Perspektive

Ein Jahr Zeitenwende: Scholz forciert Aufrüstung und Krieg gegen Russland

Vor einem Jahr, am 27. Februar 2022, hielt Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) seine berüchtigte „Zeitenwende“-Rede. Kurz nach dem reaktionären Einmarsch Russlands in die Ukraine, den die Nato provoziert hatte, kündigte er umfassende Waffenlieferungen an Kiew und eine massive Aufstockung der Bundeswehrtruppen in Osteuropa an. Seine Rede kulminierte in der Bekanntgabe des 100 Milliarden schweren Sondervermögens für die Bundeswehr, der größten Aufrüstungsoffensive seit Hitler.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bei seiner Regierungserklärung am 2. März im Bundestag [AP Photo/Markus Schreiber]

Zum Jahrestag der „Zeitenwende“ gab Scholz am Donnerstag erneut eine Regierungserklärung im Bundestag ab. Sie stand seiner Kriegsrede vor einem Jahr in nichts nach. Der Kanzler ließ keinen Zweifel daran, dass die Bundesregierung unter seiner Führung den Krieg gegen Russland verschärfen und die Rückkehr Deutschlands zu einer aggressiven Militär- und Großmachtpolitik beschleunigen wird.

Scholz sprach sich explizit dafür aus, den Krieg in der Ukraine bis zur Niederlage der Atommacht Russland fortzusetzen, und schloss eine diplomatische Lösung aus. „Mit der Waffe an der Schläfe lässt sich nicht verhandeln – außer über die eigene Unterwerfung“, erklärte er. Einen „militärischen Sieg“ Russlands werde „es nicht geben, auch weil wir und unsere Partner die Ukraine weiter unterstützen“.

Dann brüstete er sich mit der Unterstützung von „mehr als 14 Milliarden Euro in den zurückliegenden zwölf Monaten“ durch die deutsche Regierung. Die Waffenlieferungen ermöglichten Kiew, sich zu „verteidigen und durchzuhalten“. Dafür stünden „die Artillerie- und Luftverteidigungssysteme, die bereits seit Monaten hoch wirksam im Einsatz sind“. Und man baue die „Unterstützung weiter aus: allein seit Jahresbeginn mit dem Patriot-Luftabwehrsystem, dem Schützenpanzer Marder und den Kampfpanzern Leopard 1 und 2“.

Aktuell arbeitet Deutschland an der Aufstellung einer veritablen Panzerarmee für den Einsatz gegen Russland. Die Bundesregierung allein hat die Ausfuhrgenehmigung für fast 200 Kampfpanzer erteilt und erhöht den Druck auf andere Staaten – wie die formal neutrale Schweiz –, ebenfalls Kampfpanzer und andere schwere Waffen bereitzustellen.

Scholz versprach in seiner Regierungserkärung, auch zusätzliche Panzerhaubitzen, Mehrfachraketenwerfer, Artilleriemunition, Panzerabwehrwaffen und Radhaubitzen für Kiew bereitzustellen. Auch „weitere Flakpanzer Gepard und ein zusätzliches Luftverteidigungssystem IRIS-T“ bringe Deutschland „in den kommenden Wochen auf den Weg“. Parallel arbeite man „mit der Industrie an verlässlichem Nachschub für Munition und Ersatzteile“.

Scholz’ Kriegsliste nahm kein Ende. Auch bei der Ausbildung der ukrainischen Armee käme Deutschland die führende Rolle zu. „Insgesamt über 3000 Soldatinnen und Soldaten aus der Ukraine“ habe „die Bundeswehr seit Kriegsbeginn ausgebildet“ und „für mehr als 1000 Soldaten“ stehe „der Ausbildungsbeginn in Deutschland unmittelbar bevor“. Eng koordiniert mit den Initiativen der USA und Großbritanniens sei Deutschland „damit der zentrale Ausbildungsort für ukrainische Soldaten in Europa“.

Den Kriegskurs rechtfertigte der Kanzler mit der bekannten Propaganda. Obwohl die Nato-Mächte in den letzten drei Jahrzehnten im Nahen und Mittleren Osten (Irak, Syrien), Zentralasien (Afghanistan), Nordafrika (Libyen) und auch in Europa (Serbien) ganze Länder in Schutt und Asche gelegt haben, behauptete Scholz, man unterstütze die Ukraine, „um die europäische Friedensordnung zu verteidigen“. Zugleich achte seine Regierung „bei jeder unserer Entscheidungen darauf, dass die NATO nicht zur Kriegspartei wird“. Darin sei er sich auch „mit dem amerikanischen Präsidenten einig“.

Tatsächlich sind Berlin und Washington längst „Kriegspartei“. Und da die ukrainische Armee im Donbas zunehmend in die Defensive gerät, arbeiten sie daran, ihren Kriegseinsatz weiter zu erhöhen. Scholz reiste unmittelbar nach seiner Regierungserklärung in die USA, um Biden zu einem Vier-Augen-Gespräch zu treffen. Es ist klar, um was es hinter den Kulissen ging: um weitere Militärhilfen für die Ukraine – die US-Regierung verkündete bereits vor Scholz’ Ankunft ein weiteres Paket in Höhe von 400 Millionen Dollar – und um ein noch massiveres Eingreifen der Nato.

All das Gerede von „Frieden“, „Demokratie“ und der angeblichen Verteidigung des Völkerrechts, dient lediglich dazu, den räuberischen Charakter der imperialistischen Kriegspolitik und ihr wirkliches Ziel zu verschleiern: ein militärischer Sieg über Russland in der Ukraine und die Unterwerfung und Ausplünderung des geostrategisch zentralen und rohstoffreichen Landes.

Scholz behauptete, es gebe „nur einen, der ganz allein für diesen Krieg verantwortlich ist“, und ihn beenden könne, „und der Mann heißt Wladimir Putin“. Das ist offensichtlich absurd. Der russische Einmarsch ist reaktionär, aber er hat eine Vorgeschichte und historische Ursachen und wurde durch die imperialistischen Mächte vorbereitet und provoziert.

„Tatsächlich ist der Konflikt mit Russland die Fortsetzung einer nicht enden wollenden Reihe von Kriegen und Interventionen, die der amerikanische Imperialismus seit der Auflösung der Sowjetunion im Jahr 1991 begonnen hat“, schrieb die WSWS in ihrer Perspektive zum Jahrestag des russischen Einmarschs. „Der Konflikt mit Russland wurde durch die jahrzehntelange Nato-Erweiterung bis an die Grenzen Russlands in Gang gesetzt.“

Deutschland spielte dabei von Anfang an eine Schlüsselrolle. Berlin unterstützte im Februar 2014 den rechten Putsch in Kiew und paktierte mit faschistischen Kräften wie Swoboda und dem Rechten Sektor, um ein anti-russisches Regime an die Macht zu bringen. Anschließend wurde die ukrainische Armee systematisch auf Krieg vorbereitet. Im vergangenen Dezember gab Scholz‘ Vorgängerin Angela Merkel (CDU) zu, dass diplomatische Initiativen, wie das Abkommen von Minsk, lediglich dazu dienten, Zeit zu gewinnen, um die Ukraine aufzurüsten.

Scholz sprach in seiner Rede über den Umfang deutscher Nato-Truppen in Osteuropa, der einem Kriegsaufmarsch gegen Russland gleichkommt. Die Bundeswehr stehe mit einer Brigade in Litauen, unterstütze Polen und die Slowakei bei der Flugabwehr, führe „in diesem Jahr die NATO-Speerspitze“ und halte „dafür 17.000 Soldatinnen und Soldaten in hoher Bereitschaft“. Ab 2025 werde man zudem „zunächst 30.000 Soldatinnen und Soldaten für die künftige NATO-Streitkräftestruktur stellen – kontinuierlich und in hoher Einsatzbereitschaft“.

Die deutsche Kriegspolitik reicht weit über Osteuropa und Russland hinaus. Die herrschende Klasse nutzt den Konflikt in der Ukraine, um die bereits 2013/14 verkündete Rückehr zu einer aggressiven Außen- und Großmachtpolitik in die Tat umzusetzen. Nach zwei verlorenen Weltkriegen im 20. Jahrhundert schickt sich der deutsche Imperialismus erneut an, Europa unter seiner Führung zu organisieren, um sich am Kampf um die Neuaufteilung der Welt im 21. Jahrhundert zu beteiligen.

Scholz drohte in seiner Rede auch China und schwadronierte von einem „geopolitischen Europa, das international wettbewerbsfähig ist“ und sich „in der multipolaren Welt des 21. Jahrhunderts behauptet und Standards setzt“. Seine Regierung sei auf diesem Weg bereits wichtige Schritte vorangekommen. Dazu gehörten die Integration „der Ukraine, Moldaus und perspektivisch auch Georgiens“ in die EU und die „enge Verzahnung der Verteidigungsindustrie in Europa“. Konkret pries Scholz das zusammen mit Frankreich und Spanien geplante Luftkampfsystem FCAS und die „von Deutschland initiierte European Sky Shield Initiative zur Stärkung von Europas Luftverteidigung“.

Einen weiteren Teil seiner Rede widmete Scholz der umfassenden Militarisierung Deutschlands. Die massiven deutschen Rüstungsvorhaben, die durch das Sondervermögen finanziert werden – Scholz nannte u.a. die Anschaffung von F-35 Kampfjets – sollten „noch in diesem Jahr unter Vertrag sein“. Auch „die Nachbeschaffung, etwa von Panzerhaubitzen, Munition und anderen Gütern, die wir aus Beständen der Bundeswehr an die Ukraine geliefert haben“, werde „in den kommenden Monaten unter Dach und Fach gebracht“.

Gleichzeitig redeten Pistorius und er mit der Verteidigungsindustrie „über einen echten Spurwechsel hin zu einer schnellen, planbaren und leistungsfähigen Beschaffung von Rüstungsgütern für die Bundeswehr und andere europäische Armeen“. Man brauche „eine laufende Produktion von wichtigen Waffen, Geräten und Munition“ und „langfristige Verträge und Anzahlungen, um Fertigungskapazitäten“ und „eine industrielle Basis“ hier in Deutschland aufzubauen. All das hat offensichtlich nichts mit Frieden zu tun, sondern mit der Vorbereitung auf einen totalen Krieg.

Die Kosten für den militaristischen Wahnsinn trägt die Arbeiterklasse – als Kanonenfutter auf den Schlachtfeldern und in Form von massiven Angriffen auf ihren Lebensstandard. Bereits im vergangenen Jahr, als das Sondervermögen im Grundgesetz verankert wurde, um die Aufrüstung dauerhaft festzuschreiben, wurde der Gesundheitsetat inmitten der Pandemie massiv gekürzt. Nun soll der Kriegshaushalt erneut aufgestockt werden – bereits vor Scholz’ Rede forderte Pistorius jährlich zehn zusätzliche Milliarden –, und weitere historische Angriffe sind geplant.

Doch dieselben Widersprüche, die den imperialistischen Krieg und die Explosion des deutschen Militarismus treiben, schaffen auch die objektive Grundlage, um sie zu überwinden. Weltweit wächst sich der Widerstand gegen die militaristische und arbeiterfeindliche Politik, die letztlich von allen kapitalistischen Regierungen verfolgt wird. In den vergangenen Tagen beteiligten sich in Deutschland zehntausende Arbeiter im Öffentlichen Dienst an Warnstreiks. Auch in Frankreich, Großbritannien und anderen europäischen Ländern entwickeln sich umfassende Streiks und Proteste gegen Angriffe auf Renten, Arbeitsplätze und Löhne.

In der Erklärung „Die Massenstreikbewegung, der Krieg und die revolutionäre Krise in Europa“ schreiben die europäischen Sektionen der Vierten Internationale, dass die „Stimmungen, die Millionen in den Kampf treiben, zunehmend einen antikapitalistischen, antimilitaristischen und sozialistischen Charakter annehmen“. Die Aufgabe bestehe darin „die wachsende revolutionäre Bewegung der Arbeiterklasse in eine bewusste Bewegung für den Sozialismus zu verwandeln“.

Das bedeutet, den Kampf gegen Krieg mit dem Kampf gegen seine Wurzel, den Kapitalismus, zu verbinden und die Sozialistischen Gleichheitsparteien als neue Massenparteien der Arbeiterklasse aufzubauen. Der aggressive Kriegskurs der herrschenden Klasse in Deutschland, der von allen Bundestagsparteien unterstützt wird, zeigt, dass dies vor allem auch in Deutschland das Gebot der Stunde ist.

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