Perspektive

Nein zur „Vermittlung“ zwischen Gewerkschaften und Staat! Mobilisiert die Arbeiter zum Sturz Macrons!

Seit über zwei Monaten protestieren in Frankreich Millionen gegen die Rentenkürzungen von Präsident Emmanuel Macron, die von drei Vierteln der Bevölkerung abgelehnt werden. Die Empörung nahm zu, nachdem Macron die Kürzungen ohne Parlamentsabstimmung dekretiert und erklärt hatte, sie seien notwendig, um die Glaubwürdigkeit des Landes gegenüber den Finanzmärkten zu wahren. Damit entlarvte sich der Staat als Diktatur der Banken und Macron als Präsident, der gegen den Willen der Bevölkerung regiert und gestürzt werden muss.

Demonstranten erklettern eine Statue auf dem Place de la Nation in Paris, 28. März 2023 [AP Photo/Thibault Camus]

Die Wut flaut nicht ab; in Raffinerien, Flughäfen, Bahnhöfen und Betrieben im ganzen Land wird gestreikt. Doch die Bewegung der Arbeiterklasse und der Jugend ist jetzt mit einem großen politischen Hindernis konfrontiert: den gleichen Gewerkschaftsverbänden, die seit zwei Monaten Streiks gegen Macron beschließen und ankündigen.

Am 26. März, kurz vor dem letzten landesweiten Proteststreik, rief der Vorsitzende des Gewerkschaftsbunds CFDT Laurent Berger dazu auf, die Streikbewegung zu beenden. Die Situation bereite ihm „Sorgen“. Er warnte in der Sprache der Polizeibehörden vor einem „gefährlichen politischen Klima“ und „dem Wahnsinn“, der sich im Land ausbreiten könnte: „Wir müssen die Temperatur senken, statt die Lage anzuheizen.“

Die Medien behaupten, die Gewerkschaftsbürokratien würden diese Bewegung anführen. In Wirklichkeit sind sie dabei, sie zu verraten und Macrons Herrschaft gegen die Bevölkerung abzusichern. Berger sprach sich dafür aus, die Arbeiter zu besänftigen, die Streiks herunterzufahren und Macrons illegitime Kürzungen als Diskussionsgrundlage zu akzeptieren.

Am Mittwoch erklärte Berger gegenüber France Info, er werde sich nächste Woche in den Matignon-Palast begeben, die offizielle Residenz von Premierministerin Elisabeth Borne, die Macrons Kürzungen federführend durchgesetzt hat: „Diesen Ort gilt es zu nutzen ... Aber wir sind nicht naiv. Wir wissen, dass es bei diesem Treffen sicherlich nicht darum gehen wird, die Rücknahme der Reform anzukündigen.“

Berger erklärte, er werde versuchen, Borne „wieder zu Verhandlungen über Arbeitsplätze und Arbeit zurückzubringen und davon zu überzeugen, dem sozialen Kompromiss eine Chance zu geben“. Gleichzeitig wolle er eine „Pause“ der öffentlichen Debatte über die Rentenkürzungen organisieren und warnte, wenn Macron seinen Kurs beibehalte, würde er damit nicht nur die Regierung irreparabel diskreditieren, sondern auch die Gewerkschaftsbürokratien. Er erklärte: „Wenn wir einfach darauf warten, dass der Widerstand zum Erliegen kommt, wird es schwerwiegendere Konsequenzen geben: anhaltende Ressentiments, für die wir alle teuer bezahlen werden.“

Andere Gewerkschaften wie CGT, Solidaires und CFE diskutieren öffentlich über Bergers Vorschlag.

Arbeiter und Jugendliche müssen aus diesem dreisten Verrat am Kampf gegen Macrons Kürzungen weitreichende Lehren ziehen. Die Kontrolle über Streiks und Proteste muss den Gewerkschaftsbürokratien entrissen werden. Sie stützen Macron, obwohl er sich über den Willen der Bevölkerung hinwegsetzt. Tatsächlich befürchten die Gewerkschaftsbürokraten weniger, dass Macrons Kürzungen den Lebensstandard und die sozialen und demokratischen Rechte ihrer Mitglieder beeinträchtigen, sondern eher, dass ein Kampf gegen Macron ihren eigenen Privilegien und Pöstchen schaden könnte.

Die CFDT-Bürokratie und ihre politischen Verbündeten setzen sich genauso über den Willen der Bevölkerung hinweg wie Macron. Erst vor wenigen Tagen erschien eine Ifop-Umfrage, laut der 62 Prozent der Bevölkerung ein „härteres“ Vorgehen der Protestbewegung gegen Macron befürworten, nachdem er seine Kürzungen ohne offizielle Abstimmung im Parlament dekretiert hat. Doch die Gewerkschaftsbürokratien streben eine soziale Explosion nicht an, sondern fürchten sie, und bewegen sich in die diametral entgegengesetzte Richtung.

Wie die Parti de l’égalité socialiste (PES) erklärt hat, ist die Alternative der Aufbau von Aktionskomitees in Betrieben, Schulen und Arbeitervierteln. Diese müssen sich von den Gewerkschaftsbürokratien lossagen, die den Kampf gegen Macron verraten. Sie können Streiks organisieren und koordinieren, Streikende gegen die Polizei verteidigen und eine politische Kampagne für die Mobilisierung der Arbeiter und Jugend zum Sturz Macrons führen.

Außerdem bestätigt die offene Abkehr der Gewerkschaftsbürokratien von der Massenbewegung gegen Macron die Ablehnung der PES gegenüber allen kleinbürgerlichen Gruppen, die in den letzten Monaten an die Gewerkschaftsbürokratien appelliert haben, eine „Strategie zum Sieg“ gegen Macron zu formulieren.

Die Bürokratien weigern sich, eine solche Strategie zu formulieren, weil sie Macron gegen die wachsende Welle von Kämpfen der Arbeiter unterstützen und nicht umgekehrt. Wenn sie zu Streiks aufrufen, dann nur, weil sie befürchten, dass die Arbeiter andernfalls ohne sie streiken werden und dass es zu einer unkontrollierbaren sozialen Explosion kommt.

Die Notwendigkeit eines unversöhnlichen Bruchs mit den Gewerkschaftsbürokratien und ihren politischen Verbündeten beruht auf folgender Tatsache: Der Verrat von Berger und anderen Funktionären ist nicht das Ergebnis eines taktischen Fehlers oder persönlichen Versagens des einen oder des anderen Gewerkschaftsbürokraten. Die Arbeiter können solche Verrätereien nicht verhindern, indem sie Berger durch einen anderen Funktionär ersetzen. Vielmehr beruht der Verrat auf den materiellen Interessen der Gewerkschaftsbürokraten, die als national basierte Organisationen tief in den kapitalistischen Staat eingebunden sind.

Die Masse der Arbeiter in Frankreich und im Rest der Welt erkennen zusehends, dass die Gewerkschaften in der letzten historischen Epoche keine militanten Kämpfe mehr geführt haben. Diese nationalen Organisationen können in der Ära der kapitalistischen Globalisierung keine Streiks gegen transnationale Konzerne mehr führen. Nach zahllosen Ausverkäufen während der letzten 50 Jahre ist ihr Rückhalt in der Arbeiterklasse eingebrochen. Nur noch etwa sieben Prozent der französischen Arbeiter sind in Gewerkschaften, und der Zusammenbruch des Mitgliedsbeitragsaufkommens bedeutet, dass ihre milliardenschweren Budgets heute zu 90 Prozent vom Staat und den Unternehmen subventioniert werden.

Deshalb identifiziert sich Berger instinktiv mit Macron, fürchtet eine Radikalisierung der Arbeiterklasse und stimmt den Rentenkürzungen bereitwillig zu, um sie daran zu hindern, Macron zu stürzen.

Die Arbeiter in Europa und im Rest der Welt sind die besten Verbündeten der Arbeiter in Frankreich im Kampf gegen den Verrat der Gewerkschaftsbürokratien. Der Klassenkampf spitzt sich weltweit zu, und es entstehen immer mehr Aktionskomitees. Allein letzten Monat streikten in Großbritannien und Deutschland Millionen für höhere Löhne. Dazu kamen landesweite Streiks der Lehrer, Eisenbahner und des öffentlichen Diensts zahlreicher Länder, u.a. in Belgien, Italien und Portugal.

Das Anwachsen der sozialen Wut und des Klassenkampfs und die Entstehung unabhängiger Arbeiterorganisationen schaffen die Voraussetzungen dafür, dass die Arbeiter selbst die Kontrolle über die Streiks übernehmen und eine mächtige Bewegung zum Sturz Macrons aufbauen, die sich über die Gewerkschaftsbürokratien hinwegsetzt.

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