Streikende Krankenhausbeschäftigte fordern umfassenden Streik gegen Reallohnkürzung und Arbeitsbelastung

Die Empörung über katastrophale Arbeitsbedingungen und Reallohnkürzungen im Öffentlichen Dienst kocht über, doch Verdi versucht mit allen Mitteln, einen umfassenden Streik in der Tarifauseinandersetzung in Bund und Kommunen zu verhindern. Die Dienstleistungsgewerkschaft hält die Warnstreiks bewusst klein und isoliert sie nach Branchen und Regionen.

Krankenhausbeschäftigte sprechen auf Streikdemonstration in Berlin-Wedding über ihre Arbeitsbedingungen, Lohnkürzungen und notwendigen Massenstreik

Nach einzelnen Streiks im öffentlichen Nahverkehr, der Stadtreinigung und den Kitas in den vergangenen Wochen ging es am Montag mit den Flughäfen in Berlin, Bremen, Hamburg und Hannover weiter. Am Dienstag und Mittwoch wurde dann vor allem an Krankenhäusern, vereinzelt auch im öffentlichen Nahverkehr und bei den Sparkassen die Arbeit niederlegt.

In Brandenburg streikten am Dienstag die beiden Klinken Ernst von Bergmann und Brandenburg/Havel. In Berlin schlossen sich die Kliniken der Charité und des Vivantes-Konzerns sowie das Jüdische Krankenhaus dem Streik an und setzten ihn, anders als die brandenburgischen Kollegen, auch am Mittwoch fort.

Ein Ausschnitt der Demonstration in Berlin-Wedding

Zu den Streikdemonstrationen am Dienstag in Potsdam und am Mittwoch in Berlin-Wedding kamen jeweils einige hundert Beschäftigte. Die Wut war mit Händen zu greifen. Buchstäblich jeder Teilnehmer konnte von schier unerträglichen Arbeitsbedingungen und völliger Überlastung der Krankenhäuser berichten. Auch die von Verdi geforderte Erhöhung der Löhne um 10,5 Prozent bedeutet angesichts einer Inflation bei Lebensmitteln und Energie von über 30 Prozent eine massive Lohnsenkung und würde damit auch die Personalsituation in den Kliniken weiter verschlechtern.

Das „Angebot“ der Arbeitgeber ist noch schlimmer: 3,5 Prozent Lohnsteigerung sollen auf drei Jahre gestreckt werden, also etwas mehr als ein Prozent pro Jahr. Schreibt sich die gegenwärtige Inflation fort, würden die Reallöhne damit mehr als halbiert! Zudem will der Kommunale Arbeitgeberverband den „Tarifvertrag zur Zukunftssicherung der Krankenhäuser“ wieder in Kraft setzen, mit dem Kliniken, die sich in einer wirtschaftlichen Schieflage befinden, die Löhne um bis zu sechs Prozent kürzen können. Angesichts der heftigen Kürzungen im Gesundheitsbereich betrifft das wohl die meisten Krankenhäuser. Die Kommunen wollen den überarbeiteten Beschäftigten nach drei Jahren der Pandemie und inmitten der horrenden Inflation also sogar die Nominallöhne kürzen!

Diese sind zum Widerstand entschlossen.

Ein Ausschnitt von der Verdi-Streikkundgebung in Potsdam

Mustafa, der bei Vivantes arbeitet, empört sich: „Ich arbeite seit drei Jahren hier, und seitdem gab es nie eine Lohnerhöhung. Eigentlich bräuchten wir jetzt eine Lohnerhöhung von 25 Prozent. 10,5 Prozent sind immer noch Reallohnsenkung. Auch den Personalmangel bekommen wir mit 10,5 Prozent nicht behoben. Bei mir auf der Station haben wir 19 freie Vollzeitstellen.“

Auch Stefan vom Klinikum Ernst von Bergmann findet: „Damit sich an den Bedingungen wirklich was verbessert, bräuchten wir 40 Prozent mehr Personal. Grundsätzlich darf die Pflege nicht als Wirtschaft behandelt werden.“ Dass nun stattdessen 100 Milliarden in die Aufrüstung gesteckt werden, findet er „schrecklich“.

Marlene, die auf der chirurgischen Station im Klinikum Ernst von Bergmann arbeitet, sagt: „Für mich haben die letzten Jahre immer mehr Arbeit bedeutet, weil alle anderen völlig erledigt sind. Ich arbeite mit Herzblut am Patienten, aber das ist heute nicht mehr möglich. Man ist einfach fertig und hat keine Zeit mehr für die Patienten. Dabei wollen sich viele Menschen, besonders wenn sie schwer krank oder verletzt sind, auch einfach mal ein paar Dinge von der Seele reden. Psychische Betreuung nach den Operationen war früher wichtig. Heute fällt das flach. Man muss doch für seine Arbeit die nötige Zeit haben!“

Marlene sieht eine Verbindung der Streiks im öffentlichen Dienst und den Arbeitskämpfen, die in ganz Europa und international stattfinden. „Was in anderen Ländern passiert, vor allem in Frankreich, ist schon beeindruckend. Bei uns arbeiten Leute aus vielen verschiedenen Ländern, z.B. aus Moldawien oder den Philippinen. Sie sollten die gleichen Rechte haben. Wenn alle gemeinsam streiken würden, wäre das total stark. Auch die Müllmänner und Verwaltungsangestellten sollten hier sein.“

Auch Phillip, der als Pfleger bei Vivantes arbeitet, unterstützt einen Kampf gemeinsam mit anderen Berufsgruppen. „Die steigenden Gaspreise treffen einen Bäcker genauso wie mich. Eigentlich ist es ein Unding, dass zum Beispiel auch die Techniker oder Reinigungskräfte, die auch im Krankenhaus arbeiten, nicht zum Streik aufgerufen sind.“

Leonie, Anna, Zoe

„Es wäre sinnvoll, wenn alle zusammen streiken würden“, sagen auch Leonie, Anna und Zoe, die OP-Auszubildende im zweiten Lehrjahr sind. „Die Preissteigerungen betreffen alle und sind wirklich schwierig, besonders, wenn man allein lebt“, sagt Leonie. „Es herrscht massiver Personalmangel. Wenn man den Job attraktiver machen würde, auch finanziell, wäre das Problem geringer.“

Die drei berichten, dass der eklatante Personalmangel schlimme Folgen für Azubis und Patienten hat. „Auf der Anästhesie werden wir fast gar nicht mehr betreut, es gibt nämlich nur noch einen Ausbilder. Wir werden mit Patienten allein gelassen, ohne dass man uns fragt. Das führt zu Patientengefährdung und kann für uns rechtliche Folgen haben. Wir sind nicht auf jede Situation vorbereitet. Wenn bei einer Narkose etwas schiefläuft oder ein Patient Atemprobleme hat, kann das potenziell lebensgefährlich sein. Wenn etwas passiert, womit man keine Erfahrung hat, ist man aufgeschmissen. Die Sicherheit der Patienten ist nicht gewährleistet. Das ist eine Verantwortung, die man nicht tragen kann.“

Die Aufrüstung der Bundeswehr sehen Leonie, Anna und Zoe mit großer Sorge. „Das ist Geld, das man sich nicht vorstellen kann“, sagt Zoe. „Man sollte uns mindestens genauso unterstützen. Als Gesundheitswesen sind wir die Zukunft und eine Säule der Gesellschaft. Jeder Mensch wird irgendwann alt oder krank und braucht Hilfe.“ Auch Phillip findet: „Eigentlich müssten die 100 Milliarden zum Beispiel in die Bildung. Auch dort wird seit Jahren kaputtgespart.“

Myriam, eine Auszubildende in der Gynäkologie an der Charité, hält es für völlig falsch, „Milliarden für Krieg und Rüstung auszugeben, wenn normale Arbeiter und Angestellte im Gesundheitswesen nicht genug Geld haben, um ihre Rechnungen zu bezahlen“. Auch sie berichtet von Personalmangel auf sämtlichen Stationen, die sie als Auszubildende durchlaufen hat. Das würde nun notdürftig mit Leasingkräften ausgebessert, die noch weniger Lohn erhielten. „Ich weiß, dass mit Ländern wie Mexiko und Rumänien Verträge geschlossen werden, um Personal zu organisieren, das dann zu reduzierten Löhnen beschäftigt wird.“

Angesichts dieser katastrophalen Zustände hat Myriam wenig Vertrauen in Verdi. „Die Gewerkschaft tut zu wenig und macht sich kaum bemerkbar“, sagt sie.

Eine andere Kollegin, die anonym bleiben will, erklärt, dass sie längst bei Verdi ausgetreten sei. „Ihr macht ja nichts, habe ich ihnen gesagt, wofür kassiert ihr mein Geld? Jetzt sagen sie, wir streiken zum ersten Mal seit 20 Jahren, und tun so, als ob vorher niemand streiken wollte. Aber wir wollten schon immer streiken, es fand nur nicht statt. Ich finde, die Leute bei der Post, den Flughäfen und den Krankenhäusern sollten alle gemeinsam streiken.“

Doch Verdi fürchtet eben einen solchen umfassenden Streik, wie ihn die Beschäftigten angesichts der miserablen Arbeitsbedingungen und der Lohnkürzungen fordern. Die Gewerkschaft steht nicht auf der Seite der Beschäftigten, sondern der Regierungen und Unternehmen, mit denen sie aufs Engste verbunden ist. Gerade hat Verdi den Streik bei der Post sabotiert. Nachdem sich 86 Prozent der Mitglieder für einen Streik ausgesprochen hatten, sagte ihn die Gewerkschaft ab und legte den Beschäftigten den gleichen Tarifabschluss zur erneuten Abstimmung vor, den sie gerade mit überwältigender Mehrheit abgelehnt hatten.

Das Post-Aktionskomitee, in dem sich Beschäftigte unabhängig von Verdi zusammenschließen, um den Streik in die eigenen Hände zu nehmen, erhält deshalb regen Zulauf. Die öffentlich Beschäftigten müssen sich ebenfalls in unabhängigen Aktionskomitees organisieren, um den eigenen Streik mit dem der Post- und Bahnbeschäftigten zu verbinden. Sie müssen sich als Teil der der europäischen und internationalen Offensive der Arbeiterklasse gegen Lohnkürzung und Krieg verstehen. Schickt uns jetzt eine Whatsapp-Nachricht an folgende Nummer: +49 1520 3521345 oder registriert Euch unter diesem Artikel, um Euch am Aufbau der Aktionskomitees zu beteiligen.

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