Die Lage der Jugend in Europa und die Aufgaben der IYSSE

Dies ist die Rede von Gregor Link, Sprecher der International Youth and Students for Social Equality (IYSSE) in Deutschland, auf der internationalen Online-Maikundgebung 2023. Sämtliche Reden können unter wsws.org/mayday abgerufen werden.

Am diesjährigen 1. Mai werden junge Menschen in ganz Europa und weltweit immer mehr in eine globale Krise von historischem Ausmaß hineingezogen. In den Augen von hunderten Millionen Jugendlichen werden die Lügen, die über diese Gesellschaft erzählt wurden, durch die Ereignisse entlarvt.

Anstatt zur Lösung der Probleme der Menschheit zusammenzuarbeiten, liefern sich die kapitalistischen Regierungen einen irrsinnigen Wettlauf um die Neuaufteilung der Welt, der direkt in einen dritten Weltkrieg führt. Der Ukrainekrieg, der bereits hunderttausende Menschenleben gekostet hat, droht zu einem Atomkrieg zu eskalieren und signalisiert zugleich, dass die historischen Rivalitäten zwischen den europäischen imperialistischen Mächten wieder an die Oberfläche treten.

Gregor Link an der Internationalen Online-Kundgebung zum 1. Mai 2023

Eine junge Person, die nach der Auflösung der Sowjetunion geboren wurde, ist in einem kapitalistischen System in permanenter Krise aufgewachsen, das durch immer brutalere Kriege, sowie wirtschaftliche und ökologische Verwüstung gekennzeichnet ist.

In dieser Zeit wurden junge Menschen Zeugen der hemmungslosen Bereicherung einer winzigen Schicht von oligarchischen Wahnsinnigen. In den Lagerhäusern von Jeff Bezos und den Fabriken von Elon Musk, sowie im Service- und Online-Sektor sollen sie bis an ihr Lebensende für einen Hungerlohn arbeiten. Die meisten Arbeitsplätze sind heute schlecht bezahlt und unsicher und machen es so gut wie unmöglich, eine Familie zu gründen.

Laut Angaben des statistischen Amtes der EU waren im Jahr 2021 mehr als 20 Prozent der jungen Menschen „armutsgefährdet“, in Griechenland und Dänemark sogar mehr als 25 Prozent. Die wirtschaftliche Lage der Jugend verschlechtert sich derzeit am schnellsten in Ländern wie Dänemark und Schweden, die lange Zeit mit sozialer Stabilität in Verbindung gebracht wurden.

Unabhängige Erhebungen haben ergeben, dass EU-weit fast ein Viertel der Minderjährigen von Armut bedroht ist. In Rumänien, Bulgarien und Italien ist der Anteil junger Menschen, die arbeitslos sind, keine Ausbildung absolvieren oder nicht zur Schule gehen, erneut auf 20 Prozent oder mehr gestiegen.

In Großbritannien, Frankreich und Deutschland – den vermeintlich reichsten Ländern Europas – ist die Situation nicht anders. Unter Bedingungen einer sozialen Ungleichheit, die in ihrem Ausmaß selbst für Charles Dickens, Victor Hugo und Karl Marx unvorstellbar gewesen wäre, kämpfen junge Menschen darum, über die Runden zu kommen und fragen sich, ob sie überhaupt eine Zukunft haben werden.

Nach jahrzehntelangen endlosen Sozialangriffen, die vor allem von sozialdemokratischen und grünen Regierungen mit Unterstützung der Gewerkschaftsbürokratien durchgeführt wurden, ist von den sozialen Errungenschaften der Arbeiterklasse in Europa und der ganzen Welt kaum noch etwas übrig. Allein in den letzten drei Jahren hatte die kapitalistische Agenda des Militarismus, der sozialen Verwüstung und der Durchseuchung mit Covid-19 verheerende Auswirkungen auf die Jugend in ganz Europa.

Opfer der schweren Überschwemmungen durch Monsunregen tragen Hilfsgüter durch das Hochwasser im Bezirk Qambar Shahdadkot in der Provinz Sindh, Pakistan, 9. September 2022. Wie Wissenschaftler erklären, hat der Klimawandel zweifellos dazu beigetragen, dass die Monsunregenfälle in diesem Sommer dreieinhalb Mal so stark ausfielen wie üblich und ein Drittel Pakistans unter Wasser setzten. [AP Photo/Fareed Khan]

Jugendliche wurden mit der Tatsache konfrontiert, dass ihr Leben und das ihrer Angehörigen auf dem Altar des Profits geopfert werden soll. Allein im vergangenen Jahr haben das türkisch-syrische Erdbeben und die Überschwemmungen in Pakistan Millionen Menschen vertrieben und zehntausende getötet – Ergebnisse einer bewussten Politik des „sozialen Mordes“.

Seit dem Ausbruch der aktuellen Covid-19-Pandemie sind weltweit mehr als 10,5 Millionen Kinder zu Waisen geworden oder haben eine Hauptbezugsperson verloren. Millionen weitere haben Lehrer, Großeltern oder Freunde verloren, während zahllose andere an langfristiger Schädigung durch Long Covid leiden. Die kombinierte Belastung aus Krankheit, Tod und den Auswirkungen halbherziger Pseudo-Lockdowns haben das Leben und das Bewusstsein einer ganzen Generation tiefgreifend beeinflusst.

Der Klimawandel – der hunderte Millionen Menschen mit der Zerstörung ihrer Lebensgrundlage bedroht und bereits zum Aussterben unzähliger Tierarten geführt hat – wird von den kapitalistischen Eliten nur als ein weiterer Faktor in ihrem skrupellosen Wettstreit um die Weltherrschaft betrachtet. Hinter verschlossenen Türen drehen sich die Diskussionen nicht um internationale Planung und kollektives Handeln, sondern darum, wer auf dem großen Schachbrett dieser Welt den Sieg davontragen wird.

Wie im Ersten und Zweiten Weltkrieg stehen junge Menschen in Europa und weltweit wieder vor der Aussicht, auf dem Schlachtfeld zu sterben. Sei es Krieg, Inflation oder die Gefahr des Faschismus – unsere Generation wird mit den Fragen von Leben und Tod konfrontiert, denen auch unsere Großeltern und Urgroßeltern gegenüberstanden.

Aber die Zerstörung eines dritten Weltkriegs, der unweigerlich mit dem Einsatz von Atomwaffen einhergehen würde, wäre noch viel verheerender. Um ganz offen zu sprechen: Wenn der Ukrainekrieg weiter in Richtung eines schrankenlosen Atomkonflikts eskaliert, wird von der menschlichen Zivilisation nichts mehr übrig bleiben.

Doch genau das bereiten die herrschenden Eliten aktiv vor. Politiker auf dem ganzen Kontinent fordern die Militarisierung aller Bereiche der Gesellschaft und die Einrichtung einer „Kriegswirtschaft“. Die Regierungen in Lettland, Polen und den Niederlanden ergreifen Maßnahmen zur Wiedereinführung der Wehrpflicht, während Frankreich eine umfassende Modernisierung seines Atomwaffenarsenals vorbereitet.

Die historischen Traditionen, denen sie dabei folgen, zeigen sich am deutlichsten in der Explosion des deutschen Militarismus. Das Land, das die schlimmsten Verbrechen in der Menschheitsgeschichte begangen hat, führt jetzt seine größte militärische Aufrüstungskampagne seit der Niederlage der Nazis im Jahr 1945 durch.

Die deutsche Regierung verfolgt das erklärte Ziel, die führende Militärmacht Europas zu werden, die Ukraine unter ihre wirtschaftliche Kontrolle zu bringen und Russland eine strategische Niederlage zuzufügen. Dies wiederum verschärft die geopolitischen Rivalitäten mit den USA und intensiviert die Spannungen zwischen den europäischen Imperialisten, die bereits zum Ersten und zum Zweiten Weltkrieg geführt haben.

Deutsche Leopard-Panzer bei einer Übung in Grafenwöhr [Photo by 7th Army Training Command / flickr / CC BY 2.0]

Wenn der Krieg irgendetwas gezeigt hat, dann dass Einheit, Frieden und Fortschritt nicht von den kapitalistischen Eliten eines jeden Landes kommen können – sie müssen in einem Kampf gegen sie gewonnen werden.

Es gibt einen Weg vorwärts: Er liegt in der Tradition des Marxismus und des revolutionären Sozialismus. Die Bedingungen für die Entwicklung einer mächtigen sozialistischen Bewegung der internationalen Arbeiterklasse und Jugend bilden sich rasch heraus. Es ist eine solche Bewegung, die den Krieg beenden und die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa errichten kann und wird.

Gegen die eigennützigen Illusionen und den selbstgefälligen Pessimismus, die von den verschiedenen pseudolinken Tendenzen propagiert werden, werden wir als IYSSE unseren Kampf für eine vereinte weltweite Bewegung von Arbeitern und Jugendlichen ausweiten. Gegen die antimarxistischen und arbeiterfeindlichen Theorien der Frankfurter Schule und der Postmoderne werden wir junge Menschen zu Trotzkisten ausbilden und sie politisch gegen alle Formen von Nationalismus und Opportunismus wappnen, um das Internationale Komitee der Vierten Internationale als Weltpartei der sozialistischen Revolution aufzubauen.

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