Nach gescheitertem Putschversuch:

Kreml versucht sich Wagner-Gruppe unterzuordnen

Seit dem gescheiterten Putschversuch von Jewgeni Prigoschin und 25.000 Söldnern der Wagner-Gruppe schweigt sich der Kreml fast völlig darüber aus, welche Konsequenzen er aus dem Aufstand des ehemaligen Verbündeten zieht. Das ist ein klares Zeichen dafür, dass das Putin-Regime weiterhin in einer schweren Krise steckt.

Prigoschin hatte seinen Putschversuch am Freitagabend mit einem Appell an die Nato-freundlichen Teile der russischen herrschenden Klasse eingeleitet. Am Samstagabend hatte er dann nur 192 Kilometer vor Moskau den Rückzug angetreten. Rostow am Don hatte sich zu diesem Zeitpunkt fast einen Tag lang unter der Kontrolle der Wagner-Söldner befunden. In dieser Stadt befindet sich das Hauptquartier des Südlichen Militärbezirks, von dem aus die russischen Militäroperationen in der Schwarzmeerregion und der Ostukraine befehligt werden.

Soldaten der Wagner-Gruppe vor dem des Hauptquartier des südlichen Militärbezirks in Rostow am Don, 24. Juni 2023 [AP Photo/Uncredited]

Berichten zufolge wurde der Deal zwischen Prigoschin und Putin vom belarussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko vermittelt. Abgesehen davon, dass Prigoschin freies Geleit nach Belarus gewährt wurde, ist von seinem Inhalt bisher wenig bekannt. Die Klage wegen bewaffneter Rebellion gegen Prigoschin und seine Söldner wurde fallengelassen. In einigen Berichten war auch vom Rücktritt der Militärführung die Rede, einschließlich Verteidigungsminister Sergei Schoigu und Generalstabschef Waleri Gerassimow, aber bisher wurde nichts dergleichen bekanntgegeben.

Laut unbestätigten Berichten der russischen Medien sind im Kampf gegen die Wagner-Gruppe mindestens 13 Soldaten gestorben, und die russischen Streitkräfte haben sechs Hubschrauber, ein Flugzeug und einen KAMAS-Lastwagen verloren. Laut offiziellen Stellen wurden in Woronesch 19 Häuser beschädigt und drei Zivilisten verletzt, und in der Region Rostow wurden mehr als 10.000 Quadratmeter Straßenflächen beschädigt. Die Wagner-Soldaten verließen am Sonntag in aller Ruhe ihre Stellungen und verursachten kilometerlange Staus.

In der einzigen kurzen öffentlichen Erklärung, die Putin am Sonntag abgab, sagte er, dass sein Tag „mit der militärischen Spezialoperation [in der Ukraine] beginnt und endet“.

Die einzige klare Entscheidung des Kremls war bisher die Ankündigung eines Gesetzes, das private Militärfirmen der Kontrolle des Verteidigungsministeriums unterstellt.

Doch selbst als er den Gesetzentwurf bekanntgab, schlug der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses der Staatsduma und ehemalige stellvertretende Verteidigungsminister, Andrei Kartapolow, einen sehr versöhnlichen Ton gegenüber Wagner an: „Sie haben niemanden beleidigt, nichts zerstört. Niemand hatte die geringsten Beschwerden über sie – nicht die Bürger von Rostow, nicht die Soldaten im Südlichen Militärbezirk, nicht die Strafverfolgungsbehörden... Wer auch immer einen Vertrag mit dem Verteidigungsministerium unterschreiben möchte, wird das tun. Wer es nicht will: Jeder kann sich sein Schicksal frei aussuchen und auch etwas anderes tun.“

Kartapolow lehnte ein Verbot von Wagner ab und betonte, nur Prigoschin sollte die Konsequenzen tragen: „Kinder sollten nicht für ihre Eltern haften müssen.“

Angehörige der Wagner-Gruppe verladen einen Panzer auf einen Lastwagen, Rostow am Don, 24. Juni 2023 [AP Photo/Uncredited]

Neben Wagner gab es in den letzten zehn Jahren mindestens ein Dutzend weitere paramilitärische Gruppen, die sich stark ausgebreitet haben. Viele von ihnen haben im Krieg in der Ukraine eine zentrale Rolle gespielt. Dazu gehören die etwa 5.000 bis 6.000 Soldaten unter dem Kommando des Präsidenten der Republik Tschetschenien, Ramsan Kadyrow, sowie etwa 17.500 Kosaken und zwei paramilitärische Formationen der separatistischen Behörden der ostukrainischen Volksrepubliken Donezk und Lugansk. Daneben haben mehr als ein Dutzend russischer Regionen, darunter mehrere überwiegend muslimische und nicht-russische Republiken, ebenfalls die Gründung von Freiwilligeneinheiten für den Krieg angekündigt.

Diese Strukturen sind zwar weitgehend in die Armee integriert und erhalten einen Großteil ihrer Ausrüstung vom Verteidigungsministerium, wurden diesem aber nicht offiziell unterstellt. Doch nachdem Wagner-Truppen im Mai die Stadt Bachmut erobert hatten, zwang das Verteidigungsministerium die privaten Söldnerfirmen, bis zum 1. Juli das Kommando der Armeeführung zu akzeptieren. Prigoschin hatte vor seinem Aufstand die Militärführung monatelang offen und aggressiv angegriffen. Sein Widerstand wurde öffentlich, als er sich dem Befehl Putins widersetzte, dieser Forderung des Verteidigungsministeriums nachzukommen.

Die russische Nesawissimaja Gaseta schrieb, das Land sei durch den Putschversuch „an den Rand des Bürgerkriegs“ gebracht worden, und stufte Prigoschins Aufstand als alarmierendes Zeichen der Schwäche der Regierung und des Staates ein. Weiter erklärte sie, „unter Bedingungen des Aufruhrs und der Unsicherheit neigen die Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden dazu, sich spurlos aufzulösen“.

Die Nesawissimaja Gaseta warf dem Kreml vor, er habe Prigoschin monatelang freie Hand gelassen, und forderte die „vollständige Entwaffnung aller bewaffneten Einheiten, die nicht formell Teil der Strukturen des nationalen Sicherheitsapparats sind, wie es das Gesetz und die politische Realität verlangen. Es sollte in Russland überhaupt keine Bewaffneten geben, deren Loyalität vorrangig ihrem Befehlshaber und erst in zweiter Linie jemand anderem gilt.“

Zwischen den Zeilen gab die Zeitung zu, dass der Putschversuch Ausdruck von Unzufriedenheit über die Fortsetzung des Kriegs in Teilen der Oligarchie ist, und drängte das Putin-Regime, möglichst große Zugeständnisse an die Interessen von „Privatfirmen und Privatunternehmern“ zu machen, die „per definitionem“ größere Profite anstreben.

Der Putschversuch und die Reaktion des Kremls darauf wurden in Russland und international vor allem als Zeichen extremer Schwäche des Putin-Regimes interpretiert.

Nur zwei Wochen vor dem Nato-Gipfel in Vilnius benutzen die imperialistischen Mächte und das Selenskyj-Regime den Putschversuch, um auf eine weitere Eskalation des Krieges zu drängen. Selenskyj erklärte am Sonntag nach einem Gespräch mit US-Präsident Joe Biden: „Die Welt muss Druck auf Russland ausüben, bis die internationale Ordnung wiederhergestellt ist.“ Das ukrainische Militär behauptet, es forciere nun seine Gegenoffensive, die sich bisher als äußerst blutiges und teures Debakel für die Nato erwiesen hat.

Zudem sind weitere Informationen aufgetaucht, laut denen die USA und die Ukraine lange im Voraus über Prigoschins Putschpläne informiert waren. Die Washington Post berichtete am Sonntag, die US-Geheimdienste hätten schon Mitte Juni von dem bevorstehenden Putsch gewusst. Zuvor hatte sie in einem Interview mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj festgestellt, der ukrainische Geheimdienst stehe mit Prigoschin in Kontakt. Mychailo Podoljak, ein führender Berater Selenskyjs, hat öffentlich seine Enttäuschung über Prigoschins „unvermittelten“ Rückzug kundgetan.

Der Ex-Oligarch Michail Chodorkowski, der bis 2003 einen Großteil der russischen Ölvorkommen kontrollierte, spielt heute eine zentrale Rolle bei den von der Nato unterstützten Bestrebungen für einen Regimewechsel in Russland und hat Prigoschins Aufstand als schweren Schlag für das Putin-Regime gefeiert. Er ließ jeden Anschein von „Demokratie“ fallen und betonte, der Putschversuch habe bewiesen, dass Putin „nur von Bewaffneten“ gestürzt werden könne. Er zählte eine Reihe von operativen und militärischen „Schlussfolgerungen“ auf, die aus dieser Erfahrung für künftige Versuche, die russische Regierung zu stürzen, gezogen werden müssten.

Ljubow Sobol, eine enge Verbündete des inhaftierten, von den USA unterstützten Oppositionellen Alexei Nawalny, forderte die Nato während des Putsches auf, „Prigoschin zu helfen“ und ihn als ihren „Partner“ anzuerkennen.

Die WSWS schrieb in ihrer Erklärung zu dem Putschversuch:

Dass die Nato nicht unerheblich an der Vorbereitung des Putschversuchs beteiligt war, ist offenkundig. Den Putschversuch jedoch in erster Linie als Ergebnis einer CIA-Verschwörung aufzufassen, würde bedeuten, die tatsächlichen Spaltungen innerhalb des russischen Regimes und die gesellschaftlichen Interessen, die seine Politik bestimmen, zu übersehen.

Gleichzeitig basierte die militärische Strategie des Putin-Regimes in der Ukraine von Anfang an auf Selbsttäuschung und Unterschätzung des räuberischen Charakters des Imperialismus. Die Gründe dafür liegen in seinen Klasseninteressen und seinem ideologischen Hass auf den Marxismus. Putin hielt an dem Irrglauben fest, seine „westlichen Partner“ würden sich davon überzeugen lassen, die Wirtschafts- und Sicherheits-Interessen des postsowjetischen kapitalistischen Staats in Russland zu akzeptieren. Dies erklärt Putins wiederholtes Ignorieren seiner eigenen „roten Linien“ und seine schier endlose Duldsamkeit angesichts unzähliger Eskalationsschritte der Nato bis hin zu ihrer Unterstützung von Prigoschins Putsch.

Angesichts des in Kürze bevorstehenden Gipfeltreffens der imperialistischen Mächte in Vilnius wird die Fortsetzung dieser Politik die Nato davon überzeugen, dass sie den Krieg ungestraft weiter eskalieren kann.

Unabhängig davon, wie das Putin-Regime in den kommenden Tagen und Wochen auf den Putschversuch reagieren wird, zeigen die Ereignisse der letzten drei Tage vor allem den reaktionären Charakter des Oligarchenregimes, das aus der stalinistischen Reaktion gegen die Oktoberrevolution 1917 und der Wiedereinführung des Kapitalismus hervorgegangen ist. Alle verfeindeten Fraktionen der Oligarchie streben letztlich eine Einigung mit dem Imperialismus an und betrachten die Arbeiterklasse als ihren Hauptfeind. Ein Ausweg aus diesem Krieg im Interesse der Arbeiterklasse ist nur möglich durch einen unabhängigen revolutionären Klassenkampf auf der Grundlage der Einheit der russischen, ukrainischen und internationalen Arbeiterklasse.

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