Steigende Mieten stürzen viele in Armut

Neben explodierenden Lebensmittel- und Energiepreisen treiben steigende Mieten immer mehr Menschen in Armut. Schon jetzt sind die hohen Mieten für Millionen kaum noch zu stemmen. Der Anteil bezahlbaren Wohnraums und der Sozialwohnungen auf dem Wohnungsmarkt sinkt rapide. 2021 fehlten bundesweit insgesamt 700.000 Wohnungen, mit wachsender Tendenz.

Wohnsiedlung in Berlin-Kreuzberg [Photo by SA / CC BY 4.0]

Keine zwei Jahre nach dem vollmundigen Versprechen der Ampel-Koalition, jährlich 300.000 neue Wohnungen und 100.000 Sozialwohnungen zu bauen, ist der Wohnungsneubau aufgrund der hohen Zinsentwicklung und der Profitgier der Wohnungskonzerne fast zum Erliegen gekommen. Das Ergebnis sind rasant steigende Mieten auf dem erhitzten Wohnungsmarkt.

Die 58 Prozent der Bevölkerung, die in knapp 20 Millionen Ein- und Mehrpersonen-Haushalten (sogenannten „Hauptmieterhaushalten“) zur Miete wohnen, mussten im vergangenen Jahr laut Statistischem Bundesamt durchschnittlich 27,8 Prozent ihres Haushaltsnettoeinkommens für die Miete aufbringen. Bei 3,1 Millionen Haushalten verschlang die Miete sogar mindestens 40 Prozent des Einkommens.

Die von Politik und Verbänden einhellig beschworene Grenze für „leistbare Mieten“ (30-Prozent-Marke) ist reine Augenwischerei. Sie sagt nichts über das verfügbare Einkommen nach Abzug der Wohnungskosten aus und hat „sozial unakzeptable Auswirkungen“, so die Berliner MieterGemeinschaft. Eine Miete von 30 Prozent des Einkommens sei zwar für einen Haushalt mit zwei gering verdienenden Erwachsenen vielleicht noch zu bewältigen. Doch spätestens Familien mit mehr als drei Kindern hätten bei gleichem Gesamteinkommen nach Abzug der Mietkosten oft nicht einmal mehr den Mindestsatz pro Kopf zur Verfügung.

Wegen dem Mangel an bezahlbarem Wohnraum drängten sich 2021 rund 8,6 Millionen Menschen (10,5 Prozent der Bevölkerung) in überbelegten Wohnungen zusammen.

Am schlimmsten leiden Alleinerziehende und Familien unter der Wohnungsnot. Nahezu jede dritte Familie mit mindestens drei Kindern und 28,4 Prozent der Alleinerziehenden mit ihren Kindern lebten 2021 in zu beengten Wohnverhältnissen. Auch 11,9 Prozent der Alleinstehenden lebten in zu kleinen Wohnungen. Bei den übrigen Haushalten ohne Kinder lag die Überbelegungsquote bei immerhin noch 6,5 Prozent.

Ein Vergleich zwischen städtischen Ballungsräumen und dem Land zeigt, dass die Überbelegungsquote in größeren Städten mit 15,5 Prozent überproportional hoch liegt. In kleineren Städten und Vororten leben 8,6 Prozent der Bevölkerung und auf dem Land 4,9 Prozent in zu engen Wohnungen.

In Niedersachsen mit seinen 8 Millionen Einwohnern fehlten 100.000 Wohnungen. In Nordrhein-Westfalens Ballungsräumen entlang des Rheins stiegen die Mieten 2022 trotz der dort geltenden Mietpreisbremse stärker als im Schnitt der letzten zehn Jahre. Im Ballungsraum Berlin-Brandenburg mit seinen mehr als 5 Millionen Einwohnern fehlten im Jahr 2019 laut Berliner-Senats-Bericht 345.000 Wohnungen allein für Ein-Personen-Haushalte.

Bestimmte Bevölkerungsgruppen sind besonders häufig von der Wohnungsnot betroffen. So sind knapp 18 Prozent der Minderjährigen in zu kleinen Wohnungen zusammengepfercht.

Bei den älteren Menschen ab 65 Jahren sind es zwar nur 3 Prozent, dies sagt aber nichts über ihre Haushaltssituation aus. Gerade Rentner, Verwitwete oder Geschiedene und Alleinerziehende stehen oft vor dem unlösbaren Problem, dass sie für ihr gesunkenes Haushaltseinkommen keine kleinere, preiswertere Wohnung mieten können, weil es davon schlicht zu wenig gibt.

Hinter den statistischen Zahlen versteckt sich der Kampf ums pure Überleben.

Sozialverbände und Tafeln schlagen Alarm und berichten von einem kaum zu bewältigendem Andrang von Bedürftigen, darunter vielfach Rentner und Familien. Sie sparen selbst am Nötigsten und hungern teilweise, um die monatliche Miete aufbringen zu können und ihre Kinder zu versorgen.

Schon 2021 hatte der Sozialverband VdK gewarnt: „Wer verwitwet ist, fällt oft in die Armut. Alleinlebende ältere Frauen sind von den steigenden Mieten finanziell überfordert. Sie können aber auch nicht in eine andere Wohnung umziehen, weil es eben keinen bezahlbaren Wohnraum gibt. Aus Scham beantragen sie keine Grundsicherung, die Armutsspirale dreht sich weiter. Wir reden hier von alten Menschen, die wegen der hohen Wohnkosten am Essen und an Medikamenten sparen müssen.“

Klaus-Dieter Gleitze von der Niedersächsischen Landesarmutskonferenz warnt: „Die Armen sind teilweise resigniert, frustriert, sind mit dem nackten Überleben mittlerweile beschäftigt, weil sie sich darum kümmern müssen, wie kann ich überhaupt noch heizen, wie kann ich mich ernähren.“ Die Angst vor dem sozialen Absturz sei auch in der Mitte der Gesellschaft angekommen.

Von den gleichen Existenzsorgen betroffen sind hunderttausende Studierende. Ohne die Unterstützung gutverdienender Eltern lassen sich die überteuerten Zimmer in WG’s oder Studentenwohnheimen kaum noch finanzieren. Jobs neben dem Studium sind vielfach unterbezahlt. Geld für Essen oder gar Bücher bleibt kaum übrig. „Weder die Grundsicherung noch Wohngeld oder BAföG für Studierende wurden von der Bundesregierung an die tatsächlichen Miet-, Energie- und Nahrungsmittelkosten angepasst“, kritisiert der Paritätische Wohlfahrtsverband.

In Berlin, wo wechselnde Koalitionen aus SPD, Linkspartei, Grünen und CDU seit 25 Jahren systematisch die Wohnungsnot organisieren, hat sie längst auch die besserverdienenden Schichten erreicht. 2021 stimmten mehr als die Hälfte der Berliner in einem Volksentscheid für die Enteignung großer Wohnungskonzerne wie Vonovia. Dennoch weigerte sich die (jetzt scheidende) rot-grün-rote Landeskoalition unter Franziska Giffey (SPD), den Entscheid umzusetzen. Giffey, die zukünftige Bausenatorin in der neuen Berliner Regierung, hat klargemacht, dass sie den Volksentscheid auch weiterhin ignorieren wird.

Wie im gesamten Bundesgebiet hat auch die Landesregierung in Berlin ihr Wohnungsneubau-Versprechen nicht umgesetzt. Während zu wenig bezahlbare Wohnungen bereitgestellt werden, fallen tausende Sozialwohnungen aus der Sozialbindung und werden in den allgemeinen, überteuerten Wohnungsmarkt überführt.

In Berlin sank die Zahl der Sozialwohnungen innerhalb von fünf Jahren von 115.000 auf 96.000. Bundesweit standen Anfang der 1990er Jahre noch drei Millionen Sozialwohnungen zur Verfügung, jetzt sind es nur noch eine Million.

Zunehmend geben Menschen ihre Wohnung vollständig auf, um auf Campingplätzen zu leben. Campingwagen statt Wohnung, wie man es vor allem aus Armenregionen in den USA kennt, könnten laut Wohnraumforschern auch hier „das neue Normal“ werden.

Im vergangenen Jahr lebten laut Angabe der Bundesregierung mindestens 37.000 Menschen auf der Straße und weitere 263.000 Menschen hatten keine eigene Wohnung und lebten bei Freunden oder in Notunterkünften, darunter viele Flüchtlinge. Die Dunkelziffer ist um ein Vielfaches höher. Verbände sprechen von bis zu rund 417.000 Menschen ohne eigene Wohnung.

Um dem extremen Wohnungsmangel zu begegnen, fordert der Leiter des auf die Immobilienbranche spezialisierten Pestel-Instituts, Matthias Günther, bundesweit die Auflage eines Sondervermögens „Sozialer Wohnungsbau“ in Höhe von 50 Milliarden Euro.

Doch die Bundesregierung wird keinen Cent opfern, um dem massiven Rückgang von Neubau-Plänen und -investionen im sozialen Wohnungsbau entgegenzutreten. Während sich Investoren aus Wohnungsprojekten (für normal Verdienende) zurückziehen, weil die Baukosten so stark gestiegen sind, redet sich Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) mit der Ausrede heraus, dass „die Politik“ auf solche Umstände wie „hohe Materialkosten, Lieferengpässe, hohe Zinsen – ausgelöst durch Corona und Ukrainekrieg“ kaum Einfluss habe.

Natürlich ist das gelogen. Die Ampelkoalition, die vollhändig hunderte Milliarden für die „Rettung“ von Finanzindustrie und Großkonzernen während der Pandemie und für die Aufrüstung der Bundeswehr ausgibt, investiert keine hohen Milliardenbeträge in den notleidenden sozialen Wohnungsbau, in die Bildung oder in andere gesellschaftlich relevante Bereiche. Stattdessen suchen Bundesfinanzminister Christian Lindner und seine Ampel-Kollegen, die eine Steuererhöhung für Reiche kategorisch ablehnen, nach Einsparmöglichkeiten in Höhe von 70 Milliarden Euro, um die Schuldenbremse einzuhalten.

Während die Lebenshaltungskosten explodieren, setzen die Arbeitgeberverbände mit Unterstützung der Gewerkschaften flächendeckend Nullrunden und Reallohnsenkungen durch, wie gegenwärtig bei der Post und im öffentlichen Dienst. Das Ausmaß der sozialen Krise wird zu heftigen Klassenkämpfen führen wie in Frankreich, wo seit Wochen Millionen gegen die Kürzung der Renten protestieren.

Darauf muss sich der Kampf für preiswerten und angemessenen Wohnraum stützen. Er kann nur Erfolg haben, wenn er von einer unabhängigen Bewegung der Arbeiterklasse geführt wird und für ein sozialistisches Programm eintritt, das auch die entschädigungslose Enteignung der Miethaie umfasst.

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