Wie Volkswagen mit den Leiharbeitern umspringt

Im Werk Emden sollen wieder neue Leiharbeiter eingesetzt werden

Der VW-Konzern, seine Leiharbeitstochter Autovison und seine Dienstleistungstochter Volkswagen Group Services (VGS) nutzen ein perfides und ausgeklügeltes System, um die Arbeiter zu spalten. Wie ein Hütchenspieler schieben sie die Beschäftigten von einer Firma in die andere, um sie besser entlassen und ausbeuten zu können.

Das VW-Werk in Emden (Bild: Bin im Garten/CC BY-SA 3.0/Wikimedia)

Für die bald beginnende Produktion des E-Modells ID.4 in Emden will der Konzern bis April über Autovision fast 1500 neue Beschäftigte einstellen. Aktuell arbeiten bei Volkswagen in Emden knapp 9000 Arbeiter.

Erst Ende letzten Jahres hatten 148 Leiharbeiter ihren Job in Emden verloren. Beschäftigte berichten, dass VW schon zu dieser Zeit gleichzeitig 160 Arbeiter neu eingestellt habe. Die knapp 150 ehemaligen Leiharbeiter sollen nun angeschrieben werden und einen auf zwei Jahre befristeten Arbeitsvertrag beim VW-Mutterkonzern erhalten. Weitere 200 sollen von Volkswagen Group Services kommen, die ohnehin plante, Arbeitsplätze abzubauen.

Da VGS-Beschäftigte in der Regel nicht in der Produktion eingesetzt werden, erhalten sie niedrigere Löhne als die Leiharbeiter von Autovision, die in der Produktion des ID.4 arbeiten sollen. Bei Autovision liegen die Löhne für Produktionsarbeiter auf unterem VW-Mutterkonzern-Niveau.

Für manche VGS-Arbeiter ist das attraktiv, da sie teilweise 10 bis 12 Euro pro Stunde weniger verdienen. Sie werden mit den höheren Löhnen bei Autovision geködert. Daher dürften selbst VGS-Beschäftigte mit unbefristetem Vertrag ihren Arbeitsplatz aufgeben, um auf einen besser bezahlten, aber befristeten zu wechseln. Sie hoffen dabei selbstverständlich, dass sie nach zwei oder spätestens nach drei Jahren vom VW-Mutterkonzern übernommen werden.

Die VGS erspart sich für die unbefristet Beschäftigten, die das Unternehmen auf diesem Weg verlassen, alle Abfindungen und möglichen Verfahren vor Arbeitsgerichten.

Die öffentliche Ankündigung der Einstellung von 1500 Arbeitern in Emden überließ der Konzern dem Betriebsrat. Der Emdener Betriebsratsvorsitzende Manfred Wulff gab am Donnerstag bei einem Pressegespräch der IG Metall die Entscheidung des Vorstands bekannt, die dieser bereits am Montag getroffen hatte. Der Fertigungsstart des ID.4, der ursprünglich für März angekündigt war, verschiebt sich laut dem Betriebsrat etwas, erfolgt „aber im Frühjahr dieses Jahres“.

Die Ankündigung durch den Betriebsrat dient auch der Unterstützung der IG Metall im laufenden Wahlkampf. Im nächsten Monat wird der Betriebsrat neu gewählt. Denn die stillschweigende Billigung der Entlassung von rund 1150 Leiharbeitern an allen VW-Standorten durch die Betriebsräte am Ende des Jahres hatte in den Belegschaften Unmut hervorgerufen.

Inzwischen hat Autovision angekündigt, dass ab März zusätzliche 570 Leiharbeiter im Werk Baunatal (bei Kassel) ihren Job verlieren. Bereits Ende November waren die Verträge von mehr als 440 Leiharbeitern lediglich um drei Monate bis Ende Februar verlängert worden. Mit 150 Beschäftigten, deren Jobs sowieso Ende Februar auslaufen, steigt die Zahl der auslaufenden Verträge auf knapp 600. Für 570 von ihnen soll es nicht weitergehen. Ob sie Angebote für einen Job im fast 400 Kilometer entfernten Emden erhalten, ist bislang unklar.

Neben der Produktion des ID.4 läuft in Emden die Produktion verschiedener Passat- und Arteon-Modellreihen mit Verbrennermotor weiter. Ob daher neben den Leiharbeitern auch Beschäftigte anderer VW-Werke, etwa aus dem 250 Kilometer entfernten Stammwerk in Wolfsburg zeitweise nach Emden wechseln könnten, ließ Betriebsrat-Chef Wulff offen.

Unter Wolfsburger Beschäftigten ging das Gerücht um, dass sie im Laufe des Jahres in den Norden Deutschlands versetzt werden könnten. Denn letzte Woche hatte die VW-Konzernspitze mitgeteilt, in Wolfsburg ab Mitte April fast sämtliche Nachtschichten zu streichen.

Der Mangel an Mikrochips und anderen wichtigen Elektronikbauteilen zwinge VW, nach den Osterfeiertagen vorerst nur noch auf einer Montagelinie im Dreischichtsystem, also auch nachts, zu arbeiten – und zwar für Tiguan, Touran und Seat Tarraco. Überall sonst greife dann ein Zweischichtbetrieb. Das trifft verschiedene Versionen des meistverkauften Modells, des Golf. Für die Arbeiter bedeutet das empfindliche Lohneinbußen, da die Zuschläge wegfallen.

Die Vorsitzende des Gesamtbetriebsrats Daniela Cavallo, die auch dem Betriebsrat im Stammwerk vorsteht, stimmte stillschweigend zu: „Wir haben diese Vorhaben des Unternehmens zur Kenntnis genommen.“

In den kommenden Betriebsratswahlen im März ist Cavallo mit einer Opposition aus eigenem Hause konfrontiert. Der ehemalige Wolfsburger IGM-Sekretär und VW-Betriebsrat Frank Patta wirft – wie andere Listen auch – Cavallo vor, nicht konsequent die Interessen der 60.000 Beschäftigten in Wolfsburg zu vertreten. Mit der Verweigerung einer E-Modell-Produktion am Standort sei Wolfsburg ins Hintertreffen geraten.

Patta und den anderen Listen geht es nicht um die Belange der Belegschaft. Diese sind nur zu verteidigen, wenn sich die Beschäftigten aller Standorte – auch international – solidarisieren und zusammen kämpfen. Doch Patta und die anderen Betriebsratskandidaten spalten wie Cavallo die Arbeiter nach Standorten. Sie sehen den Konzern von der gleichen Warte wie Vorstandschef Herbert Diess und sein Management. Es geht um Absatz, Auslastung, Kostenreduzierung, Rentabilität, Gewinn und Dividende, nie um Arbeitsplätze, Arbeitsbedingungen und Löhne.

Cavallo und Patta haben viele Jahre eng mit dem vorherigen Betriebsrats-Vorsitzenden Bernd Osterloh zusammengearbeitet. Cavallo wurde von ihm systematisch als seine Nachfolgerin aufgebaut, Patta wurde 2012 von Osterloh in den VW-Betriebsrat geholt, um bis 2018 als Generalsekretär und Vorsitzender des Welt- und Europakonzernbetriebsrats für Ruhe und Ordnung zu sorgen.

Die Auseinandersetzung dieser beiden langjährigen Bürokraten dreht sich nicht darum, wer die Interessen der Beschäftigten besser vertritt, sondern wer die Interessen des Unternehmens besser gegen die Arbeiter durchsetzt.

Cavallo ist durch jahrzehntelange Arbeit in der Betriebsratsspitze und nun im Aufsichtsrat weit weg von der Belegschaft. Wenn sie sich in der Öffentlichkeit äußert, spricht sie wie ein Mitglied des Vorstands. Sie spricht immer von „wir“, wenn sie den Konzern meint. Die Beschäftigten kommen in den Überlegungen dieser Co-Managerin kaum vor.

In einem ausführlichen Interview, das letzte Woche in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erschien, antwortet sie auf die Frage, wie viele Stellen angesichts der Umstellung auf Elektromobilität wegfallen, das könne „heute niemand exakt sagen“. Klar sei aber die Tendenz, „dass es in Summe perspektivisch eher weniger werden, sozialverträglich und entlang der demografischen Kurve. Die Produktivität wird sich erhöhen, Digitalisierung und neue Fertigungstechniken schreiten voran. Davor können und wollen wir die Augen nicht verschließen.“

Patta ist Betriebsrat in der Produktion und bekommt unmittelbarer als Cavallo die Stimmung im Werk mit. Der Grund für seine Kandidatur sei „die Sorge um die Arbeitsplätze hier in Wolfsburg, insbesondere in der Produktion,“ sagte er der Wolfsburger Allgemeinen Zeitung im November letzten Jahres. Das Verbrenner-Aus sei beschlossen, in Wolfsburg würden aber bis auf einige Hybride nur Verbrenner gebaut, so Patta.

Das Elektro-Modell unter dem Projektnamen Trinity kommt erst 2026 und wird dann in einer ganz neuen Werkhalle gebaut, die wahrscheinlich auf der grünen Wiese in einem Stadtteil Wolfsburgs entstehen wird. Die Beschäftigten sorgen sich daher berechtigterweise um ihre Jobs.

Im November hatte die WSWS geschrieben, Pattas „Gerede über ‚Intransparenz‘ des Betriebsrats unter Osterloh und jetzt Cavallo, die sich als Co-Manager statt Kontrolleure des Vorstands verstünden, und über deren Gekungel in ‚Hinterzimmern oder Werksfliegern‘“ diene dazu, „die wachsende Opposition im Werk einzufangen. Der sich entwickelnde Widerstand der Arbeiter soll so in eine Sackgasse geführt werden.“

Die Verteidigung von Arbeitsplätzen, Löhnen und Arbeitsbedingungen ist nur in unversöhnlicher Opposition zur IG Metall und völlig unabhängig von ihr möglich. Dazu müssen Aktionskomitees aufgebaut werden, um den Kampf gegen Vorstand, Gewerkschaft und Betriebsrat und die geplanten Angriffe auf Arbeitsplätze und Löhne zu organisieren.

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