Perspektive

Die Niger-Krise und die globale Kriegsgefahr

Der verarmte westafrikanische Staat Niger ist der jüngste Brennpunkt im Kampf der imperialistischen Mächte um eine Neuaufteilung der Welt. Die Konfliktpunkte, um die es im Krieg zwischen der Nato und Russland in der Ukraine geht – ein Kampf um Territorium, strategische Ressourcen und Regimewechsel – brechen überall auf der Welt aus, in China und Taiwan und jetzt auch in der Sahelzone.

Ein verheerender Krieg zum Sturz der Putschisten und zur Wiedereinsetzung von Präsident Mohamed Bazoum, der vom mächtigsten Land der Region, Nigeria, angeführt werden würde, steht zwar nicht direkt bevor, doch er wird aktiv vorbereitet. Auf einem Gipfeltreffen der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS) in der nigerianischen Hauptstadt Abuja einigten sich die Staats- und Regierungschefs am Donnerstag darauf, eine militärische Eingreiftruppe in Bereitschaft zu versetzen, und drohten, dass „keine Option vom Tisch“ sei.

Omar Touray (links), Präsident der ECOWAS-Kommission, begrüßt den mauretanischen Präsidenten Mohamed Ould El-Ghazouani (Mitte) zum ECOWAS-Treffen in Abuja, Nigeria, 10. August 2023 [AP Photo/Gbemiga Olamikan]

Sie einigten sich auf neue Sanktionen gegen Niger, das von Stromausfällen heimgesucht wurde und dessen Lebensmittelpreise angesichts einer Blockade und durch das Einfrieren von Vermögenswerten und den Stopp des Handelsverkehrs um 60 Prozent gestiegen sind.

Ein Konflikt würde die gesamte Region in einen Strudel ziehen. Senegal, Benin und die Elfenbeinküste haben bereits zugesagt, Truppen zur Unterstützung Nigerias zu entsenden. Mali, Burkina Faso und Guinea haben sich auf die Seite der Putschisten in Niger gestellt.

Hinter den von der ECOWAS vorgeschlagenen Maßnahmen stehen die imperialistischen Mächte, die Russland und China daran hindern wollen, weiter auf einen Kontinent vorzudringen, dessen strategische Bedeutung rasch zunimmt. Der langfristige Niedergang der wirtschaftlichen Position Frankreichs in seinen ehemaligen westafrikanischen Kolonien, der in den letzten drei Jahren in einem dramatischen Zusammenbruch seiner Militärmissionen in Mali, Burkina Faso und nun potenziell auch in Niger gipfelte, hat die Sahelzone einem intensiven geopolitischen Wettbewerb ausgesetzt.

Bazoum galt als wichtiger Verbündeter des Westens. Die USA und die europäischen Mächte haben auf den Putsch gegen ihn mit der Kürzung der angeblich aus „humanitären“ Gründen geleisteten Hilfe für Niger reagiert. Die darin enthaltenen Finanzmittel machen rund 40 Prozent des jährlichen Staatshaushalts aus. Die imperialistischen Mächte sind entschlossen, ihre Interessen um jeden Preis durchzusetzen.

Nach „schwierigen“ Gesprächen mit den Putschisten drohte Victoria Nuland, Staatssekretärin für politische Angelegenheiten im US-Außenministerium, am Dienstag: „Wir werden die Situation beobachten, aber wir sind uns unserer rechtlichen Verantwortung bewusst, und ich habe den Verantwortlichen sehr deutlich erklärt, dass es nicht unser Wunsch ist, dorthin zu gehen, aber sie könnten uns an diesen Punkt drängen.“ Nuland ist für ihre Rolle bei dem von den USA unterstützten Putsch in der Ukraine im Jahr 2014 berüchtigt.

US-Staatssekretärin für politische Angelegenheiten Victoria Nuland bei einem Besuch in Colombo, Sri Lanka, 1. Februar 2023 [AP Photo/Eranga Jayawardena]

Die gegenwärtige Zurückhaltung gegenüber einer Militärintervention der ECOWAS beruht auf Bedenken darüber, dass eine solche Aktion nicht ausreichend vorbereitet wurde und in der gesamten Region Massenwiderstand auslösen würde. Ein Krieg, der auf der Grundlage von Fehleinschätzungen begonnen wird, könnte das soziale Pulverfass in Nigeria zum Explodieren bringen. Insbesondere die USA und Großbritannien sind in Nigeria politisch und wirtschaftlich stark engagiert.

Es steht viel auf dem Spiel. Von den 6.500 Soldaten, die die Vereinigten Staaten in Afrika offiziell stationiert haben, sind derzeit 1.500 auf zwei Stützpunkten in Niger stationiert – einer davon spielt eine zentrale Rolle bei Drohneneinsätze in der Region. Darüber hinaus befinden sich 1.100 französische, 300 italienische und etwa 100 deutsche Soldaten in dem Land.

Niger ist ein wichtiger Lieferant von Uran. Die Exporte des Landes decken ein Viertel des europäischen Bedarfs. Zudem wird das Land demnächst mit dem Export von Erdöl beginnen und spielt eine zentrale Rolle bei der Steuerung der Migration aus Afrika nach Europa. Es ist zu einem Frontstaat im Kampf um die wirtschaftliche und militärische Vorherrschaft in Westafrika und auf dem gesamten Kontinent geworden.

Uranmine in Niger (Korea Open Government License/Korea Aerospace Research Institute) [Photo by Korea Open Government License/Korea Aerospace Research Institute]

Afrika verfügt über schätzungsweise 30 Prozent der weltweiten Bodenschätze, darunter 90 Prozent der Chrom- und Platinvorkommen, die für die grüne Energiewende von entscheidender Bedeutung sind. Ein weiteres Mineral dieser Art ist Kobalt, von dem 70 Prozent des weltweiten Angebots in der Demokratischen Republik Kongo gefördert werden. Bis zum Ende des Jahrhunderts könnte ein Fünftel des weltweiten Angebots an Lithium auf Afrika entfallen.

65 Prozent der weltweiten Förderung von Diamanten entfallen auf Afrika. Der Kontinent verfügt weiter über 40 Prozent der globalen Goldreserven, 12 Prozent des Erdöls und 8 Prozent des Erdgases, während sich allein 75 Prozent des weltweiten Phosphatgesteins, das für Düngemittel wichtig ist, in Marokko befinden.

Was die Märkte betrifft, so werden die Ausgaben für Konsumgüter in Afrika von 1,4 Billionen Dollar im Jahr 2015 auf 2,5 Billionen Dollar im Jahr 2030 ansteigen.

Die USA und Europa wollen verhindern, dass Niger zu einem weiteren Verlust im Kampf gegen die Ansprüche Chinas und Russlands auf diese Reichtümer und Möglichkeiten wird.

Die russische Wagner-Gruppe unter Jewgeni Prigoschin ist in Mali, unmittelbar westlich des Niger, in Libyen, nordöstlich des Landes, in der Zentralafrikanischen Republik und im Sudan aktiv und stellt den jeweiligen Regierungen in Konflikten mit lokalen Rebellengruppen Streitkräfte zur Verfügung. In der Zentralafrikanischen Republik und im Sudan betreibt Wagner zudem private Gold- und Diamantenminen.

Bei der Eröffnung eines russisch-afrikanischen Gipfeltreffens im Jahr 2019 versprach der russische Präsident Wladimir Putin Unterstützung gegen „eine Reihe westlicher Länder, [die] auf Druck, Einschüchterung und Erpressung souveräner afrikanischer Regierungen zurückgreifen“. Der zweite, weit weniger gut besuchte Gipfel fand unter den Bedingungen der gegen Russland gerichteten Sanktionen und des Kriegs in der Ukraine im vergangenen Monat statt. Man bemühte sich besonders um die Gunst des „Interimsstaatschefs“ von Burkina Faso, Ibrahim Traoré.

Russland hat versucht, seine relativ geringen Ressourcen zu nutzen, um Verbündete und lukrative Geschäfte zu machen. China setzt indessen sein enormes wirtschaftliches Gewicht ein, um sich die Kontrolle über Afrikas Rohstoffmärkte zu sichern. Peking verfügt über bedeutende Anteile an der Bergbauindustrie des Kontinents, einschließlich des Großteils der Uranminen in Niger sowie der Ölindustrie. Die chinesischen Investitionen sind Teil eines Gesamtvolumens an ausländischen Direktinvestitionen in Höhe von 43,4 Mrd. US-Dollar im Jahr 2020, was einer 100-fachen Steigerung in 17 Jahren entspricht.

China ist Afrikas größter bilateraler Kreditgeber, der in den zwei Jahrzehnten bis 2019 153 Mrd. USD zur Verfügung gestellt hat. Peking ist außerdem zweitgrößter Handelspartner nach der Europäischen Union. Unter einzelnen Ländern ist China der größte Handelspartner Afrikas.

Sowohl Russland als auch China sind zudem wichtige Waffenlieferanten für die afrikanischen Länder südlich der Sahara, auf die in den letzten fünf Jahren 26 bzw. 18 Prozent der Verkäufe entfielen, vor dem drittplatzierten Frankreich mit 8 Prozent und den USA mit 5 Prozent.

Im Jahr 2019 hat das US Africa Command (AFRICOM) einen Fünfjahresplan zur „Abschreckung“ dessen aufgelegt, was es als „bösartige Handlungen Chinas und Russlands“ bezeichnet. Der ehemalige Leiter des AFRICOM, General Thomas Waldhauser, erklärte in jenem Jahr vor dem Kongress, dass beide Seiten „Zugang und Einfluss zu unserem Nachteil“ anstrebten und dass China innerhalb eines Jahrzehnts die Fähigkeit erlangen könnte, den Zugang des US-Militär und dessen Operationen in Afrika zu verhindern. Diese Politik ist auch nach der Ablösung des Republikaners Trump durch den Demokraten Biden unverändert fortgesetzt worden.

Colin P. Clarke, ehemaliger RAND-Analyst und derzeitiger Forschungsdirektor beim globalen Geheimdienst- und Sicherheitsberaters The Soufan Group, erklärte gegenüber Newsweek unverblümt die Auswirkungen der Situation in Nigeria.

Clarke sagte: „Dies könnte die Dimension eines regionalen Stellvertreterkriegs annehmen, bei dem die westlichen Länder die ECOWAS unterstützen und Russland Niger – sowie Burkina Faso und Mali, falls sie sich anschließen – mit der Wagner-Gruppe unterstützt.“

Clarke fügte hinzu: „Was sich in der Sahelzone abspielt, ist kein Nebenschauplatz des Wettbewerbs der Großmächte, es ist ein Wettbewerb der Großmächte. Die Ereignisse spielen sich nicht in einem Vakuum ab. Die USA, Frankreich, China und Russland haben jeweils ihre eigenen Interessen in den Ländern der Sahelzone.“

Die Arbeiter und die arme Landbevölkerung in Niger und Westafrika sind mit der Katastrophe konfrontiert, vor der das Internationale Komitee der Vierten Internationale (IKVI) auf seiner Internationalen Arbeiterkonferenz gegen imperialistischen Krieg und Kolonialismus, die 1991 in Berlin als Reaktion auf den Golfkrieg organisiert wurde, gewarnt hat.

In dem Manifest, mit dem die Konferenz angekündigt wurde, hieß es: „Die de facto Aufteilung des Irak zeigt den Beginn einer Neuaufteilung der Welt durch die Imperialisten an. Die Kolonien von gestern sollen erneut unterworfen werden. Die Eroberungen und Annexionen, die laut den opportunistischen Apologeten des Imperialismus einer längst vergangenen Ära angehörten, stehen wieder auf der Tagesordnung.“

Auf der Grundlage von Trotzkis Theorie der permanenten Revolution warnte das IKVI in der Erklärung, dass der Kampf „gegen die imperialistische Unterdrückung nicht erfolgreich geführt werden [kann], so lange die Arbeiterklasse unter der politischen Vorherrschaft irgend eines Flügels der nationalen Bourgeoisie verbleibt“. Er ist untrennbar mit dem Kampf gegen die herrschenden Klassen der einzelnen Länder verbunden, die für die fortgesetzte und zermürbende Ausbeutung der afrikanischen Massen verantwortlich sind und von Militärs an der Macht gehalten werden, die von den Imperialisten ausgebildet und finanziert werden.

Vor allem muss die Lage in Niger der Arbeiterklasse auf der ganzen Welt als Warnung dienen, dass es dringend notwendig ist, sich den räuberischen Kriegszielen der imperialistischen Mächte entgegenzustellen. In ihrem Aufruf für den Aufbau einer weltweiten Bewegung gegen den Krieg zwischen der Nato und Russland, schrieben das IKVI und die International Youth and Students for Social Equality:

Der Krieg in der Ukraine ist keine Episode, die bald überwunden sein wird und auf die eine Rückkehr zur „Normalität“ folgt. Er ist der Beginn eines gewaltsamen Ausbruchs einer globalen Krise, die nur auf eine von zwei Arten gelöst werden kann. Die kapitalistische Lösung führt zum Atomkrieg, auch wenn das Wort „Lösung“ kaum rational auf einen planetaren Suizid angewendet werden kann. Vom Standpunkt aus, die Zukunft der Menschheit zu sichern, ist die sozialistische Weltrevolution die einzig mögliche Antwort.

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