Unerträgliche Arbeitsbedingungen bei DB Cargo – ein Rangierbegleiter berichtet

Wir veröffentlichen an dieser Stelle Berichte von Arbeitern über die verheerenden Zustände bei der Bahn, die für die Profite sogar über Leichen geht. Kontaktiert uns über Whatsapp unter +49-163-337 8340 oder registriert Euch im Formular unter diesem Artikel, um über Eure eigenen Erfahrungen zu berichten.

Weitere 1.800 Arbeitsplätze will die Bahn bei ihrer Tochter DB Cargo einsparen, um aus den roten Zahlen herauszukommen. Was dies in der Praxis bedeutet, das können die Eisenbahner schon heute ermessen. Personalnot und Ausbeutung haben bereits ein dramatisches Ausmaß erreicht. Immer häufiger kommt es zu Arbeitsunfällen oder Beinahe-Unfällen, und gemessen an dieser Last und Gefahr sind die Löhne viel zu niedrig.

Einer, der diese Zustände hautnah mitbekommt, ist M.M., ein Mitglied des Aktionskomitees Bahn. Er ist Bergmeister und Rangierbegleiter auf einem der größten europäischen Rangierbahnhöfe, wo er dabei ist, gemeinsam mit Kollegen ein unabhängiges Aktionskomitee aufzubauen.

Rangierbahnhof Kornwestheim bei Stuttgart [Photo by K. Jähne / Wikimedia / CC BY-SA 3.0]

Der World Socialist Web Site erklärte M.M.: „Bei uns hat der Stellenabbau schon längst angefangen, er ist schon in vollem Gange.“ Er berichtet, dass nachts am Rangierbahnhof, wo normalerweise mindestens acht Leute da sein müssten, derzeit manchmal nur noch zwei Kollegen da seien: „Gerade zuletzt war es wiedermal so weit: Da war ich ganz alleine unterwegs, und noch ein Kollege machte die Arbeit in einer anderen Gruppe. Hätte man mich anschließend gefragt, wie es mir körperlich geht, hätte ich nur sagen können: ich fühle mich wie ein 90-Jähriger, dem alle Knochen gebrochen sind.“

M.M. berichtete, worin seine Arbeit besteht, und schilderte uns dazu die Anlage, auf der er arbeitet. Es ist der sogenannte Ablaufberg (daher die Berufsbezeichnungen „Bergmeister“ oder „Bergzuglokführer“). Es ist eine Geländeerhebung mit einem Gleis, wo die Waggons voneinander getrennt werden. Dann schiebt die Lok sie über den Hügel, wo sie aufgrund ihrer Schwerkraft selbständig abwärts rollen, um sich zu neuen Zügen zusammenzufügen.

„Unsere Arbeit als Rangierbegleiter besteht darin, die ankommenden Züge zu zerlegen“, erklärte M.M. „Dabei werden die Waggons mit Hilfe einer Rangierstange auseinandergedrückt, während der Zug sich bewegt. Dann schiebt die Abdrücklok die Waggons über den Hügel, sie werden ‚abgedrückt‘, das heißt, sie rollen bergab, in die richtige Wagenfolge. Zuvor hat der Stellwerker von seinem Programm aus die Gleise bereits richtig eingestellt.“

Eine Gruppe, die die Züge an dieser Anlage zerlegen muss, bestand noch vor kurzem aus drei Mann. Erst vor einigen Monaten wurde einer von ihnen weggekürzt. Als Begründung hieß es, dass DB Cargo derzeit weniger Kunden und daher weniger Züge hätte. „Allerdings sind die Züge seither definitiv länger“, sagte M.M. „Und mittlerweile ist es die Regel geworden, dass wir nur noch zu zweit arbeiten.“

Außerdem, so M.M., sei die Arbeit sehr anstrengend. „Immer öfter fallen Kollegen wegen Krankheit aus, so dass ein Mann die ganze Arbeit allein machen muss.“ Er schilderte, worin sie besteht: „Oft haben wir es mit 600 oder 700 m langen Zügen zu tun, die wir zweimal abschreiten müssen: erst beim Zerlegen und danach, beim Zurückgehen, zur Kontrolle. Das sind pro Zug bis zu 1,4 km Länge. Bei zehn oder noch mehr Zügen pro Schicht ergibt das einen Weg von bis zu 15 km pro Schicht: ein Fußmarsch über Schotter mit ständigem Bücken, dazu die Kuppel, die allein schon 25 kg wiegt.“

„Mach das mal zwei Wochen lang“, setzte er hinzu. „Dann bist du anschließend zwei Wochen krank. Ich habe es im Sommer in der Nachmittagsschicht bei größter Hitze gemacht. Das war kaum durchzuhalten. Hinzu kommt, dass uns die Disponenten in letzter Zeit ständig Druck machen. Obwohl wir weniger Mitarbeiter haben, sollen wir die Produktivität halten und noch steigern.“

Diese Arbeit ist alles andere als ungefährlich. „Ich habe selbst schon dem Tod ins Auge geschaut“, sagt M.M., „und nur durch eine rasche Reaktion vermeiden können, unter einen Waggon gezogen zu werden. Meine Frau verabschiedet sich jeden Tag von mir, als könnte es der letzte sein.“

Das Thema Arbeitssicherheit und Arbeitsunfälle steht beim Aktionskomitee Bahn seit einigen Wochen im Zentrum, seit ein Mitglied des Komitees einen schweren Arbeitsunfall bei DB Netz Instandhaltung Oberleitung hatte. Wie sich zeigte, ist es allein in diesem Jahr bei der Bahn schon zu zehn tödlichen Arbeitsunfällen gekommen. Sowohl der Bahn-Vorstand, als auch die Eisenbahnergewerkschaft EVG tun alles, um die tödlichen Gefahren zu vertuschen.

Auch auf dem Rangierbahnhof, auf dem M.M. arbeitet, führt die Personalnot zu immer gefährlicheren Situationen. „Man hat den Eindruck, sie gehen über Leichen“, sagte M.M. „Die Zeitungen bringen nur das, was die Regierung und die Wirtschaft möchte, und keiner redet davon, wie es uns geht, und wie gefährlich unsere Arbeit ist. Wir müssen ja auch nachts arbeiten, wo jeder übermüdet ist und das Licht nicht ausreicht. Da passieren zwangsläufig Unfälle.“

Wie er berichtete, gab es vor kurzem eine gefährliche Situation auf dem Rangierbahnhof, als die Büsche nicht zurückgeschnitten waren. „Die Büsche sind bis zu zwei Meter hoch gewachsen. Da kamen wir nicht mehr überall durch und blieben leicht irgendwo mit der Stange hängen. Das war eine wirkliche Betriebsgefahr. Schließlich wurde es so schlimm, dass wir uns alle weigerten, noch an die Züge zu gehen und sie abzuhängen, weil das einfach zu gefährlich wurde.“

M.M. sprach auch das geringe Gehalt für diese anstrengende, gefährliche Arbeit an. „Hätte ich dabei am Ende des Monats wenigstens eine große Stange Geld, dann wäre das Ganze vielleicht noch halbwegs erträglich. Aber das ist nicht der Fall! Wir Arbeiter wollen ja gar nicht Millionäre werden“, setzte er hinzu. „Ich möchte ganz normal leben, meinen Kindern Schuhe und warme Wintersachen kaufen können, wenn es nötig ist, und immer genug Geld da haben, damit wir vernünftig essen und leben können. Das ist aber nicht gegeben, wenn man allein von meinem Grundlohn ausgeht.“

Sein Grundlohn betrage netto 2.100 Euro. „Davon kann ich keine Familie mit zwei Kindern ernähren. Da müssen schon die Zulagen für die Nachtschichten hinzukommen. Deshalb kann ich auch nie vier Wochen Urlaub machen, weil mir dann die Nachtzuschläge fehlen. Ohne diese könnte ich aber Miete, Fixkosten und den ganzen Rest nicht bezahlen. Schon jetzt kommt es ständig vor, dass ich an die Rücklagen gehen muss, die ich bei meiner früheren Arbeit angespart habe. Das Gehalt ist einfach zu wenig für die gefährliche Arbeit. Selbst ein Hund hat mehr Empathie als wir bei DB Cargo erfahren.“

Diese Zustände sind der Grund, warum die Eisenbahner über den Ausgang der jüngsten Tarifrunde so unzufrieden und auf die EVG wütend waren. Die EVG hatte den Tarifkampf abgewürgt und ihren Mitgliedern massive Reallohnsenkungen und weitere Angriffe aufs Auge gedrückt. Ein Streik wurde trotz überwältigender Kampfbereitschaft verhindert. Seither zeigen die angekündigten Stellenstreichungen noch deutlicher, dass die EVG-Führung auf der anderen Seite, auf der Seite der Bahn und der Regierung, nicht der Arbeiter steht.

Über den Plan, bei DB Cargo tausende Arbeitsplätze einzusparen, wusste die EVG frühzeitig Bescheid. Schon im Frühsommer wurde darüber berichtet. Das stehe in einem internen „Weißbuch für den Güterverkehr“, hieß es in der Presse, das die DB-Cargo-Chefin Sigrid Nikutta vor Ende Oktober im Aufsichtsrat vorstellen wolle. Sie hat diese Pläne in Zusammenarbeit mit der Unternehmensberatung Roland Berger entwickelt, die dafür laut Business Insider rund 8 Millionen Euro kassiert.

Auch M.M. hatte bei der Urabstimmung zusammen mit vielen Kollegen mit ‚Nein‘ gestimmt, gegen das Schlichtungsangebot und für einen Streik. „Die EVG ist offenbar bloß ein Dienstleister, eine Art Subunternehmen für die DB“, sagte er damals. Aufgrund der Kooperation der EVG kann DB Cargo die Stellenstreichungen gnadenlos durchsetzen.

Auf dem jüngsten Treffen des Aktionskomitees Bahn am letzten Dienstag, an dem sich auch Postler beteiligten, kam das Thema der Stellenstreichungen zur Sprache. Ein Postler vom Frankfurter Flughafen stellte fest, wie ähnlich sich die Angriffe in beiden Bereichen doch seien. Er sagte: „Für Krieg und für die Waffenhilfe an die Ukraine ist allzeit Geld vorhanden. Dass aber die Infrastruktur in Deutschland mittlerweile zerbröselt, ist die andere Seite der Medaille.“

Das Aktionskomitee hat sich zum Ziel gesetzt, Arbeiter unabhängig von den Gewerkschaften EVG und GLD zusammenzuschließen. Es hat bei seiner Gründung zwei Prinzipien aufgestellt. Erstens: Die Interessen und Bedürfnisse der Arbeiter stehen höher als die Profite der Konzerne; und zweitens: Die Verbündeten der Eisenbahner sind nicht in den Vorstandsetagen und Gewerkschaftsbüros zu suchen, es sind die Eisenbahner und Arbeiter Europas und auf der ganzen Welt.

„Was sich dieses Komitee vorgenommen hat, ist genau das, was ich seit langer Zeit als Alleinkämpfer angestrebt habe“, sagte M.M. Und sein Bericht zeigt, dass das Potential für die Bildung unabhängiger Aktionskomitees in den Betrieben vorhanden ist. „Als wir uns weigerten, weiterzuarbeiten, obwohl die Büsche nicht geschnitten waren, da war es tatsächlich so, dass alle zusammengehalten haben. Einmal im Leben haben alle zusammengehalten“, berichtet M.M. „Und solche Zustände gibt es eigentlich in jedem Bereich bei der DB.“

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