Putin besucht Kaliningrad, während ukrainische Gegenoffensive ins Stocken gerät

Am Donnerstag besuchte der russische Präsident Wladimir Putin Kaliningrad, eine russische Enklave an der Ostsee. Sie ist durch die Suwałki-Lücke entlang der polnisch-litauischen Grenze vom mit Russland verbündeten Belarus getrennt.

Inmitten des imperialistischen Stellvertreterkriegs gegen Russland in der Ukraine ist die Suwałki-Lücke zum Brennpunkt der wachsenden Spannungen zwischen der Nato und Russland geworden. Der Landstrich verläuft durch Nato-Gebiet, und sowohl Litauen als auch Polen haben systematisch versucht, einen Konflikt mit Russland zu provozieren. Zunächst versuchten sie, Frachtlieferungen aus Russland nach Kaliningrad zu verbieten, und vor kurzem stellten sie fast allen russischen Bürgern keine Visa mehr aus. Kommentatoren warnen seit langem davor, dass ein direkter militärischer Konflikt zwischen der Nato und Russland in Europa wahrscheinlich an der Suwałki-Lücke beginnen würde.

Die Spannungen zwischen der EU und Russland haben sich in dieser Woche auch deshalb verschärft, weil die EU die Erteilung von Visa an russische Staatsangehörige im Rahmen der anhaltenden Konflikte um russische Gaslieferungen nach Europa, vor allem über die russisch-deutsche Nord-Stream-Pipeline, erheblich erschwert hat.

Putins Besuch am Donnerstag diente eindeutig dazu, Russlands Anspruch auf Kaliningrad zu bekräftigen. Es war auch eine der seltenen Gelegenheiten, bei denen Putin offen über den laufenden Krieg in der Ukraine sprach. In einer Diskussion mit Gymnasiasten erklärte er, dass in der Ukraine nach dem von den USA unterstützten Putsch von 2014 eine „antirussische Enklave“ entstanden sei, die eine Bedrohung für Russland darstelle. Die Liquidierung dieser „Enklave“, so Putin, sei das Hauptziel der offiziell als „russische Spezialoperation“ bezeichneten Maßnahme in der Ukraine. „Deshalb verteidigen unsere Leute, die dort kämpfen, sowohl die Bürger des Donbass als auch Russland selbst“, sagte Putin.

Sein Auftritt in Kaliningrad erfolgte inmitten von Anzeichen dafür, dass sich der Kreml auf einen langwierigen Konflikt mit den imperialistischen Mächten vorbereitet, der durchaus über die Grenzen der Ukraine hinausgehen könnte.

Die am Montag mit großem Getöse angekündigte Gegenoffensive der ukrainischen Armee zur Rückeroberung der strategisch wichtigen Stadt Cherson im Süden der Ukraine scheint bereits ins Stocken geraten zu sein.

In einem ungewöhnlich unverblümten Kommentar für die Washington Post hat David Ignatius beinahe zugegeben, dass die imperialistischen Unterstützer der Ukraine nicht einmal mit deren Erfolg rechnen. Die Regierung Biden hat allein seit Februar über 50 Milliarden Dollar für die Aufrüstung der Ukraine ausgegeben, darunter ein Paket, das Waffenlieferungen für mindestens drei weitere Jahre vorsieht.

Ignatius schrieb:

Während die Ukraine eine neue Gegenoffensive im südlichen Teil des Landes beginnt, besteht die Gefahr, dass Selenskyjs Angeberei die Erwartungen zu hoch schraubt. In Wahrheit wird die Ukraine ihr Territorium wahrscheinlich nicht mehr in diesem oder sogar im nächsten Jahr befreien. Während die ukrainischen Streitkräfte zur Schwarzmeerküste vorstoßen, antwortet Selenskij dennoch trotzig auf die Behauptung von Präsident Wladimir Putin, die Ukraine sei kein richtiges Land. Die Ukraine kann nicht nur überleben, sondern auch einen Teil ihres besetzten Landes zurückgewinnen.

Ignatius lobte dann die Fähigkeit der Ukraine, mit von den USA gelieferten High Mobility Artillery Rocket Systems (HIMARS) und anderen Präzisionswaffen russische Militärhauptquartiere, Munitionsdepots und andere militärische Infrastrukturen zu treffen. Vor allem aber hob er den ukrainischen Aufstand als Schlüsselkomponente dieses Krieges hervor und räumte stolz ein, dass er von Washington fast acht Jahre lang vorbereitet worden sei. Er schrieb:

Diese Partisanenkampagne ist ebenso wie der HIMARS-Präzisionsbeschuss ein Produkt der US-amerikanischen Planung und Ausbildung der ukrainischen Streitkräfte. Seit 2014 bringen US-Spezialeinheiten den Ukrainern bei, wie man gegen eine Besatzungsarmee kämpft – mit Spezialeinheiten, wie sie schon gegen die Kämpfer von Al-Qaida und dem Islamischen Staat so erfolgreich waren.

Ignatius zitierte dann aus einem Interview mit General Richard Clarke, der demnächst als Leiter des U.S. Special Operations Command in den Ruhestand geht: „Wir haben 2014 damit begonnen, die Bedingungen festzulegen. Als die Russen im Februar einmarschierten, hatten wir bereits seit sieben Jahren mit den ukrainischen Sondereinsatzkräften zusammengearbeitet. Mit unserer Unterstützung haben sie ihre Kapazitäten aufgebaut, so dass sie nicht nur zahlenmäßig, sondern vor allem auch in Bezug auf ihre Fähigkeiten gewachsen sind“ – sowohl im Hinblick auf Kampfhandlungen, als auch auf Geheimdienstoperationen.

Clarke zufolge wurden die Spezialkräfte-Brigaden insbesondere in Cherson, Saporischschja und im Donbass systematisch aufgebaut – alles Gebiete, die jetzt im Zentrum der Kämpfe stehen. So rühmte sich Ignatius:

Dieser Guerillakrieg hat zu einer hohen Zahl von Toten unter pro-russischen Beamten und Regierungsvertretern in den besetzten Gebieten geführt. In den letzten Wochen wurden pro-russische Regierungsvertreter durch Autobomben, Bomben am Straßenrand, Gift und Schrotflinten getötet oder verletzt.

Mit anderen Worten: Den USA geht es nicht um einen tatsächlichen militärischen „Sieg“ der Ukraine, weder bei dieser Gegenoffensive noch im Krieg insgesamt. Das Kalkül ist vielmehr, dass eine unglaublich hohe Zahl von Todesopfern durch einen langwierigen Krieg und einen von den USA bewaffneten und ausgebildeten Aufstand zur Destabilisierung Russlands beitragen und einen lange geplanten Regimewechsel sowie die Aufteilung des Landes selbst erleichtern würde.

Das Putin-Regime, das aus der Restauration des Kapitalismus durch die Sowjetbürokratie hervorgegangen ist, ist völlig unfähig, auf die Bedrohung durch den Imperialismus anders zu reagieren als durch die Förderung von Nationalismus, Militarismus und Klassenkampf im eigenen Land gegen die Arbeiterklasse. Die Invasion am 24. Februar selbst wurde zwar vom Imperialismus provoziert, war aber ein verzweifelter Versuch, das Druckmittel des Regimes bei den Verhandlungen mit den imperialistischen Mächten zu verstärken. Doch das Gegenteil war der Fall. Die Invasion wurde von den imperialistischen Mächten als dringend benötigter Vorwand genutzt, um ihre lang gehegten Kriegspläne gegen Russland umzusetzen und ihre militärische Aufrüstung für eine imperialistische Neuaufteilung der Welt zu eskalieren.

In einem bemerkenswerten Aufsatz für das Think-Tank-Magazin Russia in Global Affairs gab Sergej Karaganow, der seit langem als außenpolitisches Sprachrohr des Kremls fungiert, tatsächlich zu, dass Moskau keinen wirklichen Plan für den Krieg hatte, sondern sich nun auf einen langwierigen Konflikt mit der Nato einstellen müsse. Er schrieb, dass die endgültigen Ziele von Russlands „spezieller Militäroperation“ in der Ukraine „noch nicht feststehen.“

Im gleichen Atemzug betonte er, dass die offiziell erklärten Ziele, die Ukraine zu „entmilitarisieren“ und zu einem „neutralen Staat“ im Konflikt zwischen Russland und der Nato zu machen, immer noch „realisierbar“ seien. Um sie zu erreichen, „muss Russland jedoch politisch, moralisch und wirtschaftlich auf eine langwierige Militäroperation vorbereitet sein, die ständig am Rande einer Eskalation mit dem Westen steht, einschließlich und bis hin zu einem begrenzten Atomkrieg.“

Karaganow ging dann ausführlich auf die Gefahr ein, dass ein solch langwieriger Krieg wie der Erste Weltkrieg in einer revolutionären Bewegung der Massen oder, wie er es ausdrückte, „der Katastrophe von 1917“ enden könnte. Er wies auf die verheerenden Auswirkungen des von der Nato geführten „Wirtschaftskriegs“ auf die arbeitende Bevölkerung hin und warnte davor, dass dies letztlich die öffentliche Meinung gegen den Krieg wenden könnte.

Um eine Wiederholung der „Katastrophe von 1917“ zu verhindern, forderte Karaganow eine Säuberung innerhalb der politischen und wirtschaftlichen Elite Russlands. Er forderte eine „vollständige Nationalisierung der russischen Eliten, eine Verdrängung aller kompradorischen und pro-westlichen Elemente und Stimmungen“ sowie die Errichtung einer weitestgehenden wirtschaftlichen Autarkie. Er bestand darauf, Russland müsse in eine „Festung“ verwandelt werden.

In einer Demonstration desselben halb wahnhaften großrussischen Chauvinismus, der heute die russische Staatspropaganda durchdringt, präsentierte Karaganow den Krieg als Speerspitze von Russlands angeblicher Mission zur Rettung der Zivilisation in einem antiwestlichen Kreuzzug. Er schrieb: „Wir sind die Zivilisation der Zivilisationen, die Stütze des Widerstands gegen den Neokolonialismus und für die freie Entwicklung der Zivilisationen und Kulturen.“

Die Arbeiter in Russland und in der ganzen Welt müssen diese reaktionäre Förderung des russischen Nationalismus und die bankrotte Politik der „nationalen Verteidigung“ durch die russische Oligarchie zurückweisen. Der imperialistische Stellvertreterkrieg in der Ukraine ist letztlich das Ergebnis der stalinistischen Reaktion auf die Oktoberrevolution von 1917, in der die Arbeiterklasse, angeführt von der bolschewistischen Partei, zum ersten Mal in der Geschichte die Staatsmacht ergriff. Die Revolution setzte dem Ersten Weltkrieg ein Ende und eröffnete die Epoche der sozialistischen Weltrevolution.

Der jahrzehntelange stalinistische Verrat am marxistischen Programm des Oktobers führte schließlich 1991 zur Zerstörung der Sowjetunion, die den Weg für die Herrschaft einer kriminellen Oligarchie sowohl in Russland als auch in der Ukraine ebnete – und für jahrzehntelange imperialistische Kriege, die nun in den Anfängen eines neuen Weltkriegs gipfelten. Der einzige Weg, der sich abzeichnenden Katastrophe ein Ende zu setzen, liegt in der Besinnung auf die sozialistischen und internationalistischen Traditionen der internationalen Arbeiterklasse, die die Grundlage für die Revolution von 1917 bildeten. Dies erfordert vor allem den Aufbau des Internationalen Komitees der Vierten Internationale, in Russland ebenso wie in der Ukraine.

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