Perspektive

Trumps Drohungen und die Militarisierung Europas

Auf Drohungen Donald Trumps, im Falle seiner Wahl zum US-Präsidenten gegen Nato-Länder vorzugehen, die nicht massiv genug aufrüsten, hat Europa mit einer regelrechten Kriegshysterie reagiert. Die Forderungen reichen von militärischer Autonomie bis zum Aufbau einer eigenständigen europäischen Atomstreitmacht.

Nato-Gipfel 2023 in Vilnius [Photo by Presidential Office of Ukraine]

Trump hatte bei einem Wahlkampfauftritt erklärt, er werde Nato-Mitgliedern, die nicht mindestens zwei Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts ins Militär investieren, im Falle eines russischen Angriffs nicht beistehen. Er werde Russland „sogar dazu ermutigen, zu tun, was auch immer zur Hölle sie wollen“.

Die europäischen Regierungen reagieren darauf, indem sie ihre Aufrüstung weiter beschleunigen und einen Atomkrieg gegen Russland vorbereiten, gegen das sie schon jetzt in der Ukraine einen Stellvertreterkrieg führen.

Was sie vorhaben, lässt alles Bisherige verblassen. Sie sprechen von der Militarisierung der gesamten Wirtschaft, dem Ende der „Friedensdividende“, der Einführung der Wehrpflicht und nun auch von einer europäischen Atomstreitkraft.

Das ist ein Rezept für einen Krieg gegen die Arbeiterklasse, für staatliche Unterdrückung und für rechtsextreme Reaktion. Es kann nicht auf demokratische Weise geschehen. Sie werden eine Verschärfung des Klassenkampfes provozieren, der sich mit dem Massenwiderstand gegen den Imperialismus verbindet, wie er sich bereits in den Protesten gegen den Genozid in Gaza zeigt.

Der deutsche Finanzminister und FDP-Vorsitzende Christian Lindner sprach sich in einem Gastbeitrag für die Frankfurter Allgemeine Zeitung für gemeinsame europäische Atomwaffen aus, was auch Deutschland erstmals in seiner Geschichte zur Atommacht machen würde. Bisher sind auf deutschem Boden nur US-Atomwaffen gelagert, über deren Einsatz die US-Regierung entscheidet.

Lindner schlug vor, auf Kooperationsangebote des französischen Präsidenten Emmanuel Macron einzugehen und die strategischen Nuklearstreitkräfte Frankreichs und Großbritanniens zur Grundlage einer europäischen Atomstreitkraft zu machen.

Gleichzeitig machte er deutlich, dass dies mit einer Kriegserklärung an die Arbeiterklasse verbunden ist, die die Kosten des Militarismus zu tragen hat. „Die ‚Friedens­dividende‘ der Vergangenheit wurde genutzt, um insbesondere den Wohlfahrtsstaat auszubauen,“ schrieb er. „Nunmehr stehen wir am Beginn der Epoche der ‚Freiheitsinvestition‘, weshalb ein Umsteuern nötig ist.“

Auch Katarina Barley, Vizepräsidentin des Europaparlaments und Spitzenkandidatin der SPD für die Europawahl, sowie Manfred Weber, der deutsche Vorsitzende der konservativen Fraktion im Europaparlament, brachten den Aufbau einer eigenständigen europäischen Atomstreitmacht ins Gespräch. „Auf dem Weg zu einer europäischen Armee kann auch das ein Thema werden,“ sagte Barley dem Tagesspiegel.

Der neue polnische Regierungschef Donald Tusk rief bei seinem Antrittsbesuch in Paris dazu auf, die Politiker und Gesellschaften Europas wachzurütteln. Europa brauche eine gemeinsame Verteidigungspolitik und müsse ein starker Kontinent werden. Bei seinem anschließenden Besuch in Berlin sagte Tusk, man müsse Macrons Angebot zu einer Europäisierung der französischen Atomwaffen „wirklich ernst“ nehmen. Es gebe „überhaupt keinen Grund, warum die Europäische Union militärisch schwächer sein sollte als Russland“.

Andere halten es für taktisch unklug, angesichts der russischen Überlegenheit im Nuklearwaffenbereich – es verfügt über knapp 6000 Atomsprengköpfe, Großbritannien und Frankreich zusammen über rund 500 – die Frage einer eigenständigen europäischen Atomstreitmacht zum jetzigen Zeitpunkt derart offen aufzuwerfen, und drängen stattdessen als erster Schritt auf eine beschleunigte konventionelle Aufrüstung.

Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg warnte davor, die Glaubwürdigkeit der nuklearen Abschreckung der Nato zu unterminieren, zumal Amerikas nuklearer Schutzschirm für Europa so ziemlich das Einzige sei, was in den Strategiepapieren des Trump-Lagers bisher nicht in Frage gestellt werde. Auch der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius bezeichnete die Nukleardebatte „als Letztes, was wir jetzt brauchen“. Es handle sich um eine „komplexe Diskussion, die man nicht mal eben lostreten sollte“.

Doch das sind taktische Differenzen. Im Kurs auf Aufrüstung, Krieg und Klassenkrieg stimmen alle überein. Am Rande eines Treffens der Nato-Verteidigungsminister, das gestern in Brüssel stattfand, erhob Pistorius den Anspruch, dass Deutschland in der Nato eine führende Rolle spielt und zum „Rückgrat“ und zur „logistischen Drehscheibe“ bei der Verteidigung Europas wird. Erstmals habe sein Land das Zwei-Prozent-Ziel bei den Militärausgaben überschritten, brüstete er sich. Ab kommendem Jahr stelle es dem Bündnis 35.000 einsatzbereite Soldaten sowie 200 Flugzeuge und Kriegsschiffe zur Verfügung.

Auch andere europäische Nato-Mitglieder steigern ihre Militärausgaben. 18 von 31 haben inzwischen das Zwei-Prozent-Ziel erreicht. Vor zehn Jahren waren es nur drei. Und das ist nur der Anfang. Auch die europäische Rüstungsindustrie wird massiv ausgebaut, um wieder im großen Maßstab Munition und Waffen produzieren zu können.

EU-Kommissionpräsidentin Ursula von der Leyen will noch in diesem Monat einen Plan vorstellen, die europäische Rüstungsindustrie mit Milliarden Steuergeldern zu unterstützen und grenzübergreifend zusammenzuschließen.

Trumps Drohungen dienen dabei lediglich als Anlass für eine weitere Eskalation der Rüstungsspirale. Einige Kommentare haben Trumps Drohungen deshalb als „Weckruf“ begrüßt. So veröffentlichte Politico, das mittlerweile dem deutschen Springer-Verlag gehört, unter der Überschrift „Donald Trump hat Europa einen Gefallen getan“ einen zynischen Kommentar, in dem es heißt: „Trumps Donnerschlag sollte helfen, Europas strategischen Kompass neu auszurichten.“

Die britische Fachzeitschrift International Affairs kommentierte, Trumps Kommentare seien “ein Weckruf für die europäischen Staats- und Regierungschefs, insbesondere für die in Berlin, London und Paris. ... Wenn Donald Trump die europäischen Staats- und Regierungschefs nicht in der Verteidigung Europas vereinen kann, gibt es wirklich wenig Hoffnung.“

Die europäische Aufrüstung richtet sich nicht nur gegen Russland. Auch wenn die europäischen Mächte in der Nato noch eng mit den USA zusammenarbeiten, sind sie wirtschaftliche und geopolitische Rivalen. Schon unter der letzten Präsidentschaft Trumps hatten beide Seiten Handelskriegsmaßnahmen gegeneinander verhängt, die auch unter Biden nie völlig aufhoben wurden. Und auch zwischen den europäischen Mächten schwelen heftige Spannungen.

Führende deutsche Politiker – angeführt vom damaligen Außenminister und heutigen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeyer und der damaligen Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen – hatten bereits vor zehn Jahren gefordert, Deutschland müsse seine „militärische Zurückhaltung“ aufgeben, zur Führungsmacht Europas werden und weltweit wieder eine politische und militärische Rolle spielen, die seinem wirtschaftlichen Gewicht entspreche. Im selben Jahr unterstützten sie den rechten Putsch in Kiew, der die Weichen zum heutigen Krieg stellte. Seither haben die USA, die EU und ihre Mitgliedsstaaten diesen Krieg mit hunderten Milliarden Dollar finanziert und militärisch gelenkt.

Der Ruf nach militärischer Autonomie und nuklearer Eigenständigkeit zeigt, dass die europäischen Mächte ebenso wie die USA vor nichts zurückschrecken werden, um ihre imperialistischen Ziele zu erreichen – auch nicht vor einem Atomkrieg, der Europa verwüsten und das Überleben der Menschheit bedrohen würde. Was sie treibt, ist – wie im Ersten und Zweiten Weltkrieg – die ausweglose Krise des kapitalistischen Systems, die sie zu lösen versuchen, indem sie die Welt gewaltsam neu aufteilen und der eigenen Arbeiterklasse den Krieg erklären.

Es gibt nur einen Weg, diesen Kriegskurs zu stoppen, der von allen bürgerlichen Parteien, einschließlich der nominal „linken“ und den Gewerkschaften, unterstützt wird: Die unabhängige Mobilisierung und Vereinigung der europäischen, amerikanischen und internationalen Arbeiterklasse im Kampf gegen Sozialabbau, Diktatur und Krieg. Dieser Kampf muss sich auf ein sozialistisches Programm stützen, dass den Sturz des Kapitalismus zum Ziel hat. Dafür treten das Internationale Komitee der Vierten Internationale und seine Sektionen, die Sozialistischen Gleichheitsparteien ein.

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