Die globale Bedeutung des Rückgriffs auf außerparlamentarische Herrschaftsformen in Australien

Die Ereignisse der letzten Woche in Australien sind eine Warnung an die Arbeiterklasse auf der ganzen Welt: Die Kapitalistenklassen, die eine Explosion sozialer Unruhen und politischer Unzufriedenheit befürchten, gehen rasch zu diktatorischen Herrschaftsformen über.

Hinter dem Rücken der Bevölkerung und dem Feigenblatt parlamentarischer Herrschaft wurden beispiellose Entscheidungen getroffen, die das milde Mittel der Rechenschaftspflicht der Exekutive gegenüber den gewählten Vertretern beseitigen.

Scott Morrison und Generalgouverneur David Hurley im Jahr 2019 im Parlament (Foto: Facebook / Generalgouverneur von Australien) [Photo: Governor-General of Australia]

Vieles bleibt im Verborgenen, doch bisher haben die Enthüllungen in den bürgerlichen Medien und im politischen Establishment gezeigt, dass der damalige liberal-nationale Premierminister Scott Morrison ab März 2020 heimlich die gemeinsame Kontrolle über mindestens fünf Schlüsselministerien übernahm und die Macht über das Gesundheitswesen, die Staatsfinanzen, die Industrie sowie den Polizei- und Geheimdienstapparat zusammenlegte. Zumindest in einigen Fällen scheint es, dass die zuständigen Minister nichts von Morrisons Schritten wussten.

Australien wird in den Medien routinemäßig als stabile parlamentarische Demokratie dargestellt, was falsch ist. Australiens herrschende Elite spielt zudem eine Schlüsselrolle in den eskalierenden Kriegsvorbereitungen und Provokationen der USA gegen China und behauptet, für „Demokratie“ und gegen „Autokratie“ einzutreten.

Sobald die globale Covid-19-Pandemie ausbrach, zeigte sich jedoch, wie schnell das politische Establishment aus Angst vor Massenunruhen auf außerparlamentarische und konspirative Herrschaftsformen zurückgriff.

Vor allem fürchtete man eine Bewegung in der Arbeiterklasse gegen die Weigerung der Regierungen, die Bevölkerung zu schützen, als die Gesundheitssysteme zusammenbrachen – und gegen die Weigerung, Millionen Arbeiter finanziell zu unterstützen, die ihre Lebensgrundlage zu verlieren begannen, als die Pandemie international um sich griff.

Unterstützt wurde Morrison von Generalgouverneur David Hurley – dem Vertreter der britischen Monarchie, der zugleich das australische Staatsoberhaupt ist – und einem ehemaligen Chef der Streitkräfte mit engen Verbindungen zum Militär und zu den Geheimdiensten, darunter denen der USA und des Vereinigten Königreichs. Hurley ernannte Morrison heimlich in diese wichtigen Ämter, ohne dass dies öffentlich dokumentiert geschweige denn verkündet wurde.

Auf diesen beispiellosen Vorgang folgte einen Tag später wie unter Kriegsbedingungen die Bildung eines verfassungswidrigen „Nationalkabinetts“. Dieses bestand aus den Regierungschefs der Bundesstaaten und Territorien – die mehrheitlich der Labor Party angehörten – und sollte eine De-facto-Koalitionsregierung schaffen. Gleichzeitig wurden das Bundesparlament und seine Pendants in den Bundesstaaten und Territorien monatelang faktisch ausgeschaltet.

Bewusst abgeschirmt durch Vertraulichkeit, Geheimhaltung und Immunität gegenüber den Gesetzen zur Informationsfreiheit, bestand die zentrale Aufgabe dieses bis dahin nicht gekannten Nationalkabinetts nicht darin, die Bevölkerung zu schützen, sondern genau das Gegenteil zu tun: Den Forderungen von Ärzten, Lehrern und anderen Arbeitern sowie dem Rat von Gesundheitsexperten entgegenzutreten, die nach gesundheitlichen Notfallmaßnahmen wie der Schließung von Veranstaltungsorten, Schulen und unsicheren Arbeitsplätzen riefen.

Von Anfang an ging es der herrschenden Klasse und ihren politischen Dienern – der Liberal-Nationalen Partei ebenso wie der Labor Party – darum, die Öffentlichkeit über die schreckliche Bedrohung für Gesundheit und Leben zu täuschen und jegliche Einschränkungen zu verhindern, die sich auf die Unternehmensprofite auswirken würden.

Zuvorderst handelte es sich darum, den Widerstand von Arbeitern und Angehörigen der Gesundheitsberufe zu ersticken und zu unterdrücken, während sich die Pandemie ausbreitete. Wie Morrison letzte Woche erklärte, als er seine Machtfülle offensiv verteidigte: „Die Aussicht auf zivile Unruhen, zahlreiche Todesopfer und einen wirtschaftlichen Zusammenbruch war real.“

Ähnliche Befürchtungen gab und gibt es in den Reihen der herrschenden Klassen auf der ganzen Welt. Die Pandemie setzt sich ungebremst fort und heizt die Unzufriedenheit der Massen weiter an, die durch die Lebensmittel-, Treibstoff- und Lebenshaltungskrise, die immer größer werdende soziale Ungleichheit, die durch den Klimawandel verursachten Katastrophen und das Herannahen eines atomar geführten dritten Weltkriegs hervorgerufen wird.

Wie Leo Trotzki 1929 warnte, brechen mit dem Aufkommen des Faschismus die Regulatoren und Stoßdämpfer der bürgerlichen Demokratie unter „dem gewaltigen Druck der Klassenkämpfe und der internationalen Gegensätze“ zusammen. Und wie er damals in Bezug auf den italienischen Faschismus schrieb, mag die Gicht im kleinen Finger oder Zeh beginnen, doch sie breitet sich aus und erreicht schließlich das Herz.

Heute ist die Fäulnis der bürgerlichen Demokratie am stärksten in den USA ausgeprägt, dem globalen Herz des Imperialismus. Das hat der damalige Präsident Donald Trump am 6. Januar 2021 bewiesen, als er mit der Unterstützung faschistischer Kräfte versuchte, das Ergebnis der Präsidentschaftswahlen des Jahres 2020 zu kippen und die Macht zu übernehmen. Diese Bedrohung ist keineswegs verschwunden, sondern hält an und wird von der untätigen Reaktion der Biden-Regierung und der Demokratischen Partei unterstützt.

Überall auf der Welt finden ähnliche Entwicklungen statt. Die Fassade der Demokratie erweist sich als unfähig, die Klassen- und geostrategischen Konflikte einzudämmen – vom Kollaps der Johnson-Regierung im Vereinigten Königreich über die Installation eines repressiven Regimes unter Ranil Wickremesinghe in Sri Lanka bis hin zur schleichenden Rückkehr zum Kriegsrecht auf den Philippinen unter Präsident Ferdinand Marcos Jr.

In Australien versuchen die derzeitige Labor-Regierung von Premierminister Anthony Albanese und die bürgerlichen Medien verzweifelt, das ganze Ausmaß der Geschehnisse zu vertuschen und die weitreichenden politischen Implikationen zu verschleiern. Gleichzeitig behalten sie das nationale Kabinett, das immer noch von absoluter Geheimhaltung umhüllt ist, als Herrschaftsmechanismus bei.

Sie fürchten, dass jede weitere Enthüllung der wahren inneren Abläufe des kapitalistischen Staates weiter öffentliche Unzufriedenheit und Feindseligkeit schüren wird. Diese Stimmung zeigte sich bereits bei den bundesweiten Wahlen im Mai, als die Stimmen für die beiden wichtigsten Parteien der kapitalistischen Herrschaft – Labor und die Liberal-Nationale Koalition – zusammen auf einen historischen Tiefstand fielen.

Das hat eine tiefe politische Krise heraufbeschworen. Labor gelangte nur mit der Unterstützung eines Drittels der Wähler ins Amt, ist aber entschlossen, die immer üblere profitgetriebene „Durchseuchungs“-Katastrophe in der Pandemie fortzusetzen. Inmitten steigender Inflation sollen die größten Reallohnkürzungen seit der Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre durchgesetzt, die Sozialausgaben gekürzt und die Vorbereitungen auf einen US-geführten Krieg gegen China intensiviert werden.

Morrisons Taten werden absurderweise auf einen „Egotrip“ oder die größenwahnsinnigen Neigungen eines Einzelnen zurückgeführt. Doch es ist bereits bekannt, dass er die Kontrolle über die mächtigen Ministerien mit dem Wissen und der Zustimmung von Schlüsselfiguren des Staatsapparats übernommen hat – darunter der Generalgouverneur, der Generalstaatsanwalt, der nationale Sicherheitsausschuss des Kabinetts, sowie andere Minister und hohe Beamte. Auch Rupert Murdoch und sein Imperium wussten Bescheid, weil zwei australische Journalisten permanent über Morrison informiert waren. Sie verfassten über ihn ein Buch mit dem Titel „Plagued“, das seine angeblichen Errungenschaften pries und erst nach den Wahlen im Mai veröffentlicht wurde.

Die führenden Gewerkschaftsfunktionäre, die im Nationalkabinett ständig mit Morrison zusammenarbeiteten, müssen ebenfalls Bescheid gewusst haben. Auch Albanese selbst arbeitete eng mit Morrison und seiner Regierung zusammen und unterstützte parteiübergreifend alle wichtigen Maßnahmen, die die Regierung während der Pandemie ergriff.

Hurleys Rolle in dieser politischen Krise ist von besonderer Bedeutung, da er als ehemaliger Militärchef – wie sein Vorgänger Sir Peter Cosgrove – über enge Verbindungen zu den Militär- und Geheimdienstapparaten und ihren Partnern in den USA und im Vereinigten Königreich verfügte. Dass Hurley als Vertreter der Königin an Morrisons Machtanmaßung zentral beteiligt war, bedeutet, dass Spitzenkräfte in diesen Netzwerken – auch in London und Washington – von diesen Vorgängen gewusst und sie unterstützt haben müssen.

Morrison selbst hatte sehr gute Beziehungen zu Trump, mit dem er sich politisch identifiziert. Er hat sich nachdrücklich geweigert, Trumps Putschversuch vom 6. Januar zu verurteilen. Zugleich bemühte er sich jedoch rasch um engere Beziehungen zum Weißen Haus unter Biden. Dies galt insbesondere, als Biden begann, den Konflikt mit China schnell zu verschärfen und Washington von der australischen Regierung – im aggressiven Bestreben, die globale Vorherrschaft der USA wiederherzustellen – bedingungslos eine Rolle an vorderster Front einforderte.

Morrisons zweite Welle von Selbsternennungen auf Ministerposten erfolgte im April und Mai 2021 vor dem Hintergrund der sich verschärfenden Kriegspläne der neuen Biden-Regierung gegen Russland und China, in denen Australien eine Schlüsselrolle spielte und an vorderster Front stand. Ungefähr zu dieser Zeit berief Biden das erste Führungstreffen des anti-China-„Quads“ ein (bestehend aus den USA, Japan, Indien und Australien). Zugleich führte Biden Hinterzimmergespräche mit Morrison und dem britischen Premierminister Johnson über das AUKUS-Militärbündnis, das offen gegen China gerichtet ist und im September 2021 verkündet wurde.

Morrison war zudem über die Ankunft der noch tödlicheren Delta-Welle der Pandemie im Bilde, die die erste Offensive des Nationalkabinetts zunichte machen würde, die „Wirtschaft wiederzueröffnen“. Vor diesem Hintergrund übernahm er die direkte Kontrolle über das Finanzministerium und zwei Super-Ressorts – das für Industrie, Wissenschaft, Energie und Ressourcen und das für innere Angelegenheiten, das die australische Bundespolizei, die Australian Security Intelligence Organisation (ASIO) und die Australian Border Force befehligt.

Die WSWS hat bereits die Forderung erhoben, dass die gesamte Korrespondenz zwischen Morrison, dem Generalgouverneur, den US-amerikanischen und australischen Geheimdiensten und der Labor-Führung, sowie die noch geheimen Dokumente des Nationalkabinetts unverzüglich offengelegt werden, um die Wahrheit hinter diesen Entwicklungen ans Licht zu bringen.

Bereits in früheren politischen Krisen Australiens wurde die Fassade der parlamentarischen Demokratie beiseite geschoben und die zugrunde liegende Schwäche und Zerbrechlichkeit des australischen Kapitalismus offenbart. Jedes Mal trugen die Ereignisse deutlich sichtbar die Fingerabdrücke Washingtons – ein Ausdruck der Tatsache, dass die australische herrschende Klasse in hohem Maße von der Unterstützung durch die imperialistische Großmacht abhängt.

Im Jahr 1975 wurden gemäß der Verfassung aus der Kolonialzeit von 1901 die „Reservebefugnisse“ des Generalgouverneurs zur Anwendung gebracht, um die Labor-Regierung von Gough Whitlam zu entlassen, nachdem es ihr inmitten des weltweiten Aufschwungs nicht gelungen war, die Streiks und Kämpfe der Arbeiterklasse von 1968-75 einzudämmen.

Wie von WikiLeaks veröffentlichte Dokumente später belegen sollten, wurde Premierminister Kevin Rudd im Jahr 2010 auf Betreiben geschützter US-Quellen in der Führung der Labor-Partei abgesetzt, nachdem er eine Einigung mit dem aufsteigenden China vorgeschlagen hatte. Rudd wurde ersetzt durch Julia Gillard und die bedingungslose Ausrichtung entlang des „Pivot to Asia“ der Obama- und Biden-Regierungen, der sich gegen China richtete.

Im Jahr 2018 wurde Morrison selbst als Premierminister installiert und von Trump gefeiert, nachdem die Liberale Partei Malcolm Turnbull abgesetzt hatte, den Washington in der eskalierenden Offensive gegen China als nicht zuverlässig genug ansah.

Wenn Morrison die von ihm angehäuften Befugnisse nicht offen einsetzte – mit einer bekannten Ausnahme, als er die Genehmigung eines umstrittenen Offshore-Erdölförderprojekts verweigerte –, dann deshalb, weil seine Regierung auch die Führer der Labor-Partei und der Gewerkschaften einschaltete, um den Widerstand der Arbeiter gegen die tödlichen Schul- und Fabriköffnungen und gegen den Abbau von Arbeitsplätzen, Löhnen und sozialen Errungenschaften zu unterdrücken.

Im Mai 2020 lud Morrison die Sekretärin des Australian Council of Trade Unions (ACTU) Sally McManus heimlich in die offizielle Residenz des Premierministers in Sydney ein, um vertrauliche Gespräche darüber zu führen, wie die Pandemie genutzt werden könnte, um die gewerblichen Beziehungen umzustrukturieren. Christian Porter, Minister für Arbeitsbeziehungen, hatte McManus bereits im Monat zuvor als seine „BFF“ (beste Freundin für immer) bezeichnet. Gegenüber den Arbeitgebern hatte sie gesagt: „Durch Zusammenarbeit könnt ihr alles erreichen, was ihr wollt.“

Diese Entwicklungen müssen eine Warnung sein. Unter Bedingungen zunehmender Kriegsspannungen, der anhaltenden Pandemiekatastrophe, der Teuerungskrise und der rasant wachsenden sozialen Ungleichheit gleitet Australien nicht weniger als die USA und andere Länder in diktatorische Formen der Herrschaft ab – mit der Komplizenschaft des Labor- und Gewerkschaftsapparats.

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