 300 auf 400 Fälle pro Woche im Sieben-Tages-Durchschnitt. Die USA haben die Marke von 1.000 Fällen überschritten, und die Zahl der Fälle nimmt schneller zu.“

Er kritisierte die willkürliche und mechanische Risikokategorisierung der CDC, die jeden als intermediäres Risiko einstuft, der mehr als sechs Stunden ohne Maske mit einer infizierten Person in engem Kontakt steht. Die Forumsteilnehmer forderten die Zuhörer auf, zu verstehen, dass alle Übertragungswege möglich sind, und sich im Klaren darüber zu sein, dass die Pocken, die zur gleichen Virusfamilie gehören wie die Affenpocken, über die Luft übertragen werden können.

Bar-Yam fügte hinzu: „Masken tragen ist eine gute Idee, aber es gibt keine Richtlinie dafür. Masken sind wichtig, und sie müssen anerkannt werden. Es scheint konkurrierende Fraktionen innerhalb der CDC zu geben, die Unterschiedliches empfehlen. Die Verwirrung ist gefährlich, und klare Richtlinien sind notwendig.“ Das vom WHN gesponserte Forum rief alle dazu auf, Maske zu tragen und wies darauf hin, dass die CDC zuvor ihren Einsatz gegen Affenpocken befürwortet hatte.

Zum Schluss seiner einleitenden Bemerkungen warnte Feigl-Ding, dass angesichts der zunehmenden Fälle von Affenpocken in der Bevölkerung und der bevorstehenden Öffnung der Schulen in diesem Herbst die Wahrscheinlichkeit einer Ausbreitung dieser Infektionen unter Kindern ein großes Problem darstelle, da das Virus für die Jüngsten am gefährlichsten sei. Zudem haben Kinder noch nie eine Impfung gegen Pocken erhalten, sodass sie immunologisch naiv gegenüber dem Virus sind und keinen Schutz davor haben.

Bar-Yam erklärte, die Hinweise auf schwerere Krankheitsverläufe bei Kindern stammten aus klinischen Erfahrungen in afrikanischen Ländern, in denen das Virus endemisch ist. In bevölkerungsbezogenen Studien über Affenpocken stellen Kinder den Großteil der Patienten in Krankenhäusern und Intensivstationen. Er warnte auch vor den katastrophalen Folgen einer Affenpocken-Infektion für Patienten mit geschwächtem Immunsystem und bei Schwangeren.

Die Forumsteilnehmer wiesen auch auf die Vorbehalte gegenüber dem Jynneos-Impfstoff hin. Er ist zwar für immungeschwächte Patienten sicher, allerdings wurde er noch nicht bei Schwangeren und stillenden Frauen untersucht und ist für Personen unter 18 Jahren, der am meisten gefährdeten Bevölkerungsgruppe, nicht zugelassen.

Auf eine Frage aus dem Publikum, ob die Gesundheitssysteme zu Übertragungsvektoren des Affenpockenvirus werden könnten, erklärte sich Dr. Patel sehr besorgt über dieses Problem. Angesichts des fehlenden Bewusstseins der meisten Gesundheitseinrichtungen gegenüber Anzeichen und Symptomen von Affenpocken und der Wartezeit auf die Testergebnisse sei diese Möglichkeit durchaus gegeben. Die Krankenhäuser sollten Vorkehrungen gegen die Übertragung von Affenpocken über die Luft treffen. Weiter erklärte Patel: „Wenn Patienten negativ auf Covid-19 getestet werden, lassen die Gesundheitsdienstleister die Routineverfahren schleifen.“ Sie forderte, dass diejenigen, die an vorderster Front im Gesundheitswesen tätig sind, sich zum eigenen Schutz und dem ihrer Patienten gegen Affenpocken impfen lassen sollten.

Bar-Yam fasste zusammen: „Die Ausrufung einer Pandemie durch die WHO wäre wichtig. Allerdings gibt es nach wie vor ein Führungs-Vakuum... Ich habe vor kurzem an einem Treffen der WHO teilgenommen. Sie fordern keine Maskenpflicht oder Tests von Reisenden. Sie haben zwar gesagt, dass es nicht nur sexuelle Übertragungen gibt, sondern dass sich jeder infizieren kann, haben aber nicht deutlich gemacht, wie dringlich die Lage ist. Dass die Fälle schnell identifiziert werden müssen, wurde nicht gut kommuniziert. Es besteht der Wunsch, Ruhe zu bewahren, allerdings wird das so interpretiert, als sei die Lage nicht dringlich. Um dieses Problem zu lösen, müssen wir zunächst deutlich machen, dass Handeln dringend notwendig ist.“

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