Tarifrunde öffentlicher Dienst: Verdi und SPD bereiten Ausverkauf vor

Am Montag gingen die Vereinigte Dienstleistungsgewerkschaft (Verdi), der Beamtenbund dbb und die Vertreter der öffentlichen Arbeitgeber in Bund und Kommunen nach dreistündigen Beratungen erwartungsgemäß ohne Ergebnis auseinander.

Die Gewerkschaften – Verdi vertritt auch die IG BAU, die GEW und die GdP – fordern für über 2,5 Millionen Beschäftigte Lohn- und Gehaltserhöhungen von 10,5 Prozent, mindestens aber monatlich 500 Euro bei einer Laufzeit von zwölf Monaten. Die Ausbildungsvergütungen sollen um 200 Euro monatlich erhöht werden.

Die Verhandlungsführer: Bundesinnenministerin Nancy Faeser und Verdi-Chef Frank Werneke [Photo by BMI]

Es geht um die Einkommen von Pflegekräften, Verwaltungsangestellten, Müllwerkern, Erzieherinnen, Alten- und Krankenpflegern, Busfahrern, Feuerwehrleuten, Arbeitern im Klärwerk und im Garten- und Landschaftsbau, Förstern, Ingenieuren, Ärzten usw. Der Abschluss wird gewöhnlich auch auf die gut 360.000 Beamten und Beamtinnen des Bundes sowie rund 187.000 Bezieher von Pensionen übertragen.

Die Tarifrunde hat – gemeinsam mit den parallel verlaufenden Verhandlungen bei der Post – Signalcharakter für die in diesem Jahr bevorstehenden Tarifverhandlungen. Denn die höchste Lohnforderung im öffentlichen Dienst seit Jahrzehnten ist gut begründet. Die Inflationsrate stieg 2022 insgesamt um 7,9 Prozent. Für Energie und Nahrungsmittel lagen die Verbraucherpreise im vergangenen Jahr zwischen 20 Prozent und 50 Prozent höher als 2021. In den Großstädten fressen auch steigende Mieten die Einkommen auf.

Schon seit langem wächst die Kluft zwischen den Löhnen und Gehältern im öffentlichen Dienst und denen in der Privatwirtschaft. Mit dem Tarifabschluss von 2020 (Laufzeit: 28 Monate) hatte Verdi zum wiederholten Mal Reallohnsenkungen verordnet.

In einer aktuellen Studie belegt das Soziologische Institut Göttingen das niedrige Lohnniveau in Deutschlands Bildungs-, Gesundheits- und Sozialbranche. Im Vergleich von 24 europäischen Ländern schneidet Deutschland schlecht ab, vor allem in den unteren Einkommensgruppen.

„In Deutschland werden niedrigqualifizierte ‚Betreuungskräfte im Gesundheitswesen‘ und ‚Kinder- und Lernbetreuer:innen‘ noch einmal deutlich schlechter entlohnt als im Durchschnitt europäischer Länder, sie verdienen hier nur 59 Prozent bzw. 46 Prozent der durchschnittlichen Monatseinkommen aller Vollzeitbeschäftigten,“ so der Soziologe René Lehweß-Litzmann.

Die Beschäftigten im öffentlichen Dienst erleben die Folgen verwüsteter Kommunen am unmittelbarsten. Die von den politisch Verantwortlichen kaputtgesparte Infrastruktur, verfallenden Schul- und Verwaltungsgebäude, maroden Straßen, schlecht funktionierenden IT-Systeme usw. müssen sie ausbaden. Die Beschäftigten in Sozialämtern, Jobcentern und Ausländerbehörden bekommen die Folgen der Verarmung und der Kriege zu spüren.

Die Folge ist ein gewaltiger Fach- und Arbeitskräftemangel in den Kommunen, der auf die Beschäftigten abgeladen wird. Praktisch fehlen überall Arbeitskräfte, aktuell 300.000. Für 2030 werden eine Million nicht besetzte Stellen im öffentlichen Dienst prognostiziert.

Unter den Beschäftigten ist daher die Entschlossenheit weit verbreitet, sich diesmal gegen die Arbeitgeber durchzusetzen. Verdi-Chef Frank Werneke warnte schon nach Bekanntgabe der Forderung im letzten Jahr, die Stimmung unter den Beschäftigten sei „explosiv“.

Die Vertreter von Bund und Kommunen lehnen die berechtigten Forderungen ab. Die Präsidentin der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände Deutschlands (VKA) und Gelsenkirchener Oberbürgermeisterin Karin Welge (SPD) behauptet, die Forderungen seien „unrealistisch“. Ihre Parteikollegin, Bundesinnenministerin Nancy Faeser, die für den Bund die Verhandlungen führt, betonte am Montag, die Forderungen der Gewerkschaften seien zu hoch angesichts einer „angespannten Haushaltslage, insbesondere gerade in den Kommunen“.

Doch die „angespannte Haushaltslage“ – hohe Altschulden und ein Investitionsrückstand von 159 Milliarden Euro – ist das Ergebnis der Kürzungspolitik aller Berliner Parteien, von SPD, Grünen und Linkspartei bis hin zu FDP, Union und AfD. Sie ist nicht Folge einer üppigen Bezahlung der Beschäftigten im öffentlichen Dienst!

Die Arbeitgeber schätzen, dass die geforderte Erhöhung um 10,5 Prozent die Kommunen im Jahr zusätzliche 15,4 Milliarden Euro und den Bund 4,7 Milliarden Euro kosten würde. Die SPD und alle anderen Parteien erklären die Forderung von fast drei Millionen Beschäftigten für inakzeptabel, während sie für Bundeswehr und Krieg kurzerhand 300 Milliarden „Sondervermögen“ bereitstellen und den Rüstungsetat zusätzlich aufblähen.

Bezeichnenderweise forderte Welge, „in Zeiten des Krieges in Europa“ selbst „von der ritualisierten Dramaturgie“ solcher Tarifrunden „Abstand zu nehmen.“ Mit anderen Worten: Regierung und Gewerkschaften sollen auf das Engste zusammenarbeiten, um den Arbeitern die Kosten der Kriegspolitik aufzubürden.

Unterstützt werden die öffentlichen Arbeitgeber von weiten Teilen der Medien. Die Süddeutsche Zeitung kommentiert „Verdi verlangt zu viel“ und hält die Forderungen für überzogen und maßlos. Die Augsburger Allgemeine titelt gar: „Die Forderung nach 10,5 Prozent mehr Lohn im Öffentlichen Dienst ist nicht von dieser Welt.“ Ökonomen warnen vor einer Lohn-Preis-Spirale und Investitionsstaus.

In Wirklichkeit sind die Steuergeschenke an die Reichen und Konzerne während der Finanzkrise und der Corona-Pandemie die eigentlichen Preis- und Inflationstreiber. Nun treiben die maßlosen Preissteigerungen der Unternehmen bei Energie und Lebensmitteln und die Kosten des Kriegs in der Ukraine die Inflation.

Wie zuletzt der Oxfam-Bericht über die wachsende soziale Ungleichheit aufgezeigt hat, ist genug Geld vorhanden. Es wird nur seit über zwei Jahrzehnten aus den Taschen der arbeitenden Bevölkerung auf die Konten der Milliardäre gelenkt. Bernard Arnault (Frankreich), Elon Musk, Warren Buffett, Jeff Bezos (alle USA), Gautam Adani (Indien) oder Klaus-Michael Kühne und Dieter Schwarz (beide Deutschland) besitzen zwei und dreistellige Milliardenvermögen. In der Coronapandemie ist dieser Prozess auf die Spitze getrieben worden.

Nun sollen die Beschäftigten für die Bereicherung und die Kriegstreiberei zur Kasse gebeten werden – auch im öffentlichen Dienst. Sie sind dabei nicht nur mit Medien, Ökonomen und Vertretern der Bundestags-Parteien konfrontiert. Auch die Gewerkschaften, die vorgeben sie zu vertreten, stehen nicht auf ihrer Seite.

Bundeskanzler Olaf Scholz hat im Sommer des letzten Jahres die Konzertierte Aktion ins Leben gerufen, um die Angriffe auf die Löhne und sozialen Errungenschaften zwischen Unternehmerverbänden, Gewerkschaften und Regierung zu koordinieren und jeden Widerstand dagegen zu unterdrücken.

Verdi-Chef Frank Werneke spielt darin eine führende Rolle. Der 55-Jährige ist seit seinem 15. Lebensjahr in der SPD. Wenn er nun mit Welge (Kommunen) und Faeser (Bund) verhandelt, sitzen sich drei Sozialdemokraten gegenüber, die alle Kanzler Scholz und die Ampelkoalition unterstützen.

Wie man sich die kommenden „Verhandlungen“ etwa vorstellen kann, schilderte die Süddeutsche Zeitung 2019 gestützt auf die Memoiren des früheren Bundesinnenministers Lothar de Maizière (CDU), der 2016 mit Verdi-Chef Frank Bsirske (Grüne) und dem Münchner Stadtrat Thomas Böhle den Tarifvertrag für Bund und Kommunen ausgehandelt hatte.

„Die Drei kannten sich seit langem, und so zogen sie sich in dem Hotel in Potsdam in ein Zimmer zurück,“ schreibt die Süddeutsche. Dort hätten sie in 30 Minuten das Ergebnis festgemacht. De Maizière wollte das Ergebnis sofort verkünden. „Das ging aber nicht. Bsirske und Böhle durften unmöglich nach 30 Minuten fertig sein; sie wären verdächtigt worden, nicht gekämpft zu haben.“ Also saßen sie noch längere Zeit zusammen und plauderten über Dinge, die nichts mit dem Tarifabschluss zu tun hatten.

Verdi und Werneke werden auch jetzt versuchen, die 2,5 Millionen Beschäftigten auszuverkaufen und sie für Krieg, Banken, Konzerne und Reiche bezahlen zu lassen. Um Dampf abzulassen werden sie vor dem zweiten Verhandlungstermin am 22. und 23. Februar zu „einzelnen Aktionen“ (Werneke) – „Begleitmusik“, wie es Beamtenbund-Chef Ulrich Silberbach (CDU) formulierte – aufrufen.

Vor der finalen Runde am 27. bis 29. März in Potsdam werden dann weitere Warnstreiks folgen, bevor sie einem Ergebnis zustimmen, das weder den Bedürfnissen der Beschäftigten noch dem Bedarf im öffentlichen Dienst gerecht wird.

Unabhängig welchen Mechanismus sich Verdi und die SPD einfallen lassen, klar ist schon jetzt: Niemand wird einen Inflationsausgleich erhalten. Verdi wird einen Weg finden, dies zu verhindern – eine lange Laufzeit, möglicherweise auch eine steuerfreie Einmalzahlung – wie es die IG Metall und andere Gewerkschaften bereits vorgemacht haben. Bislang lehnt Verdi eine Einmalzahlung noch ab und verlangt dauerhafte entgelttabellenwirksame Erhöhungen, doch das kann sich ändern.

Um den drohenden Ausverkauf zu verhindern, müssen alle Beschäftigten des öffentlichen Dienstes die Kontrolle von Verdi und den anderen Gewerkschaften durchbrechen und unabhängige Aktionskomitees aufbauen. Diese Aktionskomitees müssen den Tarifkampf in die eigene Hand nehmen und den Widerstand gegen Lohnsenkung und unerträgliche Arbeitsbelastung mit dem Kampf gegen Krieg und militärische Aufrüstung verbinden.

Die Sozialistische Gleichheitspartei (SGP) ruft alle Beschäftigten auf, sich dazu per Whatsapp unter der Telefonnummer 0163 337 83 40 zu melden oder gleich hier unten als Unterstützer der Aktionskomitees zu registrieren.

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