Nato-Mitglieder nehmen Kurs auf formelles Bündnis mit der Ukraine

Der kanadische Premierminister Justin Trudeau (links) und der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj nach der Unterzeichnung der Gemeinsamen Erklärung in Kiew am 10. Juni 2023 [AP Photo/Efrem Lukatsky]

Während die ukrainische Offensive gegen die russischen Truppen voll in Fahrt kommt, beschleunigen die Nato-Mitgliedsstaaten ihre Bestrebungen, ein formelles Militärbündnis mit der Ukraine einzugehen oder das Land sogar in die Nato aufzunehmen.

Am Samstag sicherte der kanadische Premierminister Justin Trudeau der Ukraine bei einem Besuch schriftlich die Unterstützung seiner Regierung für den Nato-Beitritt der Ukraine zu.

Igor Schowka, der stellvertretende Leiter des Büros des ukrainischen Präsidenten, erklärte zu dem Treffen, die Unterstützung Kanadas für einen Nato-Beitritt der Ukraine „sobald die Bedingungen es erlauben“ sei das „ausdrücklichste Bekenntnis von allen G7-Staaten, die Nato-Mitglieder sind“.

Er fügte hinzu, dies sei ein „weiterer praktischer Schritt auf dem euro-atlantischen Weg, eine weitere mächtige Stimme zur Unterstützung der Ukraine und eine weitere Etappe bei der Vorbereitung eines erfolgreichen Nato-Gipfeltreffens in Vilnius im Juli“.

Schowka behauptete, Kanada sei einer der 20 Nato-Mitgliedsstaaten, die schriftlich ihre Unterstützung für den Nato-Beitritt der Ukraine erklärt haben.

Angesichts der Tatsache, dass die Ukraine aktiv in einen Krieg mit Russland verwickelt ist, würde ihr Nato-Beitritt die anderen Mitgliedsstaaten zum Krieg gegen Russland verpflichten.

Colonel Alexander S. Vindman, der bereits früh die Lieferung US-amerikanischer Panzer und F-16-Kampfflugzeuge an die Ukraine befürwortet hatte, unterstützte letzten Monat einen Artikel des ehemaligen ukrainischen Verteidigungsministers Andrij P. Sagorodnjuk, der in Foreign Affairs erschienen war und den Titel trug: „Die Ukraine sollte sofort in die Nato aufgenommen werden, um Europa zu schützen.“

Ukrainische Soldaten nahe Bachmut in der Region Donezk am 23. Mai 2023 [AP Photo/Efrem Lukatsky]

Im Mai hatte der französische Präsident Emmanuel Macron erklärt, er unterstütze einen „Weg“ der Ukraine in die Nato. Im April hatte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg erklärt: „Der rechtmäßige Platz der Ukraine ist in der Nato... Alle Nato-Verbündeten waren sich einig, dass die Ukraine Mitglied werden wird.“

Die hektische diplomatische Aktivität soll die Voraussetzungen für den Nato-Gipfel im litauischen Vilnius vom 11. bis 12. Juli schaffen, in dessen Mittelpunkt die Erweiterung der Nato durch den Beitritt Schwedens und die Bestrebungen um ein formelles Bündnis zwischen der Nato und der Ukraine stehen werden.

Die derzeitige ukrainische Offensive ist zeitlich darauf abgestimmt, die bestmöglichen Voraussetzungen für die Formalisierung dieses Bündnisses zu schaffen.

Die New York Times schrieb dazu am Samstag:

Ein gewisser Erfolg auf dem Schlachtfeld, entweder die Dezimierung der russischen Armee, die Eroberung von Gebieten oder beides... würde in Europa mehr Unterstützung für eine Art langfristige Sicherheitsgarantie für Kiew schaffen.

Sowohl die Ukraine als auch ihre westlichen Verbündeten haben in die Gegenoffensive investiert, weil sie, unabhängig vom genauen Ergebnis, die Voraussetzungen für die nächste Phase des Kriegs schaffen wird. Der amerikanische und britische Plan, für die Sicherheit der Ukraine zu sorgen, sieht vor, dass die Vereinigten Staaten und die Nato-Länder robuste Sicherheitsgarantien abgeben.

Während des Wochenendes blieb die Lage auf dem Schlachtfeld unklar. Allerdings gab es Hinweise darauf, dass die ukrainischen Truppen nach schrecklichen Verlusten mehrere Dörfer erobern konnten. Sie haben dabei u.a. mehrere Kampfpanzer und dutzende westliche Transportpanzer verloren.

Die New York Times bestätigte am Wochenende die Behauptungen Russlands, wonach in den letzten Tagen mindestens drei deutsche Leopard-2-Panzer und acht amerikanische Bradley-Schützenpanzer zerstört wurden.

Das US-amerikanische Institute for the Study of War behauptete: „Die ukrainischen Streitkräfte haben in mindestens drei Bereichen der Front Gegenoffensiven durchgeführt und am 10. und 11. Juni Gebietsgewinne erzielt... Die ukrainischen Streitkräfte haben ihre Fortschritte im Westen der Oblasten Donezk und Saporischschja visuell verifiziert, was russische Quellen bestätigten, die aber versucht haben, sie herunterzuspielen.“

Bei seinem Treffen mit Trudeau bestätigte Selenskyj offiziell, dass die Gegenoffensive begonnen hat: „Die Ukraine unternimmt eine Gegenoffensive und Defensivmaßnahmen... Ich werde nicht näher erläutern, in welchem Stadium sie sich befinden.“

In diesem zum Zerreißen gespannten Klima führt die Nato in Deutschland die „größte Verlegeübung von Luftstreitkräften seit Bestehen der Nato“ durch, wie es die deutsche Luftwaffe formulierte.

Die Luftwaffe erklärte: „Das Szenario ist einem Nato Artikel-5-Beistandsszenario nachempfunden.“ Dieser verpflichtet alle Nato-Mitglieder, den Krieg zu erklären, wenn ein Mitgliedsland angegriffen wird. In dieser Simulation wird die Luftwaffe versuchen, was ihr Oberbefehlshaber im Zweiten Weltkrieg, Hermann Göring, nicht schaffte: Russland militärisch zu besiegen.

An der Übung, die am Montag begann, sind 10.000 Militärangehörige und 250 Flugzeuge an Einsätzen beteiligt und fliegen von Deutschland aus in die an Russland angrenzenden Nato-Mitgliedstaaten.

Das Wall Street Journal beschrieb die Militärübungen folgendermaßen:

Bei der Übung Air Defender wird die massive Verlegung von Soldaten und Kriegsgerät aus den USA nach Europa als Reaktion auf verschiedene Szenarien geübt, die russische Angriffe auf Nato-Mitglieder beinhalten.

Das Grundszenario sieht vor, dass der Feind die deutsche Hafenstadt Rostock erobert, was nach Artikel 5 den Nato-Bündnisfall auslösen würde. Die Reaktion umfasst die Rückeroberung des Hafens und anderer Infrastrukturen sowie die Verteidigung von Städten und den Einleitung einer Offensive.

Der Krieg wird für die USA immer mehr zu einer existenziellen Frage. Das Magazin Politico veröffentlichte einen Artikel, in dem es schrieb: „Hochrangige US-Regierungsvertreter sind überzeugt, dass die künftige Unterstützung für den Ukraine-Krieg – und das weltweite Ansehen von Präsident Joe Biden – vom Erfolg der ukrainischen Gegenoffensive abhängen.“

Die beschleunigten Bestrebungen für einen Nato-Beitritt der Ukraine bestätigen die Warnungen der World Socialist Web Site von letzter Woche:

Das Treffen in Vilnius war als Gipfeltreffen der Sieger konzipiert, bei dem die Erfolge der Ukraine auf dem Schlachtfeld als Grundlage für eine ganze Reihe von Ultimaten an Russland dienen sollten, darunter ein vollständiger Rückzug nicht nur aus den während der Invasion 2022 eroberten Teilen der Ukraine, sondern auch von der Halbinsel Krim.

Sollte das Gipfeltreffen in Vilnius jedoch unter den Bedingungen größerer Rückschläge oder gar eines Abbruchs der Offensive stattfinden, was derzeit wahrscheinlicher erscheint, wird es zum Anlass für eine weitere massive Eskalation des US-Nato-Engagements in diesem Krieg werden.

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