„Die Helden dieser Geschichte sind die Menschen von Minamata, die sich gegen alle Widerstände Gehör verschafften.“

Regisseur Andrew Levitas über „Minamata“ und die kreativen Hintergründe

Der Film „Minamata“ von Andrew Levitas wird seit dem 11. Januar 2023 auf Sky gezeigt. Wir veröffentlichten hier ein Interview mit dem Regisseur Andrew Levitas, das am 18. Februar 2022 auf der englischsprachigen Ausgabe der WSWS erschienen ist.

Im Februar 2022 sprach der Regisseur, Produzent, Maler und Bildhauer Andrew Levitas mit der World Socialist Web Site über seinen dramatischen Spielfilm „Minamata“. Er basiert auf einem Drehbuch von Levitas, David K. Kessler, Stephen Deuters und Jason Forman. Ein Protagonist und Produzent des Films ist Johnny Depp.

Der Film spielt in den frühen 1970er Jahren und handelt von der industriellen Vergiftung japanischer Fischergemeinden durch den Chemiekonzern Chisso Corporation. Er zeigt die entschlossenen Bemühungen des berühmten Foto-Essayisten W. Eugene Smith (Johnny Depp) und seiner Frau Aileen Mioko Smith (Minami Bages), dieses Verbrechen aufzudecken.

MGM erwarb Anfang 2019 die US-Vertriebsrechte für „Minamata“, weigerte sich aber, den Film zu zeigen. Der Akquisitionsleiter des Unternehmens, Sam Wollman, sagte Levitas: „Johnny Depps persönliche Probleme“ (d.h. eine chaotische Scheidung von seiner früheren Frau Amber Heard) könnten sich negativ auf MGM auswirken, und deshalb werde der Film „begraben“.

Am 3. Dezember 2021 gab Iervolino & Lady Bacardi Entertainment bekannt, dass es die US-Vertriebsrechte von MGM erworben habe. Das Unternehmen gab dem Film nur einen einwöchigen Kinostart, beginnend am 11. Februar 2022, in 27 amerikanischen Kinos, darunter nur zwei in New York City. Seit einer Woche, seit dem 11. Januar 2023, wird der Film nun auf Sky gezeigt.

Hier das Video mit dem vollständigen Interview

In dem Interview, das aus Gründen der Übersichtlichkeit und der Länge redigiert worden ist, baten wir Levitas, uns zu erklären, was ihn an der „Minamata“-Geschichte gereizt hat, und wie der Film entstanden ist. Auch wollten wir mehr über die Art und Weise wissen, wie W. Eugene (Gene) Smith fotografiert hatte.

Richard Phillips: Vielen Dank, Andrew, für „Minamata“ und für deine Zeit heute.

Andrew Levitas: Zunächst einmal möchte ich dir und deinen Kollegen für all das danken, was ihr getan habt, um den Film zu unterstützen und die Gründe bekannt zu machen, warum seine Geschichte so wichtig ist. Keiner von uns hat diesen Film aus finanziellen oder beruflichen Gründen gedreht. Wir haben uns alle daran beteiligt, weil diese Geschichte auch 50 Jahre nach den Ereignissen noch erzählt werden muss.

Ich erinnere mich, dass ich die Minamata-Bilder von Gene Smith sah, als ich etwa 10 oder 12 Jahre alt war. Meine Eltern hatten eine Sammlung alter Life-Magazine, und als ich sie durchblätterte und „Tomoko Uemura im Bad“ sah, fühlte ich mich ziemlich komisch.

Ich fühlte mich unwohl, weil ich den Eindruck hatte, dass es mir beim Anblick dieses missgebildeten Kindes eigentlich hätte schlecht gehen müssen, aber irgendwie war es nicht so. Ich fühlte mich gut und sogar ermutigt. In diesem Alter war das wirklich kompliziert, weil ich noch nicht bewusst verstehen konnte, was ich da sah und warum ich so fühlte.

Jahre später, als ich Künstler wurde und dieses Werk und viele andere wieder sah, wurde mir klar, dass es bei mir hängen geblieben war, weil das, was ich damals gefühlt hatte, richtig war. Es ist ein Bild der Hoffnung und der Liebe, und es ist mitfühlend. Es bringt das absolut Beste der Menschheit in uns zum Ausdruck.

Das Besondere an Genes Arbeit ist ihre Güte und Hoffnung. Es gibt darin eine Leichtigkeit, die wirklich die Dunkelheit zu verdrängen scheint – in seinen Fotografien ist ja das Licht so hell und die Schwärze so schwarz. Also habe ich mich erneut mit seiner Arbeit beschäftigt. Aber es dauerte noch etwa 15 Jahre, 30 Filme und wer weiß wie viele Kunstausstellungen, Gedichtbände und all die anderen Dinge, bis mir klar war, dass diese Geschichte wieder ans Licht gebracht werden musste.

Erstens konnte ich nicht glauben, dass es 50 Jahre später immer noch Opfer und Patienten in Minamata gibt, die darum kämpfen, gehört zu werden, die darum kämpfen, anerkannt zu werden, geschweige denn entschädigt zu werden oder Hilfe zu bekommen – damit einfach jemand sagt: Ja, wir glauben euch, wir verstehen euch.

Zweitens hat mich zunehmend beunruhigt, dass die Probleme der Umweltverschmutzung, mit denen wir alle konfrontiert sind, so isoliert betrachtet werden. Wenn es zum Beispiel ein Problem in Australien gibt, dann ist das Australiens Problem. Wenn es ein Problem in Neuseeland gibt, ist es Neuseelands Problem, oder etwas in Newark, New Jersey, ist New Jerseys Problem, oder in Flint, Michigan, ist es Michigans Problem, oder eine Ölplattform im Golf von Mexiko, dann ist es deren Sache.

Mir wurde klar, dass dies mit den großen Konzernen und dem großen Geld zu tun hat und dass das System so aufgebaut ist, dass wir uns nur um die Dinge in unserm Bereich kümmern und nicht wirklich bedenken, dass es im Grunde um ein und dasselbe Problem geht. Das hat mich wirklich umgetrieben, und ich habe mir überlegt, was für einen Film ich machen könnte.

Ich bin kein Filmemacher, der eine Art Journalistenfilm wie „Vergiftete Wahrheit“ oder „Erin Brockovich“ macht, und obwohl ich ein großer Fan dieser Filme bin, wollte ich etwas Universelleres machen. Einen Film, der jeden Menschen auf der ganzen Welt anspricht, mit dem sich jeder beschäftigen kann.

In den Filmen, auf die ich gerade verwiesen habe, und in mehreren anderen, die einige Filmemacher im Laufe der Jahre gewagt haben, ist der Held oft die Person, die der Geschichte auf den Grund geht. Er findet den Heureka-Moment und bringt dann im Grunde die Bösen zur Strecke. Für mich fühlt sich das nicht nachvollziehbar an. Es ist offenbar für den Einzelnen kein taugliches Rezept zum Handeln.

Schon als ich das erste Mal davon erfuhr, waren die Helden dieser Geschichte die Menschen von Minamata. Sie haben mit den gesellschaftlichen Normen gebrochen und sich gegen alle Widerstände durchgesetzt. Sie forderten einfach, gehört und gesehen zu werden. Und Smith ging dort hin und brachte das dann dem Rest der Welt nahe. Das war das Besondere.

Dadurch konnte ich mich in Smith‘ Perspektive hineinversetzen, durch sein Auge sehen. Ich konnte es nachvollziehbar, begreiflich und (wie ich hoffe) poetisch, elegant und schön machen. Das ist wichtig, wenn man mit behinderten und missgebildeten Kindern zu tun hat, denn wenn wir etwas tun wollen, dann müssen wir diese schwierigen Dinge anschauen, hinsehen und uns hineinversetzen.

Nun ja, das ist eine sehr lange Antwort auf deine kurze Frage.

RP: Jane Evelyn Atwood, eine Fotografin, die sich für „Minamata“ einsetzt und fordert, dass er gezeigt wird, bezieht sich darauf. Sie spricht über die Notwendigkeit, Bilder, die die Menschen nicht sehen wollen, zu enthüllen und den Kampf zu zeigen, der damit verbunden ist.

Gene Smith war offensichtlich ein komplexer Mensch. War es entmutigend, diese Komplexität konkret darzustellen? Was ging dir durch den Kopf, und was wolltest du vermeiden und was zeigen?

AL: Ich konnte viel Zeit mit Aileen [Mioko Smith] verbringen, und sie hat mir viele sehr persönliche und aufschlussreiche Einblicke gewährt. Ich besuchte auch Minamata und sprach mit vielen noch lebenden Opfern, Patienten und Angehörigen. Es war für mich sehr wichtig, ihre Unterstützung zu gewinnen. Smiths Familie und insbesondere Kevin Smith waren ebenfalls sehr hilfreich, und dann waren da natürlich die Familien von Minamata.

Die größte Herausforderung bestand darin, diesen Menschen gegenüber das Richtige zu tun, denn es war klar, dass wir alte Wunden wieder aufreißen würden. Es würde schmerzhaft für sie sein. Sie hatten schon genug durchgemacht, also musste ich sicherstellen, dass der Film für sie wirksam und richtig sein würde, und dass wir es richtig machen würden, wenn wir uns mit Smith und seiner Arbeit beschäftigten.

Gene fotografierte in Schwarz-Weiß, sah die Welt aber in Farbe. Es war eine Herausforderung, das zu nutzen und dann zu interpretieren. Wir hatten eine Menge Tricks und Werkzeuge zur Verfügung, was ziemlich aufregend war.

Ich musste einen Film machen, der die Dorfgemeinschaft angemessen repräsentierte, der ihren Dialekt richtig wiedergab und all dies auf sensible Weise tat. Der Film musste das japanische Publikum ansprechen, was bedeutete, dass ich filmische Entscheidungen treffen musste, was die Position der Kamera und die Art der Erzählung anging.

Außerdem musste ich herausfinden, wie ich einem Laien – jemandem, der bisher zum Fotografieren nur ein Smartphone in die Hand genommen hat – wirklich zeigen konnte, wie der Prozess abläuft, wie es sich anfühlt. Ich bin selbst Fotograf, und ich musste das auf eine Weise darstellen, dass die Fotografen sagen würden: „Es stimmt, das ist richtig.“ Ich bin sehr dankbar, dass sich seither viele Fotografen gemeldet haben, die das anerkennen.

Wir mussten der Tatsache Rechnung tragen, dass 99 Prozent des Publikums noch nie eine richtige Kamera in der Hand hatten. Das bedeutete, dass wir herausfinden mussten, wie wir den Leuten unsere Sprache, die Sprache von Smith und die Sprache der Fotografie, auf eine prägnante Art und Weise nahebringen konnten, die sich aber gleichzeitig elegant und unterhaltsam anfühlt. Es kann nicht nur heißen: „Hier ist deine Lektion in Sachen Fotografie“, sondern es muss ein Gefühl dafür vermittelt werden, wie es sich anfühlt und wie es aussieht, wie es riecht, all das.

Gene Smith (Johnny Depp) in seiner Dunkelkammer in New York [Photo: Minamata]

Zu Beginn des Films steht Gene vor der Kamera, und im weiteren Verlauf des Films wird er wirklich zu unserem Auge und wir zu seinem Auge. Es gab viele Dinge, die wir gemacht haben, und ich könnte stundenlang darüber sprechen.

Dieser Teil der Herausforderung hat uns viel Spaß gemacht, und wir haben sehr viel Zeit mit der Planung der Darstellung verbracht. Aber wir wollten auch Genes spirituelle Seite darstellen, die Erfahrung, die er machte, und das, was die Menschen vor Ort durchgemacht hatten. Das war schwieriger, weil man es mit Schauspielern und ihren Interpretationen zu tun hatte. Ich freue mich, sagen zu können, dass insbesondere Aileen und andere Leute, die Gene sehr gut kannten, sich gemeldet haben und mit Johnnys Interpretation, seiner Leistung, sehr zufrieden sind.

RP: Alle Fotografen, die ich befragte, kommentierten seine Leistung und fanden sie sehr überzeugend. Mehrere von ihnen hatten selbst schon als Fotografen in Kriegsgebieten gearbeitet und litten unter posttraumatischer Belastungsstörung. Sie waren voll und ganz bei der Sache und lobten ihn sehr. Das ist eine enorme Leistung.

Ich lese im Zusammenhang mit neuen Filmen oftmals viel Schönes über das wunderbare Engagement der Schauspieler, der Crew usw., aber im Fall von „Minamata“ ist das offenbar nicht nur PR, sondern Realität. Könntest du dazu was sagen?

AL: Es ist witzig, dass du das ansprichst, und du hast Recht. Das meiste, was man über solche Filme liest, ist totaler Blödsinn, entschuldige den Ausdruck, aber es ist so. Bei diesem Film war es nicht so, dass sich alle gut verstanden, es war kein Kumbaya und all das, es gab tatsächlich eine Menge Hin und Her, aber es gab echtes Engagement.

Ich habe keine einzige Person an mein Set gelassen, die nicht genau wusste, was wir vorhatten und warum, und das gilt auch für die Statisten: mit jedem von ihnen sprach ich persönlich. Das gilt natürlich nicht für das Catering und die Fahrer, aber alle, die an der Produktion des Films beteiligt waren, hatte ich überprüft, nicht nur auf ihr künstlerisches Talent, sondern auch auf ihr Engagement und ihr Verständnis hin.

Wir arbeiteten sehr hart daran, ein Team und eine vollständig realistische Umgebung aufzubauen. Wir hatten keine bizarren Pappwände und keine Sets ohne Decke. Wenn wir etwas bauten, dann richtig und mit allen Details, so dass unsere Künstler – sowohl vor als auch hinter der Kamera – das Gefühl hatten, in eine echte Umgebung einzutauchen.

Ein großes Kompliment, das Johnny mir schon früh machte, war, dass er das Gefühl habe, in einem Dokumentarfilm zu leben. Er wusste nicht warum, aber es half ihm, die Geschichte zu erleben, darin zu leben und einfach Gene [Smith] zu sein.

Wir hatten eine bestimmte Zeitspanne, um diesen Film zu drehen, und wir benötigten weniger Tage als geplant. So etwas passiert normalerweise nicht bei einem solchen Film. Aber bei diesem war es so, denn es gab keinen Bullshit. Die Leute waren mit Feuereifer bei der Sache, und das nicht nur aus Liebe zum Spiel, was allein schon einmalig ist, sondern aus Leidenschaft und dem Gefühl heraus, dass wir wirklich die Meinung ändern und die Menschen dazu inspirieren konnten, sich zu erheben und ihrer Stimme Gehör zu verschaffen. Es war erstaunlich.

Levitas am Set bei der Vorbereitung einer Protestszene für "Minamata" [Photo: Larry Horricks]

RP: Man könnte über viele verschiedene Aspekte der Produktion diskutieren, aber ich muss die Protestszenen erwähnen. Die Verwendung von nachgestelltem Archivmaterial, echtem Archivmaterial und die Kameraarbeit von Benoît Delhomme [The Scent of Green Papaya (1993), The Proposition (2005), The Boy in the Striped Pajamas (2008), The Free State of Jones (2016), Eternity's Gate (2018)] – das alles war wunderbar und absolut überzeugend. Diese Szenen hatten echte Spannung, und nichts fühlte sich falsch, veraltet oder deplatziert an. Wie hast du das erreicht?

AL: Danke, dass du das ansprichst. Es war kompliziert, das richtig hinzubekommen, aber alles begann und endete mit unserm Vorsatz, dass wir es echt machen wollten. Wie ich schon sagte, gab es niemanden am Set, der nicht voll und ganz bei der Sache war, auch nicht die Statisten. Ich habe jedem von ihnen Dokumentarfilme zukommen lassen, damit sie verstehen, wer sie sind, was sie tun und warum sie dort sind.

Es wurde nicht alles im Schnitt gemacht. Es war etwas, das wir an dem Tag selbst in Angriff nehmen mussten, um mit unserer Bolex [Filmkamera] zu filmen, zu wissen, welches dokumentarische Material wir hatten, und es dann in Echtzeit zu drehen.

Am Ende mussten wir einen Aufstand darstellen, aber das durfte nicht gefährlich werden. Ich setzte mich mit einem Mikrofon hin und erzählte allen, was passiert war, warum wir dort waren und was mit der Schwester oder dem Cousin von dem und jenem geschehen war.

Benoît war nicht so überzeugt davon, dass es funktionieren würde, aber als wir das ganze Filmmaterial darlegten, ging eins ins andere nahtlos über. Es ist ein Element des Films, worüber wir alle begeistert und stolz sind.

RP: Der Film hat in der Beziehung zwischen Aileen und Gene viele subtile Momente. Kannst du auch ein wenig über diesen Prozess erzählen?

AL: Es war unmöglich, alles, was wir hatten, in die zwei Stunden zu packen, also musste ich Prioritäten setzen. Das Wichtigste war, dafür zu sorgen, dass die tragenden Elemente vorhanden waren. Was war das Wichtigste an ihrer Beziehung, ihre wesentliche Wahrheit zu diesem Zeitpunkt, und wie konnte ich das auf die am wenigsten störende Art und Weise ausdrücken? Ehrlich gesagt ist ihre Beziehung nicht die Geschichte des Films, die ich erzählen wollte, aber ich konnte sie auch nicht weglassen.

Hätten sie sich im Bett geliebt oder geküsst, wäre das in dem zweistündigen Kontext des Films fehl am Platz gewesen. Also mussten wir ihre Beziehung aus dem Blickwinkel betrachten, wer ist Gene, wer ist Eileen und wie interagieren sie in dieser Zeit. Was ist ihr Ding? Ich habe so viel Zeit mit Aileen verbracht, um darüber zu sprechen, dass ich das Gefühl habe – und sie auch – dass wir es genau richtig gemacht haben. Das ist sehr befriedigend.

Ich bin mir sicher, dass es eine ganze Reihe von Autoren und Zuschauern gibt, die gerne diesen großen Kuss oder diese Art von typischer Hollywood-Sache gesehen hätten. Aber das hat einfach nicht reingepasst.

Aileen Mioko (Minami Bages) und W. Eugene Smith (Johnny Depp) am Bett einer Minamata-Patientin [Photo: Metalwork Pictures]

RP: An einer Stelle des Films sagt Gene: „Die Vertuschung durch die Chisso Corporation wird genauso Teil der Geschichte werden wie die Geschichte selbst.“

Nun, das ist für dich Realität geworden, denn im Juli letzten Jahres hast du einen offenen Brief an MGM veröffentlicht, in dem du dich darüber beschwertest, dass der Film „begraben“ wurde. Kannst du dazu was sagen?

AL: Wo immer man mit großen Konzernen zu tun hat und mit den denjenigen, die sie leiten, trifft man auf Leute, denen es wirklich egal ist. Sie können sich in ihre schönen Häuser in Italien oder an ihre Pools in Beverly Hills zurückziehen oder ihre dicken Autos fahren. Sie sind vollkommen abgekoppelt von der Gesellschaft, die kämpfen muss, um die Rechnungen zu bezahlen, ein halbwegs glückliches, gesundes Leben zu führen und den Tag zu überstehen. Gerade in Hollywood findet man sicherlich Leute in solchen Positionen, in denen sie keinerlei Verbindung zu den Künstlern haben und sich um nichts kümmern. Es ist furchtbar.

Ich möchte darüber gar nicht viel sagen. Ich habe das hinter mir. Der Gentleman, mit dem wir bei MGM zu tun hatten (wenn man ihn überhaupt so nennen kann) ist nicht jemand, den ich zu ändern versuchen würde, um ihn zu einem besseren Menschen zu machen. Er ist letztendlich nicht mehr unser Problem oder Hindernis. Er ist nicht jemand, mit dem ich Zeit verschwenden möchte, um ihn zu einem größeren Beitrag zur Gesellschaft oder zu einem erfüllteren und positiveren Leben zu veranlassen.

Es freut mich, dass der Film jetzt nicht mehr unter deren Kontrolle steht. Sie haben zwar alles getan, was sie konnten, um ihn zu beschädigen, ob absichtlich oder nicht. Aber der Film lebt weiter und spricht hoffentlich die Menschen an, die etwas bewirken können.

Dies ist ein Film für alle Altersgruppen, vor allem aber für die Jüngeren, die noch keine Gelegenheit hatten, einen solchen Moment mitzuerleben. Sie können aber ihre eigene Stimme finden und erkennen, dass es an ihnen liegt, etwas zu verändern. Sie sind in der Lage, aufzustehen und dafür zu sorgen, dass sie gehört werden. Wenn es eine Botschaft in diesem Film gibt, dann die, dass eine einzelne Stimme einen Chor anstimmen kann; ein Streichholz kann ein großes Feuer entfachen, und ein Kieselstein kann eine Flutwelle auslösen.

Ich sitze oft auf einem Podium, das sich mit Umweltfragen, mit der Gier der Unternehmen oder anderen Themen befasst. Und dabei schlagen die meisten Leute auf diesen Podien ernste, düstere Töne an: Es ist alles vorbei, wir sind am Ende, wir werden niemals gewinnen. Wir sind am Arsch, die Uhr tickt und es ist schon weit nach Mitternacht. Ich sage dann immer: „Gut, aber ich sehe Verbesserungen, ich sehe, dass die Jungen sich Gehör verschaffen, dass sie anfangen, sich zu engagieren.“ Allerdings werden sie mit einer Menge Fake News gefüttert, mit falschen Sachen, die einfach nicht stimmen. Ich denke und hoffe, dass wir diese Menschen mit dem Film ansprechen.

RP: Entscheidend ist, dass der Film [in den USA] veröffentlicht wurde, weil Tausende von jungen Leuten, die ihn gesehen hatten, auf Twitter und anderen sozialen Medien aktiv worden sind. Sie haben sich dafür eingesetzt, dass er gezeigt wird, und haben ihren Freunden davon erzählt.

Unter den jungen Menschen gibt es eine Massenstimmung, die Gesellschaft zu verändern. In einem Online-Interview ist mir aufgefallen, dass du über die Pandemie und die Notwendigkeit einer globalen Antwort gesprochen hast. Aber offiziell heißt es, wir müssten mit dem Virus leben, und auch mit den Umweltschäden und allem anderen. Das war sicherlich auch nicht Gene Smiths Antwort auf das, was in Minamata geschah.

AL: Und es ist auch nicht meine Auffassung. Ich glaube fest daran, dass wir uns ändern können, und ich glaube fest daran, dass die Veränderung aus uns selbst kommt. Man muss kein Geld ausgeben, sondern die Entscheidung treffen, auf eine bestimmte Art und Weise zu leben und Positivität und das Gute zum Ziel zu haben. Die haben es tatsächlich geschafft, dass sich der Wunsch nach einem gesunden Leben in einer unverschmutzten Welt plötzlich wie ein Klischee anfühlt.

Es ist unglaublich, wie das manipuliert worden ist. Aber es geht darum, ein Lächeln für den Nachbarn zu haben und den Müll nicht auf den Boden zu schmeißen. Es geht darum, beim Kauf von einem Paar Turnschuhe herauszufinden (wenn man die Möglichkeit dazu hat) welche Art von Unternehmen diese Turnschuhe hergestellt hat. Es bedeutet auch, darauf zu achten, wen man wählt.

RP: Und was ist das nächste Projekt? Was ist dein nächster Film?

AL: Ich arbeite an mehreren Projekten. Ich gehe so vor, dass ich ein Thema finde, das mir wichtig ist, Ideen, Bereiche, die ich erforschen möchte, und dann suche ich mir so viele Informationen wie möglich darüber zusammen. Dann entscheide ich, ob ein Film, eine Skulptur oder ein Buch daraus wird. Im Moment habe ich eine ziemlich große Auswahl, aber nichts, was ich wirklich anpacken möchte.

Ich kann dir versichern, dass die Herangehensweise jedes Mal eine andere ist. Ich versuche nicht, immer wieder denselben Film oder dieselbe Skulptur zu machen. Ich bin nicht bereit, meine Zeit damit zu verschwenden und sie nicht meinen Kindern zu widmen (denn das ist etwas, was ich wirklich liebe) oder solche Opfer zu bringen, wie Gene und andere Künstler sie gebracht haben. Es sei denn, es bestehe die Chance, etwas zu schaffen, das für die Menschen tatsächlich ergiebig, hilfreich und wirkmächtig ist. Also... wir bleiben dran, denke ich.

RP: Okay, und ich denke, das ist ein guter Punkt, mit dem wir enden sollten.

AL: Und Richard, nur eine persönliche Anmerkung. Diese Leute sind wichtig, die sich auf Twitter [zu „Minamata“] zu Wort melden und darauf bestehen, gehört zu werden. Es sind Leute wie ihr, die uns wirklich unterstützt haben, die sich dafür einsetzen, was sie für richtig halten.

Ich und wir alle im Filmteam haben diese Artikel und die Interviews mit den Fotografen gelesen. Das bedeutet uns sehr viel, dass sie so reagierten, und dass sich jemand die Zeit genommen hat, das zu tun. Vielen Dank also vom gesamten Filmteam.

Von links oben nach rechts unten: Stephen Dupont, Tim Page, Jack Picone, David Dare Parker, John Hulme, Jane Evelyn Atwood and Cristopher Rogel Blanquet [Photo: Images supplied by photographers]

RP: Okay und danke. Die Interviews waren sehr lehrreich, weil sie alle möglichen Elemente des Films beleuchtet haben. Diese Fotografen konnten sich alle mit Gene Smith identifizieren, weil sie viele ähnliche Kämpfe wie er mit Verlegern ausfechten mussten.

AL: Falls ihr jemals eine Gesprächsrunde mit einigen dieser Leute veranstalten wollt, wäre ich sehr daran interessiert.

RP: Das wäre ausgezeichnet.

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