Bahn-Arbeiter äußern sich zum Schlichtungsergebnis und den Arbeitsbedingungen bei der Bahn

Die Urabstimmung der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) läuft noch bis zum morgigen Freitag. Viele EVG-Mitglieder berichten der WSWS, dass sie und ihre Kolleginnen und Kollegen bereits mit „Nein“ gestimmt haben. In den Betrieben laufen Diskussionen über den Aufbau von Aktionskomitees, um sich unabhängig von der EVG zu organisieren.

Denn die Wut ist groß auf das Schlichtungsangebot, das der Hauptvorstand der EVG zur Annahme empfohlen hat. Wie die WSWS zusammengefasst hat, finden sich auf den 140 Seiten der Schlichtungsempfehlung zahlreiche Ausnahmen und Sonderregelungen, die die von der EVG hervorgehobenen 410 Euro Lohn- und Gehaltserhöhung im Monat als Scheinriesen entlarven. Je näher man sich das genaue Ergebnis der Schlichtung anschaut, desto schlechter wird es.

Streikende Bahnbeschäftigte im April 2023 in Berlin

Es ist bekannt, dass die Deutsche Bahn, die sich im Besitz des Bundes befindet, gezwungen werden musste, Beschäftigten der unteren Lohngruppen auch nur den gesetzlichen Mindestlohn zu zahlen.

Viele erhalten nur unwesentlich mehr. Vor allem aber werden die im Schlichtungsabkommen enthaltenen Vereinbarungen nicht nur die ohnehin niedrigen Löhne real weiter senken, auch die miserablen Arbeitsbedingungen werden zementiert oder sogar noch verschlechtert.

Torsten aus Ostwestfalen-Lippe, Busfahrer der DB im ÖPNV, hat uns über seine Arbeitsbedingungen berichtet. „Wir haben einen Pausenraum auf dem Altmarkt, da gab es früher Wasserkisten, aus denen man sich bedienen konnte“, erzählt er. Nun hätten sie Trinkflaschen der DB, die sie sich auffüllen könnten. „Ich bin aber unterwegs und erst abends auf dem Hof, so dass ich mir selbst Wasser besorgen muss.“

Auch die Sanitärräume seien eine Katastrophe. „Wir haben zum Toilettengang einen Container mit zwei Pissoirs und zwei Toiletten für 50 Busfahrer. Aber immer sind mindestens ein Pissoir und eine Toilette defekt.“

Früher, als sie noch Teil des öffentlichen Dienstes und nicht der DB waren, hätten sie einen großen und angenehmen Pausenraum gehabt. „Den hat die DB aber nicht weiter gemietet und stattdessen uns einen Container hingestellt“, berichtet Torsten.

Das schlimmste seien aber die Löhne. Sein letztes Monatsgehalt im öffentlichen Dienst betrug im Jahr 2010 fast 3100 Euro brutto. Rund 13 Jahre später bei der DB erhält er keine 2300 Euro brutto. „Das sind Netto rund 1500 Euro im Monat für eine 38,5 Stunden-Woche an 6 Wochentagen und Bereitschaftsdienst“, erklärt Torsten.

Torsten war lange Jahre gemeinsam mit einem guten Kollegen Vertrauensleutesprecher für die EVG. „Wir machen das aber beide nicht mehr, das macht keinen Sinn, man spricht gegen Wände“, sagt er. Weder EVG noch DB ließen sich sehen, und sein Betriebsratsvorsitzender von der EVG gehe nächstes Jahr in Rente. „Der macht nichts mehr.“ Er selbst sei zwar auch in ein paar Jahren in Rente, „aber für die Jüngeren tut es mir leid“.

Frank arbeitet bei der DB Netze in der Instandhaltung der Oberleitungen. Seine Kollegen arbeiten in der Regel von 6:45 Uhr bis 15:30 Uhr und zweimal pro Monat in der Nachtschicht von 21:00 Uhr bis 6:00 Uhr. Zusätzlich gibt es Bereitschaftsdienste von 15:30 Uhr bis 21:00 Uhr. Er hat durchgesetzt, aus gesundheitlichen Gründen von der Schichtarbeit befreit zu werden.

Dafür bekommt er auch keinerlei Zuschläge und damit den Grundlohn von 2400 Euro im Monat. „Das sind 1700 Euro netto“, schreibt er. „Dafür arbeite ich an Stellen, wo ich abstürzen, überfahren werden oder durch 15.000 Volt in der Oberleitung sterben kann.“ Wenn etwas passiere, drehe die Bahn es immer so, „dass der Betroffene selbst schuld ist“.

Frank ist wütend auf die EVG. „Die gekaufte EVG tut so, als ob sie hart kämpft, um mehr Lohn herauszuholen. Bei Betriebsversammlungen feiern sich die EVG und die Bahn-Chefs, als ob sie Superleistungen vollbracht hätten.“ Er berichtet, dass die sich ständig verschlechternden Arbeitsbedingungen und die geringe Entlohnung auch das Arbeitsklima beeinträchtigten. „Früher waren wir ein eingeschworenes Team, zu allen Schandtaten bereit, heute macht jeder nur noch das, was er unbedingt machen muss.“ Er schließt: „Weg mit der EVG.“

Von unerträglichen Arbeitsbedingungen berichtet uns auch eine Disponentin bei der DB Netze AG. Als sie vor über 20 Jahren bei der Bahn zu arbeiten begann, habe sie sich wohl gefühlt. „Jetzt werden wir nur noch ausgepresst.“ Sechs Schichten pro Woche sind keine Seltenheit. Als Disponentin leide sie gemeinsam mit ihren Kolleginnen und Kollegen unter dem ständigen Personalmangel und der kaputtgesparten „maroden“ Infrastruktur. „Wir sitzen jeden Tag bei der Arbeit und versuchen, den Karren aus dem Dreck zu ziehen,“ sagt sie. „Aber hinter uns, dort wo wir den Karren hinziehen, ist auch Dreck“, beschreibt sie bildlich ihr Gefühl.

Sie, ihre Kolleginnen und Kollegen müssten seit Jahren Mehrarbeit leisten. „Wir gehen jeden Tag wegen des Stresses nassgeschwitzt nach Hause. Ich bin jetzt über 40 und arbeite im Schichtdienst, auch nachts.“ Darunter leide auch das Privatleben.

Yasar arbeitet seit acht Jahren als Fahrdienstleiter in der Produktionsdurchführung (PD). Er beklagt die Niedriglöhne, die für viele im Konzern gelten. „Das ist doch wahnsinnig bei einem Staatskonzern“, sagt er. Auch er leidet unter dem Personalmangel. „Ich habe manchmal 70 bis 80 Überstunden im Monat“, berichtet er. „Der EVG-Betriebsrat winkt das durch.“

Er hat die Resolution des Aktionskomitees Bahn unter seinen Kolleginnen und Kollegen verbreitet. „Fast alle haben hier in der Urabstimmung mit ‚Nein‘ gestimmt.“ Er weist darauf hin, dass die EVG die Zugangsdaten für die online-durchgeführte Urabstimmung per Post versendet hat, „während drei Bundesländer Sommerferien haben“.

Auch Mustafa, der bei der DB Cargo arbeitet und mit seinen Kollegen über den Aufbau eines Aktionskomitees diskutiert, berichtet, dass „alle sauer sind“. Denn: „Die nehmen einem nicht nur das Geld aus der Tasche, sondern auch die Familie. Die schaffen es, dass ich – mit zwei Kindern – zwei Wochen am Stück in Tagesschicht auf dem Bahnhof bin.“

Dass die EVG nun diesen miserablen Abschluss als „besten Abschluss aller Zeiten“ propagiert, ärgert ihn. Die EVG sei „ein Unternehmen, das nichts für die Beschäftigten“ tue. „Es wird Zeit, denen das Handwerk zu legen.”

Er unterstützt daher den Aufbau des Aktionskomitees Bahn. „Ich finde gut, dass das Aktionskomitee unabhängig von der Gewerkschaft alle vereinen will“ – Mitglieder der EVG, der GDL und auch diejenigen, die in keiner Gewerkschaft sind.

Falls die EVG den Schlichtungsspruch durchsetzt, wird es mehr ehemalige EVG-Mitglieder geben. Uns berichten viele Beschäftigte, dass sie selbst und viele ihrer Kolleginnen und Kollegen dann aus der EVG austreten wollen.

Die Ablehnung des Schlichterspruchs in der Urabstimmung ist ein erster wichtiger Schritt. Doch das wird nicht ausreichen, um Löhne nachhaltig zu erhöhen und die Arbeitsbedingungen wieder zu verbessern.

Die EVG wird alles daransetzen, einen Streik zur Durchsetzung der ursprünglichen Forderung zu verhindern und das Schlichtungsangebot durchzusetzen. Verdi hat bei der Post gezeigt, dass die Gewerkschaftsapparate sich über ihre eigenen Statuten und Regeln hinwegsetzen. Im März dieses Jahres hatten 86 Prozent der Postbeschäftigten für einen Streik gestimmt. Aber Verdi weigerte sich, einen Streik zu organisieren, verhandelte einfach erneut und setzte anschließend einen kaum veränderten Tarifvertrag durch.

Verdi und die EVG stecken mit dem arroganten Konzern-Management bei Post und Bahn, die sich selbst die Taschen vollstopfen, und mit der Bundesregierung unter einer Decke. Die Ampel-Koalition steckt hunderte Milliarden Euro in Krieg und Aufrüstung und lässt Arbeiterinnen und Arbeiter dafür bezahlen. Die gesellschaftliche und soziale Infrastruktur zerfällt und die Reallöhne sinken.

Die Urabstimmung muss daher zum Auftakt einer Rebellion gegen die EVG gemacht werden. Bahnarbeiterinnen und -arbeiter müssen sich unabhängig organisieren und die Streikvorbereitung selbst in die Hand nehmen. Sie sind nicht allein. Der Tarifkampf bei der Bahn ist Bestandteil eines internationalen Aufschwungs des Klassenkampfs, an dem sich immer größere Teile der Arbeiterklasse beteiligen, hier in Deutschland, aber auch weltweit. Im Oktober beginnen die Tarifverhandlungen der GDL mit der Bahn. Auch hier sind die GDL-Mitglieder mit den gleichen Problemen wie die Kolleginnen und Kollegen bei der EVG konfrontiert.

Der Aufbau von den Gewerkschaften unabhängiger Aktionskomitees vor Ort, auf die die Gewerkschaftsapparate keinen Einfluss haben, muss daher jetzt oberste Priorität haben.

Wir rufen die Eisenbahnerinnen und Eisenbahner auf, mit dem kürzlich gegründeten Aktionskomitee Bahn Kontakt aufzunehmen. Schickt eine Whatsapp-Nachricht an die Mobilnummer +49-163-337 8340 und registriert euch auch über das folgende Formular.

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