Der Film „Minamata“

Wie ein japanischer Konzern eine Gemeinde vergiftete und ein amerikanischer Fotograf dafür kämpfte, dies aufzudecken

Der Film „Minamata“ von Andrew Levitas wird ab dem 11. Januar 2023 auf Sky gezeigt. Wir veröffentlichten hier eine Filmbesprechung, die am 4. August 2021 auf der englischsprachigen Ausgabe der WSWS erschienen ist.

„Minamata“, unter der Regie des Künstlers und Filmproduzenten Andrew Levitas (Georgetown), handelt von der industriellen Vergiftung eines japanischen Fischerdorfs durch das Chemieunternehmen Chisso und dem Kampf des berühmten Fotoessayisten W. Eugene Smith, der seit 1971 die katastrophalen Auswirkungen dieses Wirtschaftsverbrechens auf die Menschen aufdeckte.

Zwischen 1951 und 1968 leitete der japanische Chisso-Konzern Tausende von Tonnen unbehandelter Abwässer, die das hochgiftige Methylquecksilber enthielten, in die Minamata-Bucht im Südwesten Japans ein und vergiftete damit die dortigen Fische und andere Meeresbewohner.

Die Anwohner, die schon immer Fisch aus der Bucht gegessen hatten, bemerkten in den 1950er Jahren seltsames Verhalten und Krankheiten bei Katzen, und 1956 traten dann die ersten Fälle bei Menschen auf. In den folgenden Jahren litten Tausende von Anwohnern, darunter auch Kinder, an Muskelschwäche, Behinderungen, Geisteskrankheit, Bewusstlosigkeit und Tod durch schwere Quecksilbervergiftung. Aber das Unternehmen stritt jegliche Verantwortung für die Gesundheitskatastrophe ab.

Heute sind 2.283 Personen offiziell als Patienten anerkannt, und man geht davon aus, dass über 75.000 Menschen an einer Minamata-Quecksilbervergiftung gelitten haben. Über 1.700 Gerichtsverfahren sind noch nicht abgeschlossen.

Aileen Mioko (Minami Bages) und W. Eugene Smith (Johnny Depp) in Minamata [Photo: Metalwork Pictures]

„Minamata“ ist eine eindringliche Auseinandersetzung mit Chissos rücksichtslosem Versuch, jede Aufdeckung seiner Aktivitäten und der Leiden seiner Opfer zu verhindern. Der 115-minütige Film, der auf dem Buch „Minamata: A Warning to the World“ von W. Eugene Smith und Aileen Mioko basiert, hat seinen Regisseur in Konflikt mit dem Filmkonzern MGM, dem Filmverleiher für Nordamerika, gebracht.

Levitas' Film wurde Ende 2019 fertiggestellt und Anfang 2020 bei den Berliner Filmfestspielen uraufgeführt. Er sollte im Februar 2021 in den USA und im Vereinigten Königreich gezeigt werden. Dazu kam es jedoch nicht.

MGM hat den Film trotz einer Handvoll internationaler Vorführungen „begraben“ und sich geweigert, ein nordamerikanisches Veröffentlichungsdatum bekannt zu geben, weil es angeblich „persönliche Probleme“ des Hauptdarstellers Johnny Depp gebe. Wir werden weiter unten auf die unerhörte Zensur von MGM zurückkommen.

„Minamata“ beginnt mit Smith (Johnny Depp), der gerade dabei ist, „Tomoko Uemura im Bad“ zu fotografieren, seine berühmte Aufnahme einer Mutter, die ihre schwer deformierte, nackte Tochter, ein Opfer der Minamata-Krankheit, in einem traditionellen japanischen Bad auf den Armen wiegt.

Das außerordentlich bewegende Schwarz-Weiß-Bild sollte zu einem der bekanntesten Bilder Smith‘ werden. Zusammen mit anderen Fotos aus der Minamata-Serie, die die Zeitschrift Life veröffentlichte, brachte es wenig später dem amerikanischen und internationalen Publikum den Schrecken der Quecksilbervergiftung durch den Chisso-Konzern nahe.

Der Film blendet dann in das Jahr zuvor zurück. Smith, der halb zurückgezogen in seinem Loft in Manhattan lebt, befindet sich in einer kreativen Sackgasse. Der gefeierte Fotograf hat sich von seiner ersten Frau und den Kindern entfremdet, ist von Verlegern frustriert, leidet immer noch unter posttraumatischem Stress aufgrund schwerer Verwundungen und erschütternder Erlebnisse im Zweiten Weltkrieg und trinkt viel. (Sara Fishkos Dokumentarfilm von 2015, „The Jazz Loft According to W. Eugene Smith“, ist eine wertvolle Ergänzung zu Levitas Film [siehe: WSWS-Kritik und Interview mit der Regisseurin]).

Aileen Mioko (Minami Bages), die seine sozial engagierte fotografische Arbeit kennt, schlägt Smith vor, die Situation in Minamata aufzudecken. „Vor Ort gibt es Widerstand, und wir brauchen die weltweite Aufmerksamkeit“, sagt sie.

Nach anfänglichem Zögern beschließt Smith schließlich, sich an seinen langjährigen Mitarbeiter und Life-Magazin-Redakteur Robert Hayes (Bill Nighy) zu wenden, und besteht darauf, dass dieser ihn nach Japan schickt, um die Geschichte aufzudecken.

Bei seiner Ankunft stellt Smith fest, dass die Dorfbewohner nach Jahren des Kampfs gegen Chisso erschöpft und eingeschüchtert sind. Bewaffnet mit so vielen Kameras, wie das Dorf aufgetreiben kann, und einer behelfsmäßigen Dunkelkammer macht sich Smith daran, das Vertrauen der Dorfbewohner zu gewinnen und Beweise gegen das Unternehmen zu sammeln.

Smith, Aileen und der Aktivist Kiyoshi (Ryo Kase) besuchen heimlich das Krankenhaus der Firma Chisso und fotografieren die am schlimmsten Erkrankten. Sie entdecken auch Dokumente, die zeigen, dass das Unternehmen die Ergebnisse privater Forschungen, die beweisen, dass das Flusswasser tatsächlich giftig ist, über 15 Jahre lang verschwiegen hat.

Der Präsident von Chisso, Junichi Nojima (Jun Kunimura), weiß von Smith’ Ankunft in der Gemeinde und versucht mit einer Reihe von Taktiken, einschließlich Bestechung und physischer Gewalt, die Arbeit des Fotografen zu verhindern oder zu blockieren.

Parallel zu Smith’ Bemühungen gibt es eine andere Gruppe, die eine Minderheit von Opfern repräsentiert und immer noch entschlossen ist, das Unternehmen zu bekämpfen. Obwohl einige von ihnen Angst haben, den Konzern herauszufordern, ermutigt sie der Anführer der Gruppe Mitsuo Yamazaki (Hiroyuki Sanada) in einer bewegenden Szene. „Es geht nicht nur um diese Stadt“, erklärt er. „Große Unternehmen dringen überall auf der Welt in Kleinstädte ein und verschmutzen ihre Existenz ... Es ist schon einmal passiert, und es wird wieder passieren!“

Smith gewinnt schließlich das Vertrauen von Tomoko Uemuras Mutter und darf das Foto machen, das rasch berühmt wird. Dieses und andere herausragende Minamata-Bilder, die Life veröffentlicht hatte, bildeten Smith’ letzten Foto-Essay vor seinem Tod im Jahr 1978.

„Minamata“ macht deutlich, dass die Katastrophe, die die Fischergemeinde im Südwesten Japans heimsuchte, kein Einzelfall war. Der Film schließt mit einer langen Liste ähnlicher Tragödien in den Jahrzehnten seit der Minamata-Katastrophe: Quecksilberverschmutzung in Indonesien, Verstrahlung in Tschernobyl und Fukushima, Vergiftungen durch giftige Minenabfälle in Afrika, Latein- und Südamerika, die Bleivergiftung der Wasserversorgung von Flint in Michigan und zahlreiche andere Fälle.

Filmkritiken über „Minamata“ waren überwiegend positiv, aber es gab auch einige säuerliche Reaktionen von Kritikern von Indiewire und dem britischen Independent und Telegraph. Die Kritiker beharren darauf, dass niemand zu emotional mit der Katastrophe umgehen dürfe, geschweige denn, sich allzu leidenschaftlich für die Aufdeckung der Not der Minamata-Opfer einsetzen sollte. Ein Filmemacher, der dies dennoch tut, bewegt sich offenbar außerhalb des Annehmbaren.

Aileen Mioko (Minami Bages) und W. Eugene Smith (Johnny Depp) am Bett einer Minamata-Patientin [Photo: Metalwork Pictures]

Indiewire-Kritiker Eric Kohn zum Beispiel bezeichnet den Film in einem Artikel mit der Überschrift „Johnny Depp's Gonzo-Leistung kann ein übereifriges Biopic nicht retten“ als „trübsinniges Drama“. Weiter schreibt Kohn: „[D]ie gelegentlich ergreifende Beobachtung kann einen Film nicht retten, der so sehr versucht, jeden ihm zur Verfügung stehenden Herzenston anzuschlagen.“ Er wirft dem Film vor, „ins Theatralische abzugleiten“.

Geoffrey McNab im Independent meint, dass der Film „in entgegengesetzte Richtungen“ ziehe, und er gibt ihm zwei Sterne. „Er kann sich nicht entscheiden, ob er ein soziales Drama oder die Geschichte der Erlösung eines gestörten Künstlers sein will. Das Ergebnis ist ein Film, der den Zuschauer weder fesselt noch so stark bewegt, wie man es vielleicht erwartet hätte.“

Der Telegraph erklärt „Minamata“ zu einem „selbstverherrlichenden“ Biopic und wirft Levitas vor, „die Geschichte so zu gestalten, dass sie Smith mit einer ziemlich ätzenden Erlösungsgeschichte schmeichelt“.

Im Gegensatz zu diesen arroganten und selbstgefälligen Behauptungen ist „Minamata“ ein leidenschaftliches und durch und durch objektives und tiefsinniges Werk. Es zeigt glaubhaft, wie Smith’ Entschlossenheit, die Verbrechen des Chisso-Konzerns und seine Opfer sichtbar werden zu lassen, seinen kreativen Geist neu belebt.

Auch wenn es an dieser Stelle nicht möglich ist, die Tiefe und Bedeutung aller Arbeiten von Smith kritisch zu beleuchten (siehe die Online-Sammlung des International Center for Photography), ist sein Beitrag zur Fotografie, die er als mächtiges journalistisches Werkzeug und künstlerisches Medium nutzt, bedeutend und von tiefer Menschlichkeit getragen.

Smith’ Foto-Essays der Nachkriegszeit – Spanish Village (1951), Nurse Midwife (1951), Country Doctor (1954) und andere – begründeten im zeitgenössischen Fotojournalismus ein neues Paradigma.

Vor allem war Smith von der leidenschaftlichen Überzeugung getrieben, dass der Kampf um die Aufdeckung der Wahrheit andere inspirieren und die Gesellschaft zum Besseren verändern könnte. Er sagte einmal: „Ein Foto ist bestenfalls eine kleine Stimme, aber manchmal – nur manchmal – kann ein Foto oder eine Gruppe von Fotos unsere Sinne wecken ... und zu einem Katalysator der Gedanken werden.“

Obwohl diese Auffassung im Film „Minamata“ stark zum Ausdruck kommt, sieht sich Levitas heute mit einem Medienkonzern konfrontiert, der sich um solche Anliegen nicht kümmert. MGM nutzt eine laufende #MeToo-Kampagne gegen Johnny Depp, um den Film zu „begraben“. Der Medienkonzern bestraft damit alle, die an seiner Produktion beteiligt waren.

Im Jahr 2018 veröffentlichte Depps ehemalige Ehefrau Amber Heard einen Artikel in der Washington Post, in dem sie behauptete, Opfer häuslicher Gewalt geworden zu sein. Dies löste die übliche mediale und karriereschädigende Hysterie gegen Depp aus, obwohl er in der Post-Story nicht namentlich genannt wurde. Keiner der von Heard behaupteten Vorfälle war jemals Gegenstand einer strafrechtlichen Untersuchung, geschweige denn einer Anklage.

Depp wurde schnell aus der geplanten nächsten Produktion von „Fluch der Karibik“ geworfen und letztes Jahr gebeten, seine Rolle als Gellert Grindelwald im dritten Film der „Phantastischen Tierwesen“-Reihe aufzugeben. Depps Entlassung erfolgte, nachdem er einen Verleumdungsprozess gegen die in Murdochs Besitz befindliche britische Boulevardzeitung Sun verloren hatte. Diese hatte sensationsheischendes Material veröffentlicht, in dem er als „Frauenschläger“ denunziert wurde.

Schließlich veröffentlichte Levitas einen Brief, den er an MGM geschickt hatte und in dem er den riesigen Unterhaltungskonzern verurteilte: „MGM war [Anfang 2020] entschlossen, das Leid der Tausenden von Opfern einer der abscheulichsten industriellen Umweltverschmutzungen, die die Welt je gesehen hat, ans Licht zu bringen.

Indem sie ihren Schmerz durch das Erzählen ihrer Geschichte wieder ans Licht brachten, erhoffte sich diese lange Zeit marginalisierte Gemeinschaft nur eins: ihre Geschichte aus dem Schatten zu holen, damit andere Unschuldige niemals so betroffen sein würden wie sie ... Und es schien, als würde in diesem Moment mit der Partnerschaft von MGM ein jahrzehntelanger Wunsch endlich in Erfüllung gehen“, heißt es in dem Brief.

„Stellen Sie sich vor, wie erschüttert sie waren, als sie in der vergangenen Woche erfuhren, dass MGM trotz eines bereits erfolgreichen weltweiten Starts beschlossen hatte, den Film zu ‚begraben‘ (so der Ausdruck des Akquisitionsleiters Sam Wollman), weil MGM besorgt war, dass die persönlichen Probleme eines Schauspielers in dem Film negativ auf sie zurückfallen könnten, und dass aus der Sicht von MGM die Opfer und ihre Familien dabei zweitrangig waren.

Andrew Levitas mit Johnny Depp in der Rolle des Smith‘ [Photo: Minamata Movie Instagram]

Levitas erinnerte an sein Gespräch mit Herrn Uemura, dessen Tochter „jeden einzelnen Tag ihres Lebens gelitten hat“, weil ein „großes gesichtsloses Unternehmen seiner moralischen Verpflichtung gegenüber Menschlichkeit, Anstand und Fairness nicht nachgekommen ist“. In seinem Brief forderte er die MGM-Führung auf, mit Uemura und anderen Minamata-Opfern zu sprechen und zu erklären, „warum Sie glauben, dass das Privatleben eines Schauspielers wichtiger ist als ihre toten Kinder, ihre Geschwister, ihre Eltern und alle Opfer industrieller Umweltverschmutzung und unternehmerischen Fehlverhaltens“.

In dem Brief wurde betont: „Auf der ganzen Welt werden Menschen von Unternehmen schikaniert, die sie nicht wertschätzen oder ernstnehmen“, und MGM wurde aufgefordert, seine Entscheidung, „die Verbreitung und Förderung von ‚Minamata‘ aktiv zu behindern“, rückgängig zu machen. Der Brief schloss mit einem YouTube-Video, in dem eins der Opfer – Shinobu Sakamoto – über ihre Erfahrungen spricht.

MGM reagierte mit einer verächtlichen und nichtssagenden Erklärung. „Der Film wurde für die Veröffentlichung durch American International Pictures erworben, eine Abteilung von MGM, die sich um die taggenaue Veröffentlichung kümmert. ‚Minamata‘ gehört weiterhin zu den zukünftigen AIP-Veröffentlichungen. Das US-Veröffentlichungsdatum des Films wird noch bekanntgegeben.“ Zu dem Zeitpunkt wurde MGM gerade von Amazon übernommen, und zweifellos spielen die wirtschaftlichen Entscheidungen seither für den Verleih eine noch größere Rolle als bisher.

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