Deal der Vereinigung Cockpit mit dem Vorstand: Ausverkauf der Lufthansa-Piloten

Die Pilotengewerkschaft Vereinigung Cockpit (VC) hat sich am 6. September mit dem Lufthansa-Vorstand auf einen neuen Deal geeinigt und alle bereits beschlossenen Streikmaßnahmen kurzfristig abgesagt.

Das Abkommen, dessen Inhalt erst am 12. September bekannt wurde, sieht eine Erhöhung des monatlichen Grundlohns für alle Piloten und Copiloten der Lufthansa-Kerngesellschaft und der Frachttochter Lufthansa Cargo vor. Das Tarifgehalt wird in zwei Schritten, rückwirkend ab dem 1. August 2022 sowie ab dem 1. April 2023, um je 490 Euro angehoben.

Dieser Festbetrag von insgesamt 980 Euro, den alle Lufthansa-Pilotinnen und –Piloten ab dem nächsten April mehr bekommen, wird in den Medien als besondere Vergünstigung dargestellt. „Auch beim Gehalt weilen die Piloten der Lufthansa in höheren Sphären“, spottet beispielsweise das Manager Magazin. Die Piloten lebten „in ihrer eigenen Blase“, schreibt die Süddeutsche Zeitung.

Streikende Piloten im November 2016

Doch tatsächlich bedeutet das Ergebnis angesichts der fast zehnprozentigen Inflation für die meisten Piloten einen empfindlichen Reallohnverlust. Berufseinsteiger und Kopiloten können mit einer jährlichen Steigerung von etwa zehn Prozent die unmittelbare Inflation zwar ausgleichen, alle anderen hingegen erhalten Reallohnkürzungen. Ein Kapitän etwa erhält nur eine nominelle Steigerung von 2,75 Prozent pro Jahr. Ihre ursprüngliche Forderung nach einem automatisierten Inflationsausgleich hat die Gewerkschaft VC ganz aufgegeben.

Selbst die Steigerung bei den unteren Gehaltsklassen wiegt nicht ansatzweise die ungeheuren Summen auf, die die Lufthansa-Mitarbeiter dem Konzern während der Pandemie überlassen haben. Cockpit hat vollständig auf die Rückzahlung dieser Gelder verzichtet und dem Konzern damit Milliardengeschenke gemacht.

Lufthansa hat die Pandemie mit Hilfe der Gewerkschaften genutzt, um lange beschlossene, massive Zugeständnisse bei der Altersversorgung, der Übergangsregelung und den außertariflichen Leistungen durchzusetzen. Die Umstellung der Pensionsregelung wurde schon 2017 beschlossen. Sie trägt erheblich dazu bei, die „Cockpitstückkosten signifikant zu senken“ (wie es in der Lufthansa-Sprache heißt). Sie bedeutet im Wesentlichen, dass der Konzern nur noch die Rentenbeiträge, aber nicht die Höhe der effektiv ausgezahlten Betriebsrente garantiert. Die Piloten müssen somit im Alter das Risiko der Zinsschwankungen selbst tragen.

Was die Übergangszeit betrifft, so wurde das Alter, bei dem Piloten in die Frührente gehen können, sukzessive von 55 auf 60 Jahre angehoben. Dabei ist klar, dass kaum ein Pilot den Dauerstress bei ständiger Zeitverschiebung, Klimawechsel und immer wechselnden Arbeitszeiten bis zum gesetzlichen Rentenalter aushält. Klar ist auch, dass die Zerstörung von Frührente und Übergangsgeldern das Risiko im Flugverkehr gefährlich erhöht.

In der Coronazeit wurden nicht nur die lang geplanten Sparvorhaben energisch durchgesetzt. Hinzu kamen auch die anhaltende Kurzarbeit, der Stellenabbau und das Aussetzen von Tariferhöhungen. Die Flughafengewerkschaften Vereinigung Cockpit, Ufo, Verdi und IGL boten der Lufthansa freiwillig an, die Personalkosten um 50 Prozent zu reduzieren. Unter diesem Druck stellten allein die Pilotinnen und Piloten dem Konzern etwa 800 Millionen Euro zur Verfügung.

Ein Lufthansa-Pilot am Rhein-Main Airport sagte der WSWS: „Wir haben in der Corona-Zeit knapp dreißig Prozent von unserem Gehalt abgegeben. Nicht nur in Form von Geld, sondern auch durch mehr Stunden, die wir arbeiteten, und weniger freie Tage. Wenn man die Inflation hinzurechnet, dann müssen wir jetzt 40 Prozent bekommen.“ Eine Purserin hatte sich ausgerechnet, dass sie dem Konzern während der Pandemie 30.000 Euro zur Verfügung gestellt hatte.

Hinzu kam der Druck auf die Arbeitsplätze: Bei der LH-Tochter Germanwings, die im April 2020 ihren Betrieb einstellte, wurden 281 Piloten entlassen. Fast tausend Flugschülerinnen und -Schüler mussten ihre Ausbildung in der Lufthansa eigenen Schule beenden. Diese hat seither ihr Finanzierungskonzept umgestellt, so dass die neuen Flugschüler jetzt mindestens 30.000 Euro selbst aufbringen müssen.

Von Juni 2021 bis Juni 2022 wurden im Gesamtkonzern im Cockpit fast 3.000 Stellen abgebaut, und neue Einstellungen erfolgen nur zu schlechteren Konditionen. Insgesamt hat der Konzern in der Coronazeit mehr als 30.000 Stellen vernichtet und an Löhnen, Zusatzleistungen und Rentengeldern eine Summe von rund 1,5 Milliarden Euro eingespart.

Mittlerweile schreibt der Lufthansa-Konzern längst wieder schwarze Zahlen: Der operative Gewinn betrug im zweiten Quartal 2022 fast 400 Millionen Euro, Tendenz steigend. Die staatlichen Kredite der Bundesregierung wurden schon bis November 2021 zurückgezahlt und auch der Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) hat seine Anteile mittlerweile mit großem Gewinn wieder abgestoßen. Aber die Verluste, die die Beschäftigten erlitten haben, werden nicht ausgeglichen, sondern nach Möglichkeit zementiert und zur neuen Norm erklärt.

Besonders übel an dem Abschluss ist der Streikverzicht, zu dem sich VC bis Mitte 2023 verpflichtet hat. Er kommt inmitten einer anwachsenden Kampfbereitschaft der Flughafenbeschäftigten der klaren Zusage gleich, dass die Pilotengewerkschaft VC in den kommenden Kämpfen an der Seite des Lufthansa-Konzerns und seiner Aktionäre steht.

„Wir sind aktuell auf einem guten Weg mit der Lufthansa“, erklärt Dr. Marcel Gröls, der neue Vorsitzende der VC-Tarifpolitik, in der Erklärung der Gewerkschaft zu dem Deal. Der jüngste Abschluss sei „ein positives Signal“, auch „in Richtung der Zukunftsfähigkeit der Lufthansa“ heißt es dort. Das richtet sich an die Aktionäre des Konzerns, zu denen Milliardäre wie jetzt auch Klaus-Michael Kühne gehören. Auch Michael Niggemann, Personalvorstand und Arbeitsdirektor des Konzerns, schreibt: „Wir freuen uns, dass uns diese Einigung mit der Vereinigung Cockpit gelungen ist.“

Dabei haben die Beschäftigten auf einen umfassenden Streik gedrängt, der sich gegen die ungeheuren Kürzungen und die Auslagerung von Stellen richtet. Die Lufthansa-Piloten hatten mit 97,6 Prozent für Streik gestimmt; bei der Lufthansa-Cargo waren es sogar 99,3 Prozent, und auch die Eurowings-Piloten haben sich seither mit 97,7 Prozent für Kampfmaßnahmen ausgesprochen. Am 2. September hatten 5.000 Lufthansa-Piloten in einem 24-Stundenstreik rund 800 Flüge mit 130.000 Passagieren ausfallen lassen. Für den 7. September waren weitere zwei Streiktage, bei Lufthansa Cargo sogar drei Streiktage angekündigt.

Wenige Stunden vor Streikbeginn hat VC den neuen Deal mit der Lufthansa unterzeichnet – und alle Kampfmaßnahmen bis zum Sommer nächsten Jahres abgesagt. Dies in einer Situation der Stärke, in der der Betrieb am Flughafen auf Hochtouren läuft und alles vom Flugpersonal abhängt, in der auch die Stimmung im gesamten Flugbetrieb und am Boden aufgrund der Inflation sehr aufgeheizt ist.

Auf der ganzen Welt wächst die Unruhe unter Piloten, Kabinencrews und Bodenbeschäftigten. Überall haben Fluggesellschaften und Flughafenfirmen die Tariflöhne und Errungenschaften durch Entlassungen, Ausgründungen und Lohndumping angegriffen. In Frankreich streiken am heutigen Freitag die Fluglotsen der Gewerkschaft SNCTA, um gegen Inflation und Arbeitsdruck zu kämpfen. Und nicht nur im Luftverkehr: Gerade befinden sich in den USA mehr als 100.000 Eisenbahner im Arbeitskampf.

Die Vereinigung Cockpit hat den Streik der Piloten bewusst von diesen Kämpfen isoliert, um die Forderungen der Beschäftigten zu unterdrücken und der Lufthansa die ungeheuren Summen zu sichern, die sie den Arbeitern abgeknüpft haben.

Um ihre Rechte zu verteidigen, müssen die Piloten diesen Abschluss ablehnen, der VC das Verhandlungsmandat entziehen und sich in unabhängigen Aktionskomitees organisieren. Sie müssen sich mit dem kämpfenden Bodenpersonal und mit ihren Kolleginnen und Kollegen auf der ganzen Welt zusammenschließen, um den Lohnraub zu stoppen und die Massenentlassungen zu verhindern.

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