Kämpfe im Sudan lösen Massenflucht aus

Im Sudan kam es während der letzten elf  Tage zu erbitterten Kämpfen, nachdem sich die monatelangen Spannungen zwischen rivalisierenden Fraktionen des Militärs zu einem offenen Kampf um die Kontrolle über das Land entladen hatten. Am Freitag wurde eine weitere dreitägige Waffenruhe während des muslimischen Feiertags Eid al-Fitr (Fest des Fastenbrechen) vereinbart, die jedoch schon einen Tag später gebrochen wurde.

General Abdel Fattah al-Burhan, der Befehlshaber der sudanesischen Armee, Vorsitzender des Souveränen Rats und faktischer Herrscher des Landes, und sein Stellvertreter Mohamed Hamdan Dagalo, Befehlshaber der paramilitärischen Rapid Support Forces (RSF), haben angekündigt, sich bis zum Ende zu bekämpfen.

Rauch über der sudanesischen Hauptstadt Khartum am 22. April 2023 [AP Photo/Marwan Ali]

Laut den Vereinten Nationen wurden seit Beginn der Kämpfe mehr als 420 Menschen getötet, darunter mindestens 256 Zivilisten, und mehr als 3.500 Menschen verwundet. Die sudanesische Ärztegewerkschaft erklärte, beim Beschuss der Hauptstadt Khartum, ihrer Zwillingsstadt Omdurman und der benachbarten Bundesstaaten seien mehrere Krankenhäuser zerstört oder beschädigt worden. Weitere Krankenhäuser wurden geplündert, sodass mehr als zwei Drittel der medizinischen Einrichtungen „außer Betrieb“ sind.

Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) und der sudanesische Rote Halbmond erklärten, sie würden „die humanitäre Lage in Khartum und anderen Teilen des Landes genau beobachten“.

Der Leiter der IKRK-Delegation im Sudan, Alfonso Verdu Perez, erklärte: „Wir sind außerordentlich besorgt darüber, dass die Kämpfe dicht besiedelte Gebiete betreffen. Die Leute suchen Schutz in ihren Häusern.“

In Teilen von Khartum und Omdurman gibt es noch immer keinen Strom und kein Wasser, und die Menschen suchen in ihren Häusern Schutz vor dem ständigen Artilleriebeschuss und den Luftangriffen. Alles, einschließlich des Flughafens von Khartum, der durch Beschuss schwer beschädigt wurde, ist seit Tagen geschlossen, sodass die Menschen keinen Zugang zu Lebensmitteln haben. Stinkende Leichen bleiben auf den Straßen liegen. Der italienische NGO-Chef Stefano Rebora erklärte gegenüber der BBC: „Es gibt hier auch eine völlige Zerstörung. Alles ist einfach verwüstet.“

Der Monitoring-Dienst NetBlocks erklärte, am Sonntag seien das Internet und das Telefonsystem im Sudan „fast vollständig zusammengebrochen“.

Die Sprecherin des IKRK, Alyona Synenko, erklärte gegenüber der BBC, die Lage sei für die Zivilbevölkerung mittlerweile „unhaltbar“; sie hätten keine Nahrung, kein Wasser und einige Krankenhäuser seien außer Betrieb. Sie berichtete von „verzweifelten Fluchtversuchen“.

Etwa 10.000 Sudanesen sind am Wochenende in den Südsudan geflohen, und mindestens weitere 20.000 aus der westsudanesischen Region Darfur, in der die Kämpfe wieder aufgeflammt sind, in den Nachbarstaat Tschad. Dort leben bereits 400.000 sudanesische Flüchtlinge. Auch sind viele aus der Hauptstadt, in der zehn Millionen Menschen leben, zu Familien in andere Landesteile geflohen, sodass Teile des Stadtzentrums vollständig verlassen sind. Andere haben sich per Bus nach Ägypten oder in den Süden des Landes aufgemacht.

Die riesige Fluchtbewegung droht, die sieben Nachbarstaaten des Sudan zu überwältigen, die selbst unter Armut und Instabilität leiden und bereits viele Flüchtlinge und Binnenvertriebene aufgenommen haben.

Im Sudan selbst leben etwa 1,1 Millionen Flüchtlinge und Asylsuchende, die meisten aus dem Südsudan, der sich 2011 abgespalten hatte, und der seither durch einen Bürgerkrieg verwüstet wird. Andere sind vor Konflikten und autokratischen Regierungen in Eritrea, Äthiopien und Syrien geflohen. Wieder andere sind Migranten, die im Sudan arbeiten, um ihre Familien in der Heimat zu unterstützen. Die Kämpfe beeinträchtigen die Überweisungen in ihre Länder und den grenzüberschreitenden Handel.

UN-Generalsekretär Antonio Guterres warnte, der Sudan stehe „am Rande des Abgrunds“, da es keine Anzeichen für ein Abschwächen der brutalen Kämpfe zwischen rivalisierenden Kräften gibt. Zudem könnte die Gewalt im Sudan, einem der ärmsten Länder der Welt, in dem es in der Vergangenheit immer wieder Militärputsche gab, „die ganze Region und noch weitere Länder mitreißen“.

In den letzten Tagen haben die Vereinten Nationen, die USA und zahlreiche Staaten in Europa, dem Nahen Osten, Afrika und Asien ihr diplomatisches Personal, und in einigen Fällen auch ihre Staatsbürger mit Rettungsmaßnahmen auf dem Land-, Luft- und Seeweg evakuiert. Die meisten schickten Militärhubschrauber von Dschibuti am Roten Meer nach Khartum, um die Menschen während einer kurzen Feuerpause auszufliegen. Andere transportierten sie in Konvois 800 Kilometer weit nach Port Sudan am Roten Meer.

Nachdem einige Konvois angegriffen wurden, darunter einer mit katarischen Botschaftsangehörigen und ein anderer mit französischen Staatsbürgern, ist die Situation zu gefährlich geworden, um noch weitere Ausländer auf diesem Weg zu evakuieren.

Die beiden Führer der rivalisierenden Fraktionen, die derzeit um die Kontrolle über das Land kämpfen, erlangten während des Kriegs im westsudanesischen Darfur große Bekanntheit. Zwischen 2003 und 2008 wurden in Darfur 300.000 Menschen getötet und 2,5 Millionen vertrieben. Al-Burhan war damals Befehlshaber der Armee, Dagalo (allgemein als Hemedti bekannt) führte die berüchtigten Dschandschawid-Milizen an, die für einige der schlimmsten Gräueltaten des Konflikts verantwortlich waren. Beide waren in Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verwickelt.

Der Konflikt zwischen diesen korrupten Persönlichkeiten hat globale Impulse, Ursprünge und Auswirkungen, und der US-Imperialismus spielt dabei eine zentrale Rolle.

Al-Burhan wird von dem brutalen ägyptischen Diktator Abdel Fattah el-Sisi und von Schichten aus dem Umfeld des Militärs unterstützt, die seit langem den umfangreichen militärisch-industriellen Komplex des Sudans kontrollieren. Al-Burhan unterstützt die USA und die europäischen Mächte im US/Nato-Krieg gegen Russland in der Ukraine.

Dagalo, der durch seine Kontrolle über den Export von Gold aus Darfur ein enormes Vermögen machte, wird von den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) und Saudi-Arabien unterstützt. Ein Großteil des exportierten Golds geht über die VAE an Russland, zu dem er enge Beziehungen unterhält. Moskau, dessen Wagner-Söldner im Sudan und der benachbarten Zentralafrikanischen Republik operieren, versucht einen Stützpunkt in Port Sudan aufzubauen.

Die US-Regierung unter Biden ist verärgert darüber, dass sich der Sudan bei der UN-Resolution zur Verurteilung der russischen Invasion in der Ukraine enthalten hat. Sie ist entschlossen, die Beziehungen des Sudan zum Iran, Russland und China zu unterbrechen, Port Sudan für die russische Marine zu sperren und ihr regionales Bündnis gegen den Iran zu stärken, dem der Sudan Anfang dieses Jahres beigetreten ist. Das bedeutete, die Macht des Militärs und seine Beziehungen zu Russland einzuschränken und die zivile sudanesische Übergangsregierung von Abdalla Hamdok zu ermutigen, gegen den Goldexport des Militärs nach Russland vorzugehen, denn dieser Goldexport hat es Moskau ermöglicht, Sanktionen zu umgehen. Dies war einer der Faktoren, die zum Militärputsch gegen die Regierung von Hamdok im Oktober 2021 führten, der laut offiziellen und ehemaligen US-Quellen von Russland unterstützt worden sein soll. Die Antikorruptionsbehörde, die das Vorgehen steuerte, wurde daraufhin sofort aufgelöst.

Der Gewalt, die am 15. April ausbrach, ging eine wochenlange Verschärfung der Spannungen voraus, und die Militäreinsätze und Sicherheitsmaßnahmen wurden verschärft. Zudem hatten rivalisierende Fraktionen um öffentliche und internationale Unterstützung für die geplante Einbindung der Rapid Support Forces (RSF) und anderer ehemaliger Rebellenmilizen, die an früheren Aufständen beteiligt waren, in die sudanesische Armee geworben. Dies war eine der Hauptforderungen von al-Burhans Fraktion in den Verhandlungen um das Rahmenabkommen, mit denen eine Zivilregierung gebildet werden sollte, während das Militär und seine Konzerne die wirtschaftliche Kontrolle behalten wollten. Auf diese Weise sollten auch die Proteste und sozialen Unruhen beendet werden, die das Land seit Dezember 2018 erschüttert und im April 2019 zum präventiven Putsch des Militärs gegen den langjährigen Diktator Omar al-Bashier geführt hatten.

Seither herrschten zwischen Burhan und Hemedti immer gespanntere Beziehungen. Gleichzeitig wurden die Sozialproteste niedergeschlagen, was zum Tod von mehr als 120 Zivilisten führte. Etwa 15 Millionen der 46 Millionen Einwohner des Sudan leiden bereits unter akuter Ernährungsunsicherheit. Ursachen dafür sind die eskalierenden Lebensmittel- und Treibstoffpreise, die Wirtschaftskrise in Folge der Abtrennung des ölreichen Südsudan 2011, die politische Instabilität, Konflikte und die Vertreibung von etwa drei Millionen Menschen, Missernten und Überschwemmungen.

Dagalo weigerte sich, seine RSF in das sudanesische Militär einzugliedern, solange das Militär nicht unter ziviler Kontrolle steht und die Islamisten, die unter al-Bashir die Macht ausgeübt hatten, als politische Kraft ausgeschaltet sind. Dies hat ihm die Unterstützung von Teilen der kleinbürgerlichen Berufs- und zivilen Gruppen eingebracht, die an den Verhandlungen beteiligt waren und im Dezember ein neues Rahmenabkommen mit dem Militär für eine Rückkehr zur Zivilherrschaft unterzeichnet hatten.

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