'Industrieller Schlachthof' USA

Junger Arbeiter in Tyson-Fleischverarbeitung getötet, Familie kämpft für die Wahrheit

Am 9. Juli starb der 22-jährige Casen Garcia in Joslin (Illinois) während der Arbeit in einer Fleischverarbeitungsfabrik. Er war bei Tyson Foods in der Tierkörperbeseitigung beschäftigt, wo extrem gefährliche Bedingungen vorherrschen. „Mein Sohn wurde wie Vieh behandelt“, sagte seine Mutter Allison der World Socialist Web Site.

Fleischverpackungsarbeiter Casen Garcia (2000 – 2022) mit seinem Sohn Arsi (geboren 2021) [Photo by Allison Rose]

Tyson Foods vertuscht die Umstände seines Todes. Aber Casens Familie hat mit zahlreichen Mitarbeitern gesprochen, und sie sagen übereinstimmend, dass er durch fehlerhaft gewartete Maschinen einen Stromschlag erlitten habe. Die Betriebsleitung habe seine Hilferufe ignoriert und die Arbeiter daran gehindert, sein Leben zu retten, weil sie die Produktion am Laufen halten wollte.

Casen hinterlässt seine Verlobte Jessica und einen kleinen Sohn namens Arsi, sowie seine jüngere Schwester Katrina und seinen jüngeren Bruder Donovan. „Er war so etwas wie der Fels in der Brandung unserer Familie“, sagte seine Mutter. „Er war das älteste Kind. Ich war selbst noch ein Kind, als ich ihn bekam, also bin ich sozusagen mit ihm erwachsen geworden. Er übernahm in der Familie große Verantwortung.“

Casen Garcias Familie während eines Videogesprächs mit der World Socialist Web Site. Von links: Casens jüngerer Bruder Donovan, Mutter Allison, Sohn Arsi und jüngere Schwester Katrina.

Casens Familie wandte sich an die WSWS, um die Wahrheit über seinen Tod aufzudecken und die unmenschlichen Bedingungen, denen die Arbeiter in der Fleischverpackungsindustrie ausgesetzt sind, ans Licht zu bringen. Der folgende Bericht basiert auf Gesprächen mit Casens Mutter Allison Rose.

Die Menschlichkeit wird eklatant missachtet

Tyson Foods-Fabrik in Joslin, Illinois, September 2022

Am Abend des 8. Juli setzte Allison Rose ihren Sohn Casen Garcia in der Tyson-Fleischfabrik in Joslin ab, wo er seit fast einem Jahr arbeitete. Casen hatte kurz zuvor mit Familienmitgliedern über die Zustände in der Tierkörperbeseitigungsanstalt gesprochen, in der er in dieser Nacht arbeiten sollte.

„Ein paar Tage vor seinem Tod“, erklärte Allison, „sagte Casen zu mir: ‚Mama, ich kann nicht glauben, dass da unten noch keiner gestorben ist, so schlimm ist es. Es gibt dort Fässer mit verrottenden Kadavern, die eigentlich jede Woche gereinigt werden sollten, die aber schon seit Monaten dort stehen und aus denen Methangas austritt. Ein paar Leute wurden entlassen, weil sie sich weigerten, in diesem Keller zu arbeiten‘.“

Vier Fotos vom Keller der Tierkörperbeseitigung bei Tyson Foods in Joslin (Illinois), Juli 2022 [Foto von Tyson-Arbeitern] [Photo by Tyson workers]

Allison sagte: „Offenbar setzen sie dort unqualifizierte Leute ein, weil die qualifizierten Leute sich weigern. Ich habe eine Sprachaufzeichnung meines Sohnes vom 4. Juni, in der er sagt, er sei soeben zur Arbeit gekommen, und der Manager habe gedroht, ihn und einen anderen Mitarbeiter aufzuschreiben, weil sie sich weigerten, Arbeiten zu übernehmen, für die sie nicht qualifiziert waren. Dies geschah in der Tierkörperbeseitigungsanlage, in der er später starb. Diese Arbeiten waren als Stufe acht eingestuft. Casen war nur für Stufe fünf berechtigt.

Es gibt eine Hebevorrichtung mit blanken Drähten“, fuhr Allison fort, „und anscheinend haben sich auch am Türgriff zum Keller schon mehrfach Personen einen Stromschlag geholt.“ Sie fügte hinzu: „Nach all den Nachforschungen, die ich seit dem Tod meines Sohnes angestellt habe, würde ich meinen schlimmsten Feind nicht bei Tyson arbeiten lassen. Die Menschlichkeit wird dort eklatant missachtet.“

Casen Garcias Sprachnachricht über unsichere Bedingungen im Tyson Foods Werk in Joslin (Illinois)

Das Management lügt und die Gewerkschaft schweigt

Allison erinnerte sich an das letzte Mal, als sie mit Casen auf dem Tyson-Parkplatz sprach. „Als er aus dem Auto stieg, sagte er: ‚Mama, bitte vergiss nicht, dass ich um 7:30 Uhr Feierabend habe‘. Nach einer langen Nacht wollte er nicht wer weiß wie lange sitzenbleiben und auf eine Mitfahrgelegenheit warten.“ Als sie am Morgen zurückkam, war Casen tot, und Tyson war bereits mit der Vertuschung des Vorfalls beschäftigt.

„Darauf gab es eine Lüge nach der anderen, eine Vertuschung nach der anderen“, sagte sie.

Zunächst teilten die Tyson-Manager Casens Familie mit, dass er an diesem Morgen tot in seinem Wagen auf dem Parkplatz aufgefunden worden sei, nachdem er frühmorgens die Arbeit verlassen habe. Die Manager wussten nicht, dass Allison ihn bei der Arbeit abgesetzt hatte und dass sein Wagen daher gar nicht bei Tyson stand.

Die Tyson-Manager belogen auch den Gerichtsmediziner Brian Johnson, der Casens erste Autopsie durchführte. Im Gespräch mit Johnson erfuhr Allison, dass ihm von den Managern fälschlicherweise gesagt worden war, Casen habe „ein früheres Herzleiden und er habe möglicherweise eine Überdosis Heroin oder Fentanyl genommen“. In Wirklichkeit war Casen bei bester Gesundheit. „Er war Vegetarier“, sagte Allison. „Er aß gesund und achtete auf sich.“

Allison kämpft darum, von Tyson einen Bericht über den Tod ihres Sohnes zu erhalten. Doch bis heute behauptet das Management, dass es keinen Vorfall gegeben habe, und deshalb existiere kein Bericht. „Ich erfuhr um 8:42 Uhr, dass er verschwunden war, und bei Tyson rief ich erstmals um 11:30 Uhr desselben Tages an. In den folgenden drei Tagen rief ich jede Stunde an.“ Tyson schickte schließlich einen Manager zu Allisons Haus, der an ihre Tür klopfte und ihr mitteilte, dass es keinen Vorfall gegeben habe.

Als Allison später versuchte, den Inhalt von Casens persönlichem Spind bei Tyson abzuholen, behauptete die Geschäftsleitung zunächst, er habe keinen eigenen Spind, sondern nur den Werkzeugspind genutzt. Als Casens Kollegen Allison mitteilten, wo sich der zweite Spind tatsächlich befand, erklärten die Manager, sie hätten diesen Spind bereits durchsucht und nichts gefunden. „Mein Sohn hatte Berichte und Beschwerden, die er bei der Personalabteilung und der [Arbeitsschutzagentur] OSHA einreichen wollte, und sie lagen in seinem Spind“, sagt Allison.

Was die Gewerkschaft United Food and Commercial Workers UFCW betrifft, die angeblich Casen und die anderen Arbeiter bei Tyson in Joslin vertritt, sagte Allison: „Ich habe nicht ein einziges Mal von der Gewerkschaft oder irgendjemandem gehört, der angeblich einen dieser Arbeiter vertritt. Nicht ein einziges Mal. Dabei sind sogar die Personalverantwortlichen zur Beerdigung gekommen und haben Blumen geschickt.“

Die Arbeiter enthüllen, was wirklich passiert ist

Casens Kollegen reagierten auf seinen schrecklichen Tod am Arbeitsplatz genau entgegengesetzt wie das Management und die Gewerkschaft. „Sie alle haben sich bei mir gemeldet“, sagte Allison. „Innerhalb von zwei Tagen hatte ich etwa 45 neue Telefonnummern.

Diese Leute haben Herz!“, sagte sie. „Sie wissen, dass Tyson im Unrecht ist, und sie wissen, was mit meinem Sohn passiert ist. Und die ganze Zeit, als Tyson versuchte, es zu vertuschen, sagten sie mir: ‚Hör nicht auf zu kämpfen! Hör nicht auf.‘ Diese Leute setzen sich selbst, ihr Leben und ihren Arbeitsplatz aufs Spiel, um bekannt zu machen, dass Tyson die volle Schuld am Tod meines Sohnes trägt.“

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Als Casen am Morgen des 9. Juli starb, war er auf seiner Schicht im Keller der Tierkörperbeseitigungsanlage. Es geschah während seiner normalen „Luftqualitätspause“. Die Geschäftsleitung hatte Allison diesbezüglich belogen und behauptet, er habe 20 Minuten vor Ende seiner Schicht seine Mittagspause genommen.

Auf dem Weg aus dem Keller, um seinen Lungen eine Pause von der giftigen Luft zu verschaffen, erlitt Casen an der Tür einen elektrischen Schlag. Dieser war so stark, dass einer seiner Stiefel über vier Meter von seinem Körper weggeschleudert wurde. Arbeiter fanden den Stiefel später, nachdem die Firmenleitung Casens Leichnam ohne den Stiefel zum Gerichtsmediziner geschickt hatte.

Allison erklärte, was dann geschah: „Mein Sohn war noch auf den Beinen, nachdem er einen Stromschlag bekommen hatte. Er rief über Funk die Geschäftsleitung an und sagte, dass seine Brust schmerze und er keine Luft bekomme. Und dieser Manager sagte zu ihm: ‚Oh, du bist jung, dir geht's gut, mach halblang‘. Mein Sohn brach unmittelbar danach zusammen.

Die Person, die sah, wie er zu Boden ging, versuchte, aus dem Produktionsablauf auszusteigen. Aber der Schichtführer schrie sie an, wieder an die Arbeit zu gehen.“

Zwei Fotos des Hubwerks in der Nähe der Tür, an dem sich Arbeiter im Keller des Tyson Foods-Werks mehrfach Stromschläge holten [Foto von Tyson-Mitarbeitern] [Photo by Tyson workers]

Laut einer von Kollegen erstellten Zeitleiste „war mein Sohn zwei Minuten lang allein, bevor einer der Jungs, die im Keller arbeiteten, hinzukam und ihm half“. Allison erfuhr, dass „sie dort für die dritte Schicht nicht einmal ein medizinisches Team haben. Soweit ich weiß, tauchte dann eine Büroangestellte auf, und als sie den Defibrillator herausholte, funktionierte er nicht. Niemand tat etwas.“

Sie fuhr fort: „Wir wurden darüber informiert, dass der Körper meines Sohnes einfach zur Seite gelegt wurde“, sagte sie, „und dass jemand die Hand meines Sohnes mit dem Fuß aus dem Gehweg wegschob“, damit die Produktion weiterlaufen konnte.

Casens Schwester Katrina erzählte der WSWS, was einer seiner Kollegen ihr sagte: „Man habe im Werk sofort begonnen, den Tatort zu säubern, damit es so aussähe, als sei es nicht ihre Schuld gewesen. Und in meinen Augen ist das nicht nur extrem illegal, sondern auch unfair uns gegenüber. Denn ich will wissen, was mit meinem Bruder passiert ist! Er war ein menschliches Wesen.“

„Sie können absolut nichts tun, um uns zum Schweigen zu bringen“

Die Arbeiter erzählten Allison, dass, als die Polizeibeamten am Tatort eintrafen, „die Geschäftsführung keinem der Teammitglieder erlaubte, allein mit der Polizei zu sprechen. Sie wollte, dass nur ihre eigene Version gehört wurde. Und mir wurde gesagt, dass das Management alle Arbeiter, die gesehen haben, was passiert ist, daran ‚erinnert‘ habe, dass sie einen Vertrag zur Geheimhaltung unterschrieben hätten. Und sie wurden gebeten, weitere Papiere zu unterschreiben, die besagen, dass sie nicht darüber sprechen würden.“

„Die meisten von ihnen sind Migranten“, erklärte sie. „Einwanderer haben weniger Möglichkeiten, für sich selbst zu sprechen. Sie haben keine andere Wahl. Sie müssen ihren Mund halten.“

Angesichts dieser Einschüchterung ist Allison fest entschlossen, die Wahrheit ans Licht zu bringen. „Ich werde natürlich die volle Wahrheit darüber herausfinden, was meinem Sohn zugestoßen ist“, sagte sie. „Aber das ändert nichts daran, was andere Arbeiter durchmachen. Wenn nichts geändert wird, könnte es morgen oder schon heute sein, dass noch jemand stirbt.“

Durch ihre Ermittlungen zu Casens Tod hat Allison von vier weiteren, nicht gemeldeten Todesfällen allein in diesem Jahr bei Tyson in Joslin erfahren. „Es ist einfach unfassbar, wie wenig getan wird, um die Arbeiter zu schützen“, sagte sie. „Das sind die Leute, die das Geld einbringen. Wenn es die Arbeiter nicht gäbe, hätten sie kein Werk, in dem sie produzieren könnten. Und sie werfen sie einfach beiseite, als wären sie Vieh – einer geht unter, der nächste kommt hoch.“

Die fleischverarbeitende Industrie war im ersten Jahr der Pandemie besonders stark von Corona betroffen, und in der gesamten Branche starben Hunderte von Arbeitern an der vermeidbaren Krankheit. Allison berichtet, dass „Tyson den Arbeitern nicht den richtigen Schutz zur Verfügung stellte. Sie ließen sie im Abstand von weniger als einem Meter arbeiten. Nichts wurde getan, um zu helfen.“

Casen Garcia (2000 2022)

Wir baten Casens Familie zu beschreiben, was für ein Mensch er war. „Casen war außerordentlich intelligent. Er war freundlich und fürsorglich und war bereit, alles zu tun, um jemandem zu helfen“, sagte Allison. „Er war immer da, wenn man ihn brauchte oder wenn man jemanden zum Reden brauchte. Es gibt einfach niemanden in meinem Leben, der wie er war.“

Casens Schwester Katrina sagte über ihren älteren Bruder: „Er war mein bester Freund. Wenn ich jemals etwas brauchte, war er da, um mir zu helfen.“ Unter Tränen fuhr sie fort: „Er hat mir beigebracht, wie man Fahrrad fährt und wie man einen Reifen wechselt. Jedes Jahr an meinem Geburtstag rief er mich um Mitternacht an, weil er der Erste sein wollte, der mir zum Geburtstag gratulierte. Er wollte nicht, dass andere Nachrichten vor seiner durchkamen. Er war ein guter Freund und ein guter Bruder.“

Casen Garcia (2000 – 2022) mit seiner jüngeren Schwester Katrina und seinem jüngeren Bruder Donovan [Photo by Allison Rose]

Allison sprach über die Reaktionen, die sie von den Beschäftigten des Werks erlebte. „Viele von ihnen können nicht öffentlich darüber sprechen, weil sie Vergeltungsmaßnahmen fürchten. Aber sie haben mich unglaublich unterstützt. Einer seiner Kollegen hat mir geholfen, eine Spendenaktion zu starten. Ein anderer kam zu mir nach Hause und brachte zwei Säcke mit Kleidern für Casens Sohn.

Einer hatte sich eng mit Casen angefreundet, und dieser ruft mich regelmäßig an und fragt nach mir. Er sagte, sie hätten sich öfter gegenseitig versichert, füreinander einzustehen, und dass er jetzt für mich einstehen und auf mich aufpassen werde.“

Casen Garcia (2000 – 2022) mit seinem Sohn Arsi (geboren 2021) [Photo by Allison Rose]

Aber Allisons Leben hat sich für immer verändert. „Mein Sohn ist weg. Für die anderen Kinder ist ihr großer Bruder nicht mehr da. Casens Sohn ist erst ein Jahr alt. Casen arbeitete in der dritten Schicht, also war er nur dann nicht bei seinem Sohn, wenn dieser schlief. Es bricht einem das Herz“, sagte sie.

„Es gibt an dieser Sache einfach so vieles, das einem das Herz bricht“, sagte sie. „Das kann Tyson nicht ungeschehen machen. In jedem Fall können sie absolut nichts tun, um uns zum Schweigen zu bringen.“

Wir rufen alle Arbeiter in der fleischverarbeitenden Industrie auf, sich mit Informationen über unsichere Bedingungen oder Todesfälle an die WSWS  zu wenden. Nehmt Kontakt zu uns auf. Wir werden eure Anonymität respektieren.

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