Warnstreik im Öffentlichen Personennahverkehr:

Durchbrecht die Kontrolle von Verdi! Baut unabhängige Aktionskomitees auf!

Nach den Streiks der Lokführerinnen und Lokführer bis Montag, der Ärztinnen und Ärzte der Unikliniken am Dienstag und der Sicherheitsbeschäftigten der Flughäfen am Donnerstag legen heute Zehntausende Bus-, Bahn- und Tramfahrer der kommunalen Nahverkehrsunternehmen in ganz Deutschland für einen vollen Tag die Arbeit nieder. Es handelt sich um den ersten bundesweiten Warnstreik seit 1992, und er findet zeitgleich in 81 größeren Städten und 42 Kommunen statt.

Verdi reagiert damit auf die wachsende Wut der Beschäftigten über unerträgliche Arbeitsbedingungen und niedrige Löhne. Die Gewerkschaft verhandelt in allen Bundesländern mit Ausnahme von Bayern über die jeweiligen Manteltarifverträge im Nahverkehr, TV-N (Mantel), sowie in manchen Bundesländern auch über den Entgelt-Tarifvertrag, TV-N (Entgelt).

Der Warnstreik der Verkehrsarbeiter ist Teil einer anschwellenden Streik- und Protestwelle gegen die rasanten Preissteigerungen und den ständig zunehmenden Reallohnverlust. Dazu kommen die unerträglichen Arbeitsbedingungen, die dazu führen, dass viele Beschäftigte krank werden oder den Job aufgeben, was die Arbeitshetze zusätzlich verschärft.

Gleichzeitig finden militante Proteste der Bauern statt und weiten sich – wie auch die Lohnkämpfe – auf andere europäische und andere Länder aus. Parallel dazu reißen die Demonstrationen gegen Krieg und den Genozid in Gaza, gegen die AfD und den politischen Rechtsruck nicht ab.

In dieser Situation hat Verdi alle Hebel in Bewegung gesetzt, damit ein flächendeckender Streik im ÖPNV nicht mit dem Streik der 25.000 Kolleginnen und Kollegen an den Flughäfen und erst recht nicht mit den Lokführerinnen und Lokführern zusammenkommt. Ein gemeinsamer Kampf dieser Beschäftigten hätte wie ein Fanal gewirkt und eine breite Mobilisierung gegen die verhasste Ampelkoalition ausgelöst.

Während viele Arbeiter eine solche Generalstreikbewegung befürworten und für notwendig halten, um den ständigen Angriffen der Konzerne, der kommunalen Arbeitgeber und der Regierung entgegenzutreten, vertreten Verdi, die GDL und alle anderen Gewerkschaften den genau entgegengesetzten Standpunkt. Sie sind aufs Engste mit der Regierung und den Unternehmen verbunden. Sie fordern mehr Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen, unterstützen die militärische Aufrüstung und haben mit der Regierung vereinbart, dass die Kriegskosten durch Reallohnsenkungen auf die arbeitende Bevölkerung abgewälzt werden.

Diese Unterstützung der Regierung bestimmt ihre Streiktaktik. Die Tarifauseinandersetzungen werden nicht gebündelt, um eine möglichst große Kraft zu entfalten, sondern alle Streiks werden voneinander getrennt, isoliert und auf wenige Stunden beschränkt und möglichst schnell unterdrückt – frei nach dem Motto „Jeder stirbt für sich allein!“.

Deshalb muss der Warnstreik genutzt werden, um über eine grundlegende Neuorientierung und Neuorganisation der Arbeiterbewegung zu diskutieren. Es ist wichtig, unabhängige Aktionskomitees aufzubauen, die demokratisch organisiert sind und in denen eine Perspektive diskutiert wird, die die prinzipielle Verteidigung der Interessen der Beschäftigten in den Mittelpunkt stellt. Das heißt: Die Rechte und Bedürfnisse von Arbeiterinnen und Arbeitern samt ihren Familien müssen höher stehen als die Profitinteressen der Unternehmen, Aktionäre und Spekulanten und die Kriegspolitik der Bundesregierung.

Teil einer solchen Neuorientierung muss eine enge internationale Zusammenarbeit sein. Alle Probleme nehmen heutzutage internationale Form an. Arbeiter stehen überall auf der Welt vor denselben oder ähnlichen Problemen und können sie nur lösen durch internationale Zusammenarbeit und die Koordinierung grenzüberschreitender Kämpfe.

Die enge Verbindung – um nicht zu sagen Verschmelzung – der Gewerkschaften mit der Regierung nimmt in den kommunalen, landes- und bundeseigenen Gesellschaften und Konzernen besonders ausgeprägte Form an. Nicht selten werden Gewerkschaftsfunktionäre mit einträglichen Posten bedacht. Daher sitzen bei Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst und in kommunalen Gesellschaften oft Gewerkschafter auf beiden Seiten des Verhandlungstisches – meist auch noch mit der gleichen Parteizugehörigkeit. Diese Symbiose von Parteien, Staat und Gewerkschaften ist der Grund, weshalb letztere es als ihre Aufgabe ansehen, die breite soziale, betriebliche und politische Mobilisierung, die sich abzeichnet, abzuwürgen und zu verhindern.

Das wird im aktuellen Warnstreik der Verkehrsbeschäftigten sehr deutlich, vor allem in einem der größten europäischen Nahverkehrsbetriebe, den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG). Dort wird über den Manteltarifvertrag für rund 16.000 Beschäftigte verhandelt.

Verdi-Verhandlungsführer Jeremy Arndt wusste nach dem ersten Treffen am Mittwoch zwar von einer „konstruktiven Atmosphäre“ zu berichten, aber die Arbeitgeberseite habe weder ein eigenes Angebot unterbreitet noch sich zu den Verdi-Forderungen auch nur geäußert.

Die viel zu geringen Forderungen, die Verdi in Berlin vorgelegt hat, spiegeln die schrecklichen Arbeitsbedingungen der BVG-Beschäftigten wider. Die Gewerkschaft fordert 33 statt 30 Urlaubstage, eine „zehnminütige“ Wendezeit im Fahrdienst (statt der bisherigen vier Minuten), die Erhöhung der Ruhezeiten von 11 auf 12 Stunden zwischen den Schichten sowie die Absenkung der unbezahlten Pausenanteile von derzeit 50 Minuten auf maximal 30 Minuten in einer Schicht von maximal 8,5 Stunden. Außerdem fordert Verdi in Berlin eine Erhöhung der Zulage für geteilte Dienste, die die Beschäftigten ganz abgeschafft haben wollen. Dabei müssen sie frühmorgens drei bis vier Stunden und dann noch einmal nachmittags oder abends für drei oder vier Stunden zur Arbeit. Weitere Forderungen sind ein zusätzlicher Urlaubstag nach 100 Nachtarbeitsstunden und die Wiedereinführung des „Urlaubsgeldes“, wenn auch nur in Höhe von 500 Euro pro Jahr.

Die Situation bei der BVG ist wie in allen anderen Verkehrsunternehmen unerträglich. Tausende Arbeitsplätze für Fahr- und Technikpersonal sind daher unbesetzt. Diejenigen, die mit dem Einsatz all ihrer Kräfte den ÖPNV aufrechterhalten, werden immer häufiger krank. So berichtete ein BVG-Personalrat gegenüber der Berliner Zeitung, dass die „Krankenquote früher bei 6,5 Prozent lag, inmitten der Corona-Zeit waren es um die 8,5 Prozent. Zurzeit sind es offiziell 12 bis 13 Prozent. Tatsächlich waren es zum Beispiel im Dezember mehr als 20 Prozent. An einem Tag waren von den 572 Mitarbeitern hier auf dem Hof Britz mehr als 150 krank. Rekord!“

Gegen diese Entwicklung, die nicht auf Verkehrsbetriebe beschränkt ist, sondern weite Kreise in allen Branchen und Bereichen zieht, wächst der Widerstand.

Und Verdi versucht, diesen zu unterbinden. In Berlin hat die Verdi-Streikleitung entschieden, bei der BVG nicht wie bundesweit den gesamten Tag zu streiken, sondern nur von 3.00 Uhr bis 10.00 Uhr.

Verdi-Funktionär Arndt sah sich gezwungen, in einem gesonderten Video-Statement dem Unmut der Beschäftigten über diese Spaltung entgegenzutreten. Im Land Berlin sei ein siebenstündiger Streik ausreichend, weil „wir es bis jetzt nicht mit einer Arbeitgeberseite zu tun [haben], die massive Verschlechterungen innerhalb des TV-N für die Beschäftigten anstrebt“.

Das ist eine gewaltige Beschönigung, um nicht zu sagen, eine offene Lüge. Die BVG hat in der Vergangenheit „massive Verschlechterungen“ durchgesetzt, wird dies auch in Zukunft tun und hat wahrscheinlich schon mit Verdi grob den Weg ausgearbeitet, wie dies geschehen soll.

Verdi und BVG-Vorstand sind sich darüber einig, dass die Beschäftigten für Aufrüstung und Krieg zahlen sollen. Der Verdi-Bundesvorsitzende Frank Werneke erklärte am Rande des letzten Verdi-Kongresses im September: „Ich bin absolut dafür, jetzt ein Sondervermögen [für die Bundeswehr] zu schaffen. Das ist notwendig und 100 Milliarden Euro werden da vermutlich bei weitem nicht reichen.“

Im letzten Jahr zeigten die Postarbeiterinnen und Postarbeiter, die Beschäftigten im Öffentlichen Dienst in Bund, Land, Städten und Gemeinden sowie die EVG-Mitglieder unter den Beschäftigten der Deutschen Bahn, dass sie nicht länger bereit sind, das hinzunehmen. Das noch junge Jahr zeigt, dass auch die Bauern, die Lokführer der GDL, die Ärztinnen und Ärzte, die Flughafenbeschäftigten und nun auch die Verkehrsarbeiter des Öffentlichen Personennahverkehrs gewillt sind, für ihre Interessen einzutreten und zu kämpfen.

Doch um erfolgreich zu sein, bedarf es neuer unabhängiger Kampforganisationen. Gegen die gemeinsame Front aus Gewerkschaften, Bundesregierung und Unternehmen müssen gewerkschaftsunabhängige Aktionskomitees gegründet werden, die einzig und allein den Beschäftigten und ihren Familien verpflichtet sind.

Auch bei den Verkehrsbeschäftigten im öffentlichen Nahverkehr gilt, was das Aktionskomitee Bahn in einer am Dienstag beschlossenen Resolution erklärte: „Unsere Verbündeten sind weder die Gewerkschaftsapparate noch die Bundestagsparteien. Unsere Verbündeten sind die Beschäftigten aller Branchen in allen Ländern.“

Wir rufen alle Beschäftigten und darüber hinaus auf: Baut in euren Betrieben mit vertrauenswürdigen Kolleginnen und Kollegen unabhängige Aktionskomitees auf. Verbindet euch mit dem Aktionskomitee der Verkehrsarbeiter in Berlin. Schreibt dazu eine Whatsapp-Nachricht an +491633378340. Und füllt das Formular aus.

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