Pseudolinke Gruppen verteidigen Verdis Reallohnsenkung

Die Tarifabschlüsse der letzten Monate in der Chemie- und Metallindustrie, bei der Post und jetzt im öffentlichen Dienst haben mehr als deutlich gemacht, dass Arbeiter ihre Löhne nur verteidigen können, wenn sie aus der gewerkschaftlichen Zwangsjacke ausbrechen und unabhängige Aktionskomitees aufbauen, die echte Kampforgane sind, von ihnen selbst kontrolliert werden, die Streiks in die eigenen Hände nehmen und die nationale Isolation durchbrechen.

IG Metall, IG BCE und Verdi sind aufs Engste mit den Konzernen und der Regierung verbandelt und setzen deren Vorgaben mit aller Macht gegen die Arbeiter durch. Sie unterstützen die Kriegspolitik der Regierung und verordnen den Arbeitern deshalb inmitten der horrenden Inflation empfindliche Lohnkürzungen, während sich die Reichen weiterhin sagenhaft bereichern.

Streikende Müllwerker der Berliner Stadtreinigung

Viele Arbeiter rebellieren deshalb gegen die Abschlüsse, wenden sich von den Gewerkschaften ab und suchen nach einer neuen Orientierung. Die unabhängigen Aktionskomitees, die vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale initiiert wurden und von Arbeitern auf der ganzen Welt unterstützt werden, erhalten wachsende Resonanz. Als demokratisch kontrollierte Organisationen treten sie der Gewerkschaftsbürokratie entgegen, schließen Arbeiter international zusammen und entwickeln ernsthafte Kämpfe gegen Lohnkürzungen und Kriegspolitik.

Die Gewerkschaften reagieren auf die wachsende Opposition, indem sie Lügenkampagnen inszenieren, um ihre Abschlüsse schönzurechnen, Streiks sabotieren und voneinander isolieren. Sie wollen mit allen Mitteln verhindern, dass sich eine europäische Streikbewegung entwickelt, die sich nicht nur gegen den Lohnabbau, sondern gegen seine Wurzeln, die Kriegspolitik und den Kapitalismus richtet.

Dabei stützen sie sich auf verschiedene pseudolinke Organisationen, die sich als „sozialistisch“, „revolutionär“ oder „marxistisch“ bezeichnen, aber nichts davon sind. Diese Organisationen sind, trotz gelegentlicher Kritik an der Führung, fester Bestandteil der gewerkschaftlichen Apparate. Sie setzen alles daran, die Abschlüsse schönzureden und die gewerkschaftliche Zwangsjacke fester zu schnüren. Sie fürchten die unabhängige Bewegung der Arbeiter wie der Teufel das Weihwasser.

Das zeigt der üble Abschluss für die 2,6 Millionen öffentlich Beschäftigten in Bund und Kommunen besonders deutlich. Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi sabotierte die Kampfbereitschaft der Arbeiter und vereinbarte einen Abschluss, der trotz hoher Inflation im laufenden Jahr eine Nullrunde und im folgenden Lohnerhöhungen weit unter der Inflationsrate vorsieht. Statt einer Urabstimmung organisiert Verdi lediglich eine Mitgliederbefragung, die für die Entscheidung nicht bindend ist.

Die Pflegerinnen und Pfleger, die Müllwerker und Busfahrer, die in den Corona-Jahren Übermenschliches geleistet haben, reagieren empört auf diese Angriffe. Viele treten aus der Gewerkschaft aus, die sie als das wahrnehmen, was sie ist: als Betriebspolizei der Regierungen und Konzerne.

Hier treten die pseudolinken Gruppen in Aktion. Sie stellen sich hinter die Gewerkschaften und verteidigen sie gegen die Wut der Arbeiter.

Die „Sozialistische Alternative“ (SAV), die Teil der Linkspartei ist, rechnet zwar vor, dass der Abschluss im öffentlichen Dienst nicht einmal die Lohnverluste seit 2020 ausgleicht und angesichts der zu erwartenden Inflation gerade für die unteren Gehaltsgruppen massive Reallohnverluste bedeutet. Trotzdem rechtfertigt sie den Abschluss mit dem Argument, dass andere Gewerkschaften noch schärfere Lohnkürzungen durchgesetzt hätten: „Es stimmt allerdings, dass der Reallohnverlust durch diesen Abschluss gebremst wird. Der Abschluss ist besser als in der Metall- und Chemieindustrie und erreicht ungefähr das Niveau des Abschlusses bei der Post,“ heißt es auf der Website der SAV.

Auch die pablistische „Internationale Sozialistische Organisation“ (ISO) erklärt: „Obwohl im Öffentlichen Dienst die Kommunen andauernd zu wenig Geld haben, ist der mögliche Abschluss etwas besser als die Tarifeinigung bei der hochprofitablen Deutschen Post AG.“ Die Gruppe behauptet sogar, dass mit dem Abschluss „die erwarteten Preissteigerungen in diesem und im nächsten Jahr ausgeglichen“ würden.

Die maoistische Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) schwadroniert über „weitgehenden Zugeständnisse, vor allem für die unteren Lohngruppen“.

Diese Gruppen rufen zwar dazu auf, bei der Mitgliederbefragung über den Abschluss mit Nein zu stimmen, tun das aber ausschließlich vom Standpunkt, die Gewerkschaftsbürokratie gegen den Unmut der Arbeiter zu verteidigen.

Die SAV wendet sich sogar ganz offen gegen einen „Erzwingungsstreik“. Dieser sei nicht mehr möglich, „denn in den Medien wird der Abschluss als Tatsache dargestellt, die Fortführung des Kampfes wird für viele Kolleg*innen als nicht realistisch gelten.“

Trotzdem ruft die SAV dazu auf, gegen den Abschluss zu stimmen – nicht um einen Streik durchzusetzen und die Reallohnkürzungen zurückzuschlagen, sondern „um den vielen neu eingetretenen und den noch nicht organisierten Kolleg*innen zu zeigen, dass ver.di eine lebendige Gewerkschaft mit aktiven und mitdenkenden Mitgliedern ist und kein vom Apparat kontrollierter Papiertiger, der zwar hohe Forderungen aufstellt, aber sie dann nicht durchsetzt.“

Die Mitglieder von Verdi sollen ihren Kollegen also durch ein symbolisches „Nein“ vorgaukeln, sie hätten bei der größten Reallohnkürzung seit Bestehen der Bundesrepublik, die von der großen Mehrheit der Arbeiter abgelehnt wird, ein Wort mitzureden.

Die „Sozialistische Organisation Solidarität“ (SOL) vom „Committee for a Workers International“ (CWI) macht die Arbeiter gleich selbst für die Annahme des Abschlusses verantwortlich. Die Gruppe ruft zwar zu einer Nein-Stimme auf, hält es aber für unwahrscheinlich, „dass nach Empfehlung durch die BTK das jetzige Verhandlungsergebnis von einer klaren Mehrheit abgelehnt wird“. Stattdessen ruft SOL dazu auf, Verdi bis zu den nächsten Tarifverhandlungen in anderthalb Jahren als „kämpferische Gewerkschaft“ aufzustellen.

Es verwundert nicht, dass – bis auf ein paar leeren Floskeln bei der MLPD – in keinem der zitierten Texte der politische Kontext des Streiks auch nur erwähnt wird. Kein Wort über die Kriegspolitik der Regierung, die durch die Reallohnsenkung im öffentlichen Dienst finanziert wird; kein Wort über den Stellvertreterkrieg der Nato gegen Russland, der die Inflation anheizt; und kein Wort über die mächtigen Klassenkämpfe in Frankreich und ganz Europa, in denen sich Arbeiter dieser Politik entgegenstellen und in scharfen Konflikt mit dem Kapitalismus geraten.

Das Schweigen erklärt sich daraus, dass die pseudolinken Tendenzen diese Politik unterstützen und gegen die Arbeiter durchsetzen wollen. Die meisten haben sich offen hinter den Stellvertreterkrieg der Nato gegen Russland gestellt. So wie die Gewerkschaften mit Regierung und Staatsapparat verwachsen sind, sind diese Organisationen integraler Teil der Gewerkschaftsbürokratie. Die wachsende Bewegung der Arbeiterklasse erfüllt sie mit Schrecken.

Eine besonders üble Rolle spielt die „Revolutionäre Internationalistische Organisation“ (RIO), die sich einst von der „Gruppe Arbeitermacht“ abgespalten hatte und heute der morenoistischen „Trotzkistischen Fraktion, Vierte Internationale“ angehört. Anders als die bisher genannten Gruppen spart RIO nicht mit Phrasen gegen die Aufrüstung und über einen internationalen Kampf der Arbeiter. Doch diese Phrasen dienen nur dazu, die rebellierenden Arbeiter an die Gewerkschaftsbürokratie zu ketten.

„Es wird leider Austritte geben, da die Kolleg:innen ihre Kritik bemerkbar machen wollen“, bemerkt RIO auf ihrer Website und erklärt: „Die Enttäuschung, die es nun bei vielen Mitgliedern gibt, ist verständlich, aber sie darf nicht dazu führen, aus der ver.di auszutreten. Damit überlassen wir die Zukunft der Gewerkschaft nur der Führung, die Erzwingungsstreiks scheut. Im Gegenteil: Noch viel mehr Kolleg:innen müssen Teil der Gewerkschaft werden, um eine starke Basis zu haben.“

Eine der zentralen Forderungen von RIO lautet: „NEIN zu Austritten.“ Soweit die Gruppe Kritik an der Gewerkschaftsführung übt, tut sie das vom Standpunkt, Arbeiter in der gewerkschaftlichen Zwangsjacke zu halten. Arbeiter träten aus Verdi aus, so RIO, „wenn wir für sie keine Kampfperspektive INNERHALB der Gewerkschaft gegen die Politik der Führung öffnen“. Diese Behauptung verbindet RIO mit dem Märchen, die Gewerkschaftsführung ließe sich zum Kampf zwingen: „Wenn 75 Prozent gegen das Ergebnis stimmen, wird die ver.di-Führung dies nicht ohne weiteres ignorieren können.“

Tatsächlich macht der Verdi-Apparat genau das. Als die Post-Arbeiter im Februar mit 86 Prozent gegen das Angebot der Arbeitgeber und für Streik stimmten, ignorierte Verdi dieses Votum und legte das nahezu gleiche Angebot einfach erneut zur Abstimmung vor. Sie ließ so lange abstimmen, bis ihr das Ergebnis passte.

Das ist nicht einfach ein Ergebnis der Korruption der Verdi-Funktionäre, sondern ergibt sich aus dem Wesen der Gewerkschaften selbst. Seit ihrer Entstehung im 19. Jahrhundert waren sie nicht darauf orientiert, den Kapitalismus zu stürzen, sondern innerhalb des Profitsystems bessere Konditionen für die Arbeiter auszuhandeln. Sie standen immer auf dem rechten Flügel der Arbeiterbewegung und rückten gerade in Zeiten der Krise immer näher an den kapitalistischen Staat und die Unternehmen heran. In Deutschland fand das 1933 seinen tragischen Höhepunkt, als die ADGB-Führung Hitler ihre Zusammenarbeit anbot.

Mit der kapitalistischen Krise und der Globalisierung der Produktion, die dem Programm der nationalen Reformen den Boden entzogen hat, verwandelten sich die Gewerkschaften von reformistischen Arbeiterorganisationen, die begrenzte Verbesserungen durchsetzen konnten, vollends in Apparate des Staats und der Konzerne, die deren Angriffe auf die Arbeiter durchführen. Diese bürokratischen Monster können nach 80 Jahren der Degeneration nicht wieder in Arbeiterorganisationen verwandelt werden.

Deshalb sehen viele Arbeiter Verdi, die IG Metall oder die IG BCE nicht als ihre Interessenvertreter, sondern als Mafia und Betriebspolizei. Seit der Wiedervereinigung haben die DGB-Gewerkschaften die Hälfte ihrer Mitglieder verloren. Das ganze Gerede der Pseudolinken, die Gewerkschaften zu reformieren und die Führung unter Druck zu setzen, ist nichts weiter als ein Hütchenspiel der Bürokratie selbst, um Arbeiter zu verwirren und an die Apparate zu ketten.

Die pseudolinken Gruppen formulieren kein Programm für Arbeiter, sondern repräsentieren die Bürokratie und andere Teile der gehobenen Mittelschicht. „Der Begriff ‚Pseudolinke‘ bezeichnet politische Parteien, Organisationen und theoretische/ideologische Tendenzen, die populistische Parolen und demokratische Phrasen benutzen, um die sozioökonomischen Interessen privilegierter und wohlhabender Schichten der Mittelklasse zu fördern“, schreibt David North im Vorwort zu seinem Buch „Die Frankfurter Schule, die Postmoderne und die Politik der Pseudolinken“.

Je aggressiver der Imperialismus und je schärfer der Klassenkampf, desto weiter gehen diese Schichten nach rechts und werden zu wichtigen Stützen der bürgerlichen Herrschaft, der Kürzungspolitik und des Kriegs.

Demgegenüber steht die trotzkistische Bewegung für die unabhängige Mobilisierung der Arbeiterklasse gegen die Kriegs- und Kürzungspolitik und ihre Wurzel, den Kapitalismus. Sie hat Zeit ihres Bestehens gegen die sozialdemokratischen und stalinistischen Apparate gekämpft und unnachgiebig jede Form der Anpassung daran entlarvt. Sie hat das Programm des Internationalen Sozialismus gegen alle Spielarten pseudolinker Ideologie verteidigt.

Diese Perspektive und der Aufbau des Internationalen Komitees der Vierten Internationale und der Sozialistischen Gleichheitspartei gewinnen jetzt entscheidende Bedeutung. Denn notwendig ist nicht nur ein Bruch mit den Gewerkschaften, sondern der Aufbau einer europäischen und internationalen Bewegung gegen die Kürzungs- und Kriegspolitik und für den Sozialismus. Das ist die einzige Möglichkeit, wie Arbeiter ihre Rechte verteidigen und eine Katastrophe verhindern können.

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