Rede zur IYSSE-Kundgebung gegen Krieg, 10. Dezember 2022

Die Auswirkungen von 30 Jahren imperialistischen Krieges auf den Nahen Osten und Zentralasien

Dies ist die Rede von Harun Akin zur Kundgebung vom 10. Dezember 2022 „Für eine Massenbewegung von Jugendlichen und Studierenden gegen den Krieg in der Ukraine“, die von den International Youth and Students for Social Equality organisiert wurde.

Akin ist Mitglied der IYSSE in der Türkei. Weitere Informationen, wie ihr bei den IYSSE mitmachen könnt, findet ihr unter iysse.de.

Harun Akin | Beitrag zur Antikriegskundgebung der IYSSE

Ich spreche heute zu euch aus Istanbul, nur wenige hundert Kilometer südwestlich der Ukraine.

Die Mehrheit der Menschen in der Türkei ist gegen den Krieg in der Ukraine. Nachdem sie jahrzehntelang ununterbrochene Kriege und Massaker in der gesamten Weltregion miterlebt haben – vom Balkan über den Nahen Osten bis zum Kaukasus –, lehnen Arbeiter hier jedes weitere unnötige Leiden und Sterben ab.

Wie in anderen Nato-Staaten leidet auch in der Türkei die große Bevölkerungsmehrheit der Arbeiter und Jugendlichen unter den steigenden Lebenshaltungskosten, der zunehmenden Ausbeutung und Armut und einer perspektivlosen Zukunft.

Jeder dritte junge Mensch zwischen 15 und 24 Jahren ist arbeitslos. Einer Umfrage zufolge sehen zwei Drittel der Jugendlichen derselben Altersgruppe „keine gute Zukunft“ für das Land. Junge Menschen wollen keinen Krieg, sondern gute Arbeitsplätze und eine sichere und hoffnungsvolle Zukunft. Dies erfordert jedoch einen bewussten Kampf gegen den Krieg und seine Quelle, das kapitalistische System.

Die Nato-Mächte missbrauchen das ukrainische Volk als Kanonenfutter, um ihre imperialistischen Interessen in Eurasien durchzusetzen – insbesondere gegen Russland und China. Sie behaupten, dass es in diesem Krieg um „das Recht der Ukraine auf Selbstbestimmung“ gehe.

In Wirklichkeit haben die ukrainischen Arbeitermassen, die tief verwurzelte brüderliche Beziehungen zur russischen Arbeiterklasse haben, diese Katastrophe nicht gewollt – erst recht nicht, um der Nato beizutreten und ein Vasallenstaat der USA zu werden. Es waren die imperialistischen Mächte unter der Führung der USA und die ukrainische Oligarchie, die dies wollten.

Darüber hinaus gibt es keine einzige Regierung in der Region, einschließlich der Ukraine selbst und – wie man hinzufügen muss – der Türkei, die ihre nationalen Minderheiten nicht unterdrückt und ihnen grundlegende demokratische Rechte verwehrt.

Eines der deutlichsten Beispiele für die Heuchelei und Unaufrichtigkeit der imperialistischen und kapitalistischen Mächte in der Frage der demokratischen Rechte nationaler Minderheiten ist die Notlage des palästinensischen Volkes, das seit Jahrzehnten ununterbrochen durch das zionistische israelische Regime unterdrückt wird.

Wir stehen in Solidarität mit den ukrainischen Massen, die für die Verbrechen ihrer Regierung nicht verantwortlich sind. Aber wir verschließen nicht die Augen vor der Lage der Palästinenser oder anderer unterdrückter Ethnien.

Wer sind die Verbündeten und Freunde der dutzenden Millionen Arbeiter und Jugendlichen vom Balkan bis zum Schwarzen Meer, vom Kaukasus bis zum Mittelmeer? Sind es der US-amerikanische und der europäische Imperialismus, die die gesamte Region seit über 100 Jahren bei der Verfolgung ihrer geopolitischen Ziele verwüstet haben und heute die ganze Welt mit einem Atomkrieg bedrohen?

Sind es vielleicht die reaktionären kapitalistischen Regime der Türkei, Russlands, Ägyptens oder Saudi-Arabiens, die diesem imperialistischen System untergeordnet sind und die Interessen ihrer eigenen herrschenden Klassen vertreten?

Natürlich nicht! All diese Regime sind die unerbittlichen Feinde der internationalen Arbeiterklasse und der Jugend.

Mit Ausnahme Russlands haben sich all diese Mächte seit dem ersten Golfkrieg an der Zerstörung der Region durch den US-Imperialismus mitschuldig gemacht. Dreißig Jahre imperialistischer Interventionen und Kriege für Regimewechsel in Jugoslawien, Irak, Syrien, Libyen und Jemen haben Millionen Menschen das Leben gekostet und dutzende Millionen Menschen vertrieben.

Arbeiter und Jugendliche, die Opfer der größten Flüchtlingskrise seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurden, werden anschließend von denselben herrschenden Eliten, die sie in die Katastrophe getrieben haben, zum Sündenbock gemacht. Wenn sie sich in der Hoffnung auf eine bessere Zukunft auf den Weg nach Europa machen, lässt man sie entweder im Mittelmeer und in der Ägäis ertrinken oder sperrt sie in Internierungslager in Nordafrika und Griechenland ein.

Die IYSSE kämpfen dafür, alle Arbeiter, einschließlich der Migranten, in einem gemeinsamen revolutionären Kampf zu vereinen. In diesem Kampf verteidigen wir die gleichen Rechte aller, einschließlich des Rechts auf Staatsbürgerschaft.

Der Krieg in der Ukraine schafft eine beispiellose Krise und zieht immer mehr Länder in den Mahlstrom des Konflikts. Am Schwarzen Meer, dem Mittelmeer und im Kaukasus haben die Rivalitäten und Grenzstreitigkeiten vieler Staaten die reale Gefahr regionaler Kriege geschaffen, die rasch eine globale Dimension anzunehmen drohen.

Im Kaukasus flammt der Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan – eine der bitteren Folgen der Auflösung der UdSSR – wieder auf.

Im östlichen Mittelmeerraum treiben tief verwurzelte historische Konflikte, die durch den Ukrainekrieg und den Kampf um die Kontrolle über Kohlenwasserstoffvorkommen noch verschärft werden, die Nato-Verbündeten Türkei und Griechenland auf einen direkten bewaffneten Konflikt zu.

Griechenland ist im Nato-Stellvertreterkrieg gegen Russland zu einer wichtigen Nachschubbasis geworden und hat sein Militär in den letzten Jahren ausgebaut. Die Türkei, die aufgrund ihrer engen wirtschaftlichen und politischen Beziehungen zu Russland und der Ukraine die Rolle eines Vermittlers spielt, sieht im Erstarken Athens eine Bedrohung für sich selbst.

Die türkische und die griechische Regierung – die beide mit einer eskalierenden wirtschaftlichen, sozialen und politischen Krise konfrontiert sind – könnten zu einem Krieg greifen, um die reaktionären geopolitischen Interessen ihrer jeweiligen herrschenden Klassen zu verteidigen und die Arbeiterklasse im eigenen Land zu unterdrücken. Diese ernste Gefahr kann nur durch eine einheitliche revolutionäre Intervention der Arbeiter in der Türkei und in Griechenland aufgehalten werden.

Es muss betont werden, dass der Versuch des türkischen Präsidenten Erdoğan, in der Ukraine zu vermitteln, nichts mit „Pazifismus“ zu tun hat und auch nichts mit einer tatsächlichen Opposition gegen die Nato und den Krieg. Er ist sich lediglich bewusst, dass die katastrophalen Folgen des Nato-Krieges gegen Russland der türkischen Bourgeoisie mehr schaden als nutzen werden.

Die Erdoğan-Regierung und die türkische bürgerliche Opposition – die von verschiedenen pseudolinken Kräften unterstützt wird – drohen damit, durch die Invasion griechischer Inseln in der Ägäis einen Krieg zu provozieren. Doch nicht nur das: Sie bereiten auch eine erneute Bodeninvasion in Syrien und im Irak vor – mit katastrophalen Folgen für die Massen, insbesondere für die kurdische Bevölkerung.

Dass sich in Syrien kurdische nationalistische Kräfte, türkische Streitkräfte, syrische Truppen sowie amerikanische, russische und iranische Einheiten befinden, verdeutlicht die Gefahr, dass ein regionaler Konflikt schnell zu einem globalen Flächenbrand führen kann.

Die kurdische Frage – ein grundlegendes demokratisches Problem, das die türkische Bourgeoisie seit einem Jahrhundert nicht zu lösen vermag – hat nach 30 Jahren imperialistischen Krieges im Nahen Osten einen internationalen und explosiven Charakter angenommen.

Während wir die reaktionäre Kriegspolitik der türkischen herrschenden Elite und jede Form der nationalen Unterdrückung grundsätzlich ablehnen, betonen wir, dass den kurdischen nationalistischen Bewegungen – die zu Stellvertreterkräften des Imperialismus geworden sind – keine politische Unterstützung gewährt werden kann. Sowohl die türkische als auch die kurdische Bourgeoisie sind Komplizen der imperialistischen Mächte und Feinde der demokratischen Bestrebungen der Volksmassen.

Eine friedliche und demokratische Gesellschaft auf der Grundlage sozialer Gleichheit, die das Bestreben aller Völker der Region ist, verlangt die internationale revolutionäre Vereinigung der Arbeiter, der Jugendlichen und der unterdrückten Massen gegen den imperialistischen Krieg und alle kapitalistischen Mächte.

Die einzige fortschrittliche Lösung für die Konflikte auf dem Balkan, im Nahen Osten und in den ehemaligen Sowjetrepubliken liegt in der massenhaften Mobilisierung der Arbeiterklasse – dem Ziel einer sozialistischen Föderation, die alle Grenzen abschafft.

Die IYSSE appellieren an alle jungen Menschen und Arbeiter in dieser Region, die diese Perspektive teilen, sich uns im Kampf gegen den Krieg und für eine sozialistische Zukunft anzuschließen.

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