Tarifkonflikt bei der Bahn: EVG akzeptiert Schlichtung

Im Tarifkonflikt bei der Deutschen Bahn hat der Vorstand der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) am gestrigen Donnerstag den für den 4. Juli angekündigten Warnstreik abgesagt und ein Angebot des Bahnvorstands zur Schlichtung angenommen.

Deutlicher hätte der EVG-Vorstand nicht zeigen können, dass er einen Arbeitskampf um jeden Preis verhindern will. Während der Schlichtung, die mehrere Wochen dauern kann, herrscht Friedenspflicht, jeder Arbeitskampfmaßnahme ist ausgeschlossen.

EVG- und Verdi-Warnstreik und Demonstration, 27. März 2023 in Leipzig (Foto: WSWS)

Als die EVG letzte Woche eine Urabstimmung unter ihren etwa 110.000 Mitgliedern ankündigte, warnte das unabhängige Aktionskomitee der Verkehrsarbeiter die Eisenbahner: „Macht euch nichts vor, die EVG spielt ein doppeltes Spiel. Während sie die Urabstimmung einleitet, setzt sie hinter eurem Rücken die Gespräche mit der Konzernleitung fort und bereitet einen Ausverkauf vor.“

Genauso ist es gekommen. Seit der Ankündigung der Urabstimmung hat der EVG-Vorsitzende Martin Burkert an einem vertraulichen Gespräch nach dem andern teilgenommen. Er sprach mit Bahnvorständen und Aufsichtsräten der Bahn und mit Verkehrspolitikern des Bundestags und der Regierung, die 100-prozentige Eigentümerin der Bahn ist. Am Dienstag und Mittwoch dieser Woche nahm Burkert an einer zweitägigen Sitzung des DB-Aufsichtsrats teil, wo er die Funktion des stellvertretenden Vorsitzenden einnimmt. Er sitzt auch im Aufsichtsrat von DB Cargo und der S-Bahn Berlin.

Offenbar aufgrund von Informationen, die vom EVG-Chef stammen, hat die Süddeutsche Zeitung diese Woche gewarnt, dass der Schienengüterverkehr rote Zahlen schreibe. Infolgedessen könnten bei DB Cargo 10.000 Arbeitsplätze in Gefahr sein. Solche Informationen dienen natürlich nicht dazu, einen Kampf der Eisenbahner vorzubereiten. Sie zielen vielmehr darauf ab, den Widerstand zu lähmen und eine Stimmung der Resignation und Einschüchterung zu schaffen. In Wahrheit zeigen sie nur, dass ein prinzipieller Kampf mit der EVG nicht zu machen ist.

„Es ist notwendig, die Streikvorbereitungen in die eigenen Hände zu nehmen. Kein Vertrauen in die EVG!“, heißt es deshalb im oben erwähnten Aufruf des Aktionskomitees der Verkehrsarbeiter. Das Komitee ruft die Eisenbahner, Lokführer und alle Bahnbeschäftigten auf, ihrerseits ein unabhängiges Aktionskomitee aufzubauen, Kontakt zu anderen solchen Komitees aufzunehmen und den Widerstand gemeinsam und unabhängig von den Gewerkschaften zu organisieren. Es ist die einzige Möglichkeit, wie Löhne und Arbeitsbedingungen verteidigt werden können.

Dabei hatte ein gemeinsamer Warnstreik der Eisenbahner mit dem öffentlichen Dienst Ende März demonstriert, was für ein Potential die Arbeiterklasse entfalten kann. Für einen Tag war der Flug-, Bahn- und Nahverkehr im ganzen Land lahmgelegt. Doch kurz darauf sagte die EVG im Mai ihren angekündigten 50-Stunden-Streik kurzfristig wieder ab. Gemeinsam mit dem Bahnvorstand und der Bundesregierung ist sie bereit, Eisenbahner der Niedriglohnfalle zu überlassen.

Dabei herrscht schon seit Monaten tarifloser Zustand. Der letzte Tarifvertrag für rund 200.000 Eisenbahner ist schon Ende Februar ausgelaufen. Die Wut und Streikbereitschaft unter den Bahnbeschäftigten sind hoch, üben sie doch schon seit drei Jahren Lohnverzicht, seitdem der damalige EVG-Chef Klaus-Dieter Hommel sein kriecherisches „Bündnis für unsere Bahn“ einführte. Es bescherte den Beschäftigten eine Nullrunde und erlaubte dem Bahnvorstand, zwei Milliarden Euro Personalkosten einzusparen.

Seither hat sich die Lage immer weiter zugespitzt. Auf die Corona-Pandemie folgte der Ukrainekrieg, den die Bundesregierung nutzt, um die größte militärische Aufrüstung seit Ende des Zweiten Weltkriegs durchzusetzen. Alle Gewerkschaften – auch die EVG – arbeiten dabei mit der Regierung zusammen und spielen eine entscheidende Rolle dabei, die Kosten des Kriegs in Form von Niedriglöhnen und verstärkte Ausbeutung auf die Belegschaft abzuwälzen.

In den Verhandlungen, die mittlerweile seit vier Monaten andauern, haben Regierung und Bahnvorstand bewiesen, dass sie an den Eisenbahner ein Exempel statuieren wollen. Sie streben einen Vertrag mit einer Laufzeit von mindestens zwei Jahren an, der die Reallöhne bei der Bahn weiter absenkt. Die Führungskräfte können mit astronomischen Gehalts- und Boni-Zuwächsen rechnen, aber die Beschäftigten werden mit Peanuts abgespeist.

Seit Jahren fahren Lokführer, Zugführer, Zugbegleiter und Bordgastronomen extrem unregelmäßige und lange Schichtzeiten, die ein Privatleben fast unmöglich machen. Was die Eisenbahner betrifft, die bei Wind und Wetter draußen, an den Schienen und in den Bahnhöfen schuften, so werden sie mit Niedriglöhnen abgespeist, die teilweise sogar unter dem tariflichen Mindestlohn liegen. Aber seit Ende 2020 haben sich die Lebensmittelpreise um 31 Prozent und die Energiepreise sogar um 50 Prozent erhöht, und ein Ende ist nicht abzusehen.

Die EVG hat ihre ursprüngliche Forderung – für alle zwölf Prozent, mindestens aber 650 Euro Lohnerhöhung bei einer Laufzeit von maximal zwölf Monaten – schon aufgegeben, als sie am 20. Juni mit den Unternehmen der Transdev-Gruppe abschloss. Die Transdev (Bayerische Regiobahn, Bayerische Oberlandbahn, NordWestBahn, Transdev Hannover und Württembergische Eisenbahn-Gesellschaft) ist nach der DB das größte Eisenbahnverkehrsunternehmen Deutschlands. Die EVG akzeptierte einen Vertrag, bei dem die Löhne erst ab 1. November 2023 um 290 Euro und ab 1. August 2024 um weitere 130 Euro angehoben werden (für „Nachwuchskräfte“ 150 und 70 Euro); für die Service Gesellschaft wurden sogar noch niedrigere Beträge vereinbart. Und die Laufzeit beträgt bei der Transdev 21 Monate! Bei der Bahn hat der Vorstand klargemacht, dass er nicht bereit sei, unter 24 Monate Laufzeit zu gehen.

Die EVG steht wie die IG Metall, Verdi und alle anderen Gewerkschaften auf der Seite der Regierungen und der Arbeitgeber. Auch die GDL ist keine Alternative: Die Forderungen für die Tarifrunde, die bei der GDL im Herbst kommt, liegen noch unter den Forderungen der EVG. Und was noch schlimmer ist: Die GDL trägt aktiv zur Spaltung der Bahnbeschäftigten bei, indem sie eine als Genossenschaft getarnte neue Leiharbeitsfirma „Fairtrain“ aufbaut. Damit wird die GDL selbst zum Unternehmer, der Arbeiter ausbeutet. Sie setzt die Lokführer, die bereit sind, bei „Fairtrain“ anzuheuern, dem Wettbewerb mit konkurrierenden Arbeitnehmerüberlassungen aus (denn laut Weselsky ist „ein Geschäft, das keinen Profit abwirft, kein Geschäft“).

Auf der ganzen Welt beteiligen sich Arbeiter mittlerweile an Streiks und Massenprotesten, die sich gegen die Folgen des Kriegs, gegen die hohe Inflation, gegen Arbeitsplatzabbau, soziale Ungleichheit und den kriminellen Umgang der Herrschenden mit der Corona-Pandemie richten. Auch die Eisenbahner sind Teil dieser Entwicklung. Vor kurzem sagte eine Bahnarbeiterin am Betriebsbahnhof Berlin-Rummelsburg zu den Reportern der WSWS: „Wir sollten alle streiken und den ganzen Betrieb lahmlegen. Hier im Betrieb denken alle so.“ Dies zeigt klar, dass die Zeit reif ist, auch bei der Bahn ein unabhängiges Aktionskomitee aufzubauen.

Registriert euch über das untenstehende Formular und informiert euch, indem ihr am nächsten Online-Treffen der Aktionskomitees Öffentlicher Dienst und Post teilnehmt, das am 12. Juli 2023 um 20 Uhr stattfinden wird!

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