Zweiter bundesweiter Warnstreik bei der Bahn

Von 3 Uhr früh bis 13 Uhr stehen an diesem Freitagmorgen bundesweit alle Züge still. In den Tarifverhandlungen mit der Deutschen Bahn hat die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) bis 11 Uhr zum Warnstreik aufgerufen, woraufhin der Bahnvorstand seinerseits den gesamten Fernverkehr bis 13 Uhr eingestellt hat. In dieser Zeit fällt auch der Regional- und Nahverkehr der Bahn weitgehend aus.

Parallel dazu streiken schon seit Donnerstag Beschäftigte der Luftsicherheit an den Flughäfen Köln/Bonn, Düsseldorf und Hamburg, zu denen heute auch diejenigen von Stuttgart hinzukommen. Sie kämpfen für bessere Zuschläge für die unregelmäßigen und ungünstigen Schichtzeiten und für die Überstunden, die sie immer wieder leisten müssen. Diese Zuschläge wurden seit Jahren nicht angehoben.

Streikende Eisenbahner am 27. März 2023 in Berlin

Bei der Bahn ist es bereits der zweite Warnstreik in dieser Tarifrunde. Am 27. März hatte die EVG gemeinsam mit Verdi und Beamtenbund zu einem sogenannten „Mega-Streik“ aufgerufen, der den Nah- und Fernverkehr, die großen Flughäfen und die Güterschifffahrt in ganz Deutschland einen Tag lang lahmlegte.

Mit dem Aufruf zu einem weiteren Warnstreik reagiert die EVG auf die hohe Kampfbereitschaft der Bahnbelegschaft. Der Betrieb wird seit 20 Jahren von unfähigen Managern kaputtgespart. Die Beschäftigten bezahlen dafür doppelt: durch miserable Löhne und durch unzumutbare Arbeitsbedingungen. Während die Manager Gehälter und Boni in Millionenhöhe kassieren, werden die Löhne und Arbeitsplätze zusammengestrichen. Die Belegschaft muss Verspätungen und andere Pannen ausgleichen und bekommt nicht selten die Wut entnervter Passagiere zu spüren.

Nun hat der Versuch der Bahn, der Belegschaft einen Abschluss weit unter der Inflationsrate – und damit eine massive Reallohnsenkung – aufzuzwingen, das Fass zum Überlaufen gebracht.

Die Tarifforderung der EVG – sie verlangt für die 180.000 Beschäftigten der Deutschen Bahn und allen angeschlossenen Bahngesellschaften 12 Prozent mehr Lohn, mindestens aber 650 Euro monatlich bei einer Laufzeit von zwölf Monaten – und die markigen Worte ihrer Funktionäre können nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie längst einen Ausverkauf vorbereitet. Ein Warnstreik vor einer Verhandlungsrunde, in der dann ein miserabler Abschluss vereinbart wird, hat in deutschen Tarifverhandlungen inzwischen Tradition. Er dient dazu, Dampf abzulassen, und gehört zum eingespielten Verhandlungsritual.

Am kommenden Dienstag, den 25. April, trifft sich die EVG mit dem Bahnvorstand zur zweiten Verhandlungsrunde. Bereits drei Tage vorher, am 22. April, verhandelt die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi mit Bund und Kommunen über den Schlichterspruch für den öffentlichen Dienst, der eine massive Reallohnsenkung bedeutet. Die tabellenwirksamen Löhne sollen bei einer Laufzeit von 24 Monaten nur um 5,5 Prozent oder mindestens 340 Euro erhöht werden. Und das bei einer jährlichen Inflationsrate von rund 8 Prozent!

Da die Verdi-Vertreter in der Schlichtungskommission dem Spruch bereits zugestimmt haben, ist davon auszugehen, dass er – möglicherweise leicht verändert – angenommen wird und dann als Vorlage für die Bahn dient. Der Personalvorstand der Bahn, Martin Seiler, hat dies bereits vorgeschlagen. Er pries den Schlichterspruch mit den Worten: „Der Lösungsvorschlag im öffentlichen Dienst zeigt: Es geht! Absolute Priorität hat es nun, auch bei der Deutschen Bahn zügig zu einer Lösung zu kommen …“

Die EVG-Verhandlungsführer Kristian Loroch und Cosima Ingenschay haben Seilers „Angebot“ zwar empört als Provokation zurückgewiesen und betont: „Die Kollegen fühlen sich verhöhnt.“ Doch sie senden unterschiedliche Signale in verschiedene Richtungen. Während sie gegenüber den Kolleginnen und Kollegen Empörung heucheln, signalisieren sie der Bahn und der hinter ihr stehenden Bundesregierung, dass sie ihnen nicht weh tun wollen und nur symbolisch „kämpfen“.

Wie sonst ist zu erklären, dass sie nach dem ersten erfolgreichen Warnstreik den zweiten auf wenige Stunden beschränken? Selbst die konservative F.A.Z. anerkennt die Bemühungen der EVG, den Konflikt zu dämpfen. Sie schreibt: „Sorgen, der Betrieb würde den gesamten Tag beeinträchtigt, versuchte Ingenschay zu zerstreuen. Sie sieht die Arbeitgeber in der Pflicht, den Betrieb am Freitag nach 11 Uhr wieder möglichst schnell in geregelte Bahnen zu lenken. ‚Die Arbeitnehmer werden ab 11 Uhr mit Verve dafür sorgen, dass alles wieder läuft‘, sagte sie.“

Dabei ist völlig klar, dass der Bahnvorstand und die Bundesregierung – die Deutsche Bahn AG befindet sich hundertprozentig im Eigentum des Bundes – nur die Sprache des Kampfs verstehen. Aber einen unbefristeten Streik will die EVG unbedingt vermeiden.

Die Hausgewerkschaft der Bahn vertritt seit langem ganz offen die Interessen des Konzerns Über Aufsichtsratsposten, Tantiemen und zahlreiche interne Kanäle wird das EVG-Spitzenpersonal an den Profiten des Managements beteiligt. Die EVG ist zudem durch tausenderlei Fäden mit den Regierungsparteien SPD und Grüne verbunden. Unvergessen ist ihre Politik zu Beginn der Corona-Pandemie, als die EVG mit der Bundesregierung und dem Bahnmanagement ein „Bündnis für unsere Bahn“ einging und den Beschäftigten die Kosten für die Krise durch eine veritable Nullrunde auferlegte.

Die Auseinandersetzung bei der Bahn ist Bestandteil eines internationalen Aufschwungs des Klassenkampfs, der immer breitere Schichten der Arbeiterklasse ergreift. Im öffentlichen Dienst befinden sich über zweieinhalb Millionen Beschäftigte – Flughafenarbeiter, Krankenpfleger, Kita-Erzieherinnen, Müllwerker, etc. – im Kampf gegen Reallohnsenkungen und Sozialabbau. Europaweit nehmen Streiks und Proteste zu.

In Griechenland hat ein katastrophales Zugunglück mit 57 Todesopfern eine Generalstreikbewegung unter dem Slogan „Unsre Toten – eure Profite“ ausgelöst. In Frankreich spielen die Eisenbahner eine führende Rolle in der Aufstandsbewegung gegen die Rentenkürzungen der Macron-Regierung. Auch in Italien, Belgien und Skandinavien sind Eisenbahner im Streik. In Norwegen findet aktuell der größte Lohnkampf seit 23 Jahren statt. In Schweden streiken die Lokführer der Pendlerzüge von Stockholm seit Montag spontan dagegen, dass sie künftig ohne Schaffner allein unterwegs sein sollen.

Diese Kämpfe richten sich gegen eine herrschende Klasse, die mit dem Rücken zur Wand steht und darauf mit Gewalt nach innen und nach außen reagiert. Sie führt in der Ukraine einen Stellvertreterkrieg gegen Russland, den sie immer weiter eskaliert, obwohl er in einen atomaren dritten Weltkrieg zu münden droht. Und sie bereitet mit immer neuen Provokationen einen Krieg gegen China vor, um dessen wirtschaftlichen Aufstieg zu stoppen. Die Kosten für diesen Wahnsinn lädt sie auf die arbeitende Bevölkerung ab.

In Frankreich setzt Präsident Macron gegen den Willen der überwiegenden Mehrheit eine drastische Senkung der Renten durch, auf den Widerstand reagiert er mit brutaler Polizeigewalt. In Deutschland steckt die Ampelkoalition hunderte Milliarden Euro in Krieg und Aufrüstung, während die gesellschaftliche und soziale Infrastruktur zerfällt und die Reallöhne sinken.

Diese Angriffe können nur zurückgeschlagen werden, wenn sich die Arbeiter branchenübergreifend und international vereinen und sich unabhängig von den Gewerkschaften organisieren, die überall unter einer Decke mit den Regierungen und den Konzernen stecken.

Wir schlagen dazu den Aufbau unabhängiger Aktionskomitees vor, die von vertrauenswürdigen Arbeitern geleitet werden und auf die die Gewerkschaften keinen Einfluss haben. Die Vierte Internationale und die Sozialistische Gleichheitspartei haben die Initiative zum Aufbau der Internationalen Arbeiterallianz der Aktionskomitees (International Workers Alliance of Rank-and-File Committees, IWA-RFC) ergriffen, um den Aufbau der Aktionskomitees voranzubringen und international zu koordinieren.

Die erste Aufgabe von Aktionskomitees bei der Bahn muss es sein, einen Ausverkauf durch die EVG zu verhindern und für einen unbefristeten Streik zu kämpfen. Er muss einen Tarifabschluss erreichen, der die Inflation und die Einkommensverluste der vergangenen Jahre voll ausgleicht.

Die Aktionskomitees müssen zum Ausgangspunkt für den Kampf für eine Gesellschaft werden, in der die Arbeiterklasse – die große Mehrheit – das Sagen hat und in der die menschlichen Bedürfnisse, und nicht die Profite der Reichen, ausschlaggebend sind – d.h. für eine Gesellschaft, die nach sozialistischen Grundsätzen organisiert ist.

Wir rufen die Eisenbahnerinnen und Eisenbahner auf, mit uns Kontakt aufzunehmen. Vernetzt euch mit euren Kollegen bei der Post und im Öffentlichen Dienst. Die Aktionskomitees sind per Whatsapp-Nachricht an die Mobilnummer +49-163-337 8340 zu erreichen oder registriert euch gleich hier über das folgende Formular.

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