Perspektive

Der KPCh-Kongress und der Bankrott des „Sozialismus chinesischer Prägung“

Der 20. Parteitag der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) endete am vergangenen Wochenende mit Xi Jinping Einsetzung für eine dritte Amtszeit als Generalsekretär. Das höchste Parteigremium, der siebenköpfige Ständige Ausschuss des Politbüros, wurde mit Xis Anhängern besetzt. Zudem wurden „Xi Jinpings Gedanken zum Sozialismus chinesischer Prägung für eine neue Ära“ in die Parteisatzung aufgenommen.

Der chinesische Präsident Xi Jinping verlässt die Eröffnungszeremonie des 20. Nationalkongresses der regierenden Kommunistischen Partei Chinas, 16. Oktober 2022 [AP Photo/Mark Schiefelbein]

Das Ganze ist ein ritualisiertes und inszeniertes Geschehen. Xi wird als „Kern“ der Partei gepriesen, und der riesige bürokratische Apparat steht scheinbar geschlossen hinter ihm. Dies alles soll über die enorme Krise hinwegtäuschen, in der sich das KPCh-Regime an allen Fronten befindet. Die Erhebung Xis zum großen Führer ist kein Zeichen von Stärke, sondern eher von Schwäche.

Xi gleicht einem bonapartistischen Führer, der sich bemüht, inmitten einer sich verlangsamenden chinesischen Wirtschaft, tiefgreifender sozialer Spannungen und wachsender Kriegsdrohungen aus Washington zwischen den unsichtbaren Strömungen innerhalb der Partei zu manövrieren.

Xi eröffnete den Kongress mit einem langen zweistündigen Bericht, in dem er auf die vielen tiefgreifenden Probleme seines Regimes hinwies, für die er keine Lösung hat. Er begann mit der Erklärung: „Das Thema dieses Kongresses besteht darin, das Banner des Sozialismus chinesischer Prägung hochzuhalten und den Gedanken des Sozialismus chinesischer Prägung vollständig umzusetzen.“

Inmitten der ständigen Wiederholung des Mantras vom „Sozialismus chinesischer Prägung“ erläutert Xi seine Vorstellung von einer nationalen Entwicklung. Diese ist in Wirklichkeit ein chinesischer Kapitalismus, losgelöst von der Weltwirtschaft, von der er gleichzeitig völlig abhängig ist.

Xis Nationalismus hat seine Wurzeln in der stalinistischen Theorie des „Sozialismus in einem Land“. Leo Trotzki, der die Perspektive einer sozialistischen Weltrevolution verteidigte, auf der die Russische Revolution von 1917 beruhte, warnte wiederholt davor, dass der „Sozialismus in einem Land“ eine nationalistische Utopie sei.

1931 analysierte er in seiner Streitschrift „Probleme der Entwicklung der UdSSR“ den künftigen Kurs der Sowjetunion:

Akademisch lässt sich natürlich eine in den Grenzen der UdSSR geschlossene und innerlich ausgewogene sozialistische Wirtschaft konstruieren; aber der lange historische Weg zu diesem ‚nationalen‘ Ideal würde über gigantische ökonomische Verschiebungen, soziale Erschütterungen und Krisen führen. […]

Aus der Unmöglichkeit, eine autarke sozialistische Wirtschaft in einem Lande aufzubauen, erwachsen die Grundwidersprüche des sozialistischen Aufbaus in jedem neuen Stadium in wachsender Breite und Tiefe. In diesem Sinne müsste die Diktatur des Proletariats in der UdSSR unweigerlich zusammenbrechen, wenn sich die Herrschaft des Kapitalismus in der ganzen übrigen Welt als fähig erwiese, sich noch für eine längere historische Periode am Leben zu erhalten.

Trotzkis weitsichtige Prognose sollte sich als richtig erweisen. Die sowjetische stalinistische Bürokratie löste die Sowjetunion 1991 auf und öffnete sie für die kapitalistische Ausplünderung. Der deformierte Arbeiterstaat, der in China nach der Revolution von 1949 entstand, erwies sich als noch schwächer und anfälliger: Er öffnete den kapitalistischen Marktkräften und Investitionen globaler Konzerne schon ab 1978 die Tür.

In seiner Rede verwies Xi auf bedeutende Errungenschaften in China, darunter das erstaunliche Wachstum der chinesischen Wirtschaft in den letzten drei Jahrzehnten. Es handelte sich jedoch keineswegs um eine rein nationale wirtschaftliche Entwicklung, sondern um das Ergebnis der enormen Fortschritte der chinesischen Revolution von 1949. Diese war ihrerseits das Ergebnis internationaler Prozesse, die zur russischen Revolution und den revolutionären Bewegungen der Arbeiterklasse nach dem Zweiten Weltkrieg führten.

Allein die Tatsache, dass Xi seine kapitalistische Politik unter dem Deckmantel des Sozialismus verstecken muss, spricht für die hohe Wertschätzung, die die chinesische Revolution in breiten Schichten der Arbeiterklasse genießt. Der kapitalistische Charakter des heutigen Chinas ist angeblich nur ein kleiner Makel an einem ansonsten so gesunden Sozialismus!

In seiner Rede konnte Xi auf die beachtliche Leistung der Regierung bei der Unterdrückung wiederholter Wellen der Covid-19-Pandemie hinweisen, mit der Millionen von Menschenleben gerettet wurden. Die Zero-Covid-Politik, mit der die Regierung ihrerseits auf die Erwartungen der Arbeiter nach Schutz ihres Lebens und Wohlergehens reagierte, belegt gleichzeitig eindrücklich, dass das Virus nur durch internationale Kooperation beseitigt werden kann.

Gerade der wirtschaftliche Aufstieg Chinas hat die Probleme des Regimes, die im nationalen Rahmen nicht gelöst werden können, noch verschärft. Das Wirtschaftswachstum hat zu einer enormen Zunahme der sozialen Spannungen geführt. Diese werden durch die zunehmende soziale Polarisierung zwischen Arm und Reich und die heftige Ausbeutung der Arbeiterklasse noch mehr angeheizt.

Was Trotzki über die Sowjetunion schrieb, dass sie Zugang zu den Ressourcen und der Technologie der Welt benötige, trifft mit Sicherheit auch auf China zu. Das außerordentliche chinesische Wirtschaftswachstum ist vollständig mit der Umwandlung des Landes in einen Anbieter billiger Arbeitskräfte für globale Konzerne verbunden. China war und ist auf den Zugang zum Weltmarkt angewiesen, um Waren zu verkaufen, und benötigt gleichzeitig Zugang zu internationalem Kapital und Spitzentechnologie.

Doch die internationalen Lebensadern der chinesischen Wirtschaft sind heute bedroht. Das chinesische Wachstum hat zu enormen Spannungen mit dem amerikanischen Imperialismus geführt, der in China die größte Bedrohung für seine globale Vormachtstellung erkennt. Wie Xi feststellt, ohne sich jemals direkt auf die USA zu beziehen, gibt es „drastische Veränderungen in der internationalen Landschaft, insbesondere Versuche von außen, China zu erpressen, einzudämmen, zu blockieren und maximalen Druck auf China auszuüben“.

Der Kapitalismus chinesischer Prägung steht nun dem Imperialismus amerikanischer Prägung gegenüber. Die USA ziehen ihre Verbündeten und ihre wirtschaftlichen und militärischen Ressourcen zusammen, um China zu untergraben und zu bezwingen. Die Biden-Regierung hält die von Trump verhängten massiven Handelszölle gegen China aufrecht und weitet ihre Technologieverbote auf alle fortschrittlichen Halbleiter und die für ihre Herstellung erforderlichen Anlagen noch aus. Die USA und ihre Verbündeten, die sich in der Ukraine bereits mit Russland im Krieg befinden, versuchen, China zu militärischen Maßnahmen zu bewegen, so dass es zum offenen Konflikt mit dem hochgerüsteten Taiwan kommt.

Xi und das KPCh-Regime sind sich sehr wohl bewusst, dass der Krieg zwischen den USA und der Nato in der Ukraine das Vorspiel für einen Krieg mit China ist. Aber sie haben auf die US-Aggression keine progressive Antwort. Als Reaktion auf die US-Embargos und die militärische Aufrüstung versucht die KPCh verzweifelt, technologisch und militärisch aufzuholen. Aber die Logik dieses Wettrüstens ist der rasche Abstieg in einen Krieg zwischen atomar bewaffneten Mächten, was die Vernichtung der Menschheit bedeuten wird.

Das Regime selbst befindet sich in einer Krise. In seinem Bericht zeichnete Xi ein verheerendes Bild des sklerotischen, bürokratischen Apparats, der ihn selbst an die Spitze des Landes gestellt hat. Es sei eine Partei, die geplagt ist von einem „Mangel an klarem Verständnis und effektivem Handeln sowie dem Abgleiten in eine schwache, hohle und verwässerte Parteiführung und -praxis (...) Trotz wiederholter Warnungen halten sinnlose Formalitäten, bürokratischer Hedonismus und Extravaganz an (...) Einige tief sitzende Probleme und Institutionen und Barrieren, die von Besitzstandswahrern errichtet wurden, treten immer deutlicher zutage (...) Fehlgeleitete Denkmuster wie Geldanbetung, Hedonismus, Egozentrik und historischer Nihilismus sind weit verbreitet, und der Online-Diskurs war von Unordnung geprägt. All dies hat schwerwiegende Auswirkungen auf das Denken der Menschen und das öffentliche Meinungsklima.“

Wenn Xi von Korruption spricht, wird diese immer auf schlechte Individuen und ihre Absichten reduziert, aber nie auf die kapitalistische Gesellschaftsordnung bezogen. Darüber hinaus handelt es sich um ein System, in dem die gesamte Macht in den Händen der Bürokratie liegt – in einem Land mit 1,4 Milliarden Einwohnern. In der „Fortgeschrittenen Sozialistischen Konsultativdemokratie“ von Xi entscheidet der Apparat, ob und wann jemand zu Fragen angehört wird, die das Leben der Menschen beeinflussen.

Die nationalistische Antwort der KPCh auf die globale Krise des kapitalistischen Systems wird in der einen oder anderen Form auch von den USA und allen imperialistischen Mächten sowie vom russischen Regime verfolgt. Es ist ein Weg, der unweigerlich zu einer Eskalation militärischer Konflikte und zu einem Weltkrieg unter Beteiligung atomar bewaffneter Mächte führt, denn der Konflikt zwischen den nationalen Interessen dieser Staaten kann nicht mit friedlichen Mitteln gelöst werden.

Gerade die von Trotzki formulierten Überlegungen gegen den „Sozialismus in einem Land“ und den Wirtschaftsnationalismus sind nach wie vor von außerordentlicher Bedeutung. Sie sind der Schlüssel zum Verständnis der grundlegenden Widersprüche, vor denen das chinesische Regime steht.

Die einzige gangbare Alternative zum Wirtschaftsnationalismus ist die Perspektive einer sozialistischen Weltrevolution, die die russische Revolution von 1917 und die Gründung kommunistischer Parteien in der ganzen Welt, auch in China, beflügelte. Das ist das Programm, das die Arbeiter in China und auf der ganzen Welt im Kampf gegen die Geißeln des Kapitalismus - Krankheit, Armut und Krieg - aufgreifen müssen.

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