Arrow 3 für Deutschland: Ein Schritt Richtung Atomkrieg

Mitte August teilte das israelische Verteidigungsministerium mit, es habe die Erlaubnis der USA erhalten, das Raketenabwehrsystem Arrow 3 an Deutschland zu verkaufen. Die Beschaffung des Systems durch das Bundesverteidigungsministerium muss zwar noch von den Parlamenten beider Länder bestätigt werden, doch dies gilt laut Beobachtern als Formsache. Haushalts- und Verteidigungsausschuss des Bundestages haben dem Kauf bereits im Juni zugestimmt. Der Schritt hat weitreichende militärische und geostrategische Implikationen. Der deutschen Luftwaffe zufolge könnte Arrow 3 bereits ab 2025 einsatzbereit sein.

Start einer Arrow-Abwehrrakete

Im Raum steht die Vorbereitung auf einen Atomkrieg. Das System besteht aus mobilen Raketensystemen mit einer Reichweite von bis zu 2400 Kilometern sowie drei Radaranlagen. In Deutschland aufgestellt, würde Arrow 3 ganz Europa einschließlich Moskaus und der Krim, sowie die Hälfte der Türkei und Teile von Algerien und Libyen abdecken. Das Geschoss erreicht mehr als zehnfache Schallgeschwindigkeit, kann Flugkörper im Weltraum in bis zu 100 Kilometern Höhe bekämpfen und auch gegen Satelliten eingesetzt werden. Es eignet sich insbesondere zur Bekämpfung von Massenvernichtungswaffen wie Mittel- und Langstreckenraketen.

Mit einem Volumen von fast vier Milliarden Euro – bezahlt aus dem 100 Milliarden Euro schweren „Sondervermögen“ der Bundeswehr – handelt es sich um den größten Waffendeal der israelischen Geschichte. Ron Prosor, israelischer Botschafter in Deutschland, begrüßte die US-Genehmigung mit den Worten: „Dies ist ein historischer Tag, der die Zeitenwende in den Beziehungen zwischen Israel und Deutschland markiert.“ Erstmals werde „ein israelisches System den Himmel über Deutschland und ganz Europa schützen“. Steffen Seibert, deutscher Botschafter in Israel, erklärte, der Schritt werde „unsere militärischen Beziehungen um ein ganz wesentliches Element erweitern“.

Während die Beschaffung von Arrow 3 ein Schlaglicht auf die engen diplomatischen und militärischen Beziehungen zwischen Deutschland und Israel wirft, bedeutet die Entscheidung zugleich eine Abkehr von anderen „marktverfügbaren“ Raketenabwehrsystemen – wie dem US-amerikanischen Terminal High Altitude Area Defense (THAAD) oder einer Version des französisch-italienischen SAMP/T (MAMBA), das im Mai und Juni von den beiden Ländern an das ukrainische Militär geliefert wurde.

Krieg gegen Atommächte

Die Anschaffung von antiballistischen Hyperschallraketen zielt unmittelbar darauf ab, den Stellvertreterkrieg zwischen den Nato-Mächten und Russland in der Ukraine weiter zu eskalieren. Sie ist die militärische Folgerung aus den wahnsinnigen Aussagen führender Nato-Politiker und Militärstrategen, dass man sich bei der Verfolgung westlicher Kriegsziele in der Ukraine nicht von Russlands Atomwaffen „abschrecken“ lassen dürfe. Israelischen Angaben zufolge soll das Waffensystem imstande sein, auch die atomwaffenfähige Hyperschall-Rakete Kinschal abzuwehren, die seit März 2022 vom russischen Militär gegen ukrainische Stellungen eingesetzt wird.

Der Aufbau einer eigenen strategischen und taktischen Raketenabwehr soll die Luftwaffe darüber hinaus in die Lage versetzen, unabhängig von der militärischen Unterstützung der USA einen offenen Krieg gegen Russland und andere Atommächte führen zu können. Das Arrow-Programm geht auf ein israelisch-amerikanisches Projekt zurück, das 1986 initiiert wurde und Israel in die Strategic Defense Initiative (SDI) der Vereinigten Staaten einbinden sollte. US-Präsident Ronald Reagan hatte drei Jahre zuvor in einer berüchtigten Fernsehansprache erklärt, SDI werde dem US-Militär „die Mittel geben, Atomwaffen unwirksam und überflüssig zu machen“ und „die Bedrohung durch strategische Nuklearraketen zu beseitigen“.

Gleichzeitig ist der Arrow-3-Deal Bestandteil der größten deutschen Aufrüstung seit dem Zweiten Weltkrieg und Ausdruck einer umfassenden Großmachtagenda der herrschenden Klasse. Sie zielt darauf ab, die historischen Rivalen des deutschen Imperialismus – insbesondere Polen und Frankreich, aber auch Italien und Großbritannien – politisch und militärisch zu schwächen und die kleineren Mächte Europas unter deutschen „Schutz“ zu stellen.

Ausgeführt hatte Bundeskanzler Olaf Scholz diese Pläne bereits in einer Grundsatzrede an der Prager Karls-Universität im August 2022. Dort stellte er eine massive Aufrüstung der deutschen Luftwaffe in Aussicht und forderte ein „gemeinsam aufgebautes Luftverteidigungssystem in Europa“, um die „europäische Säule der Nato“ zu stärken und „gegen Bedrohungen aus der Luft und aus dem Weltraum“ vorzugehen. Deutschland werde „diese zukünftige Luftverteidigung von Beginn an so ausgestalten, dass sich auch unsere europäische Nachbarn daran beteiligen können, etwa Polen, Balten, Niederländer, Tschechen, Slowaken oder unsere skandinavischen Partner“.

Dazu soll Arrow 3 im Zuge der European Sky Shield Initiative (ESSI) in ein umfassendes Luftverteidigungssystem eingebunden werden, das darauf hinausläuft, Deutschland als führende Militärmacht auf dem Kontinent zu etablieren. Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD), die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) und die verteidigungspolitische Sprecherin der Grünen Sara Nanni erklärten gegenüber der Presse übereinstimmend, dass das System auch „unsere Nachbarstaaten schützen“ werde. Die fraglichen Staaten „müssten für ihre Abwehr nur ‚Arrow‘-Raketeneinheiten erwerben“, heißt es in einem Bericht der Tagesschau: „Die Radardaten kämen von einer zentralen Luftraumüberwachung aus Deutschland.“

European Sky Shield Initiative

Die European Sky Shield Initiative (ESSI) wurde im Oktober vergangenen Jahres auf Initiative der Bundesregierung am Rande eines Nato-Treffens in Brüssel ins Leben gerufen, um im Anschluss an Scholz‘ Rede in Prag „ein europäisches Luftverteidigungs- und Raketenabwehrsystem“ zu schaffen. Die zugehörige Absichtserklärung wurde von den Verteidigungsministern von Deutschland, Belgien, Bulgarien, Estland, Finnland, dem Vereinigten Königreich, Lettland, Litauen, Niederlande, Norwegen, Rumänien, Slowakei, Slowenien, Tschechien und Ungarn unterzeichnet und soll „weiteren interessierten Staaten offen“ stehen.

In diesem Jahr schlossen sich Schweden, Dänemark, sowie Österreich und die Schweiz der Initiative an. Letztere hielten in einer separaten Erklärung absurderweise fest, dass die Teilnahme an der europäischen Rüstungsoffensive im Einklang mit dem Neutralitätsgebot stehe, das in der österreichischen wie in der schweizerischen Verfassung verankert ist. In direktem Widerspruch dazu erklärt ein Factsheet der Bundeswehr, es sei „beabsichtigt, die ausgebauten oder neu geschaffenen Fähigkeiten der gemeinsamen Beschaffungsinitiative in die vom Nato-Befehlshaber für Europa geführte Luftverteidigung des Nato-Gebietes einzubinden“.

Details werden vor der Öffentlichkeit geheim gehalten. Die Bundeswehr gibt lediglich an, neben Arrow 3 im Zuge von ESSI auch die Beschaffung weiterer deutscher Raketenabwehrsysteme vom Typ IRIS-T SLM, sowie US-amerikanischer Patriot-Modelle für den „Nah- und Nächstbereich“ anzustreben.

Tatsächlich handelt es sich bei ESSI um eine informelle „Koalition der Aufrüstungswilligen“, deren Beziehung zur Nato und zu „Europa“ völlig undurchsichtig ist. So sind die ESSI-Unterzeichner Schweden, Österreich und die Schweiz einerseits keine Angehörigen der Nato; die Schweiz, Norwegen und Großbritannien andererseits keine EU-Staaten. Maßgebliche EU-Staaten wie Frankreich, Polen, Italien und Spanien, die im Rahmen der Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit (Permanent Structured Cooperation, PESCO) enge rüstungsindustrielle Beziehungen zu Deutschland unterhalten, sind nicht Teil der Initiative.

Die derzeitigen Beschaffungspläne von Arrow 3 stehen sogar in Konkurrenz zu zwei anderen europäischen Raketenabwehrprojekten, die seit Jahren hinter den Kulissen verfolgt werden. Dabei handelt es sich um das von Frankreich koordinierte PESCO-Projekt „Timely Warning and Interception with Space-based Theatre surveillance (TWISTER)“, dessen Hyperschallrakete derzeit von MBDA entwickelt wird, und den Hypersonic Defence Interceptor (HYDEF), der im Juli 2022 von der Europäischen Kommission an ein von Spanien angeführtes Raketenkonsortium vergeben wurde. Obwohl Deutschland an beiden Systemen maßgeblich beteiligt ist, haben Regierungsvertreter behauptet, dass sie nicht rechtzeitig einsatzbereit seien, um berücksichtigt werden zu können.

Hegemonie über Europa

Die deutsche Initiative ESSI wird von Frankreich rundheraus abgelehnt und öffentlich kritisiert. Auf einer Konferenz zur europäischen Luftverteidigung am Rande der Paris Air Show warnte der französische Präsident Emmanuel Macron vor dem Kauf nicht-europäischer Waffensysteme. Diese seien „weniger überschaubar, gebunden an Zeitpläne, Warteschlangen und Prioritäten, unterliegen manchmal Genehmigungen von Drittländern“ und seien „zu sehr von der Außenwelt abhängig“. Scholz‘ Initiative sei nicht mit Paris abgesprochen und „bereite die Probleme von morgen vor“. Anschließend gab Macron die gemeinsame Beschaffung mehrerer hundert Mistral-Kurzstreckenraketen gemeinsam mit Estland, Ungarn, Belgien und Zypern bekannt, die von Frankreich produziert werden.

Vertreter des deutschen Militarismus warfen Macron daraufhin vor, französische Partikularinteressen zu vertreten und „die gemeinsame europäische Luftverteidigung aufs Spiel zu setzen“. Ein aktuelles Papier der regierungsnahen Stiftung Wissenschaft und Politik mit dem Titel „Deutschlands schwache Führungsrolle bei der europäischen Luftverteidigung“ beklagt mit Blick auf ESSI, dass „etliche Partner große Vorbehalte gegen Deutschlands Idee“ hegen. Obwohl „die Teilnahme Frankreichs und Italiens für den Erfolg der Initiative unverzichtbar“ sei, sei es Berlin „(noch) nicht gelungen, die Bedenken wichtiger Partner im Hinblick auf seine Führungsrolle zu zerstreuen“.

Das Papier schlussfolgert, dass Deutschland noch umfassender aufrüsten und seinen militärischen Führungsanspruch in Europa umso vehementer vertreten müsse. Ziel müsse sein, die „Fähigkeitslücke“ der strategischen Raketenabwehr „schnellstmöglich zu schließen, ohne die europäischen Entwicklungsprogramme zu schwächen oder gar zu gefährden“.

Weiter heißt es in dem Papier, Deutschland als Koordinator der ESSI müsse bei der Finanzierung der Luftverteidigung Europas mit gutem Beispiel vorangehen. Rund 5 Milliarden Euro aus dem Sondervermögen seien nur ein erster Schritt. Darüber hinaus seien „regelmäßig Mittel aus dem regulären Verteidigungsetat“ für technische Verbesserungen und Neuanschaffungen erforderlich. Auch „hohe Kosten für Betrieb, Übungen und Erhalt“ seien „in der Finanzplanung der Bundeswehr noch nicht berücksichtigt“.

Die Sozialistische Gleichheitspartei (SGP) tritt im kommenden Jahr gemeinsam mit ihren europäischen Schwesterparteien zu den Europawahlen an, um dieser wahnsinnigen Kriegspolitik der herrschenden Klasse entgegenzutreten. Statt der Kriegskarte der Imperialisten folgen wir der Karte des Klassenkampfes. Die einzige Möglichkeit, den Frieden in Europa und weltweit sicherzustellen, besteht in der internationalen Mobilisierung der europäischen Arbeiterklasse auf der Grundlage eines sozialistischen Programms.

Die imperialistischen Militärapparate müssen aufgelöst und alle gesellschaftlichen Ressourcen in den Dienst des Aufbaus einer sozialistischen Gesellschaft gestellt werden, in der die Kriegstreiber politisch bekämpft und enteignet werden und die Lebensinteressen der großen Mehrheit der Bevölkerung im Mittelpunkt stehen. Dem Versuch des deutschen Imperialismus, nach seinen historischen Verbrechen in zwei Weltkriegen erneut Europa unter seine militärische Vorherrschaft zu bringen, stellen wir die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa entgegen.

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