USA und Russland drohen mit Atomkrieg, während die Referenden in der Ostukraine enden

Am Dienstagabend endete die Abstimmungsfrist für die Referenden in den vier von Russland besetzten Regionen im Osten und Südosten der Ukraine – Cherson, Saporischschja, Lugansk und Donezk. Der Kreml erklärte, alle vier Regionen hätten für den Beitritt zur Russischen Föderation gestimmt.

Vertreter der USA und Russlands verschärften gleichzeitig ihre Drohungen mit einem Atomkrieg. Am Dienstag drohte der ehemalige russische Präsident und stellvertretende Vorsitzende des Sicherheitsrats, Dmitri Medwedew, Russland könne Atomwaffen zur Verteidigung seiner Gebiete einsetzen, einschließlich der in der Ostukraine beanspruchten Regionen. Er betonte, diese Drohungen seien „sicherlich kein Bluff“.  

Medwedew bekräftigte damit die Warnungen, die Präsident Wladimir Putin ausgesprochen hatte, als er nach dem militärischen Debakel in der Region Charkiw die Teilmobilmachung von 300.000 Reservisten ankündigte. Putin schilderte das Ausmaß der imperialistischen Aggression gegen Russland und die Ziele der imperialistischen Mächte, Russland aufzuteilen und zu „zerstören“. Danach drohte er, der Kreml sei zum Einsatz von Atomwaffen bereit und fügte hinzu: „Das ist kein Bluff.“ 

Medwedew äußerte die Hoffnung, dass die Aussicht auf eine „nukleare Apokalypse“ die Nato von einer weiteren Eskalation des Kriegs gegen Russland in der Ukraine abhalten werde, den die imperialistischen Mächte jahrelang vorbereitet und provoziert haben. Doch diese Hoffnungen sind so bankrott wie illusorisch.

Statt von ihrem Kurs abzurücken haben Washington und die Nato betont, sie würden die Gebiete in der Ostukraine „niemals“ als Teil Russlands „anerkennen“. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg twitterte am Dienstag, er habe dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj die „unerschütterliche Unterstützung der Nato für die Souveränität der Ukraine“ zugesichert und betonte, die „Scheinreferenden“ hätten „keinerlei Legitimität. ... Diese Gebiete sind Teil der Ukraine.“

Selenskyjs Berater, Mychailo Podoljak, antwortete auf Medwedew: „Wir werden [trotz der Drohung mit Atomschlägen] weiterhin für die Befreiung unserer Gebiete kämpfen.“

Westliche Regierungsvertreter betreiben, wie es die World Socialist Web Site treffend beschrieben hat, ein nukleares Spiel mit dem Feuer. Sie reagierten auf die offene Gefahr eines Atomkriegs mit einer Mischung aus gleichgültigem Abtun und Drohungen, die die gefährliche Eskalation mit Russland verschärfen sollen. US-Außenminister Antony Blinken drohte am Sonntagabend in einem Interview mit der CBS-Sendung „60 Minutes“ mit „schrecklichen Folgen“, sollte Russland in der Ukraine Atomwaffen einsetzen. 

Blinken erklärte: „Es ist sehr wichtig, dass Moskau uns hört und erfährt, dass die Folgen schrecklich wären, und das haben wir sehr deutlich gemacht.“ Er fügte hinzu, der Einsatz von Atomwaffen hätte „katastrophale Auswirkungen, natürlich für das Land, das sie einsetzt, aber auch für viele andere Länder“.

Während beide Seiten ihre Drohungen mit einem Atomkrieg verschärften, wurde bestätigt, dass es in der Nacht von Sonntag auf Montag zu drei Explosionen an den beiden deutsch-russischen Gaspipelines Nord Stream 1 und Nord Stream 2 gekommen ist. Durch die Explosion traten riesige Mengen von Gas in die Ostsee aus. Der Mehrheitsaktionär an den beiden Pipelines ist zwar das russische Staatsunternehmen Gazprom, doch auch die deutschen Unternehmen Wintershall und Uniper, das französische Engie, das österreichische Unternehmen OMV und der britische Konzern Shell waren allesamt am Bau der Pipeline beteiligt. 

Radoslaw Sikorski, ehemaliger polnischer Außenminister und aktuell Mitglied des Europäischen Parlaments, deutete in einer außergewöhnlich provokanten Erklärung an, die USA steckten hinter den Explosionen. Er veröffentlichte auf Twitter ein Bild der Unterwasserexplosion und schrieb: „Danke USA.“ Dazu teilte er ein Video einer Rede von US-Präsident Joe Biden vom 7. Februar, in der er drohte: „Wenn Russland einmarschiert... dann wird es kein Nord Stream 2 mehr geben. Wir werden dem ein Ende setzen.“

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Während sich die kriegerischen Spannungen zwischen Russland und der Nato zuspitzen, hat die Mobilmachung von 300.000 Reservisten die russische Gesellschaft in Aufruhr versetzt. Die Teilmobilmachung erfüllt zwar nicht die Forderungen nach einer Generalmobilmachung und der Ausrufung des Kriegsrechts, hat aber dennoch über Nacht das Leben von Millionen Menschen auf den Kopf gestellt. Es handelt sich um einen verzweifelten Versuch, das Blatt in einem Krieg zu wenden, der vermutlich Zehntausenden russischen Soldaten das Leben gekostet und die verbleibenden Truppen demoralisiert hat.

Putin versprach zwar, es würden nur Männer mit Kampferfahrung eingezogen werden, doch viele Berichte deuten darauf hin, dass auch Alte und Behinderte sowie zahllose junge Männer ohne Kampferfahrung eingezogen werden. Angesichts der massiven Kritik, auch von Putins Anhängern, hat der Kreml mittlerweile zugegeben, dass bei der Versendung der Einberufungsbescheide „Fehler“ gemacht wurden, die jetzt jedoch „korrigiert“ würden.

Der Dienst in der russischen Armee ist in großen Teilen der Bevölkerung seit langem gefürchtet, da er selbst in Friedenszeiten mit weit verbreiteter und brutaler körperlicher, emotionaler und psychologischer Misshandlung der Wehrpflichtigen und schrecklichen sozialen Bedingungen für die Soldaten assoziiert wird. Familien, die es sich irgendwie leisten konnten, haben traditionell versucht, ihre Söhne vom Militärdienst freizukaufen. Doch die Teilmobilmachung betrifft auch diejenigen, die sich bisher freikaufen konnten. Wer sich der Einberufung widersetzt, dem drohen drakonische Haftstrafen.

Ein großer Teil der Mittelschicht reagierte auf die Teilmobilmachung mit dem verzweifelten Versuch, aus dem Land zu fliehen. Gleich nachdem Putin die Teilmobilmachung angekündigt hatte, waren die Flüge in die Türkei und nach Georgien – zwei der wenigen Länder, in die Russen noch ohne Einschränkungen einreisen dürfen – ausgebucht. In der letzten Woche bildeten sich an nahezu allen Grenzübergängen zu Finnland, Georgien, Kasachstan und anderen Nachbarländern kilometerlange Staus, die 24 bis 48 Stunden andauerten. Alleine nach Kasachstan sind mehr als 100.000 Menschen geflohen.  

Es wurde auch von Anschlägen auf Rekrutierungszentren berichtet. Unter anderem soll ein 25-Jähriger einen Beamten der Wehrpflichtbehörde angeschossen und lebensgefährlich verletzt haben, offenbar aus Wut über die Einberufung seines Freundes.

Die westlichen Medien haben diejenigen, die versuchen vor der Einberufung zu fliehen, bejubelt. Die New York Times und andere Medien aus dem Umfeld des US-Militär- und Geheimdienstapparats, die alle verbrecherischen Kriege der imperialistischen Mächte in den letzten Jahrzehnten propagiert und gerechtfertigt haben, unterstützten die Proteste gegen die Mobilmachung, die von der Nato-nahen liberalen Opposition organisiert und von Schichten des Kleinbürgertums dominiert waren. 

Auch in Dagestan, einer bettelarmen und überwiegend von Moslems bewohnten Region des Nordkaukasus, kam es zu beträchtlichen Protesten gegen die Mobilmachung. Diese Proteste wurden von der pro-imperialistischen Presse ebenfalls bejubelt, scheinen jedoch auch einen ethnischen Hintergrund zu haben. Der Unmut in dieser Region über die reaktionäre Politik des Kremls wird schon seit langem von separatistischen Tendenzen und den imperialistischen Mächten für die reaktionärsten Zwecke ausgenutzt. Dagestan grenzt direkt an Tschetschenien, wo der Kreml zwischen 1994 und 2009 zwei extrem blutige Kriege geführt hat. Berichten zufolge wurden seit Februar auch unverhältnismäßig viele Männer aus Dagestan für den Krieg eingezogen.

Der Kreml ist gegen all diese Proteste mit Massenverhaftungen vorgegangen.

Obwohl die irreführend als „liberal“ bezeichnete Opposition ihre Proteste unter der betrügerischen Parole „Nein zum Krieg“ veranstaltet, ist sie weit davon entfernt eine Antikriegsbewegung zu sein. Sie spricht vielmehr für Teile der Oligarchie, des wohlhabenden Kleinbürgertums und des Staatsapparats, die für eine direkte Unterstützung der Pläne der imperialistischen Mächte eintreten, während diese eine Aufteilung Russlands vorbereiten. Dies würde unweigerlich zu zahlreichen Kriegen und Bürgerkriegen führen. 

Letzten Endes sind die gesellschaftlichen Kräfte hinter der liberalen Opposition, ebenso wie das Putin-Regime selbst, reaktionäre Auswüchse der stalinistischen Zerstörung der Sowjetunion und der Wiedereinführung des Kapitalismus. Ihr Widerstand gegen den Kreml und den Ukrainekrieg kommt nicht von links, sondern von rechts. Unabhängig von ihren erbitterten außenpolitischen Konflikten sind sich alle Fraktionen der Oligarchie einig in ihrer tiefen Feindschaft gegenüber der Arbeiterklasse und ihrer Angst vor der Entstehung einer sozialistischen Antikriegsbewegung in der russischen und internationalen Arbeiterklasse. 

Die große Mehrheit der russischen Bevölkerung hat weder das Geld für eine Flucht, noch einen Ort, wohin sie fliehen kann. Angesichts des westlichen Wirtschaftskriegs, der ganze Teile der Industrie wie die Autoindustrie zerstört hat, sind die russischen Arbeiter mit der schrecklichen und unmittelbaren Aussicht auf ein massenhaftes Gemetzel konfrontiert – nicht nur in der Ukraine, sondern auch in Russland selbst. 

Eine echte Antikriegsbewegung kann sich nur im Gegensatz zu den oligarchischen und kleinbürgerlichen Kräften der liberalen Opposition und den imperialistischen Mächten entwickeln. Sie muss die Arbeiter in der Ukraine und den imperialistischen Staaten, besonders die amerikanische Arbeiterklasse, dazu aufrufen, einen international vereinten Kampf gegen den Imperialismus und das ganze kapitalistische System zu führen. Eine solche sozialistische Antikriegsbewegung muss sich vor allem auf die Lehren der Oktoberrevolution und den Kampf der trotzkistischen Bewegung gegen die nationalistischen Verrätereien des Stalinismus stützen. Dies erfordert einen entschlossenen und nachdrücklichen Kampf zum Aufbau von Sektionen des Internationalen Komitees der Vierten Internationale in Russland und der Ukraine.

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