Zwei Jahre nach Kapitol-Putschversuch in den USA: Faschisten stürmen brasilianische Regierungsgebäude

Tausende Anhänger des faschistischen Ex-Präsidenten Jair Bolsonaro sind am Sonntag in die Hauptstadt Brasilia eingedrungen und haben dort mehr als drei Stunden lang den Sitz der drei Staatsorgane besetzt. Die Demonstranten forderten einen Militärputsch zur Absetzung und Inhaftierung des kürzlich vereidigten Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva von der Arbeiterpartei (PT).

Polizisten stehen beiseite, während Faschisten in brasilianische Regierungsgebäude eindringen [Photo: Marcelo Camargo/Agência Brasil ]

Die Ereignisse markieren eine neue Etappe der explosiven politischen Krise in Brasilien und ganz Lateinamerika. Sie fanden nur eine Woche nach Lulas Amtsantritt statt und sind eine lebendige Bestätigung der ersten Sätze der Neujahrserklärung der World Socialist Web Site: „Die Neujahrsfeiern fallen diesmal kurz aus. Das alte Jahr ist Geschichte, aber seine Krisen bestehen fort und werden sich verschärfen.“

Die Invasion vom 8. Januar in Brasilia ist das neueste Produkt der Verschwörung von Bolsonaro und seinen faschistischen Verbündeten gegen die Demokratie in Brasilien. Zusammen mit seiner Liberalen Partei (PL) weigerte sich der ehemalige Präsident, den Sieg von Lula anzuerkennen und schürte eine gewalttätige Bewegung, um die Wahlen anzufechten.

Die unmittelbare Inspiration der Aktion vom Sonntag war die Invasion des US-Kapitols in Washington D.C. am 6. Januar 2021 durch Anhänger Donald Trumps. In vielerlei Hinsicht handelte es sich auch um einen Versuch, das Drehbuch von Washington zu wiederholen. Bolsonaro hat den versuchten faschistischen Staatsstreich in den Vereinigten Staaten offen als politischen Leitfaden herangezogen.

Während sein Sohn Eduardo eingeladen war, die Ereignisse in Washington zu beobachten, kündigte der damalige Präsident Bolsonaro im Januar 2021 seine Absicht an, seine eigene Version von Trumps Wahlputsch durchzuführen, indem er sagte, Brasilien werde bei seinen Wahlen „schlimmere Probleme als in den Vereinigten Staaten“ haben.

Wie bei den Ereignissen in Washington vor zwei Jahren genoss die Erstürmung der Regierungssitze durch Bolsonaros faschistische Anhänger entscheidende Unterstützung vonseiten der Polizei, des Militärs und anderer Teile des Staatsapparats.

Bereits am Vortag hatte die Tageszeitung O Estado de São Paulo berichtet, dass laut Geheimdienstberichten der Regierung 100 Busse mit 3.900 Personen zu einer Demonstration am Sonntag gegen die gewählte Lula-Regierung nach Brasília fahren würden. Nach Angaben derselben Zeitung war die Aktion seit dem 3. Januar auf Bolsonaro-freundlichen Social-Media-Kanälen angekündigt worden.

Fahrpläne von Bussen, die die Demonstranten aus verschiedenen Teilen des Landes in die Hauptstadt bringen sollten, wurden öffentlich in Umlauf gebracht mit Slogans wie: „Brasília übernehmen“; „Exekutive, Kongress und STF besetzen“; „Plan B: alle zum Kongress!“. Eines der Werbevideos rief zu einer „allgemeinen Bewegung des zivilen Ungehorsams“ am 7. und 8. Januar auf, um „den [Präsidenten-]Palast zu umzingeln, keinen Senator, Minister oder Richter hineinzulassen“ und eine „provisorische Regierung“ auszurufen, die später vom Militär unterstützt werden sollte.

Diese Personen, die mit Bussen aus anderen Teilen des Landes gebracht wurden, schlossen sich einer kleineren Gruppe faschistischer Fußsoldaten an, die seit November vor dem Hauptquartier der Armee in Brasilia lagern. Das Lager wird von führenden Vertretern der Bolsonaro-Regierung umsorgt und diente als organisatorisches Zentrum, um durch systematische Aktionen die Wahlergebnisse zu kippen. Dazu gehörte auch ein terroristischer Plan inklusive eines Bombenanschlags auf den Flughafen von Brasilia am 24. Dezember, der jedoch fehlschlug.

Obwohl die Polizeikräfte in Brasília von den Vorbereitungen für den 8. Januar wussten und die Aktionen der Faschisten, die den Anschlag organisierten, über Monate hinweg beobachtet hatten, ließen sie die Ausführung des Plans absichtlich geschehen.

Gegen 14.00 Uhr marschierten die Demonstranten vom Lager am Armeehauptquartier zum Praça dos Três Poderes (Platz der drei Gewalten). Vor 15 Uhr befanden sie sich bereits im Kongress und besetzten bald darauf den Präsidentenpalast und den Obersten Gerichtshof.

Reporter von Estado de São Paulo, die während der Ereignisse anwesend waren, berichteten: „Mehr als drei Stunden nach Beginn der Invasion trafen immer noch weitere Radikale ein, um ihre terroristischen Aktionen zu verstärken. Sie gingen vor Gruppen von Polizeibeamten vorbei, die untätig blieben, ohne den Zugang der Eindringlinge zu verhindern.“

Die Haltung der Polizisten war nicht nur von Untätigkeit, sondern vielmehr von offener Bewunderung geprägt. Militärpolizisten wurden dabei gefilmt, wie sie freundlich mit den faschistischen Demonstranten plauderten und Selfies mit ihnen machten, als diese die staatlichen Gebäude stürmten.

Da die brasilianische Polizei – die international als eine der gewalttätigsten und mörderischsten Repressionskräfte der Welt bekannt ist – den Protest angeblich nicht eindämmen konnte, hatte der faschistische Mob genug Zeit und Raum, um in die Gebäude einzudringen und sie zu zerstören. Nachdem sie ihr Hauptquartier erneut bezogen hatten, berichteten Beamte der Lula-Regierung, dass Demonstranten Waffen und Munition aus dem Amt für institutionelle Sicherheit (GSI) gestohlen hatten.

Bolsonaro – der sich seit Ende Dezember in Orlando aufhält und sich geweigert hatte, an Lulas Amtseinführung teilzunehmen – distanzierte sich auf Twitter öffentlich von den Ereignissen in Brasília. Er schrieb, dass „Plünderungen und Überfälle auf öffentliche Gebäude, wie sie heute stattgefunden haben, ebenso wie diejenigen der Linken in den Jahren 2013 und 2017 [populäre Proteste mit sozialen Forderungen] jenseits der Regeln sind“.

Bolsonaros Versuch, sich von den Aktionen in Brasília zu distanzieren, erinnert an Trumps öffentliche Haltung am 6. Januar 2021. Dieser jüngste Akt ist untrennbar mit dem gesamten Komplott zur Beseitigung der Wahlergebnisse verbunden, das Bolsonaro persönlich vorbereitet und geleitet hat. Auch wenn seine direkte Beteiligung an den gestrigen Ereignissen noch zu beweisen ist, ist es undenkbar, dass er nicht vorher von den Ereignissen wusste und sie erst im Nachhinein kritisierte.

Trotz des Zugeständnisses der PT-Regierung, dass die Ereignisse eine ernsthafte Bedrohung darstellten, zeigt ihre Reaktion sowohl die Ohnmacht als auch die reaktionäre Rolle dieser politischen Vertreterin der brasilianischen herrschenden Klasse.

Am späten Nachmittag meldete sich Lula zu Wort, verurteilte den Anschlag und ordnete eine Intervention des Bundes im Bundesdistrikt (DF) an, wodurch die Sicherheitskräfte aus den Händen des Gouverneurs des Bundesstaates, Ibaneis Rocha von der Demokratischen Bewegung Brasiliens (MDB), genommen und der direkten Kontrolle der Bundesregierung unterstellt werden.

Lula bezeichnete die Angreifer als „fanatische Faschisten“, die „etwas getan haben, was es in der Geschichte dieses Landes noch nie gegeben hat“. Er fuhr fort, dass „dieser Massenmörder [Bolsonaro]... dies nicht nur angestiftet hat, sondern, wer weiß, es immer noch über die sozialen Medien anstiftet... von Miami aus, wo er in Sicherheit ist. Tatsächlich ist er dorthin geflohen, um mir nicht die Präsidentenschärpe zu überreichen.“

Als Lula die Intervention der Bundesregierung in Brasília ankündigte, räumte er öffentlich ein, dass die Verantwortlichen für die „öffentliche Sicherheit des Bundesdistrikts“ am Sonntag und in anderen Fällen der letzten Zeit mit „bösem Willen oder böser Absicht“ gehandelt hätten. Mit Blick auf den Sicherheitsminister des Bundesdistrikts Anderson Torres erklärte Lula, dass „sein Ruf, die Demonstrationen zu dulden“ „allgemein bekannt ist“.

Über ihren Rechtsvertreter, die Generalstaatsanwaltschaft, verlangte die Lula-Regierung, dass der Bundesgerichtshof (STF) Torres und alle an den Aktionen vom Sonntag Beteiligten sofort verhaftet. Wie Bolsonaro hält sich auch Torres in den Vereinigten Staaten auf. Am späten Abend verfügte der STF die 90-tägige Amtsenthebung des Gouverneurs Ibaneis.

Lula behauptet zwar, seine Regierung habe diese Maßnahmen ergriffen, „um ein für alle Mal zu garantieren, dass so etwas in Brasilien nie wieder vorkommt“, doch diese Maßnahmen kratzen nur an der Spitze des Eisbergs.

Ein entscheidender Teil der Kräfte, die für die faschistischen Angriffe am 8. Januar und in den vorangegangenen Monaten in Brasilien verantwortlich waren, befindet sich nach wie vor in einflussreichen Positionen im Staatsapparat und sogar in Lulas eigenem Regierungsstab. Die Verantwortung von Lulas Verteidigungsminister José Múcio Monteiro ist besonders eklatant.

Vor weniger als einer Woche sprach sich Múcio Monteiro öffentlich gegen jegliche Unterdrückung der faschistischen Bewegung aus, die die Erstürmung der drei brasilianischen Staatsgebäude organisiert hatte, und erklärte seine Sympathie für die Teilnehmer. „Diese Demonstrationen in dem Lager – und ich sage das mit großer Autorität, weil ich dort Familie und Freunde habe – sind Demonstrationen für die Demokratie“, erklärte der Minister.

Am Sonntag besuchte Múcio das Lager vor dem Armeehauptquartier – angeblich, um es zu inspizieren und „die Stimmung“ der Demonstranten zu ermitteln. Das Nachrichtenportal Poder360 berichtete über ein Gespräch mit dem Minister um 14:27 Uhr – nur wenige Minuten, bevor der Kongress gestürmt wurde – und zitierte ihn mit den Worten, die Demonstration sei „im Moment ruhig“.

Der PT-Abgeordnete Washington Quaquá wies darauf hin, dass neben Múcio auch Justizminister Flávio Dino von der Partido Socialista Brasileiro (PSB) direkt für den Vorfall verantwortlich sei. Er sagte Metrópoles: „Sowohl Dino als auch Múcio wurden schon vor Tagen vor dieser Invasion gewarnt. Das hätte niemals passieren dürfen. Dino und Múcio waren untätig.“

Die Ernennung von Múcio und anderen rechten Figuren zu führenden Positionen in der PT-Regierung war nicht das Ergebnis einer schlechten Entscheidung der PT. Sie wurden gerade deshalb ausgewählt, um es der neuen Regierung zu ermöglichen, den wachsenden faschistischen Kräften innerhalb des Militärs und des Staates entgegenzukommen.

Die Bemühungen der PT und ihrer pseudolinken Unterstützer in der Partei für Sozialismus und Freiheit (PSOL), Illusionen in die angeblich demokratischen Neigungen der verrotteten brasilianischen Bourgeoisie und ihres Staates zu schüren, sind nur dazu geeignet, politischer Reaktion Vorschub zu leisten. Sie zeigen, dass sie für die Entstehung einer faschistischen Bewegung in Brasilien politisch verantwortlich sind.

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