Kurz vor Weihnachten: Werkschließungen und Massenentlassungen

Kurz vor Weihnachten reißen die Nachrichten über Werkschließungen und Massenentlassungen nicht ab. Inmitten des anhaltenden Kriegsgeschehens im Osten grassiert die Teuerung und häufen sich Insolvenzen und Stellenstreichungen. Tausende Arbeiter stehen vor dem Verlust ihres Arbeitsplatzes und der Lebensgrundlage ihrer Familien.

In der Autoindustrie nutzen die milliardenschweren Konzerne die Umstrukturierung auf E-Mobilität und die Explosion der Energiepreise für einen Frontalangriff auf Löhne und Arbeitsplätze. Das wirkt sich vor allem bei den Zulieferbetrieben stark aus.

Im Arcelor Mittal-Werk in Eisenhüttenstadt müssen 900 Beschäftigte um ihre Arbeitsplätze bangen. [Photo by Oberlausitzerin64 / wikimedia / CC BY-SA 4.0]

Dies erfahren gerade die Arbeiter der Gießerei Druckguss Dohna in Sachsen, die schon zum 31. Dezember schließt. 120 Druckguss-Kollegen verlieren ihre Arbeit bereits in zehn Tagen; weitere 90 Arbeiter werden ein halbes Jahr später entlassen, und der Rest der 287 Beschäftigten muss Ende 2023 gehen. Druckguss Dohna gehört zum Automobilzulieferer DGH-Group und stellt vor allem Motor- und Getriebeteile aus Leichtmetall her. In einem zweiten Standort im bayrischen Hof läuft die Produktion vorerst weiter.

Im brandenburgischen Eisenhüttenstadt müssen die Stahlarbeiter von Arcelor Mittal um ihre Arbeitsplätze bangen. Die Kurzarbeit, die schon seit September anhält, wird auch im ersten Quartal 2023 fortgesetzt. Betroffen vom Lohnverlust sind vor allem die Kollegen im Walzwerk. Das Stahlwerk hatte zu DDR-Zeiten als VEB Eisenhüttenkombinat bis zu 16.000 Arbeiter beschäftigt. Heute sind es noch 900.

Von Entlassungen akut bedroht sind mehrere hundert Beschäftigte des Elektrotechnikkonzerns TE Connectivity. Der globale Konzern für elektrische und elektronische Komponenten plant den Abbau von insgesamt 300 Arbeitsplätzen an allen deutschen Standorten. Diese Nachricht ließ der Betriebsrat am Standort Bensheim (Südhessen) den Beschäftigten in einem schlichten Aushang am Schwarzen Brett mitteilen. Der Konzern, der gerade dabei ist, 300 Arbeitsplätze zu zerstören, meldet gleichzeitig einen Jahresgewinn von 2,26 Milliarden US-Dollar.

Auch die großen Autokonzerne Volkswagen, Opel/Stellantis, Daimler Benz und BMW wälzen die Krise auf die Belegschaften ab. Bei Opel wird seit Oktober an allen drei Standorten ein weiterer Stellenabbau von 1000 Arbeitsplätzen durchgesetzt. In der gesamten Autosparte wird die Produktion mehr und mehr auf Leiharbeiter verlagert.

Auch Volkswagen beschäftigt immer mehr Leiharbeiter, die schlechter bezahlt sind als Festeingestellte und leichter wieder gekündigt werden können. Dies wird vom Betriebsrat und der IG Metall seit Jahr und Tag stillschweigend mitentschieden. Aber auch die bessergestellten Ingenieure sind im VW-Konzern nicht mehr sicher. Im Oktober haben Volkswagen und Ford ihr Joint-Venture Argos AI zur Entwicklung eines autonom fahrenden PKWs aufgegeben. Infolgedessen stehen mehrere hundert Software-Ingenieure vor einer ungewissen Zukunft.

Am 15. Dezember hat der neue VW-Vorstandschef Oliver Blume seine Pläne für einen Strategiewechsel bekanntgemacht. Dabei soll Audi die Rolle des Technologieführers an Porsche abgeben, wodurch in Ingolstadt die Stellen vieler Entwicklungs- und Software-Ingenieure gefährdet sind. Im Audi-Werk Neckarsulm ist kurz darauf, am Dienstag, bekannt geworden, dass die jährlichen Fabrikkosten bis zum Jahr 2033 halbiert werden sollen.

Nicht nur in der Auto-, Stahl- und Metallproduktion – in allen Sparten ist die Krise zu spüren. Viele mittelständische Unternehmen der Produktion, Dienstleistung und Logistik wälzen die gestiegenen Energie und Krisenkosten auf die Arbeiter ab.

So werden in diesem Jahr auch die Beschäftigten von Intigena, einem Hersteller von Hygieneartikeln, ein bitteres Weihnachten erleben. In drei Monaten, Ende März 2023, soll das Werk bei Fulda (Osthessen) geschlossen und die Produktion eingestellt werden. 150 teils langjährige Beschäftigte sind betroffen. Die Hiobsbotschaft wurde ihnen auf einer Betriebsversammlung am letzten Montag mitgeteilt, und die Beschäftigten erhalten die betriebsbedingte Kündigung direkt auf den Weihnachtstisch.

Im Einzelhandel sind besonders die Verkäuferinnen und Verkäufer von Galeria Karstadt Kaufhof betroffen. Der Milliardär René Benko will bis zu 90 weitere Filialen mit rund 10.000 Beschäftigten in Kürze schließen, nachdem in den letzten zwei Jahren schon 40 Filialen stillgelegt wurden. Auch an den restlichen Standorten ist mit massivem Personalabbau zu rechnen. Die Zahlen hat der Galeria-Gesamtbetriebsrat den Angestellten, die gerade die letzten Tage des Weihnachtsgeschäfts stemmen, am 20. Dezember in einer einfachen Mail mitgeteilt.

Die Entlassungen, Betriebsschließungen und Angriffe auf Löhne und Arbeitszeiten sind Teil eines Klassenkriegs der herrschenden Klasse und ihrer Lakaien in den Gewerkschaftszentralen. Die Arbeiterklasse soll für die ausufernden Kriegskosten bezahlen, wie sie zuvor schon für die Kosten der verfehlten Pandemie-Politik bezahlen musste.

Am vergangenen Wochenende hat die Bundesbank eine Rezession für das ganze kommende Jahr und eine anhaltend hohe Inflation vorausgesagt. Die Ursachen liegen vor allem im Stopp von russischem Öl und Gas und den seit der Pandemie gestörten Lieferketten. Dennoch behaupten Banker und Ökonomen, schuld seien die angeblich allzu hohen Reallöhne der Arbeiter, welche die Inflation anfeuerten. Deshalb fordern sie niedrige Abschlüsse, ersetzen tarifgebundene Stellen durch Leiharbeiterjobs und setzen Stellenstreichungen, Werkschließungen und Tarifabschlüsse weit unter der Inflationsrate durch.

Derweil füllen sich die Aktionäre, Manager und Superreichen die Taschen. Gerade hat der Lufthansa-Aufsichtsrat beschlossen, die Ausschüttung der Millionen-schweren Boni an die Topmanager wieder aufzunehmen.

In der Pandemie, als 30.000 Lufthanseaten entlassen wurden, hat die Bundesregierung Lufthansa mit Steuermitteln in mehrfacher Milliardenhöhe gerettet. Bedingung für die Coronahilfe der Regierung war, dass der Vorstand auf Boni verzichten sollte. Aber dieser ist dazu nicht bereit. Anfang Dezember hat der Aufsichtsrat beschlossen, die Zusatzeinnahmen für das Topmanagement in Form eines sogenannten „Langfristbonus“ weiter fließen zu lassen. Laut dem Handelsblatt hat beispielsweise Lufthansa-Chef Carsten Spohr für das Jahr 2021 bisher „nur“ 1,676 Millionen Euro erhalten. Die Zahl setzt sich aus der Grundvergütung und den Nebenleistungen zusammen. Noch im Jahr 2019 waren es einschließlich der Boni fast fünf Millionen Euro gewesen.

Auch freuen sich die Aktionäre aller Großkonzerne bereits auf die neuen Dividendenausschüttungen, die sie im Frühjahr erwarten. Sie verlassen sich auf die Funktionäre der DGB-Gewerkschaften, die ihre „unternehmerischen Entscheidungen“ mit beschließen und sie auch im Fall von Massenentlassungen gegen die Arbeiter durchsetzen. Diese Bürokraten werden für ihre Dienste mit lukrativen Aufsichtsratsposten und anderen Zusatzeinnahmen entlohnt.

Ein Beispiel ist Peter Mosch, Vorsitzender des Audi-Gesamtbetriebsrats und Sprachrohr des neuen VW-Chefs Oliver Blume. Mosch lobt Blume in einem Interview in den höchsten Tönen: „Wir hatten unter Diess ein Umsetzungs-Problem. Das ändert sich grundsätzlich unter Oliver Blume“, schwärmte Mosch in der Augsburger Allgemeinen. Und weiter: „Herr Blume ruft mich auch von sich aus an. Wenn mir ein Thema auf dem Herzen liegt, kommen wir innerhalb von 24 Stunden telefonisch zusammen. Das ist ein gutes Zeichen … Herr Blume bezieht die Menschen ein.“

Später prahlt Mosch: „Wir haben vereinbart, dass etwa 9000 Stellen sozial verträglich wegfallen und dafür aber auch rund 2000 in neuen Bereichen wie der Elektrifizierung und Digitalisierung entstehen.“ Mit andern Worten, dieser Bürokrat rühmt sich, dafür gesorgt zu haben, dass 7000 Stellen „sozialverträglich“ zerstört werden. Mosch ist auch stellvertretender Vorsitzender des Aufsichtsrats von Audi und sitzt im VW-Weltkonzern-Betriebsrat, sowie in führenden Gremien von VW und Porsche. Vermutlich ist er heute Millionär.

Aber die Arbeiterklasse ist immer weniger bereit, sich von solchen Bürokraten fesseln und knebeln zu lassen. Genau wie in Großbritannien, Frankreich, USA oder Sri Lanka zeigen die anwachsenden Proteste und Streiks, dass die Wut wächst, nicht nur auf „Kapital und Kabinett“, sondern auch auf Verdi, IG Metall und alle Gewerkschaften. Denn diese isolieren jeden Arbeitskampf und lassen ihn in wirkungslosen, „symbolischen“ Aktionen und Trillerpfeifenprotesten totlaufen, während sie die Angriffe mit durchsetzen.

Gerade in den letzten Tagen gab es wieder zahlreiche Streiks, wie zum Beispiel bei Amazon in den Versandzentren Bad Hersfeld, Dortmund, Graben bei Augsburg, Koblenz, Leipzig, Rheinberg und Werne. Sie richteten sich gegen die schlechte Bezahlung, Verzicht auf Urlaubsgeld und nur sehr geringes Weihnachtsgeld und andere unsoziale Praktiken des Onlinegiganten, der die Ausbeutung auf eine neue Stufe gehoben hat. Im Sommer hatte Amazon den Betrieb nicht einmal gestoppt, als ein Arbeiter tot zusammengebrochen war.

Auch die Ikea-Verkäuferinnen und Verkäufer organisierten mitten im Weihnachtsgeschäft einen eintägigen Streik, denn auch dieser Handelsriese bezahlt schlecht und droht mit Stellenabbau. In Europa sollen bei Ikea mindestens 3500 Arbeitsplätze gestrichen werden.

Am Dienstag demonstrierten rund 200 Mitarbeiter von Vestas Windkraftanlagen im dänischen Aarhus vor der Firmenzentrale für bessere Bezahlung. Parallel dazu wird von Montag bis Freitag vor Weihnachten fünf Tage lang gestreikt. 88 Prozent der IGM-Mitglieder hatten schon Ende Oktober für einen unbefristeten Streik für bessere Bezahlung gestimmt, aber die IG Metall hat ihn bisher nicht ausgerufen. Bei Vestas Deutschland arbeiten 1700 Menschen, darunter 700 Monteure.

Die Gewerkschaften versuchen unausgesetzt, die Kampfbereitschaft der Arbeiter in harmlose Kanäle zu lenken, doch gelingt dies nicht in jedem Fall. Als die Mitarbeiter von Riesa Nudeln in Sachsen im November nach einem sieben Wochen dauernden Streik ihre Lohnforderung vollständig durchsetzen konnten, stellte der Spiegel in einem Kommentar („Proletarier aller Länder: Jammern war früher!“) fest, dass sich die Zeiten geändert hätten, denn es „mischt sich eine neue Generation ein: Jüngere Mitarbeiter, die die DDR und die Nachwendezeit nicht bewusst erlebt haben und die nicht verstehen, warum sie Hunderte Euro weniger verdienen sollen als die Kollegen aus Bayern oder Baden-Württemberg … Menschen, die nach 1990 geboren sind“. Mit dem Streik hätten viele „zum ersten Mal so etwas wie Selbstermächtigung erlebt“.

Im Saarland, wo bereits die Schließung des Ford-Werk Saarlouis bis 2025 beschlossen ist, vergießen die lokalen und überregionalen Medien Krokodilstränen darüber, dass den Arbeitern „ein Stück Identität unterm Hintern weggezogen“ werde (Zeit). Einschließlich des Industrieparks sollen in Saarlouis über 6.000 Arbeitsplätze vernichtet werden. Die IG Metall ist bemüht, mit lächerlichen Aktionen von ihrem eigenen üblen Ausverkauf abzulenken. Aber immer weniger Arbeiter sind noch bereit, bloß Protest-Sticker mit der Aufschrift: „Ohne Saarlouis mein letzter Ford“, auf das Ford-Signum der PKWs zu kleben, die sie noch bis zum bitteren Ende weiter produzieren müssen.

Immer mehr Arbeiter schließen sich dem Aktionskomitee für sichere Arbeitsplätze an, das erklärt, dass es „keine individuelle Lösung gibt. Wir stehen vor Problemen, die wir nur gemeinsam angehen und lösen können“. Das Aktionskomitee ruft die Kollegen dazu auf, sich international mit allen Ford-Kollegen und Arbeitern auf der ganzen Welt gegen die Konzerne zusammenzuschließen und den Kampf um die Arbeitsplätze und eine lebenswerte Zukunft aufzunehmen.

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