Wahlen in der Türkei: Kılıçdaroğlus fremdenfeindlicher Wahlkampf entlarvt die Pseudolinken

Im Vorfeld des zweiten Wahlgangs der türkischen Präsidentschaftswahlen am 28. Mai verschärft der Kandidat des Bündnisses der Nation, Kemal Kılıçdaroğlu, seine Kampagne gegen Flüchtlinge. Dennoch unterstützen die kurdisch-nationalistische Demokratische Partei der Völker (HDP) und die pseudolinken Parteien ihn weiterhin.

Kemal Kılıçdaroğlu im Januar 2023 [Photo by Cumhuriyet Halk Partisi / CC BY-NC-SA 4.0]

Im ersten Wahlgang, am 14. Mai, erhielt der Amtsinhaber Präsident Recep Tayyip Erdoğan (Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung, AKP) laut dem Endergebnis des Hohen Wahlausschusses 49,52 Prozent der Stimmen. Kılıçdaroğlu (Republikanische Volkspartei, CHP) kam mit 44,88 Prozent auf den zweiten Platz. Sinan Oğan, der Kandidat des rechtsextremen Wahlbündnisses Ata İttifakı, erhielt überraschenderweise 5,17 Prozent.

Oğan und das Ata-Bündnis forderten als Gegenleistung für ihre Unterstützung in der Stichwahl ein Ministeramt oder den Posten des Vizepräsidenten. Sie haben zudem mehrere Bedingungen gestellt: einen „ununterbrochenen Kampf gegen terroristische Organisationen jeder Art“ und „die Abschiebung von Flüchtlingen gemäß eines Zeitplans“.

Erdoğan, der Kandidat des Wahlbündnisses Volksallianz, traf sich mit Oğan und Kılıçdaroğlu traf sich mit Ümit Özdağ, dem Vorsitzenden der rechtsextremen Partei des Sieges – der wichtigsten Partei, die Oğan unterstützt. Sowohl Oğan als auch Özdağ entstammen der faschistischen Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP), die mit Erdoğan verbündet ist. Oğan kündigte seine Entscheidung für Montag an.

Sowohl Erdoğan als auch Kılıçdaroğlu wollen Oğans Unterstützung im zweiten Wahlgang. Erdoğan erklärte jedoch gegenüber CNN, er werde Oğans Forderungen nicht nachgeben. Kılıçdaroğlu, der offenbar mehr an Oğans Unterstützung interessiert ist, hat seine schmutzige fremdenfeindliche Kampagne seit dem 14. Mai verstärkt.

Özdağs verlogene, flüchtlingsfeindliche Rhetorik hat Kılıçdaroğlu übernommen. So erklärte er am 18. Mai in einer Rede: „Erdoğan, ich sage Ihnen klar und deutlich, Sie haben die Grenzen und die Ehre des Landes nicht geschützt. Sie haben wissentlich mehr als zehn Millionen Flüchtlinge in dieses Land gebracht. Sie haben die Staatsbürgerschaft der Republik Türkei versteigert, um importierte Stimmen [von Flüchtlingen] zu bekommen. Sobald ich an die Macht komme, werde ich alle Flüchtlinge wieder nach Hause schicken.“

Er fuhr fort: „Wissen Sie, dass mehr als zehn Millionen Flüchtlinge in die Türkei kommen werden, wenn [Erdoğans Wahlbündnis] an der Macht bleibt. Wenn sie bleiben, wird der Dollar bis zu 30 Lira kosten, die Armut wird steigen, wenn ein Laib Brot zehn Lira kostet. Diese Flüchtlinge werden potenzielle Verbrechensmaschinen werden, es wird zu Plünderungen kommen.“

Kılıçdaroğlu übertreibt die Zahl der Flüchtlinge in der Türkei maßlos – offiziell sind es etwa vier Millionen – und macht den schwächsten Teil der Bevölkerung für die Wirtschaftskrise und die steigenden Lebenshaltungskosten verantwortlich. Diese Rhetorik steht in der politischen Tradition der extremen Rechten. Sie richtet sich seit dem 19. Jahrhundert vor allem gegen die Arbeiterklasse und die sozialistische Bewegung und wird heute überall auf der Welt von der Bourgeoisie propagiert.

Özdag erklärte über Kılıçdaroğlus Äußerungen: „Ich habe die Augen geschlossen und gedacht, das bin ich, der da spricht.“

Der stellvertretende CHP-Vorsitzende Özgür Özel erklärte: „[Die Wahl am] 28. Mai ist ein Referendum darüber, ob die Syrer bleiben oder gehen sollen...Wer will, dass die Syrer bleiben, wird Tayyip wählen, wer will, dass sie gehen, wird Kemal wählen.“

Alle Arbeiter müssen diese reaktionäre Kampagne mit dem Ziel, die Opfer der imperialistischen Kriege der USA und der Nato in Syrien und Afghanistan zu Sündenböcken für die sozialen Probleme zu machen, die der Kapitalismus verursacht hat, als Warnung verstehen.

Sie bestätigt die Warnungen und die Perspektive der Sosyalist Eşitlik Grubu (SEG), der türkischen Sektion des Internationalen Komitees der Vierten Internationale (IKVI). Kılıçdaroğlu hat versprochen, der Nato ein besserer Diener zu sein als Erdoğan, das Wirtschaftsprogramm des türkischen Unternehmerverbands TÜSIAD übernommen und einen flüchtlingsfeindlichen Wahlkampf geführt, um die Arbeiterklasse zu spalten. Er ist keine „progressive“ Alternative zu Erdoğan. Beide Kandidaten sind dem Imperialismus loyal ergeben und stehen der Arbeiterklasse feindlich gegenüber.

Kılıçdaroğlu erklärte: „Wir werden unser Heimatland nicht denjenigen überlassen, die Frauen als Objekte betrachten, die sagen, dass sie sie adoptieren, die Frauen fesseln und abschlachten und unsere Kinder begehren.“ Damit versuchte er, Bedenken über den Parlamentseinzug von vier Abgeordneten der kurdisch-islamistischen Hüda Par auf Listen der AKP auszunutzen.

Weder Kılıçdaroğlu noch dem Bündnis der Nation darf die Verteidigung des Säkularismus oder anderer demokratischer Prinzipien anvertraut werden. Zum Bündnis der Nation gehören die islamistische Partei der Glückseligkeit, Erdoğans ehemaliger Ministerpräsident Ahmet Davutoğlu und sein ehemaliger Wirtschaftsminister Ali Babacan. Der Kampf gegen Fremdenfeindlichkeit und religiösen Obskurantismus ist Aufgabe der Arbeiterklasse, die unabhängig auf der Grundlage eines sozialistischen Programms mobilisiert werden muss.

Kılıçdaroğlu versucht außerdem, sich von seiner Nato-freundlichen und antirussischen Kampagne zu distanzieren, die ihn im ersten Wahlgang Stimmen gekostet hat. Er ahmte sowohl die flüchtlingsfeindliche Rhetorik des Ata-Bündnisses als auch Erdoğans antiimperialistische Pose nach und erklärte: „Wir werden unser Heimatland nicht einem falschen Weltführer [Erdoğan] überlassen, der bis vor kurzem Co-Vorsitzender des GME [Greater Middle East Project der USA] war und heute unter der Führung Russlands agiert.“

Vor dem ersten Wahlgang warf Kılıçdaroğlu dem russischen Präsidenten Wladimir Putin vor, er würde sich in die Wahlen einmischen, ohne dafür Beweise vorzulegen. Erdoğan kritisierte im Wahlkampf Kılıçdaroğlus Treffen in den USA und Europa sowie seine Nato-freundlichen Äußerungen und nutzte damit die antiimperialistische Stimmung der großen Mehrheit der türkischen Bevölkerung aus.

Jetzt hoffen Kılıçdaroğlu und sein Bündnis der Nation, ihre eigene pro-imperialistische Orientierung durch Angriffe auf Erdoğans pro-amerikanische Vergangenheit verschleiern zu können.

Weil die HDP Kılıçdaroğlu unterstützt, wirft Erdoğan dem Bündnis der Nation vor, es arbeite mit der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) zusammen. Das Bündnis der Nation wiederum wirft Erdoğan vor, der „wahre Kollaborateur des Terrorismus“ zu sein, und verspricht einen Krieg gegen den Terror. Sie verurteilen Erdoğans „Friedensprozess“ mit der PKK, der bereits 2015 gescheitert ist.

Temel Karamollaoğlu, der Vorsitzende von Kılıçdaroğlus islamistischem Verbündeten, der Partei der Glückseligkeit, veröffentlichte auf Twitter Ausschnitte aus Erdoğans Rede an der Kennedy School in Harvard von 2004, kurz nach seinem Amtsantritt als Ministerpräsident.

In dem Video erklärt Erdoğan: „Die Türkei wünscht den Vereinigten Staaten aufrichtig Erfolg im Irak. Sie stellt auch vielseitige Unterstützung bereit.“ Doch dieses Video, das Erdoğans Unterstützung für den US-Überfall auf den Irak verdeutlicht, ist auch eine Anklage gegen das Bündnis der Nation, das sich an den gleichen Mächten orientiert.

Dass die HDP und die pseudolinken Parteien wie die stalinistische Arbeiterpartei der Türkei (TİP) weiterhin den rechten Kandidaten des Bündnisses der Nation als „Alternative“ zu Erdoğan unterstützen, obwohl es pro-imperialistische und fremdenfeindliche Positionen vertritt, verdeutlicht ihren eigenen politischen Bankrott.

Die HDP und die TİP haben sich hinter Kılıçdaroğlus Pro-Nato-Wahlkampf gestellt, indem sie bei einer Abstimmung im Parlament nicht gegen den Nato-Beitritt Finnlands stimmten. Jetzt schweigen sie beschämt über Kılıçdaroğlus Angriffe auf die Kurden im Namen des „Kampfs gegen den Terrorismus“ und seine Kampagne zur Abschiebung von Millionen Flüchtlingen.

Diese prinzipienlosen kleinbürgerlichen Gruppen würden alles akzeptieren, damit Kılıçdaroğlu gewählt wird. Der Vorsitzende der TİP, Erkan Baş, erklärte im November: „Wir möchten klarstellen, dass die TİP die Vorstellung, ein rechter Kandidat sei notwendig, um gegen Tayyip Erdoğan zu siegen, für falsch hält. Wir lehnen den Kampf rechts gegen rechts ab.“

Laut Baş ist Kılıçdaroğlu offensichtlich kein rechter Kandidat.

Die TİP erklärte nach dem ersten Wahlgang: „Wir haben keine einzige Minute zu verlieren. Die TİP und ihre eine Million Wähler beginnen, entschieden für Kılıçdaroğlus Sieg zu arbeiten.“

Auch andere pseudolinke Parteien stellen sich hinter Kılıçdaroğlu, ohne auch nur die geringste Kritik zu äußern.

Die Linke Partei (Sol Parti), die Teil des Bündnisses Sozialistische Union der Kräfte (SGB) ist, kündigte an, sie werde „Kemal Kılıçdaroğlu weiterhin unterstützen, um dem Regime bei dieser Abstimmung ein Ende zu setzen, indem wir über den reaktionärsten Block der Geschichte abstimmen.“

Die stalinistische Kommunistische Partei der Türkei, die ebenfalls Teil der SGB ist, erklärte: „Jede Stimme gegen Erdoğan am 28. Mai wird den Blutverlust der AKP erhöhen, unabhängig vom Ergebnis. Wir werden zur Wahl gehen, wir werden Erdoğan fortjagen, und wir werden mit allen abrechnen, die für diese dunklen Tage verantwortlich waren.“

Die morenistische Demokratische Arbeiterpartei (İDP), die türkische Sektion der morenistischen Internationalen Arbeitereinheit (UIT-CI), erklärte ebenfalls ihre Unterstützung für Kılıçdaroğlu und erklärte: „Um das Einmannregime zu verdrängen, das Erdoğan aufgebaut hat, und aus Solidarität mit Millionen von Arbeitern, die im ersten Wahlgang an der Urne gezeigt haben, dass sie Erdoğan nicht wollen, rufen wir zu einer kritischen Stimme für den Kandidaten des Bündnisses der Nation auf, ohne ihm politische Unterstützung anzubieten.“

All diese pseudolinken Parteien arbeiten daran, einen Kampf für die politische Unabhängigkeit der Arbeiterklasse vom kapitalistischen Establishment zu verhindern und den gesellschaftlichen Widerstand gegen den Nato-Krieg in der Ukraine, die Inflation und die Reaktion der herrschenden Elite auf Pandemien und Erdbeben zu verhindern und hinter Kılıçdaroğlu zu lenken. Die Sosyalist Eşitlik Grubu lehnt diese politische Falle ab. Sie ruft Arbeiter und Jugendliche auf, beide proimperialistischen rechten Kandidaten abzulehnen und am Aufbau der Sosyalist Eşitlik Grubu als revolutionäre sozialistische Vorhut der Arbeiterklasse teilzunehmen.

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