Schwerer Arbeitsunfall bei der Bahn: Aktionskomitee leitet Untersuchung ein

Am Montag, 4. September, wurde ein Eisenbahner der DB Netz-Instandhaltung bei Reparaturarbeiten an einer Oberleitung schwer verletzt. „Ich hätte tot sein können!“ sagte Frank S. (59), ein Mitglied des Aktionskomitees Bahn, der WSWS telefonisch aus einer Spezialklinik.

An diesem Vormittag gegen zehn Uhr stand er mit einem Kollegen im Korb der Hebebühne an der Leitung oben. Der Strom war da eigentlich abgeschaltet, wie er versichert. Dennoch erfasste ihn plötzlich ein heftiger Stromschlag: „Das ging bei der Schulter rein, bei der Hüfte wieder raus“, berichtet Frank. „Mein ganzer Körper war erstarrt, ein einziger Krampf, und dann stand ich für kurze Zeit sogar in Flammen.“

Oberleitungsarbeiten bei der Deutschen Bahn [Photo by Deutsche Bahn AG]

Wie dieser Unfall passieren konnte, ist bisher unklar.

Das unabhängige Aktionskomitee Bahn hat eine eigene Untersuchung begonnen, um die Unfallursache und den Zusammenhang zu den Sparmaßnahmen und der ständig steigenden Arbeitshetze aufzudecken. Das Komitee hat sich während der jüngsten Tarifauseinandersetzungen gebildet, um gegen die enge Zusammenarbeit der Eiserbahnergewerkschaft EVG mit der Konzernleitung und der Bundesregierung zu kämpfen.

Auf der letzten Online-Versammlung des Aktionskomitees warnte ein älterer Eisenbahner: „Früher galt bei der Bahn: Sicherheit – Pünktlichkeit – Wirtschaftlichkeit, in dieser Reihenfolge! Heute steht die Wirtschaftlichkeit ganz vorne, da geht man über Leichen.“

Nach bisherigen Informationen hatten die betroffenen Arbeiter die Sicherheitsvorkehrungen eingehalten. Der Verletzte schilderte der WSWS das Prozedere. Die Stromleitung war abgestellt, ehe die Kollegen die Arbeit aufnahmen. Jeder von ihnen kenne die Gefahr, denn grundsätzlich sei jeder genau dafür ausgebildet und mit den vorgeschriebenen Abläufen vertraut: Nachdem die Zentrale Einschaltstelle (ZES) mitteilt, den Strom ausgeschaltet zu haben, prüft der Instandhaltungstrupp vor Ort dies. Danach werden Erdungsstangen angebracht, um die Restmenge Strom, die allenfalls noch vorhanden ist, in den Boden abzuleiten. „Die Leitung war tot, und die Erdungsstangen waren da“, berichtet Frank. „Dennoch ist es passiert.“

Zum Glück sei jeder von ihnen – und auch der Kollege, der mit ihm oben im Korb war – gut ausgebildet, über die Gefahren informiert und auf mögliche Probleme vorbereitet. „Er wusste zum Glück, dass er mich nicht anfassen durfte!“ Dieser und zwei weitere Kollegen standen anschließend unter Schock und wurden von einem Kriseninterventionsteam betreut.

Der Unfall ereignete sich bei Arbeiten an einem Nebengleis der Anlage Isenburger Schneise im Frankfurter Süden. Auf dem benachbarten Hauptgleis hatte die S-Bahn gerade an diesem Morgen den Betrieb wieder aufgenommen, nachdem die Strecke zuvor wochenlang gesperrt gewesen war.

Beim laufenden Bahnbetrieb der DB fließen 15.000 Volt durch die Oberleitungen, das ist etwa 65 Mal so viel wie an einer üblichen Steckdose im Haushalt. Alle Beschäftigten, die für die DB Netz AG oder in ihrem Umfeld arbeiten, müssen sich intensiv für ihre gefährliche Arbeit ausbilden. Und dennoch besteht – wie der Fall zeigt – immer wieder Lebensgefahr.

Frank seufzt: „Und das alles für ein Gehalt, bei dem ich 1.700 Euro netto nachhause bringe!“ Mit seinen schweren Verbrennungen stehen ihm jetzt auch Hauttransplantationen bevor. Gegen die Schmerzen erhält er starke Mittel, aber die Sorgen bleiben.

Die Fahrdienstleitung hat die Bundespolizeiinspektion Frankfurt beauftragt, die Frage zu klären, warum die Oberleitung in dem Bereich trotz der geplanten Arbeiten Strom führte. Derartige Ermittlungen dienen in der Regel dazu, einen Sündenbock zu finden und mit dem Hinweis auf „menschliches Versagen“ irgendeinem betroffenen Arbeiter ein Fehlverhalten nachzuweisen. Die wirklichen Ursachen, die ständig zunehmende Arbeitsbelastung, Zusatzschichten, Einsparungen bei der Wartung der Sicherheitsvorkehrungen etc. werden systematisch ausgeblendet.

Auf Nachfrage der WSWS bei der Bundespolizei antwortete denn auch der Pressesprecher Ralf Ströher: „Die Ermittlungen laufen noch, aber sie deuten momentan in die Richtung, dass es sich nicht um ein technisches, sondern um ein menschliches Versagen gehandelt hat.“

Was soll das heißen „nicht technisches, sondern menschliches Versagen“? Technische Sicherheitssysteme sind gerade dazu da, zu verhindern, dass menschliche Fehlentscheidungen, die immer passieren können, keine katastrophalen Konsequenzen haben. Fehler unter enormer Arbeitshetze und Zeitdruck aufgrund von Personalmangel und mangelnder technischer Sicherheitsvorkehrungen sind nicht „menschliches Versagen“, sondern zwangsläufig. Verantwortlich für solche Arbeitsbedingungen ist jedoch der Bahnvorstand mit seinen rigorosen Einsparungen der letzten Jahrzehnte.

Es ist daher wichtig, eine unabhängige und umfassende Untersuchung der Unfallursachen durchzuführen. Das Aktionskomitee Bahn ruft alle Bahnbeschäftigten auf, relevante Informationen mitzuteilen. Wir werden alles Wichtige auf der WSWS veröffentlichen.

  • Wer kann etwas dazu sagen, was am Unfalltag genau geschehen ist? Informationen der unmittelbar beteiligten Kollegen vor Ort sind wichtig, aber auch der Kolleginnen und Kollegen in der Zentralen Einschaltstelle (ZES) sowie anderer beteiligter Stellen.
  • Gab es früher schon vergleichbare Unfälle oder Beinahe-Unfälle?
  • Was ist bekannt über den Abbau der Sicherheitssysteme im Rahmen der Sparmaßnahmen?
  • Wie wirkt sich die Zusatzbelastung durch Personaleinsparungen und verschärfte Ausbeutung auf die Sicherheit aus?

Dass es einen Zusammenhang zwischen der vollständigen Orientierung auf Profit bei der Bahn – wie auch bei vielen anderen Unternehmen der öffentlichen Daseinsvorsorge – und der Zunahme von Arbeitsunfällen und der wachsenden Gefahren für Passagiere gibt, ist offensichtlich.

Erst vor wenigen Tagen wurden in Norditalien fünf Gleisarbeiter von einem heranrasenden Zug erfasst und getötet. In den USA wurden innerhalb von zwei Monaten zwei Lokführer-Anwärter getötet, als sie aus den Waggons, die sie steuerten, herausgeschleudert und überrollt wurden. Davor war es in Griechenland zum tödlichsten Zugunfall der Landesgeschichte gekommen, als ein Hochgeschwindigkeitszug voller Ferienrückkehrer, vorwiegend Studierende, mit einem Güterzug zusammenprallte. 57 Menschen, darunter acht Eisenbahner, wurden getötet.

Die jahrzehntelangen Einsparungen der Deutschen Bahn bei der Instandhaltung der Infrastruktur und beim Personal kosten Menschenleben. Sie müssen ein Ende haben. Schreibt uns daher über Whatsapp unter +49-163-337 8340 und registriert euch auch über das folgende Formular.

Loading