Macrons China-Reise verschärft Konflikte zwischen imperialistischen Mächten

Die heftigen Auseinandersetzungen über die jüngste China-Reise des französischen Präsidenten Emmanuel Macron werfen ein grelles Licht auf die wirklichen Ziele der Offensive der USA und ihrer Verbündeten gegen China und Russland. Getrieben durch wirtschaftliche Krisen, taumelnde Finanzmärkte und anschwellende Klassenkämpfe kämpfen die imperialistischen Mächte um eine gewaltsame Neuaufteilung der Welt und riskieren dabei einen nuklearen dritten Weltkrieg, der das Überleben der Menschheit in Frage stellt.

Ihre unmittelbaren Ziele sind die Unterwerfung Russlands und die Plünderung seiner gewaltigen Bodenschätze sowie die Einhegung Chinas, dessen wirtschaftlicher Aufstieg gestoppt werden soll. Doch die Zuspitzung der Konfrontation führt unweigerlich zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen den imperialistischen Mächten selbst – insbesondere zwischen den USA und Europa, aber auch zwischen den rivalisierenden europäischen Mächten.

[AP Photo/Ludovic Marin/Pool via AP]

Seit Monaten vergeht kaum ein Tag, an dem die USA keine neue Provokation gegen China starten. Die Ein-China-Politik, die seit 50 Jahren die Beziehungen zu China bestimmte, ist mittlerweile Makulatur. Das US-Militär führt vor der chinesischen Küste eine aggressive Militärübung nach der anderen durch. Erst diese Woche begann das größte gemeinsame Manöver mit den Philippinen in der Geschichte.

In dieser zugespitzten Lage reiste Macron in Begleitung einer großen Wirtschaftsdelegation nach China, ließ sich von Präsident Xi Jinping den roten Teppich ausrollen, vereinbarte eine Reihe lukrativer Wirtschaftsverträge und lobte Xis Friedensinitiative für die Ukraine.

Auf dem Rückflug sprach der französische Präsident dann offen aus, was viele andere europäische Politiker zwar denken, aber aus politischen Gründen nicht offen äußern wollen. In einem Interview mit Journalisten von Les Échos und Politico distanzierte er sich scharf von der China-Politik der USA.

Europa sei dabei, „Elemente einer echten strategischen Autonomie“ zu schaffen und dürfe nicht in „eine Art Panikreflex verfallen und der amerikanischen Politik folgen“, sagte er. Es dürfe nicht in eine Block-Logik eintreten und sich in Krisen hineinziehen lassen, „die nicht die unsrigen sind“. Wenn es beim Thema Taiwan nur „Mitläufer“ sei und sich „an das amerikanische Tempo und eine chinesische Überreaktion“ anpasse, werde Europa zum „Vasallen“, obwohl es ein „dritter Pol“ sein könnte.

Die „Schlachten“, die es zu schlagen gelte, seien die „Beschleunigung unserer strategischen Autonomie“ und die „Sicherstellung der Finanzierung unserer Volkswirtschaften“, betonte Macron. Der Schlüssel zu einer geringeren Abhängigkeit von den Amerikanern liege darin, die europäische Verteidigungsindustrie auszubauen. Notwendig sei „eine europäische Kriegswirtschaft“.

In einem Nebensatz, der in Washington besonders aufmerksam registriert worden sein dürfte, sprach sich Macron auch explizit gegen die Rolle des US-Dollars als globale Leitwährung aus. „Ich möchte die Gelegenheit nutzen, um einen Punkt zu betonen: Wir dürfen nicht von der Extraterritorialität des Dollars abhängig sein,“ sagte er.

Vertreter des französischen Imperialismus

Macron sprach als Vertreter des französischen Imperialismus und nicht als Friedensbefürworter. Lange Zeit hatte er in der China-Politik selbst zu den Hardlinern gezählt. Da er Frankreich aufgrund seiner Überseegebiete mit 1,6 Millionen Einwohnern als indo-pazifische Macht betrachtet, hatte er sich um ein antichinesisches Bündnis mit Japan, Indien und anderen Ländern bemüht.

Doch die USA booteten ihn aus. Als sie im September 2021 mit Großbritannien und Australien das Dreierbündnis AUKUS schlossen und Australien den Kauf von französischen U-Booten im Wert von 56 Milliarden Dollar stornierte, eskalierte der Konflikt. Macron zog aus Protest die französischen Botschafter aus Washington und Canberra ab und verstärkte seine Kampagne für „europäische Souveränität“ oder „strategische Autonomie“, für die er bereits 2017 in einer programmatischen Rede an der Pariser Sorbonne-Universität geworben hatte.

Dieses Bemühen um „strategische Autonomie“ auf wirtschaftlichem, politischem und militärischem Gebiet ist mit einer massiven militärischen Aufrüstung verbunden. Der jüngste französische Militärhaushalt sieht eine Erhöhung der Rüstungsausgaben von 3 bis 4 Milliarden Euro pro Jahr vor. Bis 2030 soll der Militäretat auf 69 Milliarden Euro steigen – von 32 Milliarden im Jahr 2017. Über die Hälfte der Mittel ist für die Modernisierung des französischen Atomwaffenarsenals vorgesehen: die Erneuerung von Sprengköpfen und Raketen sowie von Rafale-Jets und U-Booten, die sie abfeuern können.

Finanziert werden soll dies unter anderem durch die Senkung der Renten, gegen die seit Wochen Millionen auf die Straße gehen. Macron begegnet ihnen mit diktatorischen Maßnahmen – mit brutalen Polizeieinsätzen, unter Missachtung des Willens der Bevölkerung und ohne Abstimmung im Parlament.

Macrons Äußerungen zur amerikanischen China-Politik stießen in den USA und bei ihren engsten Verbündeten erwartungsgemäß auf wütenden Protest. Die New York Times warf dem französischen Präsidenten vor, er untergrabe die Bemühungen der USA zur Eindämmung Chinas. Ein Editorial des Wall Street Journal drohte, Europa im Krieg gegen Russland, den die USA maßgeblich vorantreiben und finanzieren, sich selbst zu überlassen: „Macron möchte, dass die USA Europa gegen die russische Aggression zu Hilfe eilen, aber offenbar ein Neutralitätsgelübde gegen die chinesische Aggression im Pazifik ablegen. Vielen Dank, mein Freund.“

Der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki betonte vor dem Abflug zu einem USA-Besuch, das Bündnis mit den USA sei „eine absolute Grundlage“ für die europäische Sicherheit. Ohne Macrons Namen zu erwähnen, warf er ihm vor, er träume von einer „Zusammenarbeit mit jedermann, mit Russland und mit Mächten im Fernen Osten“.

Kritik aus Deutschland

Auch aus der Europäischen Union und Deutschland kam heftiger Protest. Aus der EU-Kommission verlautete, Macron habe das Gegenteil von dem getan, was er mit Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vereinbart habe, die mit ihm nach Peking gereist war und dort die chinesische Taiwan-Politik scharf kritisiert hatte.

Das Nachrichtenmagazin Der Spiegel titelte: „Ist Macron jetzt völlig von Sinnen?“ Die Süddeutsche Zeitung warf dem französischen Präsidenten vor, er habe „einen Keil in Europas Beziehung zu den USA getrieben und zugleich einen Graben quer durch Europa aufgerissen“. Der CDU-Politiker Johann Wadephul kritisierte: „So richtig Macrons Appell nach mehr europäischer Souveränität ist: Dieses Ziel verfolgen wir nicht gegen die USA, sondern mit ihnen.“

Im deutschen Außenministerium hieß es, man lehne zwar einen Wettbewerb der Härte gegenüber China ab, die Annahme, Europa könnte sich im Fall eines chinesischen Überfalls auf Taiwan heraushalten, sei jedoch abwegig. Zudem gelte die enge Anbindung an die USA vor allem in Mittel- und Osteuropa nicht als Bedrohung, sondern als Voraussetzung europäischer Sicherheit.

Außenministerin Annalena Baerbock reiste am Donnerstag selbst nach China, um den von Macron beschädigten Eindruck europäischer und transatlantischer Geschlossenheit wiederherzustellen, wie es offiziell hieß. Bei einem Treffen mit ihrem chinesischen Amtskollegen Qin Gang betonte sie, dass eine gewaltsame Wiedervereinigung Chinas mit Taiwan für Europa nicht akzeptabel sei. Gleichzeitig spielte sie Macrons Äußerungen herunter und behauptete, dass „die französische Chinapolitik eins zu eins die europäische Chinapolitik“ widerspiegele.

Tatsache ist, dass auch Berlin seit langem eine Politik der „strategischen Autonomie“ verfolgt, auch wenn es dafür andere Begriffe verwendet. Die führenden Köpfe in Politik und Medien gehen davon aus, dass die Nato ein Bündnis auf Zeit ist, dass die globalen Wirtschaftsinteressen der USA und Europas auf Dauer nicht kompatibel sind und dass Deutschland seine imperialistischen Interessen aus eigener militärischer Kraft verfolgen muss.

So erklärt die Frankfurter Allgemeine Zeitung in einem Kommentar über Macrons Äußerungen, die Europäer wüssten spätestens seit Donald Trumps Präsidentschaft, „dass auf Washington nicht mehr in jeder Lebenslage Verlass ist“. Eine ähnliche Konstellation könne es schon 2024 wieder geben. „Macrons Analyse, Europa müsse nach so etwas wie strategischer Autonomie streben, ist deshalb nicht von vornherein falsch.“

Bereits 2003 war es über den Irakkrieg zu heftigen Konflikten zwischen der deutschen Regierung unter Gerhard Schröder und der amerikanischen unter George W. Bush gekommen. Spätestens seit 2014 verfolgt Deutschland ganz offiziell das Ziel, weltweit auch militärisch wieder eine Großmachtrolle zu spielen. Und 2017 verkündete Bundeskanzlerin Angela Merkel nach einer Auseinandersetzung mit US-Präsident Donald Trump, die Zeiten, in denen sich Deutschland vollständig auf andere habe verlassen können, seien vorbei. „Wir Europäer müssen unser Schicksal wirklich in unsere eigene Hand nehmen.“

Rivalität zwischen Deutschland und Frankreich

Doch das Streben nach einer europäischen Großmachtpolitik bringt unweigerlich die alten Rivalitäten zwischen Deutschland und Frankreich wieder hoch, die sich zwischen 1871 und 1945 in drei großen Kriegen erbittert bekämpft hatten. Die vielgepriesene deutsch-französische Partnerschaft und europäische Einheit der Nachkriegsära gedieh unter der Patenschaft der USA, die aus geopolitischen und wirtschaftlichen Gründen ein Interesse daran hatten, Westeuropa zu befrieden.

Auch wenn Paris und Berlin im Ziel übereinstimmen, Europa zu einer unabhängigen Weltmacht – zu einem „dritten Pol“ (Macron) – auszubauen, führt die Frage, wer die Führung hat und Europa dominiert, zu unüberbrückbaren Konflikten. Vor allem seit Beginn des Ukrainekriegs haben sich die deutschen und französischen Interessen deutlich auseinanderentwickelt.

Deutschland, das anfangs gezögert hatte, seine wirtschaftlichen Beziehungen zu seinem wichtigsten Energielieferanten Russland zu kappen, stellte sich mit Beginn des Ukrainekriegs an die Seite der USA und nutzt nun den Krieg für die umfassendste Aufrüstungskampagne seit Hitler.

Es verfolgt das erklärte Ziel, zur „militärischen Führungsmacht“ Europas zu werden. „Deutschlands Größe, seine geografische Lage, seine Wirtschaftskraft, kurz: sein Gewicht, machen uns zu einer Führungsmacht, ob wir es wollen oder nicht. Auch im Militärischen,“ verkündete die damalige Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) vor einem halben Jahr.

Deutschland hat seinen Rüstungshaushalt verdreifacht und ist nach den USA zum wichtigsten Kriegstreiber geworden. Laut Berechnungen des Kieler Instituts für Weltwirtschaft gaben die USA im ersten Kriegsjahr 71,3 und Deutschland 7,4 Milliarden Euro für die Ukraine aus, Frankreich dagegen nur 1,8 Milliarden.

Laut einem Kommentar der F.A.Z. richtete sich Macrons Interview deshalb nicht zuletzt an „die Bundesregierung, die seit dem Februar 2022 demonstrativ ihre Nähe zu den Vereinigten Staaten betont und wenig Engagement für eine deutsch-französische Achse an den Tag legt“.

Deutschland verfolgt mit dem Ukrainekrieg eigene geostrategische Interessen, die nicht die französischen sind. Neben der Unterwerfung Russlands geht es dem deutschen Imperialismus um die Vorherrschaft in Osteuropa – oder „Mitteleuropa“, wie es früher genannt wurde –, das bereits im Ersten und Zweiten Weltkrieg zu seinen wichtigsten Kriegszielen zählte. Nach der Niederlage im Zweiten Weltkrieg hatte es dort große, ehemals deutsche Gebiete räumen müssen.

Heute bilden Polen, die baltischen Staaten und andere osteuropäische Länder ein wichtiges Reservoir an billigen Arbeitskräften für die deutsche Wirtschaft. Wann immer es einen Konflikt mit den USA gab, orientierten sich diese Länder an Washington.

Um das Bündnis mit den USA im Ukrainekrieg nicht zu gefährden, geht die Bundesregierung auf größere Distanz zu China, zu dem sie bisher von allen europäischen Staaten die engsten Beziehungen unterhielt. Wirtschaftlich ist China nach wie vor Deutschlands wichtigster Handelspartner. 2022 investierten deutsche Unternehmen mit 11,5 Milliarden Euro mehr als je zuvor in China.

Nun drängt die Bundesregierung auf größere Distanz und bemüht sich um neue Allianzen mit Japan, Indien, Brasilen und anderen Ländern. Baerbock bezeichnete China in Peking als „Partner, Wettbewerber und systemischen Rivalen“ und beanstandete „ungesunde Abhängigkeiten“, betonte aber auch, dass dies „nicht Entkopplung“ bedeute.

Die ständige Verschärfung des Ukrainekriegs durch die Nato, die systematischen Kriegsvorbereitungen der USA gegen China und die rivalisierenden Großmachtbestrebungen Deutschlands und Frankreichs zeigen, dass es auf kapitalistischer Grundlage keinen Ausweg aus der Kriegsgefahr gibt. Was die imperialistischen Großmächte in den Wahnsinn eines nuklearen Dritten Weltkriegs treibt, ist – wie 1914 und 1939 – die ausweglose Krise des kapitalistischen Systems, das nur noch soziale Ungleichheit, gesellschaftlichen Niedergang und Umweltzerstörung hervorzubringen vermag.

Notwendig ist der Aufbau einer internationalen Antikriegsbewegung, die sich auf die Mobilisierung der internationalen Arbeiterklasse stützt und den Kampf gegen Militarismus und Krieg mit dem Kampf gegen ihre Ursachen, den Kapitalismus verbindet. Diese Frage wird im Mittelpunkt der weltweiten Online-Kundgebung zur Feier des 1. Mai 2023 des Internationalen Komitees der Vierten Internationale am 30. April stehen.

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