GDL vereinbart massive Reallohnsenkung für Eisenbahner

Die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) hat für ihre Mitglieder in zwei baden-württembergischen Bahngesellschaften massive Reallohnsenkungen vereinbart. Sie hat einer Entgelterhöhung von 4,8 Prozent zugestimmt, in Tarifverträgen die 20 bzw. 22 Monate Laufzeit haben. Die GDL handelt nicht anders als die Hausgewerkschaft der Deutschen Bahn, die Gewerkschaft der Eisenbahner (EVG).

Acht Monate dauerte das Gezerre zwischen der GDL und der Südwestdeutschen Landesverkehrs-GmbH (SWEG). Der SWEG, die sich zu 95 Prozent im Eigentum des Landes Baden-Württemberg befindet, ging es um Sicherung ihrer Profite und der GDL um die Ausweitung ihrer Kontrolle über die Belegschaft des Konzerns. Um die Interessen der Beschäftigten ging es nie.

Protestkundgebung der GDL am 21. Oktober 2022 in Stuttgart [Photo by GDL]

Die SWEG hatte am 1. Januar 2022 die Abellio Rail Baden-Württemberg GmbH, eine Tochtergesellschaft der Niederländischen Staatsbahn, übernommen, nachdem diese wegen Corona-bedingten Einnahmeausfällen in finanzielle Schwierigkeiten geraten war. Abellio durchlief ein Insolvenzverfahren und wurde auf Drängen der Landesregierung von der SWEG zunächst für zwei Jahre übernommen. Seither firmiert sie als SWEG Bahn Stuttgart (SBS).

Die Mehrheit der Gewerkschaftsmitglieder unter den 1.300 Beschäftigten der SWEG gehört Verdi an, bei der SBS mit 500 Beschäftigten verfügt dagegen die GDL über die Mehrheit. Beide versuchen, sich die jeweilige Mehrheit abspenstig zu machen, um in beiden Unternehmen als Tarifpartner anerkannt zu werden.

Im September 2022 schloss Verdi mit Unterstützung der EVG einen Tarifvertrag für SWEG und SBS ab, der von Januar 2022 bis Ende Juni 2023 gilt (Laufzeit 18 Monate) und bei einer Lohnerhöhung von 4,8 Prozent eine empfindliche Reallohnsenkung bedeutet. Die Möglichkeit der abgabenfreien Einmalzahlungen (Inflationsausgleichszahlung), um die Reallohnsenkungen schön zu rechnen, gab es da noch nicht.

Doch selbst diese niedrige Lohnerhöhung war den Eigentümern der SWEG – also der von Grünen und CDU geführten Landesregierung – nicht gering genug. Der Aufsichtsrat des Unternehmens beschloss am 14. Oktober 2022, sich an der neuen Ausschreibung des ehemaligen Abellio-Netzes nicht mehr zu beteiligen und das Tochterunternehmen SBS Ende 2023 wieder abzustoßen. Damit könnte selbst diese niedrige Tarifvereinbarung für die 500 Arbeiter der SBS wieder aufgehoben werden.

Gleichzeitig weigerte sich die SWEG, die GDL als Verhandlungspartner anzuerkennen. Der GDL ging es nun darum, das Unternehmen durch sporadische Warnstreiks zu ihrer Anerkennung als Tarifpartner zu zwingen.

Seit der Verabschiedung des Tarifeinheitsgesetzes im Jahr 2015 findet dieses Gerangel um einen Platz am Tisch der Unternehmen auf Kosten der Arbeiter statt. Statt einen gemeinsamen Kampf zur Verteidigung des Lebensstandards zu führen, bekämpfen sich die Gewerkschaftsbürokratien, um ihre Pfründe zu sichern und heftige Angriffe durchzusetzen.

Das Tarifergebnis der GDL sichert die Lebensgrundlage der Eisenbahn-Beschäftigten nicht, sonder wird diese weiter verschlechtern.

  • Auch die GDL unterschrieb für die von ihr vertretenen etwa 500 Beschäftigten der SBS eine tabellenwirksame Lohnerhöhung von 4,8 Prozent, die rückwirkend ab dem 1. Januar 2022 22 Monaten bis Ende Oktober 2023 gilt.
  • Die gleiche Erhöhung soll für die in der GDL organisierten Arbeiter und Angestellten der SWEG ab dem Inkrafttreten des Tarifvertrags am 1. Mai 2023 gelten. Die Laufzeit beträgt hier 20 Monate bis Ende Dezember 2024.
  • Die GDL-Mitglieder sollen in beiden Unternehmen im Mai eine einmalige Prämie zum Inflationsausgleich von 1000 Euro erhalten.
  • Beide Gewerkschaften behaupten außerdem, geringfügige Erhöhungen von Nacht-, Sonntags- und Feiertagszuschlägen erzielt zu haben.
  • In Zukunft sollen GDL-Mitglieder bei der SWEG die Wahlmöglichkeit zwischen zwei Arbeitszeitmodellen erhalten, dem bisherigen „flexiblen“ Modell, bei dem Schichten auch kurzfristig umgeplant werden können, und einem starr festgelegten Schichtplan.

Die Lohnerhöhung von 4,8 Prozent bedeutet angesichts der horrenden Inflationsrate, insbesondere bei Lebensmitteln und Energie, eine massive Reallohnsenkung. Dennoch lobten GDL und Verkehrsunternehmen gleichermaßen das Verhandlungsergebnis.

[Photo: Statistisches Bundesamt]

Betrachtet man die Hintergründe des achtmonatigen Tarifkampfs, wird klar, welchem Gegner die Arbeiterinnen und Arbeiter tatsächlich gegenüberstehen.

Im Endeffekt ging es bei diesem Tarifkonflikt um einen Bieterwettbewerb zwischen den Gewerkschaften Verdi und EVG auf der einen sowie der GDL auf der anderen Seite. Beide Seiten rangen um die Anerkennung als Tarifpartner bei SWEG und SBS und wollten beweisen, dass sie in der Lage sind, harte Reallohnsenkungen durchzusetzen. Der eintägige Streik, mit dem die EVG kürzlich fast den gesamten deutschen Bahnverkehr lahmlegte, bezeichnete GDL-Chef Claus Weselsky (CDU) im Spiegel-Interview als ein von Bahn und EVG abgesprochenes „Schmierentheater“.

Die Tarifeinigung mit der GDL wurde nach zweimonatiger Schlichtung verkündet, bei der Rezzo Schlauch, der ehemalige Parlamentarische Staatssekretär der Grünen und heutige Lobbyist der Großindustrie, sowie Matthias Platzeck (SPD), der ehemalige brandenburgische Ministerpräsident, die Schlichter spielten. Platzeck hatte sich schon früher als Schlichter und Lohndrücker betätigt.

Die Streikbewegungen der vergangenen Monate bei der Post sowie im öffentlichen Dienst, Gesundheits- und Erziehungswesen haben gezeigt, dass die Arbeiterinnen und Arbeiter bereit sind, für angemessene Lohnerhöhungen und Inflationsausgleich zu kämpfen. Doch die Gewerkschaften setzen alle Hebel in Bewegung, um die Streiks zu isolieren, zu schwächen und schließlich zu beenden.

Sie verteidigen so die Sparpolitik der Bundes- und Länderregierungen und spielen eine Schlüsselrolle dabei, die Kosten des Ukrainekriegs sowie der Geschenke an Banken und Konzerne durch Reallohnsenkungen der Arbeiterklasse aufzubürden. Überall auf der Welt sind Arbeiter mit denselben Angriffen konfrontiert. In Frankreich rebellieren Millionen gegen die Macron-Regierung.

Einkommen und Arbeitsplätze müssen als Teil dieser europäischen Bewegung der Arbeiterklasse verteidigt werden. Den Gewerkschaftsapparaten muss die Entscheidungsbefugnis über Lohnforderungen und Kampfmaßnahmen genommen werden. Geheimverhandlungen über Tarifforderungen darf es nicht mehr geben. Die Beschäftigten müssen über alle Vorgänge, die sie selbst betreffen, auch selbst entscheiden können – über die Lohnforderungen, die Verhandlungen, über Strategie und Taktik der Arbeitskämpfe. Das erfordert von den Gewerkschaften unabhängige Aktionskomitees, die von den Beschäftigten selbst demokratisch gebildet und kontrolliert werden.

Die WSWS und die Sozialistische Gleichheitspartei (SGP) treten für den Aufbau solcher Aktionskomitees ein, die sich auch auf internationaler Ebene vernetzen und die Kämpfe der Arbeiter über Branchen- und Ländergrenzen hinweg koordinieren. Wir rufen alle Eisenbahn-Beschäftigten auf, sich über das unten stehende Formular zu melden.

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