Perspektive

UN und Human Rights Watch werfen Großbritannien schwere Angriffe auf demokratische Rechte vor

Aktivisten der Gruppe Just Stop Oil werden von Polizeibeamten festgenommen, als sie den Verkehr auf einer Straße in London lahmlegen, 30. Oktober 2023 [AP Photo/Kin Cheung]

Die britische Regierung unternimmt einen systematischen Angriff auf die demokratischen Rechte, indem sie Demonstrationen verbietet, die Meinungsfreiheit stark einschränkt und die Grundrechte in eklatanter Weise missachtet. Die Wende der britischen Regierungsklasse zur autoritären Herrschaft ist so eklatant, dass Menschenrechtsorganisationen kritisch reagieren.

In einer Erklärung von Human Rights Watch von letzter Woche heißt es: „Das Recht, friedlich zu protestieren, ist bedroht, wie Pro-Palästina-Demonstranten und Klimaaktivisten kürzlich erfahren mussten. Und das Land hat sich dem globalen Wettlauf nach unten in Bezug auf Migration und Flüchtlinge angeschlossen.“

In einem Gespräch mit dem Guardian äußert sich die britische Direktorin von Human Rights Watch, Yasmine Ahmed, deutlich. „Bei früheren Regierungen gab es immer den Versuch, zumindest den Anschein zu erwecken, dass sie die nationalen oder internationalen Menschenrechtsvorschriften einhalten und die Gerichte und Menschenrechtsinstitutionen respektieren würden. Jetzt wird nicht mal versucht, dies zu tun – im Gegenteil.“

Ahmed beschreibt das Vorgehen der Regierung als „sehr autoritär“ und fügt hinzu: „Die Regierung kündigt nicht nur an, die nationalen Menschenrechtsgesetze zu missachten und ihre internationalen Verpflichtungen zu ignorieren, sie hat auch einen offenen Angriff auf das Recht auf friedliche Demonstrationen gestartet, sperrt Klimaschützer ein, kriminalisiert Flüchtlinge und hat der Polizei beispiellose Befugnisse gegenüber den Bürgern gegeben.“

Ahmed verurteilt das Vorhaben der britischen Regierung, den Human Rights Act nicht auf ein Gesetz anzuwenden, das die Abschiebung von Asylbewerbern nach Ruanda vorsieht und damit gegen ein Urteil des Obersten Gerichtshofs verstößt.

Einige der ungeheuerlichsten Maßnahmen wurden gegen Proteste angesichts des israelischen Angriffs auf Gaza ergriffen. Letzten Monat drohte Premierminister Rishi Sunak den Demonstranten: „Ich möchte alle daran erinnern, dass die Hamas eine verbotene terroristische Organisation ist. Die Menschen sollten die Hamas nicht unterstützen, und wir werden sicherstellen, dass wir die Menschen zur Rechenschaft ziehen, wenn sie es tun.“ Die britische Polizei hat Hunderte von Menschen verhaftet, die gegen den Angriff auf Gaza demonstriert haben – oft nur, weil sie Schilder trugen.

Trotz der Drohungen der Regierung haben Millionen von Menschen in Großbritannien gegen den Völkermord protestiert. Am 11. November demonstrierten bis zu einer Million Menschen in London.

Die Bemühungen der britischen Regierung, den Widerstand gegen Israels Angriffe auf Gaza zu kriminalisieren, sind Teil des weltweiten Drucks auf demokratische Rechte. In Frankreich, Deutschland und anderen europäischen Ländern haben die Behörden versucht, Proteste zu verbieten. In den Vereinigten Staaten hat der Senat eine Resolution verabschiedet, die den Demonstranten vorwirft, „Solidarität mit Terroristen“ zu bekunden. An mehreren US-Universitäten wurde die Studierendenorganisation Students for Justice in Palestine verboten.

Human Rights Watch stimmt im Allgemeinen durchaus eng mit den Grundsätzen der imperialistischen Außenpolitik überein. Dass sich die Organisation so deutlich über das Vereinigte Königreich äußert, ist ein Zeichen dafür, wie schnell die britische herrschende Klasse in ihrem Rechtsruck demokratische Formen der Herrschaft über Bord wirft. Bezeichnenderweise warnt Ahmed: „Dieser Ansatz diskreditiert und untergräbt letztlich unsere Fähigkeit, andere Menschenrechtsverletzer auf der internationalen Bühne zur Rechenschaft zu ziehen.“

Auch die Vereinten Nationen haben die drakonischen Strafen der britischen Regierung für Klimaprotestler und die allgemeinen Angriffe auf demokratische Rechte kritisiert.

Im April wurden zwei Demonstranten von Just Stop Oil, Morgan Trowland und Marcus Decker, zu drei bzw. zwei Jahren Haft verurteilt, weil sie im vergangenen Oktober ein „öffentliches Ärgernis“ verursacht hatten. Die beiden kletterten auf die Dartford Crossing-Brücke im Osten Londons, um ein Transparent zu entrollen. Die Aktion führte zu einem Verkehrsstillstand über mehr als 24 Stunden, bis die beiden abgeführt waren.

King‘s Counsel Daniel Friedman, der gegen die Urteile Berufung einlegte, wies darauf hin, dass es sich um die härtesten Urteile und längsten Haftstrafen handelt, die jemals in einem Fall von gewaltlosem Protest in der Geschichte des modernen Großbritanniens verhängt wurden. Friedman warnte davor, dass diese Urteile wahrscheinlich eine abschreckende Wirkung auf alle Proteste und nicht nur auf diese Art von Protest haben können.

Der Einspruch wurde im Juli abgelehnt. Die Oberste Richterin Sue Carr räumte ein, dass die Haftstrafen „weit über die bisher für diese Art von Straftaten verhängten Strafen“ hinausgingen. Sie führte jedoch im Gegenzug an, dass die Richter dem „Willen des Parlaments“ folgten, wie er im Gesetz über Polizei, Kriminalität, Strafzumessung und Gerichte zum Ausdruck kommt. Dies sieht bei einem Straftatbestand des öffentlichen Ärgernisses für offensichtlich gewaltloses Protestverhalten eine Höchststrafe von 10 Jahren Haft vor.

Das Urteil war Anlass für ein Schreiben des UN-Sonderberichterstatters für die Förderung und den Schutz der Menschenrechte im Zusammenhang mit dem Klimawandel, Ian Fry, an die britische Regierung vom 15. August, in dem er seine Bedenken äußert.

In dem Schreiben, über das BBC News letzte Woche berichtete, wird auf die inhaftierten Demonstranten Bezug genommen und die Besorgnis zum Ausdruck gebracht über „die Ausübung ihrer Rechte auf freie Meinungsäußerung und die Freiheit, sich friedlich zu versammeln und zu vereinigen“. Fry fügt hinzu, er sei „sehr besorgt über die möglichen Auswirkungen, welche die Härte der Urteile auf die Zivilgesellschaft und die Arbeit von Aktivisten haben könnte“.

In dem Schreiben heißt es, dass das Gesetz über die öffentliche Ordnung „ein direkter Angriff auf das Recht auf friedliche Versammlung zu sein scheint“. Die Frage laute, „warum ... es notwendig war, das Gesetz über die öffentliche Ordnung einzuführen und zu verabschieden und wie sowohl das Gesetz über die öffentliche Ordnung als auch die Verurteilung von Herrn Decker und Herrn Trowland mit internationalen Normen und Standards vereinbar sind“.

Ferner stellt Fry fest, dass ein früheres Schreiben vom 22. Dezember 2022 unbeantwortet blieb, in dem er und vier weitere UN-Sonderberichterstatter fragen, inwiefern das Gesetz über die öffentliche Ordnung mit den internationalen Menschenrechtsnormen vereinbar sei.

Sein erneutes Schreiben erlitt das gleiche Schicksal, obwohl er ausdrücklich um eine Antwort innerhalb von 60 Tagen gebeten hatte. Er sagte der BBC, dies sei „beunruhigend“ und Spiegel „einer allgemeinen Missachtung von Menschenrechtsbelangen durch die derzeitige Regierung“.

Nachdem die BBC ihren Beitrag veröffentlicht hatte, antwortete Premierminister Rishi Sunak dem UN-Vertreter auf X/Twitter: „Diejenigen, die das Gesetz brechen, sollten die volle Härte des Gesetzes zu spüren bekommen. Es ist völlig richtig, dass selbstsüchtige Demonstranten, die eine hart arbeitende Mehrheit ins Unglück stürzen wollen, hart bestraft werden.“

Noch vor wenigen Jahren glaubten die UN und Organisationen wie Human Rights Watch, den imperialistischen Regierungen attestieren zu können, sie seien die Hüter einer „internationalen, auf Regeln basierenden Ordnung“. Dies bedeutete allerdings immer nur die Verteidigung imperialistischer Interessen mit dem Mittel einer Sprache, die sich mit Humanismus und Menschenrechten kleidete.

Aber die Gewalt und der Autoritarismus, mit denen die Regierungen zunehmend gezwungen sind, über die ihnen zutiefst feindselig gegenüberstehende Bevölkerung zu herrschen, führen dazu, dass die Fiktion zerfällt. Die breite Unterstützung der imperialistischen Regierungen und der wichtigsten Oppositionsparteien für den israelischen Völkermord in Gaza hat diesen Prozess rapide beschleunigt.

Eine relativ kleine Anzahl von Klimaaktivisten, die friedliche Störaktionen durchführen, dient als Vorwand für diktatorische neue Gesetze, doch die potenzielle und beabsichtigte Anwendung der Gesetze ist weitaus umfassender. Diese Tatsache wird sichtbar durch die heftige Verurteilung der Hunderttausenden, die an den landesweiten Demonstrationen gegen den israelischen Völkermord in Gaza teilnahmen. Ein zweiter Hinweis auf die beabsichtigte Zielrichtung besteht in der Verabschiedung von Gesetzen, die direkt gegen streikende Arbeitnehmer gerichtet sind. Die herrschende Klasse bereitet sich auf eine massive Konfrontation mit der Arbeiterklasse vor.

Zwar beziehen sich Human Rights Watch und die UN ausdrücklich auf „diese derzeitige Regierung“, doch besteht kein Unterschied zwischen den amtierenden Tories und der Opposition der Labour Party.

Die Labour Party hat das harte Vorgehen gegen die Klimaproteste unterstützt, wohl wissend, dass sie als Speerspitze einer Kampagne benutzt wurde, die Widerstand gegen Imperialismus und Krieg brechen soll und nun umgesetzt wird. Im vergangenen April forderte der stellvertretende britische Justizminister Steve Reed die Regierung auf, „nicht länger tatenlos zuzusehen und sich an die Arbeit zu machen“, d.h. gegen die Just Stop Oil-Demonstranten vorzugehen. Im Oktober erklärte der Labour-Vorsitzende Sir Keir Starmer, dass er längere Haftstrafen befürwortet, und sich auch schon in seiner Zeit als Generalstaatsanwalt (2008-2013) dafür eingesetzt habe.

Was die pro-palästinensischen Proteste betrifft, so hat die Labour Party längst die Hexenjagd auf den angeblichen „linken Antisemitismus“ angeführt. Seither hat sie sich zur engagiertesten Unterstützerin der Metropolitan Police entwickelt, die bereits Hunderte von Demonstranten verhaftet hat und nach weiteren Mitteln verlangt.

Auch die Hinwendung zum Polizeistaat ist kein rein britisches Phänomen. Deutschland hat in den letzten Jahren eine grausame antidemokratische Razzia gegen Klimaprotestler durchgeführt, die als Probelauf für die Unterdrückung pro-palästinensischer Demonstranten heute dient. Diese Entwicklung spiegelt sich auch in Frankreich wider. Der Frontalangriff auf demokratische Rechte ist die universelle Antwort einer herrschenden Klasse, die sich angesichts der Massenopposition isoliert fühlt und keine andere Antwort als staatliche Repression hat.

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