Perspektive

US-Demokraten wollen Bahnstreik verbieten und Vergleich durchsetzen, der von den Arbeitern abgelehnt wird

Das Votum des Repräsentantenhauses vom Mittwochmorgen, einen landesweiten Bahnstreik zu verbieten und eine vom Weißen Haus unterstützte Regelung für 120.000 Bahnbeschäftigte durchzusetzen, ist ein historisches politisches Ereignis. Die Demokratische Partei, die das Repräsentantenhaus kontrolliert und die Wahl bestimmt, hat ihre Rolle als Instrument der amerikanischen Konzerne gegen die Arbeiterklasse offen zur Schau gestellt.

Die Regierung Biden hat mit Entsetzen zugesehen, wie die Eisenbahner den Vergleich ablehnten, den sie in Zusammenarbeit mit der Wall Street, den Eisenbahnunternehmen und ihren Dienern in den Gewerkschaften ausgearbeitet hatte. Nun ist diese Regierung, die überall auf der Welt endlos von „Freiheit“ und „Demokratie“ schwadroniert, dabei, die demokratischen Rechte der Eisenbahner rücksichtslos zu unterdrücken. Nach Ansicht des Weißen Hauses und des Kongresses haben die Arbeiter weder das Recht, über ihre Arbeitsbedingungen abzustimmen, noch das Recht zu streiken, wenn die Firmenchefs sich weigern, ein akzeptables Angebot zu machen.

Das Mantra, das von demokratischen und republikanischen Politikern und den bürgerlichen Medien wiederholt wird, lautet, dass ein Bahnstreik verhindert werden muss, weil er „der Wirtschaft“ schaden würde. Ein solches Argument wurde nie vorgebracht, um das Profitstreben der Ölkonzerne, die Schließung von Fabriken oder die Kürzung von Löhnen und Sozialleistungen durch die Arbeitgeber zu stoppen – allesamt Maßnahmen, die zweifellos den wirtschaftlichen Interessen der Arbeiter schaden.

Aber mit „Wirtschaft“ meinen die Vertreter des Großkapitals „Profite“. Die Wall Street signalisierte ihre Zustimmung, indem die Kurse nach der Abstimmung im Repräsentantenhaus deutlich anstiegen.

Die Bahnchefs behaupten, sie könnten es sich nicht leisten, den Forderungen der Arbeiter nachzukommen, selbst wenn es sich um elementare Notwendigkeiten wie die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall handelt, die nach Angaben des Bureau of Labor Statistics 78 Prozent aller US-Beschäftigten zusteht. Solche Behauptungen über vermeintliche Armut sind lächerlich, wenn sie von der profitabelsten Industrie Amerikas kommen, die von Banken und Milliardären wie Warren Buffett kontrolliert wird. Die Bahnchefs können zahlen, aber sie wollen nicht.

Denn es geht nicht nur um die unmittelbaren Interessen der Eisenbahnunternehmen, sondern um die gesamte Klassenstrategie der amerikanischen Bourgeoisie. Diese Strategie basierte auf der Fortsetzung der Inflation von Vermögenswerten - Aktien, Anleihen und anderen Papieren - bei gleichzeitiger Unterdrückung jeglicher Lohnbewegung in der Arbeiterklasse.

Die Geldpolitik der Federal Reserve, der amerikanischen Zentralbank, bringt diese Klassenstrategie deutlich zum Ausdruck. Die Fed hat die Zinssätze in diesem Jahr systematisch angehoben und als Hauptgrund dafür die Anspannung auf dem Arbeitsmarkt genannt, die sich normalerweise in einem Anstieg der Löhne niederschlagen würde. Die Fed nutzt höhere Zinsen, um eine Rezession herbeizuführen, die Arbeitslosigkeit nach oben zu treiben und so jeder Lohnbewegung in der Arbeiterklasse entgegenzuwirken.

Ein Durchbruch eines wichtigen Teils der Arbeiter, wie z.B. bei der Bahn, würde eine weitaus umfassendere Offensive der Arbeiterklasse auslösen, deren zunehmende Militanz sich in der Ablehnung von Verträgen und in Streiks von Universitätsbeschäftigten, Beschäftigten im Gesundheitswesen, im Transportwesen und in Teilen der Industrie gezeigt hat.

Diese Notwendigkeit erklärt das bemerkenswerte Tempo bei der Verabschiedung dieses arbeiterfeindlichen Gesetzes, das von Biden am Montagabend öffentlich vorgeschlagen, vom Repräsentantenhaus am Mittwochmorgen verabschiedet wurde und von den Demokraten im Senat bei einem Mittagessen am Donnerstag erörtert werden sollte. Das Verbot eines Bahnstreiks wird voraussichtlich schon am Wochenende in Kraft treten.

Nur zwei andere Gesetze sind in den letzten Jahren so schnell verabschiedet worden: der Rettungsplan für Banken und Konzerne, der im März 2020 von Demokraten und Republikanern im Kongress gemeinsam verabschiedet und von Donald Trump unterzeichnet wurde, und die militärische und finanzielle Soforthilfe für die Ukraine, die in diesem Jahr im Eiltempo beschlossen wurde, um den Krieg der USA und der Nato gegen Russland zu unterstützen.

Der Kongress ist eine undurchdringliche Barriere, wenn es darum geht, Gesetze zu verabschieden, die in irgendeiner Weise die demokratischen Rechte oder die sozialen Bedürfnisse der amerikanischen Arbeiter unterstützen würden. Doch wenn es um die Hauptinteressen der amerikanischen herrschenden Klasse im In- und Ausland geht, entpuppt sich der angeblich festgefahrene Kongress als schnelles und brutales Instrument der Klassenherrschaft.

Im Wahlkampf 2020 und danach hat sich Joe Biden zum gewerkschaftsfreundlichsten Präsidenten der Geschichte erklärt. Damit meinte er, dass er sich auf den Apparat der AFL-CIO stützen würde, um die Arbeiterklasse zu kontrollieren, zu disziplinieren und sie zu zwingen, das Diktat des Großkapitals zu akzeptieren. Doch Biden ist wie die Unternehmenselite, der er dient, zu dem Schluss gekommen, dass die Gewerkschaftsbürokratie der Bahn nicht eigenständig in der Lage sein wird, die Bewegung seitens der Basis zu unterdrücken. Daher rührt die Notwendigkeit des uneingeschränkten Einsatzes der Staatsgewalt gegen die Eisenbahner.

Die gesamte Führungsriege der Demokratischen Partei – das in den Ruhestand gehende Trio der über Achtzigjährigen, Nancy Pelosi, Steny Hoyer und James Clyburn, und ihre gewählten Nachfolger, Hakeem Jeffries, Katherine Clark und Pete Aguilar – unterstützten den Gesetzentwurf.

Die große Mehrheit des „linken“ Flügels der Demokratischen Partei stimmte ebenfalls für die Anti-Streik-Gesetzgebung. Darunter befanden sich Pramila Jayapal, Vorsitzende des Progressive Caucus im Repräsentantenhaus, Ro Khanna, ehemaliger Vorsitzender der Präsidentschaftskampagne von Bernie Sanders, und Alexandria Ocasio-Cortez, Medienstar und Mitglied der Democratic Socialists of America. Keiner von ihnen meldete sich in der Debatte zu Wort, vermutlich in der Hoffnung, nicht aufzufallen und ihren progressiven Ruf zu wahren, um die Arbeiterklasse erneut zu betrügen.

Der Gesetzentwurf wurde mit 290:137 Stimmen verabschiedet, wobei praktisch alle Abgeordneten – Demokraten wie Republikaner – dafür waren, die von Bidens Presidential Emergency Board (PEB) festgelegten Bedingungen durchzusetzen und einen Streik zu verbieten. Die Republikaner ereiferten sich jedoch über einen zweiten Gesetzentwurf der demokratischen Führung, den diese als Feigenblatt für das Streikbrecher-Gesetz eingebracht hatte, indem er die vom PEB festgelegten Bedingungen um sieben Tage Lohnfortzahlung im Krankheitsfall ergänzte. Die Debatte über das Streikverbot drehte sich ausschließlich um den Plan zu dieser Lohnfortzahlung, den die Republikaner als „Giftpille“ bezeichneten. Eine Mehrheit von ihnen lehnte das Streikbrecher-Gesetz nur deshalb ab, um damit ihren Widerstand gegen die Krankenstandsregelung zum Ausdruck zu bringen.

Die Redner beider Parteien lobten die vom PEB festgelegten Bedingungen, wobei sie sich einer Sprache bedienten, die sogar über die Lügen hinausging, die von den Gewerkschaftsvertretern in ihrer Kampagne für die Ratifizierung verbreitet worden waren. Ein republikanischer Kongressabgeordneter beschrieb den PEB-Plan als „sehr großzügige“ Bestimmungen für die Gesundheitsfürsorge und die Löhne und Gehälter, die „ein durchschnittliches Lohn- und Leistungsniveau von mehr als 160.000 Dollar pro Jahr vorsehen werden.“ In einem anderen Redebeitrag heißt es, dass am Ende der vierjährigen Laufzeit des Abkommens „die Durchschnittslöhne für Bahnangestellte 110.000 Dollar pro Jahr und die Gesamtvergütung durchschnittlich 160.000 Dollar erreichen werden.“ Er schloss mit den Worten: „Es ist undenkbar, dass die vier Eisenbahngewerkschaften die Nation wirtschaftlich in Geiselhaft nehmen.“

In den vergangenen Jahrzehnten erfolgte die Unterdrückung der Eisenbahner nach den Bestimmungen des antidemokratischen Eisenbahnarbeitsgesetzes (Labour Railway Act) von 1926, das den Beschäftigten dieser Branche das Streikrecht entzog; ein Verbot, das später auch auf die Fluggesellschaften ausgedehnt wurde. Die Arbeiter werden durch ein kompliziertes Verfahren aus Verhandlungen, Schlichtung und staatlicher Intervention an ihren Arbeitsplatz gebunden. Es endet entweder mit einer Vereinbarung zu den Bedingungen der Branche, die von den unternehmensfreundlichen Gewerkschaften durchgesetzt wird, oder mit einer Vereinbarung, die in Washington von einem PEB oder dem Kongress diktiert und von den Gewerkschaften als unabänderliche Tatsache akzeptiert wird.

Dieses reaktionäre Ritual wurde durch die Entwicklung der Militanz der Basis und insbesondere durch die Entstehung einer neuen Form der Arbeiterorganisation durchbrochen, des Rail Workers Rank-and-File Committee, das mit Unterstützung der World Socialist Web Site und der Socialist Equality Party gegründet wurde. Dieses Komitee hat die führende Rolle bei der Mobilisierung und Organisation des Widerstands gegen die Verträge gespielt und die Eisenbahner über alle Branchen und Unternehmen hinweg zusammengeführt. Hunderte von Arbeitern haben an seinen Online-Treffen teilgenommen, und viele haben sich an öffentlichen Protesten gegen den PEB-Deal beteiligt, einschließlich auf Streikposten an Bahnanlagen.

Das Votum des Repräsentantenhauses zeigt, dass die Eisenbahner nicht nur gegen die großen Eisenbahnkonzerne und die verknöcherte Bürokratie der zwölf Eisenbahngewerkschaften kämpfen müssen, sondern auch gegen die kapitalistische Regierung der Vereinigten Staaten. Das bedeutet, dass sie sich in einem politischen Kampf befinden, in dem die zentrale Aufgabe darin besteht, die politische Zwangsjacke des von den Konzernen kontrollierten Zweiparteiensystems zu durchbrechen.

Diese Gegner sind zwar kompromisslos in ihrer erbitterten Feindseligkeit gegenüber den Eisenbahnern, aber sie agieren aus einer Position der Schwäche, während die Eisenbahner eine Position von enormer Stärke einnehmen. Dies ergibt sich nicht nur aus ihrer entscheidenden Position in der US- und Weltwirtschaft, sondern auch aus der enormen Unterstützung und Sympathie, die sie bei anderen Arbeitern vom ersten Moment an, in dem sie den Weg des unabhängigen Kampfes für ihre eigenen Klasseninteressen einschlagen, finden werden. Ein Eisenbahnerstreik in Amerika würde zu einem Fanal für die Arbeiter in aller Welt werden.

Die zentrale Frage ist, dass die Eisenbahner die Realitäten der gegenwärtigen Konfrontation verstehen. Die Bahnchefs und die Regierung Biden sind schwach, aber sie sind sich ihrer Schwäche bewusst. Das ist ihr Vorteil.

Die Eisenbahner sind sich der Stärke ihrer eigenen Position nicht hinreichend bewusst, und das ist ihr Nachteil, der durch die vorsätzliche Sabotage der alten und überholten Gewerkschaftsorganisationen noch verstärkt wird. Dieser Kampf muss durch die Entwicklung neuer Organisationsformen, durch Aktionskomitees in allen Werkstätten und Bahnhöfen und durch die Entwicklung einer neuen politischen Führung unter den Bahnarbeitern auf der Grundlage eines sozialistischen Programms vorangetrieben werden.

Loading