Warum musste der junge DB-Auszubildende Simon Hedemann sterben?

Am Freitag, den 8. September 2023 wurde der 19-jährige DB-Auszubildende Simon Hedemann von einem Güterzug am Stellwerk Fischerhof in Hannover Linden erfasst und getötet. Er war mit zwei Kollegen vor Ort, um in „Eigensicherung“ neben einem Gleis Markierungen anzubringen, als ein Güterzug mit mehr als 90 km/h heranfuhr und Simon tötete.

Simon Hedemann

Für seine Eltern und alle Angehörigen ist es bis heute unfassbar und völlig unerklärlich, wie es dazu kommen konnte. Nie hätten sie damit gerechnet, dass Simon während seiner Ausbildung bei der DB Netz AG in eine derart gefährliche Situation geraten könnte, dass er dabei ums Leben kommen würde.

Simon war Eisenbahner mit Leib und Seele. „Es war sein Traum, er wollte zur Bahn.“ Sein Vater erinnert sich, wie überglücklich sein Sohn war, als er seinen Ausbildungsvertrag in den Händen hielt.

Er machte eine Lehre als Elektroniker für Betriebstechnik, war bereits im letzten Halbjahr seiner Ausbildung und hätte diese im Februar 2024 abgeschlossen. Es war sein Wunsch, diese Arbeit nach der Ausbildung weitermachen zu können, und es freute Simon sehr, dass die DB ihn voraussichtlich übernehmen wollte.

„Simon hat die Bestimmungen der Sicherheit am Arbeitsplatz sehr ernst genommen“, berichtet seine Mutter. „Er wusste, dass seine Arbeit nicht ungefährlich war, aber er hatte vollstes Vertrauen in die betrieblichen Anweisungen (Betra) und in seine erfahrenen Kollegen.“

Nun sind die Eltern seit fast elf Wochen mit dem tragischen Geschehen konfrontiert und immer noch im Ungewissen darüber, was genau am Unglückstag passiert ist: „Unser Sohn ist bei der Ausübung seiner Arbeit ums Leben gekommen, doch über das WIE und WESHALB lässt man uns weiterhin im Unklaren!“

Sowohl die Kriminalpolizei als auch der eingeschaltete Rechtsanwalt sagten den Eltern, dass es sich um ein laufendes Verfahren handelt, welches sich voraussichtlich bis zum Sommer 2024 hinziehen kann.

„Wir können doch nicht einfach abwarten und nichts tun“, argumentieren Simons Eltern. „Das ist unerträglich für uns! Es muss unbedingt aufgeklärt werden, was genau geschah. Schon allein deshalb, damit solch ein furchtbares Unglück sich nicht wiederholt!“

Sie sind der Meinung, dass die DB eine große Verantwortung für den Schutz und die Sicherheit ihrer Mitarbeitenden und ihrer Auszubildenden haben muss.

Von Seiten des Vorstands der DB Netz AG, Regionalbereich Hannover, und Simons Arbeitsstelle in Hannover-Wülfel hat sich bis heute kein Verantwortlicher bei der Familie gemeldet.

Ernsthaft mit den Eltern gesprochen haben bislang nur Simons Ausbildungsleiter*in. „Sie waren genauso betroffen, wie wir“, sagt sein Vater.

Viele Fragen bleiben ohne Antwort:
  • Was genau ist am Freitag, den 08.September 2023 an jenem Gleis am Stellwerk Fischerhof in Hannover-Linden geschehen?
  • Wurden die betrieblichen Anweisungen (Betra) und die damit zusammenhängenden, notwendigen Sicherheitsmaßnahmen befolgt?
  • Wurde eine Betra für die an diesem Tag auszuführenden Arbeiten überhaupt erstellt?
  • Wie wurde sichergestellt, dass ALLE Kollegen, die direkt oder indirekt von den am Gleis durchgeführten Arbeiten betroffen waren, wussten, wie sie sich zu verhalten haben?
  • Wie ist es möglich, dass ein Auszubildender einer derartig gefährlichen Situation ausgesetzt wird?

Die Fragen stellen sich umso dringender, da es Parallelen zu anderen Fällen gibt. Ein Beispiel ist der tödliche Unfall, den Ali Ceyhan (33), ein Weichenmechaniker bei der DB Netz AG, in Köln-Kalk nur drei Tage später erlitt. Auch dort ist ein Zug offenbar ungebremst in eine Arbeitsstelle hineingefahren. Und auch in diesem Fall erfahren die Angehörigen nicht, was genau passiert ist.

„Es ist nicht hilfreich, wenn die Bahn auf ‚menschliches Versagen‘ verweist und die Kriminalpolizei/ Staatsanwaltschaft Verfahren wegen ‚fahrlässiger Tötung‘ einleitet, die sich gegen Beteiligte, den Lokführer und die beiden Kollegen vor Ort richten“, kritisieren Simons Eltern.

Denn selbst wenn es so sein sollte, dass vorgeschriebene Sicherheitsvorkehrungen nicht eingehalten wurden, sei es aus Stress und/oder Arbeitsdruck, aus Übermüdung oder Unerfahrenheit, muss die Frage gestellt werden: Was sind das für Bedingungen, die zu diesem angeblichen „menschlichen Versagen“ geführt haben?

Für die DB mag es naheliegend sein, die unmittelbare „Schuldfrage“ zu klären, festzustellen, wer dafür zur Verantwortung gezogen wird, und Simons Tod als neuen „Ereignisfall“ in die Statistik des Bundesamts für Eisenbahnunfälle aufzunehmen. Mit anderen Worten: zur Tagesordnung überzugehen.

Damit ist jedoch weder die tiefere Ursache, noch die eigentliche Verantwortung geklärt.

„Für die DB ist es das Einfachste, die Schuld und Verantwortung bei ihren Mitarbeiter*innen zu suchen und nicht das System der Bahn anzuzweifeln“ meinen Simons Eltern.

Was wurde und wird in Zukunft von Seiten der DB unternommen, um die Mitarbeitenden und die Auszubildenden gar nicht erst in eine solch gefährliche Situation zu bringen?

„An irgendeiner Stelle ist etwas gewaltig schiefgelaufen“ sagen Simons Eltern. „Das darf nicht unter den Teppich gekehrt werden!“

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